Leitsatz (amtlich)

1. Die Kinderzuschläge nach § 6 des Gesetzes der DDR über die Abschaffung der Lebensmittelkarten vom 1958-05-28 (GBl DDR 1 1958 , 413) sind dem Kindergeld nach dem BKGG vergleichbar iS des BKGG § 8 Abs 1 Nr 3.

2. Ob ein in der DDR gezahlter Kinderzuschlag "erheblich niedriger" ist als das Kindergeld in der Bundesrepublik Deutschland (BKGG § 8 Abs 2), richtet sich nicht nach dem Nennwert oder dem Wechselstubenkurs, sondern nach dem jeweiligen Kaufkraftverhältnis der beiden deutschen Währungen.

 

Normenkette

BKGG § 8 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1964-04-14, Abs. 2 Fassung: 1964-04-14

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. April 1968 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsrechtszuges zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger ist in zweiter Ehe verheiratet; seine erste Ehe ist geschieden worden. Er ist Vater von vier ehelichen Kindern, die zwischen 1948 und 1960 geboren sind. Die beiden ältesten Kinder, E und J, stammen aus der ersten Ehe. J, geboren 1950, lebt bei seiner Mutter in Z in der DDR. Der Kläger zahlt für den Unterhalt von Joachim monatlich 75,- DM. Die Mutter erhielt für das Kind bis August 1967 in der DDR den gesetzlichen Kinderzuschlag von 20,- Mark der Deutschen Notenbank - MDN - (Bezeichnung der Währungseinheit bis Ende 1967 - Erste DVO vom 1. Dezember 1967 - GBl. DDR II, 805).

Der Kläger bezieht seit dem 1. Juli 1964 Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) vom 14. April 1964 für das dritte und vierte Kind. Am 23. November 1965 beantragte er beim Arbeitsamt A - Kindergeldkasse -, ihm das Zweitkindergeld für den Sohn J zu gewähren. Mit Bescheid vom 30. November 1965 lehnte das Arbeitsamt den Antrag ab, weil für das Kind in der DDR eine vergleichbare Leistung gewährt werde. Den hiergegen vom Kläger erhobenen Widerspruch wies das Arbeitsamt durch Bescheid vom 16. Februar 1966 mit dem Hinweis zurück, daß auch eine Zahlung des Zweitkindergeldes in halber Höhe nach § 8 Abs. 2 BKGG nicht in Betracht komme, weil der Kinderzuschlag von 20,- MDN nicht "erheblich niedriger" als das Zweitkindergeld in der Bundesrepublik Deutschland sei.

Mit der Klage ist der Kläger dieser Auffassung entgegengetreten. Er hat beantragt, den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm das Zweitkindergeld nicht aus den dargelegten Gründen zu verweigern.

Das Sozialgericht (SG) Augsburg hat durch Urteil vom 1. Juli 1966 der Klage stattgegeben, soweit dem Kläger die Hälfte des Kindergeldes für Joachim versagt worden ist. Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 24. April 1968 zurückgewiesen. Es hat dazu ausgeführt: Der in der DDR für Joachim gezahlte Kinderzuschlag sei im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 3 BKGG eine vergleichbare Leistung und auch "erheblich niedriger" (§ 8 Abs. 2 BKGG) als das Zweitkindergeld nach dem BKGG. Als erheblich niedriger sei eine vergleichbare Leistung anzusehen, wenn sie um mehr als 25 v. H. geringer als das Kindergeld sei (BSG 27, 292 = SozR Nr. 1 zu § 8 BKGG). Bei dieser Beurteilung komme es nicht auf den Nennwert der Beträge oder auf den Wechselstubenkurs an; maßgeblich sei vielmehr die Kaufkraft der Leistungen in den Gebieten, in denen sie erbracht würden. Dazu hat das LSG festgestellt: In der DDR lägen im allgemeinen die Preise für Grundnahrungsmittel sowie für Mieten, Heizung und Beleuchtung niedriger als in der Bundesrepublik Deutschland, dagegen seien die Kosten für alle Güter des gehobenen Lebensbedarfs, insbesondere für Kleidung, Hausrat und sämtliche Importgüter, wesentlich höher. Im Durchschnitt sei die Kaufkraft der MDN geringer als die der DM. Bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 458,- MDN sei die Kaufkraftschmälerung im Jahre 1966 bei Einkommen dieser Größenordnung noch immer etwa 13 % gewesen. Bei Zugrundelegung dieser nicht unerheblich geringeren Kaufkraft der MDN ergebe sich, daß der Kinderzuschlag der DDR von 20,- MDN eine "erheblich niedrigere" Leistung als das Zweitkindergeld von 25,- DM sei.

Die Beklagte hat gegen das Urteil des LSG die zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine unrichtige Anwendung des § 8 Abs. 2 BKGG und führt dazu aus: Die vom LSG angenommene Kaufkraftschmälerung der MDN gegenüber der DM um 13 % sei nicht "fundiert". Das Berufungsgericht habe nicht die gegenüber der Bundesrepublik Deutschland völlig unterschiedliche Preisgestaltung in der DDR bezüglich der Grundnahrungsmittel und lebenswichtigen Dienstleistungen (wie Mieten und Verkehrstarife) einerseits und der Güter des gehobenen Bedarfs andererseits berücksichtigt. Das LSG beziehe sich in den Entscheidungsgründen im wesentlichen auf ein Schreiben des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen vom 21. März 1967. Aus diesem Schreiben sei aber zu ersehen, daß sich das Ministerium in Ermangelung vorhandener amtlicher Unterlagen außerstande gesehen habe, eine eigene Stellungnahme abzugeben. Es habe sich darauf beschränkt, eine beim Archiv für gesamtdeutsche Fragen im Verein zur Förderung der Wiedervereinigung Deutschlands e. V. eingeholte Auskunft wörtlich wiederzugeben. Am Schluß seiner Ausführungen habe dieses Archiv aber seine Schätzung der Kaufkraftschmälerung selbst ausdrücklich als völlig unverbindlich bezeichnet. Das Schreiben des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen sei deshalb keine brauchbare Unterlage für die vom LSG angenommene Kaufkraftdifferenz gewesen. Die Beklagte meint weiter: Es müsse ein objektiver und einheitlicher Maßstab angelegt werden. Dabei sei von entscheidender Bedeutung, daß im Hinblick auf den mit dem Kindergeld und dem staatlichen Kinderzuschlag in der DDR bezweckten Ausgleich der den Familien mit Kindern grundsätzlich entstehenden Familienlasten in erster Linie auf die Grundbedürfnisse von Familien mit Kindern abzustellen sei. Die Richtigkeit dieser Überlegung werde schon durch die niedrigen Beträge der in Frage stehenden Familienleistungen erhärtet. Bei Leistungen von 25,- DM bzw. 20,- MDN könne nicht angenommen werden, daß mit ihnen ein gehobener Bedarf gedeckt werden solle. Wie allgemein bekannt sei, und durch das Schreiben des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen vom 21. März 1967 ausdrücklich bestätigt werde, seien jedoch die Aufwendungen für die Grundbedürfnisse für Familien mit Kindern in der DDR eher niedriger als in der Bundesrepublik Deutschland. Unter diesen Umständen erscheine es objektiv gerechtfertigt, in den Fällen des § 8 Abs. 2 BKGG die Kaufkraft der DM und der MDN gleichzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. April 1968 und des Sozialgerichts Augsburg vom 1. Juli 1966 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist unbegründet.

Nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 BKGG wird Kindergeld nicht für ein Kind gewährt, für das einer Person, bei der das Kind nach § 2 Abs. 1 BKGG berücksichtigt wird, eine Leistung zusteht, die außerhalb des Geltungsbereichs des BKGG gewährt wird und dem Kindergeld vergleichbar ist. In diesem Fall kann allerdings gemäß § 8 Abs. 2 BKGG das Kindergeld zur Hälfte gewährt werden, wenn die andere Leistung erheblich niedriger ist als das Kindergeld.

Mit Recht ist das LSG davon ausgegangen, daß der in der DDR für Joachim gezahlte Kinderzuschlag in Höhe von 20,- MDN eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 3 BKGG ist. Das Kindergeld in der Bundesrepublik Deutschland und der Kinderzuschlag in der DDR dienen nämlich den gleichen Zwecken. Die gesamte Kindergeldgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland wird von dem Grundsatz eines allgemeinen Familienlastenausgleichs beherrscht (BSG 26, 160, 162 = SozR Nr. 1 zu § 7 BKGG). Ihr Ziel und Zweck ist es, den durch Kinder bedingten erhöhten finanziellen Mehraufwand einer Familie zumindest teilweise auszugleichen (BVerfGG 11, 105, 115) und die soziale Deklassierung der Mehrkinderfamilie abzustellen oder doch zu mildern (BSG aaO). Dieser mit der Kindergeldgewährung letztlich verfolgte Zweck liegt auch der Gesetzgebung über die Gewährung von Kinderzuschlägen in der DDR zugrunde. Das ergibt sich bereits aus Abs. 5 des Vorspruchs des Gesetzes der DDR über die Abschaffung der Lebensmittelkarten vom 28. Mai 1958 (GBl. DDR I, 413), der lautet: "Zur Unterstützung der Familien mit Kindern wird ein über die Mehrausgaben hinausgehender Kinderzuschlag eingeführt". Ferner heißt es in § 39 Abs. 3 des Gesetzbuchs der Arbeit der DDR vom 12. April 1961 (GBl. DDR I, 27), daß Werktätige mit Kindern "Kindergeld und andere Vergünstigungen" erhalten. Als Kindergeld in diesem Sinne werden die auf Grund des Gesetzes vom 28. Mai 1958 in Verbindung mit der Verordnung vom gleichen Tage (GBl. DDR 1958 I, 437) gewährten Kinderzuschläge verstanden (vgl. Gesetzbuch der Arbeit, Textausgabe mit Anmerkungen, herausgegeben von der staatlichen Plankommission - Kommission für Arbeit und Löhne -, 1964, S. 62, Fußnote 105; Mampel, Arbeitsverfassung und Arbeitsrecht in Mitteldeutschland, 1966, S. 274). Die zur Durchführung der Verordnung vom 28. Mai 1958 über die Zahlung der staatlichen Kinderzuschläge inzwischen ergangenen fünf weiteren Durchführungsbestimmungen - die letzte vom 5. Mai 1964 (GBl. DDR II, 481) - regeln das Verfahren hinsichtlich Antragstellung, Leistungsbewilligung und Rückforderung zu Unrecht gewährter Kinderzuschläge in ähnlicher Weise wie das BKGG. Für die Vergleichbarkeit spricht weiter, daß in beiden Teilen Deutschlands das Kindergeld von der Steuer- und Sozialversicherungspflicht ausgenommen ist (vgl. § 10 BKGG; § 3 Nr. 24 des Einkommensteuergesetzes; § 16 der angeführten Verordnung der DDR vom 28. Mai 1958). Schließlich werden nach der in der DDR ergangenen Verordnung über die Gewährung eines staatlichen Kindergeldes für Familien mit vier und mehr Kindern vom 3. Mai 1967 (GBl. DDR II, 248) "zur weiteren Verbesserung der sozialen Lage von Familien mit vier und mehr Kindern" vom 1. Juli 1967 an ein staatliches Kindergeld für das vierte Kind von monatlich 60,- und für das fünfte und jedes weitere Kind von 70,- MDN gezahlt. Nach § 1 Abs. 2 dieser Verordnung ist in den genannten Beträgen der staatliche Kinderzuschlag nach der Verordnung vom 28. Mai 1958 enthalten. Diese Vergleichbarkeit der für Kinder in der DDR gewährten Leistungen mit dem Kindergeld in der Bundesrepublik Deutschland schließt den Anspruch des Klägers auf das volle Kindergeld für seinen in der DDR lebenden Sohn Joachim nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 BKGG aus.

Zutreffend ist das LSG auch zu dem Ergebnis gelangt, daß die Beklagte dem Kläger die Hälfte des Kindergeldes nach § 8 Abs. 2 BKGG nicht allein mit der Begründung verweigern darf, der für J in der DDR gezahlte Kinderzuschlag sei nicht "erheblich niedriger" als das Zweitkindergeld nach § 10 Abs. 1 BKGG. Wie der Senat bereits früher entschieden hat, ist eine vergleichbare Leistung "erheblich niedriger", wenn sie um mehr als 25 v. H. hinter dem gesetzlichen Kindergeld für das betreffende Kind zurückbleibt (BSG 27, 292). Ob das hier der Fall ist, hängt von dem Kaufkraftverhältnis der Währungen in beiden Teilen Deutschlands ab. Dieses Verhältnis kann mangels amtlicher Kurse, die die Kaufkraft richtig widerspiegeln, nur durch einen Kaufkraftvergleich festgestellt werden. Mit Recht ist das Berufungsgericht bei dem Kaufkraftvergleich weder vom Nennwert noch vom Wechselstubenkurs der beiden deutschen Währungen ausgegangen. Seit Jahren haben bereits die Zivilgerichte in ständiger Rechtsprechung bei Schadensersatz- und Unterhaltsansprüchen zwischen Berechtigten in der DDR und Verpflichteten in der Bundesrepublik Deutschland sowohl den Wechselstubenkurs als auch den Nennwert der beiden deutschen Währungen als für einen Kaufkraftvergleich ungeeignet angesehen, da diese Wertmaßstäbe das Kaufkraftverhältnis nicht richtig wiedergeben (vgl. BGHZ 14, 212; LG Berlin JR 1951, 407; LG Kassel MDR 1953, 105; Soergel/Siebert BGB, 9. Aufl., Vorbem. 515 vor Art. 7 EGBGB; Kegel NJW 1953, 615). Diese Auffassung wird auch in der Rechtsprechung der Sozialgerichte allgemein geteilt (vgl. LSG Hamburg, Breithaupt 1967, 434; LSG Nordrhein-Westfalen, Breithaupt 1968, 160).

Das LSG hat eine durchschnittliche Kaufkraftdifferenz von etwa 13 v. H. zwischen der MDN und der DM festgestellt. Es ist dementsprechend zu dem Ergebnis gekommen, daß die reale Kaufkraft des in der DDR für Joachim gezahlten Kinderzuschlags von 20,- MDN um mehr als 25 v. H. hinter dem in der Bundesrepublik Deutschland gezahlten Zweitkindergeld von 25,- DM zurückbleibt und somit im Sinne des § 8 Abs. 2 BKGG "erheblich niedriger" ist. Zu Unrecht vertritt die Revision die Auffassung, daß allgemein von einem Kaufkraftverhältnis von 1:1 der beiden deutschen Währungen auszugehen sei, weil in den Vordergrund die Tatsache gestellt werden müsse, daß in der DDR die Preise für Grundnahrungsmittel sowie für Mieten, Heizung und Beleuchtung in der Regel niedriger als in der Bundesrepublik Deutschland seien. Die Revision übersieht dabei, daß sowohl der Kinderzuschlag in der DDR als auch das Kindergeld nach dem BKGG nicht die Aufgabe haben, lediglich den Mindestbedarf decken zu helfen, vielmehr einen Beitrag zu den Gesamtkosten der Lebenshaltung darstellen sollen (BVerfG 11, 105, 115; BSG 26, 160, 162). Es darf deshalb bei der Feststellung des Kaufkraftverhältnisses zwischen dem Kinderzuschlag in der DDR und dem Zweitkindergeld nach dem BKGG nicht von einem "Warenkorb" ausgegangen werden, der sich allein an dem Mindestbedarf für den notwendigen oder notdürftigen Lebensunterhalt orientiert. Allerdings ist auch nicht auf die monatlichen Aufwendungen einer einzelnen Verbrauchergruppe abzustellen, die den jeweils individuellen Lebensverhältnissen des Kindes im Einzelfall am nächsten kommt (so aber LSG Hamburg, Breithaupt 1967, 434, 435). Ein solcher Maßstab würde nicht mit Sinn und Zweck der Kindergeldgesetzgebung in beiden Teilen Deutschlands übereinstimmen. Sowohl nach dem BKGG als auch in der Gesetzgebung der DDR werden nämlich die Kindergeldleistungen ohne Rücksicht auf die individuellen Lebensverhältnisse der einzelnen Kinder gewährt. Die Beträge, die der Staat in beiden Teilen Deutschlands zahlt, werden jeweils nach einem einheitlichen Rahmen bemessen, der die Höhe des Kindergeldes nicht von den Mehrkosten des möglicherweise verschiedenen Bedarfs der Kinder abhängig macht. Daraus ist der Wille des Gesetzes zu entnehmen, daß der staatliche Beitrag zum Familienlastenausgleich allgemein und generell ohne Rücksicht auf die verschiedenen Lebensverhältnisse, jeweils nur gestaffelt nach der Zahl der Kinder, geleistet werden soll. Mit diesem, im Kindergeldrecht der beiden Teile Deutschlands direkt zum Ausdruck kommenden Zweck (vgl. § 10 BKGG; VO DDR vom 28. Mai 1958; VO DDR vom 3. Mai 1967) läßt es sich nicht vereinbaren, bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "erheblich niedriger" im Rahmen des § 8 Abs. 2 BKGG hiervon losgelöst die individuellen Bedürfnisse der Kinder im Einzelfall miteinzubeziehen. Die gegenteilige Auffassung würde auch zu unsozialen Ergebnissen führen. Es müßte dann nämlich bei Kindern in einfachsten Lebensverhältnissen angenommen werden, daß die Kaufkraft der MDN derjenigen der DM annähernd gleich ist, weil nach den allgemeinen Erfahrungen (vgl. BGHZ 14, 212; Kegel aaO) die Preise für Grundnahrungsmittel sowie für Mieten, Heizung und Beleuchtung, also für den notwendigen Mindestbedarf, in der DDR niedriger als in der Bundesrepublik Deutschland sind. Das hätte zur Folge, daß unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats (BSG 27, 292) bei diesen Kindern kein Kindergeld nach dem BKGG zu gewähren wäre. Bei Kindern aus mittleren und gehobenen Lebensverhältnissen wäre hingegen eine erhebliche Kaufkraftdifferenz zu berücksichtigen, weil nach allgemeiner Erfahrung (vgl. BGH aaO) die Preise für alle Güter des gehobenen Bedarfs, insbesondere für Importgüter, in der DDR wesentlich höher als in der Bundesrepublik liegen. Dies würde dazu führen, Kindern gehobener Verbrauchergruppen zum Zweitkinderzuschlag der DDR noch die Hälfte des Zweitkindergeldes nach dem BKGG zu gewähren. Ein solches Ergebnis widerspricht nicht nur dem im BKGG zum Ausdruck gekommenen Sinn der einheitlichen Kindergeldgewährung, allein abgestellt auf die Kinderzahl, sondern ist auch nicht mit dem Auftrag des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 GG) zu vereinbaren, bei der Auslegung von Gesetzesbestimmungen das Sozialstaatsprinzip zu beachten. Mit Recht ist deshalb das LSG im angefochtenen Urteil von einem Kaufkraftvergleich ausgegangen, der nicht nur auf die einfachsten Lebensverhältnisse abstellt, sondern von einem durchschnittlichen Lebensbedarf ausgeht, der dann generell in allen Einzelfällen bei der Ermittlung der Kaufkraftdifferenz im Rahmen des § 8 Abs. 2 BKGG zugrunde gelegt wird.

Die Revision greift nun die Feststellung des Berufungsgerichts, die durchschnittliche Kaufkraftdifferenz zwischen MDN und DM habe in der von der Klage umfaßten Zeit 13 v. H. betragen, als "nicht fundiert" an. Sie meint, das Berufungsgericht habe nicht die gegenüber der Bundesrepublik unterschiedliche Preisgestaltung in der DDR bezüglich der Grundnahrungsmittel und lebenswichtigen Dienstleistungen einerseits und der Güter des gehobenen Lebensbedarfs andererseits genügend berücksichtigt und sei darüber hinaus noch von einer unverbindlichen Schätzung ausgegangen. Die Revision will mit diesem Vortrag offenbar die Beweiswürdigung (§ 128 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und Sachaufklärung (§ 103 SGG) durch das LSG rügen. Abgesehen davon, daß ein solcher Revisionsangriff schon der vom Gesetz (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG) vorgeschriebenen Form entbehrt, ist er auch unbegründet. Das LSG hat nämlich - entgegen dem Vorbringen der Revision - in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (S. 7) die unterschiedliche Preisgestaltung ausdrücklich berücksichtigt und gerade deshalb die sachlich-rechtliche Auffassung vertreten, es komme auf den durchschnittlichen Bedarf, nicht dagegen allein auf den notdürftigen Lebensunterhalt an. Schließlich hat das Berufungsgericht die §§ 103, 128 SGG auch nicht deshalb verletzt, weil es bei Feststellung der Kaufkraftdifferenz von einer Schätzung ausgegangen ist, die in der im Schreiben des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen vom 21. März 1967 enthaltenen Auskunft für unverbindlich bezeichnet ist. Insoweit läßt der Vortrag der Revision nicht erkennen, in welcher Richtung das LSG weitere Ermittlungen hätte anstellen müssen und zu welchem Ergebnis solche Ermittlungen geführt hätten (vgl. BSG SozR Nr. 28 zu § 164 SGG). Die Revisionsangriffe sind deshalb auch insoweit unbeachtlich. Das Revisionsgericht ist daher an die Feststellung des LSG gebunden, daß die Kaufkraftdifferenz zwischen der MDN und der DM unter Zugrundelegung eines Monatseinkommens von 458,- MDN im Klagezeitraum noch etwa 13 % gegenüber der DM betragen habe (§ 163 SGG). Diese Feststellung des LSG wird im übrigen durch die Ergebnisse des für 1966 vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung angestellten Kaufkraftvergleichs zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland bestätigt, wie sich den veröffentlichten und allgemein zugänglichen Wochenberichten dieses Instituts entnehmen läßt. Danach ergibt sich, daß bei einem Einkommen von 275,- MDN monatlich 100,- MDN eine Kaufkraft von 97,- DM, bei einem Einkommen von 373,- MDN monatlich 100,- MDN eine Kaufkraft von 87,72 DM und bei einem Vierpersonenarbeitnehmerhaushalt mit einem Einkommen von 879,- MDN monatlich 100,- MDN eine Kaufkraft von 84,- DM hatten (vgl. Wochenberichte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, 34. Jahrgang, 1967, S. 97 f; Wochenbericht Nr. 20/1967 vom 19. Mai 1967). Wird beachtet, daß es nicht auf die Kaufkraft der untersten Einkommensgruppen ankommt, sondern ein Durchschnittswert zugrunde zu legen ist, so kann hier dahinstehen, ob bei der Ermittlung dieses durchschnittlichen Kaufkraftverhältnisses auf ein mittleres oder auf ein gehobenes Arbeitnehmereinkommen abzustellen ist oder ob etwa aus allen in dem vorgenannten Wochenbericht erwähnten Vergleichseinkommen ein durchschnittliches Kaufkraftverhältnis zu ermitteln oder zu schätzen ist. In jedem Fall beträgt die Kaufkraftdifferenz mindestens 13 v. H. Bei einer Kaufkraftschmälerung von 13 % haben 20,- MDN eine Kaufkraft von 17,40 DM, so daß die Kaufkraftdifferenz zwischen 20,- MDN und 25,- DM etwa 30 v. H., also mehr als 25 v. H., beträgt. Geht man nicht von dem vom LSG zugrunde gelegten monatlichen Einkommen von 458,- MDN, sondern von dem in dem angeführten Wochenbericht angegebenen mittleren monatlichen Einkommen von 373,- MDN aus, so haben 100,- MDN eine Kaufkraft von 87,72 DM, 20,- MDN also eine solche von 17,54 DM. Auch hier beträgt die Kaufkraftdifferenz von 20,- MDN zu 25,- DM etwa 30 %. Kein anderes Ergebnis folgt aus der Errechnung des Durchschnittswertes aus dem Einkommen aller drei Verbrauchergruppen, die vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zugrunde gelegt werden. 100,- MDN hätten dann eine Kaufkraft von etwa 89,60 DM. Die Kaufkraft von 20,- MDN würde 17,92 DM betragen. Die Kaufkraftschmälerung gegenüber 25,- DM läge somit immer noch bei etwa 28 v. H.

Nach allem ist der in der DDR gewährte Zweitkinderzuschlag von monatlich 20,- MDN i. S. des § 8 Abs. 2 BKGG "erheblich niedriger" als das Zweitkindergeld nach § 10 Abs. 1 BKGG von monatlich 25,- DM. Das LSG hat daher mit Recht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Revision kann deshalb ebenfalls keinen Erfolg haben (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 239

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