Leitsatz (amtlich)

1. Die Regelung in ErstKVtr-Ärzte § 5 Nr 5 über die Beteiligung an der vertragsärztlichen Tätigkeit, wonach Vertragsarzt werden kann, wer in eigener Praxis niedergelassen ist, seine Tätigkeit ganz oder überwiegend freiberuflich ausübt und nicht auf überwiegend einem oder mehreren Dritten zur Verfügung stellen muß, verletzt nicht GG Art 12.

2. Das Merkmal des ErsKVtr-Ärzte § 5 Nr 5 "in eigener Praxis niedergelassen" stellt nicht auf die Eigentumsverhältnisse ab, sondern auf die eigenverantwortliche Ausübung der ärztlichen Funktion einschließlich der Möglichkeit der (Mit-)Disposition über die räumlichen und sächlichen, gegebenenfalls auch personellen Mittel.

3. Ob eine Tätigkeit freiberuflich iS des ErsKVtr-Ärzte § 5 Nr 5 ist, hängt davon ab, ob der Arzt dabei in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht. Im Bereich der sozialen Dienstleistungen kann für das wirtschaftliche Risiko nicht der Kapitaleinsatz als entscheidend angesehen werden; wesentlicher ist der persönliche Einsatz an Arbeitskraft und Leistung.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei Klagen gegen Entscheidungen der für die Beteiligung eines Arztes nach dem EKV zuständigen Kommissionen sind Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Ersatzkassen und der Ärzte zu besetzen.

2. Den Partnern des EKV ist es unbenommen, die Voraussetzungen für die Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis unter Beachtung der verfassungsmäßigen Schranken abweichend von den Zulassungsregelungen für Kassenärzte zu gestalten.

 

Normenkette

GG Art. 12 Abs. 1 Fassung: 1956-03-19; EKV-Ä § 5 Nr. 5 Fassung: 1963-07-20

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Mai 1971 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Beteiligung des Klägers an der Ersatzkassenpraxis.

Der Kläger ist als Stadtmedizinaldirektor Beamter auf Zeit bei der Stadt D. Er ist in das Ärzteregister eingetragen und leitet als Facharzt für Laboratoriumsdiagnostik das städtische Medizinaluntersuchungsamt und das Zentralinstitut für Laboratoriumsmedizin. Seine Aufgaben wurden zunächst durch einen Vertrag mit der Stadt D vom 20. Juni 1961 i. V. m. einer Dienstanweisung vom 21. Juni 1961 festgelegt. Danach waren ihm als Pflichtaufgaben die Leitung des Medizinaluntersuchungsamtes, die Durchführung näher bezeichneter laboratoriums-diagnostischer Untersuchungen und die Abgabe von Gutachten übertragen. Außerdem wurde ihm unter Hinweis auf die Nebentätigkeitsverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (NtV) die Erledigung laboratoriums-diagnostischer Aufgaben auf dem Gebiet der klinischen Bakteriologie, der klinischen Serologie und der klinischen Chemie als freie ärztliche Tätigkeit gestattet. Dazu standen ihm die personellen und sächlichen Einrichtungen des Instituts zur Verfügung; als Vergütung mußte er 80 % seiner Bruttojahreseinnahmen aus dieser Tätigkeit an die Stadt D abführen.

Mit Wirkung ab 1. Januar 1969 bestimmte sich die Tätigkeit des Klägers nach einer Dienstanweisung vom 20. Januar 1969 und einer Vereinbarung mit der Stadt D vom 14. Januar 1970. Neben der Erledigung der Pflichtaufgaben war ihm weiterhin die Ausübung privatärztlicher Tätigkeit gestattet. Er durfte laboratoriums-diagnostische Untersuchungen und Begutachtungen für Patienten der Städtischen Krankenanstalten in einer höheren als der 3. Pflegeklasse, für nichtstädtische Dienststellen und Krankenhäuser, für sonstige private Auftraggeber und für entsprechende Leistungen bei kassenärztlicher Versorgung sowie für Selbstzahler durchführen. Für die Inanspruchnahme der Institutseinrichtungen, des Personals und des Materials der Stadt D hatte der Kläger nunmehr zwei Drittel seiner Bruttojahreseinnahmen aus der kassen- und privatärztlichen Tätigkeit an die Stadt zu entrichten. Nach den Angaben des Klägers haben ihn die amtsärztlichen Aufgaben zu etwa einem Drittel und die privatärztliche Tätigkeit zu etwa zwei Dritteln arbeitsmäßig in Anspruch genommen.

Der Kläger, der als niedergelassener Arzt seit dem 1. Juli 1967 zur Ausführung ärztlicher Sachleistungen der Laboratoriumsdiagnostik für die RVO-Kassen zugelassen ist, beantragte am 14. Juli 1965, ihn nach § 5 Nr. 5 des Arzt/Ersatzkassen-Vertrages vom 20. Juli 1963 (EKV-Ärzte 1963) an der Ersatzkassenpraxis zu beteiligen. Die Beteiligungskommission für die Ersatzkassenpraxis für die Bezirksstellen R und D lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16. August 1967 ab: Der Kläger könne keine freiberufliche Tätigkeit ausüben, weil er als Beamter seine Arbeitskraft überwiegend der Stadt Duisburg zur Verfügung stellen müsse. Seinen Widerspruch wies die Beklagte aus den gleichen Gründen zurück (Beschluß vom 11. März 1968).

Vor dem Sozialgericht (SG) ist der Kläger ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 24. Januar 1969): Er könne nicht an der Ersatzkassenpraxis nach § 5 Nr. 5 EKV-Ärzte 1963 beteiligt werden, weil er nicht überwiegend freiberuflich tätig sei. Es sei unerheblich, in welchem Ausmaß der Kläger durch die Erledigung seiner Pflichtaufgaben tatsächlich in Anspruch genommen werde, wesentlich sei vielmehr, daß sein Dienstherr ihn auf Grund des Beamtenverhältnisses jederzeit voll heranziehen könne. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers nach der Anhörung zweier Zeugen über die Tätigkeit des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 5. Mai 1971). Der Vertragsarzt habe wie der Kassenarzt seine Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben. Der Kläger sei verpflichtet, für die Erledigung der freien Aufgaben das Institut zu benutzen und dafür einen erheblichen Teil seines Honorars abzuführen. Damit sei ihm nicht nur der wesentliche Teil der Praxisgestaltung genommen, es bestehe für ihn auch kein Berufsrisiko. Unter diesen Umständen könne seine Tätigkeit nicht mehr als selbständig und freiberuflich angesehen werden. Schließlich hindere das Dienstverhältnis ihn daran, seine Arbeitskraft überwiegend für die freie Tätigkeit einzusetzen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der zugelassenen Revision. Nach seiner Auffassung kommt es darauf an, in welchem Umfang er die freiberufliche Tätigkeit tatsächlich ausübe. Er sei, wie das LSG auf Grund der Zeugenaussagen auch eingeräumt habe, zu zwei Dritteln seiner Arbeitsleistung privatärztlich tätig. Die Verpflichtung, seine Arbeitskraft voll seinem Dienstherrn zu widmen, gelte zwar als allgemeiner beamtenrechtlicher Grundsatz, sei aber nicht geeignet, den tatsächlichen Umfang seiner Tätigkeit zu verändern. Sein Arbeitsfeld unterscheide sich von dem des Chefarztes eines Krankenhauses; denn die privatärztliche Tätigkeit lasse sich von der Verpflichtung als Beamter streng abgrenzen. Sein Dienstherr erhebe gegen die freiberufliche ärztliche Tätigkeit, bei der er völlig unabhängig sei, nicht nur keine Einwendungen, sondern habe ihm sogar nahegelegt, die Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung und zu den Ersatzkassen zu beantragen. Da er für die Benutzung des Instituts eine Entschädigung zahle und auch für seine Tätigkeit hafte - die Haftpflichtversicherung habe er selbst abgeschlossen -, trage er ein Berufsrisiko wie andere im freien Beruf Tätige. Im übrigen sei er auf die gleiche Art bereits seit vielen Jahren tätig, die Ersatzkassen hätten ihn in der Zeit voll in Anspruch genommen und auch honoriert. Durch seine Beteiligung als Vertragsarzt werde dieses Verhältnis nur legalisiert. Zudem verschlechtere eine Ablehnung die ärztliche Versorgung der Bevölkerung.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der Vorentscheidungen zu verpflichten, ihn an der Ersatzkassenpraxis zu beteiligen, hilfsweise, den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie schließen sich der Auffassung des LSG an und verneinen eine freiberufliche Tätigkeit des Klägers infolge seiner beamtenrechtlichen Verpflichtungen. Seine Zulassung zu den RVO-Kassen sei für die vertragsärztliche Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis nicht vorgreiflich, weil sie von anderen Voraussetzungen ausgehe. Die bisher ausgeübte Tätigkeit könne nicht dazu führen, dem Kläger über seine faktische Stellung hinaus einen Rechtsanspruch auf Zulassung zu geben. Seine Beteiligung an der ärztlichen Versorgung von Ersatzkassenmitgliedern könne auf andere rechtliche Weise, wie zB durch widerrufliche Beteiligung oder durch einen Ermächtigungsvertrag sichergestellt werden.

II

Die Revision des Klägers ist begründet.

Der erkennende Senat hat vorab geprüft, ob er mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkasse (KK) und der Kassenärzte vorschriftsmäßig besetzt ist. Er hat diese Frage bejaht. Bei der Abgrenzung der Angelegenheiten des Kassenarztrechts (§ 12 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 33 Satz 2, § 40 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) von denen der Kassenärzte (§ 12 Abs. 3 Satz 2 SGG) hat der Senat in ständiger Rechtsprechung darauf abgestellt, ob der angefochtene Verwaltungsakt in den Aufgabenbereich der kassenärztlichen Selbstverwaltung fällt oder ob er zum Zuständigkeitsbereich der gemeinsamen Selbstverwaltung der Kassenärzte und der KK gehört. Als entscheidendes Merkmal hat er hierbei angesehen, ob im Verwaltungsverfahren eine ausschließlich mit Kassenärzten besetzte Stelle zu entscheiden hatte oder ob hier auch Vertreter der KKen stimmberechtigt mitwirken mußten. Davon hängt die Besetzung der Kammern und Senate ab (vgl. ua BSG 21, 237, 238 = SozR Nr. 16 zu § 125 Grundgesetz - GG -; SozR Nr. 13 zu § 12 SGG; BSG 26, 16, 17).

Nach dem EKV-Ärzte 1963, der auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist, weil der ablehnende Beschluß über den Antrag des Klägers auf Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis 1967 erging, waren die Verwaltungsstellen von Rechts wegen sowohl mit Vertragsärzten als auch mit Vertretern der Ersatzkassen zu besetzen. Nach § 6 Nr. 1 EKV-Ärzte 1963 besteht die Beteiligungskommission aus vier Mitgliedern, die von der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) bestellt und abberufen werden. Dabei werden zwei Mitglieder vom Verband der Angestellten-Ersatzkassen e. V. (VdAK) benannt; eine Abberufung dieser Mitglieder soll nur auf Veranlassung des VdAK erfolgen. Nach Nr. 7 aaO gilt das gleiche für die Berufungskommission, die zur Entscheidung über Widersprüche in Beteiligungssachen gebildet wird mit der Maßgabe, daß außerdem noch ein Vorsitzender mit der Befähigung zum Richteramt von der KÄV nach Anhörung des VdAK bestellt wird. Die Ersatzkassen haben hier also nicht "bewußt darauf verzichtet, bei der Auswahl der für sie tätigen Ärzte mitzuwirken" (anders noch § 2 Nr. 2 des EKV-Ärzte 1950; dazu vgl. BSG 11, 1, 2 f; für die RVO-Kassen siehe § 368 b Abs. 2 und 6 Reichsversicherungsordnung - RVO -). Zwar bestellt die KÄV die Mitglieder sowohl der Beteiligungskommission als auch der Berufungskommission und beruft sie auch wieder ab. Aber einmal werden zwei Mitglieder der Kommission vom VdAK benannt, zum anderen soll eine Abberufung nur auf Veranlassung des VdAK erfolgen. Das hat praktisch zur Folge, daß die KÄV ohne Benennung durch den VdAK nicht in der Lage ist, die entsprechenden Kommissionen zu bilden. Die Interessen der Ersatzkassen werden in den Kommissionen durch die stimmberechtigte Mitwirkung der von ihnen entsandten Mitglieder so beachtlich vertreten, daß demgegenüber für die Frage, ob es sich um eine Angelegenheit allein der Kassenärzte handelt oder um eine gemeinsame Angelegenheit der Kassenärzte und der KKen, die Tatsache, daß auch die Mitglieder des VdAK von der KÄV bestellt werden, nicht ins Gewicht fällt. Es handelt sich vielmehr dabei im wesentlichen um Fragen formeller Natur. Daraus folgt, daß die Ersatzkassen so stark am Beteiligungsverfahren mitwirken, daß dieses dem Zuständigkeitsbereich der gemeinsamen Selbstverwaltung der Kassenärzte und der Ersatzkassen zugeordnet werden muß (SozR SGG § 12 Nr. 22).

Der Kläger erstrebt eine Beteiligung nach § 5 Nr. 5 EKV-Ärzte 1963. Sie ist davon abhängig, daß er sich der vertragsärztlichen Tätigkeit in einem näher bestimmten Umfang widmen kann (§ 5 Nr. 5 b EKV-Ärzte 1963). Diese Einschränkung geht über die Zulassungsbeschränkung in § 20 Abs. 1 der Zulassungsordnung für Kassenärzte (ZO-Ärzte) vom 28. Mai 1957 (BGBl I, 572), die denjenigen die Zulassung verwehrt, die der ärztlichen Versorgung der Kassenmitglieder nicht in erforderlichem Maß zur Verfügung stehen, hinaus (vgl. BSG 33, 168, 171 für die Beteiligung von Zahnärzten an der Ersatzkassenpraxis). Eine solche eigenständige Gestaltung der Voraussetzungen für die Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis, wonach der Arzt in eigener Praxis niedergelassen sein, seine Tätigkeit ganz oder überwiegend freiberuflich ausüben und nicht auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitskraft überwiegend einem oder mehreren Dritten zur Verfügung stellen muß, ist den Partnern des EKV-Ärzte 1963 nicht verwehrt. Wie der Senat in der angeführten Entscheidung dargelegt hat, ist eine Regelung der Berufsausübung, die die Freiheit der Berufswahl nicht berührt, schon dann nicht verfassungswidrig, wenn vernünftige Gründe des Gemeinwohls für ihren Erlaß gegeben sind und sie für den von ihr betroffenen Personenkreis zumutbar und nicht übermäßig belastend ist. In dem hier zu erörternden Zusammenhang der vertragsärztlichen Beteiligung gilt im wesentlichen das gleiche wie für die Regelung der vertragszahnärztlichen Beteiligung, daß nämlich die Beschränkungen der Beteiligung zum mindesten unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten vertretbar sind und den betroffenen Personenkreis nicht unzumutbar belasten.

Zu Unrecht ist das LSG der Auffassung, der Kläger sei nicht in eigener Praxis niedergelassen. Der Begriff der eigenen Praxis ist in dem EKV-Ärzte 1963 nicht näher erläutert, so daß davon auszugehen ist, daß ihm keine von dem allgemeinen Begriffsinhalt abweichende Bedeutung zukommt. Die Berechtigung, den ärztlichen Beruf in eigener Praxis auszuüben, erlangt der Arzt schon zu Beginn seines Berufslebens, denn sie wird ihm durch die Bestallung verliehen (Sievers, Das Zulassungsrecht, Handbuch des Kassenarztrechts, Band II, Zulassungsordnung für Kassenärzte, § 3, Anm. A 5). Mit dem Recht zur Berufsausübung ist bereits seit der Reichsgewerbeordnung von 1869 die Niederlassungsfreiheit verbunden (Koch, Bestallungsordnung für Ärzte 1953, S. 3). Sie erlaubt es dem Arzt, den Ort seiner ärztlichen Betätigung frei zu bestimmen (§ 29 Abs. 3 Gewerbeordnung). Diese Befugnis schließt auch die Möglichkeit ein, sich dort niederzulassen, wo bereits geeignete medizinische Einrichtungen zur Verfügung stehen. Demgemäß kommt es für die Niederlassung in eigener Praxis in erster Linie auf die Ausübung der medizinischen Funktion an, und zwar in dem Sinne, daß die ärztliche Tätigkeit eigenverantwortlich gestaltet werden kann.

Keinesfalls setzt "Niederlassung in eigener Praxis" die Verfügungsgewalt des Eigentümers voraus. Für die Ausübung des ärztlichen Berufs in eigener Praxis ist es unerheblich, ob dem Arzt das Eigentum an dem Gebäude oder dem Gebäudeteil zusteht, in dem sich die Praxisräume befinden, oder wie die Eigentumsverhältnisse an der Geräte- und Materialausstattung der Praxis liegen. Wesentlich für die Ausfüllung des Begriffsinhalts ist jedoch, daß der Arzt in der Praxis seine ärztliche Berufstätigkeit in voller eigener Verantwortung ausführen kann.

Dafür spricht auch § 8 Abs. 2 des Arzt/Ersatzkassen-Vertrages vom 12. Mai 1950, denn er regelt die Vergütung für einen Vertragsarzt, der seine Praxis ganz oder teilweise in den Räumen eines Krankenhauses ausübt. Damit wird vorausgesetzt, daß eine solche Art der Praxisausübung als vertragsärztliche Tätigkeit - wie der Titel zu § 8 besagt - zu beurteilen ist. Der EKV-Ärzte 1963 enthält zwar keine gleichlautende Bestimmung, aber die ihr ähnliche Vorschrift des § 9 Nr. 3 (Leitzahl 85) geht ebenfalls davon aus, daß ein Vertragsarzt für seine Tätigkeit die Einrichtungen eines Krankenhauses in Anspruch nehmen kann. Das Erfordernis einer eigenen Praxis i. S. des § 5 Nr. 5 b EKV-Ärzte 1963 kann folglich nicht dazu im Widerspruch stehen. Die eigenverantwortliche Gestaltung ärztlicher Tätigkeit, die nach § 5 Nr. 5 b EKV-Ärzte 1963 zu fordern ist, schließt aber über das medizinische Tätigwerden des Arztes hinaus auch dessen Befugnis ein, den medizinischen Auftrag nach eigenem Ermessen gestalten zu können. Dazu muß ihm die Möglichkeit zur Verfügung stehen, über die räumlichen und sächlichen Mittel, gegebenenfalls auch über den Einsatz von Hilfspersonal, disponieren oder zum mindesten an der Disposition mitwirken zu können.

Da dem Kläger nach seinen Vereinbarungen mit der Stadt Duisburg vom 20. Juni 1961 und 14. Januar 1970 und den dazu ergangenen Dienstanweisungen die sächlichen und personellen Mittel des Instituts für Laboratoriums-Medizin für die privatärztliche Tätigkeit voll überlassen werden und er diese in eigener Verantwortung gestalten kann, sind die wesentlichen Begriffsmerkmale der Niederlassung in eigener Praxis erfüllt.

Für die andere Frage, ob der Kläger seine Tätigkeit überwiegend freiberuflich ausübt, die wiederum mit der weiteren Frage eng zusammenhängt, ob er nicht auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitskraft überwiegend einem oder mehreren Dritten zur Verfügung stellen muß, ist von der Doppelnatur seiner Betätigung auszugehen. Einmal obliegt ihm als Beamten die Erledigung dienstlicher Angelegenheiten; zum anderen ist er als Facharzt für Laboratoriumsdiagnostik freiberuflich tätig. Beide Tätigkeiten sind voneinander trennbar; durch die Verträge vom 20. Juni 1961 und 14. Januar 1970 sowie die Dienstanweisungen vom 21. Juni 1961 und 20. Januar 1969 wird im einzelnen genau festgelegt, welche Aufgaben zu dem einen Bereich und welche zum anderen gehören. Sie stehen zueinander nicht im Verhältnis der Haupt- und Nebentätigkeit, wenngleich die städtische Anstellungsbehörde in Anlehnung an das dienstrechtliche Schema ihre Zustimmung zur freiberuflichen Betätigung des Klägers in die Form der Genehmigung einer Nebentätigkeit gekleidet hat. Bei dieser Gestaltung des Dienstverhältnisses des Klägers muß berücksichtigt werden, daß die wesentlich freiere Stellung, die der Kläger im Vergleich zu anderen Beamten genießt, Ausdruck seiner besonderen dienstrechtlichen Position ist. Für einen qualifizierten Facharzt würde eine Anstellung im städtischen Dienst als Leiter eines Instituts für Laboratoriumsmedizin regelmäßig keine Anziehungskraft besitzen, wenn die Gegenleistung nur in der - nach den Maßstäben entsprechender Facharztgruppen geurteilt - vergleichsweise bescheidenen Vergütung bestünde. Einen wesentlichen Teil der Gegenleistung des Dienstherrn bildet - ähnlich wie bei den meisten Chefarztdienstverhältnissen - gerade die Berechtigung zur Ausübung freiberuflicher Tätigkeit, wobei nicht selten - wie offenbar auch im vorliegenden Fall - ein Interesse der Anstellungsbehörde an höherer Wirtschaftlichkeit ihrer eigenen Einrichtungen (bessere Ausnutzung der persönlichen und sächlichen Mittel des Instituts) besteht. Jedenfalls ist es bei solchen spezifisch gestalteten Dienstverhältnissen nicht angängig, das Maß der rechtlichen Bindungen des beamteten Facharztes nur danach zu beurteilen, wie es "eigentlich" - d. h. nach allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätzen - sein sollte. Entscheidend ist, wie das Dienstverhältnis im Einvernehmen mit dem Dienstherrn tatsächlich gestaltet worden ist.

Hiernach aber steht fest, daß die freiberufliche Tätigkeit des Klägers ihrem Umfang und ihrer Bedeutung nach über eine bloße Nebenfunktion neben der amtlichen Tätigkeit weit hinausgeht (vgl. BVerfG 16, 286, 295, 297). Diese Tätigkeit des Klägers unterscheidet sich nicht wesentlich von der eines niedergelassenen Facharztes für Laboratoriumsdiagnostik (vgl. BVerfG 11, 30, 41). Er kann in gleicher Weise Aufträge übernehmen oder ablehnen, den Umfang, den Zeitpunkt und die Art ihrer Durchführung bestimmen und die Höhe der Liquidation festlegen. Er haftet dem Auftraggeber gegenüber dafür auch persönlich, mithin leistet er dabei keine "abhängige Arbeit" (vgl. BVerfG 16, 286, 294). Schließlich ist der Kläger für den Bereich dieser Tätigkeit auch seit dem 1. Juli 1967 als Kassenarzt für die RVO-Kassen zugelassen, ebenfalls ein Indiz dafür, daß er insoweit freiberuflich tätig ist.

Seine Freiberuflichkeit kann auch nicht mit dem Hinweis auf das mangelnde finanzielle Verlustrisiko verneint werden. Dieses Merkmal stellt ab auf die Frage des Kapitaleinsatzes und kann deshalb für den Bereich der sozialen Dienstleistungen, zu dem das Gesundheitswesen zu rechnen ist, nicht als entscheidend angesehen werden, wie insbesondere auch die von der KÄV und anderen Stellen übernommenen Umsatzgarantien und einstweiligen Praxisausstattungen für gewisse Praxen deutlich machen. Noch wesentlicher für den Arzt im Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung - das hat seinen Ausdruck in § 20 Abs. 1 ZO-Ärzte und § 5 Nr. 7 EKV-Ärzte 1963 gefunden - ist das persönliche Tätigwerden. Die eingesetzte Arbeitskraft und Leistung bestimmen den wirtschaftlichen Erfolg der Tätigkeit mindestens im gleichen Maße und sind daher wesentliche Faktoren freiberuflichen Risikos. Auch der Kläger trägt insoweit ein wirtschaftliches Risiko, als es maßgebend von seiner Arbeitskraft abhängt, in welchem Umfang seine freiberufliche Tätigkeit Einkünfte erbringt. Schließlich wird die freiberufliche Ausübung der Tätigkeit auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kläger noch anderweitige Einkünfte bezieht; sie entstammen einem anderen Rechtsverhältnis - dem Dienstverhältnis als Beamter - und sind von der freien Tätigkeit unabhängig.

Der Kläger wird schließlich durch sein Beschäftigungsverhältnis auch nicht gehindert, eine vertragsärztliche Tätigkeit auszuüben. Das LSG verkennt die Bedeutung des § 54 Satz 1 Bundesbeamtengesetz (BBG), der inhaltlich mit § 57 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen idF der Bekanntmachung vom 1. August 1966 (GuVBl, Ausgabe A, S. 427) übereinstimmt. Wenn dort der Grundsatz aufgestellt wird, daß der Beamte sich mit voller Hingabe seinem Beruf - nicht seinem Dienstherrn, wie das LSG meint - zu widmen habe, so gibt das Gesetz damit ein Leitmotiv, unter dem das gesamte dienstliche Handeln des Beamten stehen soll. Diese Verpflichtung gestaltet jedoch nicht unmittelbar die Form des jeweiligen Dienstverhältnisses eines Beamten. Dies geschieht vielmehr durch besondere Regelungen über die Arbeitszeit, die Arbeitsweise, den Inhalt der dienstlichen Tätigkeit uä. Daraus ergibt sich primär das Maß der Inanspruchnahme des Beamten. Die NtV vom 9. Mai 1967 (GuVBl für das Land Nordrhein-Westfalen, Ausgabe A, S. 64) besagt demgemäß in § 5 Satz 1 auch nur, daß dem Beamten auf Grund der Hingabeverpflichtung im allgemeinen die Übernahme einer Nebentätigkeit verschlossen ist, wodurch für den besonderen Fall die Zulässigkeit der Nebentätigkeit nicht ausgeschlossen wird. Sie darf lediglich den dienstlichen Interessen nicht zuwiderlaufen (§ 5 Satz 2 NtV). Daraus, daß in die für den Kläger erlassenen Dienstanweisungen einerseits die Verpflichtung des § 5 Satz 2 NtV inhaltlich aufgenommen - Ziff. 3.2 der Dienstanweisung vom 21. Juni 1961, Ziff. 3.5 der Dienstanweisung vom 20. Januar 1969 - andererseits ihm aber die Ausübung privatärztlicher Tätigkeit ausdrücklich zugebilligt worden ist, und zwar mit speziellem Hinweis auf die beamtenrechtliche Genehmigung, ergibt sich die rechtliche Vereinbarkeit beider Tätigkeiten des Klägers.

Entgegen der Auffassung des LSG lassen sich aus der Art der Tätigkeit leitender Krankenhausärzte keine Rückschlüsse für den Kläger ableiten. Das BVerfG hat die Freiberuflichkeit der Chefärzte deshalb verneint, weil im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit die stationäre Krankenbehandlung in der Klinik steht. Wenn der Kläger auch dienstlich den Chefärzten der klinischen Abteilungen des Krankenhauses gleichgestellt ist, so führt er doch weder stationäre Krankenbehandlung durch, noch ist die Art seiner Tätigkeit damit vergleichbar. Die ihm durch Dienstanweisung übertragenen Pflichtaufgaben umfassen eine Vielzahl einzelner, bestimmter Tätigkeiten, die von ihm oder unter seiner Leitung im Institut durchzuführen sind. Er kann aber als Institutsleiter die Abfolge ihrer Erledigung im wesentlichen nach eigenem Ermessen bestimmen. Demgemäß wird der Kläger durch sein Beschäftigungsverhältnis nicht an einer vertragsärztlichen Tätigkeit gehindert.

Ob die dienstliche Tätigkeit des Klägers überwiegend in Anspruch nimmt, vermag der Senat nicht zu entscheiden. Dafür kommt es auf die Gestaltung der tatsächlichen Verhältnisse an. Das angefochtene Urteil enthält indes dazu keine Feststellungen. Der Rechtsstreit ist deshalb an das LSG zurückzuverweisen, das nunmehr die Tatsachen zu ermitteln haben wird, aus denen sich ergibt, ob von den beiden ausgeübten Tätigkeiten des Klägers der freiberufliche Teil überwiegt oder ob er seine Arbeitskraft überwiegend seinem Dienstherrn zur Verfügung zu stellen hat.

 

Fundstellen

BSGE, 247

NJW 1973, 1435

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