Entscheidungsstichwort (Thema)

Hepatitis einer Diätassistentin als Berufskrankheit

 

Orientierungssatz

1. Der von Nr 37 der Anlage 1 zur BKVO 7 erfaßte Personenkreis ist in einem Krankenhaus nicht auf Ärzte und medizinisches Pflegepersonal beschränkt, sondern der Versicherungsschutz erstreckt sich auf das gesamte Personal (vgl BSG 1957-12-11 2 RU 80/54 = BSGE 6, 186).

2. Aus Nr 37 der Anlage 1 zur BKVO 7 ergibt sich nicht, daß ein im Krankenhaus behandelter Patient die Ursache für die Ansteckung gewesen sein muß; es genügt vielmehr, daß die Infektionskrankheit durch die berufliche Beschäftigung, also auch durch andere im Krankenhaus Beschäftigte verursacht worden ist (vgl BSG 1964-12-09 2 RU 230/61 = SozR Nr 1 zur BKVO 6 Anl Nr 3).

 

Normenkette

BKVO 7 Anl 1 Nr 37 Fassung: 1968-06-20

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 09.03.1982; Aktenzeichen L 5 U 55/81)

SG Detmold (Entscheidung vom 13.05.1981; Aktenzeichen S 8 U 64/78)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über das Vorliegen einer Berufskrankheit.

Die Klägerin war in der Fachklinik R., einer Fachklinik für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, beschäftigt. Als Diätassistentin war sie für die Zubereitung der verschiedenen Diäten zuständig; einmal in der Woche hielt sie eine Diätsprechstunde für die Patienten ab.

Im Juni 1976 erkrankte die Klägerin an Virushepatitis A; diese Infektionskrankheit trat zu derselben Zeit bei einer ebenfalls in der Küche der Fachklinik Beschäftigten auf. Zur Zeit des Auftretens der Krankheit und Wochen und Monate davor waren Patienten mit der Diagnose "Virushepatitis A" in der Fachklinik nicht behandelt worden; 10 bis 20 vH der behandelten Leberkranken sind jedoch laut Auskunft der Fachklinik HB-positiv.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 16. März 1978 die Gewährung einer Entschädigung ab mit der Begründung, eine Berufskrankheit könne nicht wahrscheinlich gemacht werden.

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat dem auf Feststellung der Infektionskrankheit als Berufskrankheit gerichteten Begehren der Klägerin entsprochen (Urteil vom 13. Mai 1981). Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 9. März 1982). Es hat ua ausgeführt: Die hepatitischen Krankheitserscheinungen der Klägerin seien Folge einer Berufskrankheit nach Nr 37 der Anlage 1 zur - hier anzuwendenden - 7. Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO). Es könne dahinstehen, ob die Klägerin bei ihrer Tätigkeit als Diätassistentin schon deshalb zu dem geschützten Personenkreis gehöre, weil sie "im Gesundheitsdienst" tätig sei. Sie sei jedenfalls bei dieser Tätigkeit einer erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen, weil in der Fachklinik besonders häufig leberkranke Patienten behandelt worden seien, die Hepatitis durch Körperflüssigkeiten, ua durch den Speichel, übertragen werde und die Klägerin mit dem von den Patienten benutzten Geschirr in Berührung gekommen sei. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der Klägerin und ihrer Erkrankung sei hinreichend wahrscheinlich. Das beruhe auf zwei Umständen. Zunächst habe ein erhöhtes Infektionsrisiko wegen der Berührung mit dem von den Patienten benutzten Geschirr bestanden. Zwar sei unmittelbar vor der Infektion kein Patient mit einer entsprechenden Diagnose behandelt worden. Es müsse aber damit gerechnet werden, daß auch unerkannt Hepatitis A-Kranke aufgenommen worden seien. Zudem bestehe die Besonderheit, daß bei der Klägerin und einer anderen Beschäftigten im Krankenhaus sich die ersten Krankheitserscheinungen an ein und demselben Tage gezeigt hätten, so daß eine Ansteckung der Klägerin bei dieser Frau auszuschließen sei. Es leuchte ein, daß der vom SG bestellte Sachverständige wegen der Gleichzeitigkeit der Erkrankungen es als überwiegend wahrscheinlich angesehen habe, daß die Infektion durch einen Patienten des Krankenhauses erfolgt sei. Das Vorliegen einer besonderen Ansteckungsgefahr werde nicht durch den Umstand in Frage gestellt, daß der Weg, den die Infektion genommen habe, nicht genau zu ermitteln sei. Es müsse ausreichen, daß konkrete Anhaltspunkte für eine Infektion aufgrund der versicherten Tätigkeit vorlägen. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie rügt einen Verstoß gegen § 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wegen Verletzung der Denkgesetze. Die Bejahung erhöhter Ansteckungsgefahr - so trägt sie zur Begründung vor - widerspreche dem Akteninhalt. Auf die Möglichkeit der Infektion durch Patientengeschirr dürfe nicht abgestellt werden, weil die einzige zur Verbreitung der Hepatitis geeignete Körperflüssigkeit der Urin sei. Der Feststellung, daß vor der Infektion kein Patient mit Virushepatitis A behandelt worden sei, habe das LSG nicht genügend Gewicht beigemessen. Die erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit könne nicht bejaht werden, wenn als einziger dafür sprechender Umstand die gleichzeitige Erkrankung von zwei Küchenbediensteten bestehe.

Die Beklagte beantragt, die angefochtenen Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG ist auf der Grundlage der von ihm getroffenen Tatsachenfeststellungen mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß es sich bei der Virushepatitis A, an der die Klägerin im Juni 1976 erkrankt ist, um eine aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigende Berufskrankheit handelt.

Die Klägerin war nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Als Arbeitsunfall gilt auch eine Berufskrankheit (§ 551 Abs 1 RVO). Zutreffend hat das LSG seiner rechtlichen Beurteilung § 551 Abs 1 RVO iVm der - zZt des Auftretens der Hepatitis im Juni 1976 geltenden - 7. BKVO vom 20. Juni 1968 (BGBl I S 721) zugrunde gelegt.

Beizupflichten ist dem LSG auch darin, daß die Klägerin zu dem nach Nr 37 der Anlage 1 zur 7. BKVO geschützten Personenkreis gehörte. Diese Rechtsfolge ergibt sich schon daraus, daß die Klägerin als Diätassistentin in einer Fachklinik für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und damit "im Gesundheitsdienst" tätig war. In einer derartigen Fachklinik bildet die Sorge um die Gesundheit der Betreuten den Hauptzweck der Einrichtung und der in ihr Tätigen (s RVA AN 30, 22 und 506; BSGE 6, 74, 79; 15, 41, 44 und 190). Der von Nr 37 der Anlage 1 zur 7. BKVO erfaßte Personenkreis ist in einem Krankenhaus nicht auf Ärzte und medizinisches Pflegepersonal beschränkt, sondern der Versicherungsschutz erstreckt sich auf das gesamte Personal (BSGE 6, 186, 187 f; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 491k und 491mI; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl, Kennziffer 231 S 7). Daß die 7. BKVO anders als noch die 6. BKVO vom 28. April 1961 (BGBl I S 505) Krankenhäuser und andere Unternehmen in der Unternehmensspalte nicht mehr aufführt, bedeutet keine Einschränkung des geschützten Personenkreises auf "unmittelbar, dh mit direkter Patientenberührung im Gesundheitsdienst" beschäftigte Versicherte. Entscheidend für die Einbeziehung nicht nur des Pflegepersonals von Krankenhäusern in den Versicherungsschutz nach Nr 37 der Anlage 1 zur 7. BKVO bleibt, daß es sich bei Krankenhäusern um Einrichtungen des Gesundheitsdienstes handelt, in denen allgemein Ansteckungsgefahren in besonderem Maße vorhanden sind (Brackmann, aaO). Daß der Gefahrbereich sich nicht sachgerecht auf die unmittelbar mit der Krankenpflege befaßten Versicherten wie Ärzte und medizinisches Pflegepersonal begrenzen läßt, erweist sich gerade an dem Tätigkeitsbereich der Klägerin als Diätassistentin. Denn nach den Feststellungen des LSG hatte die Klägerin bei der Diätsprechstunde auch unmittelbaren Kontakt mit den Patienten; andererseits arbeitete sie in der Küche des Krankenhauses zwar ohne unmittelbaren Kontakt mit Patienten selbst, aber unter Berührung mit von Patienten benutztem Geschirr.

Das LSG hat aufgrund seiner tatsächlichen Feststellungen zu Recht eine erhöhte Ansteckungsgefahr angenommen.

Die vom LSG getroffenen Feststellungen, daß die Hepatitis A vielfach unerkannt verläuft und durch alle Körperflüssigkeiten, ua durch den Speichel, übertragen werden kann, sind von der Revision nicht mit begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden (§ 170 Abs 3 SGG); das Revisionsgericht ist daher an diese Feststellungen gebunden (§ 163 SGG). Der abweichende Tatsachenvortrag der Beklagten ist im Revisionsrechtszug unbeachtlich. Im übrigen bleibt darauf hinzuweisen, daß sich die Angaben des vom SG bestellten Sachverständigen mit den Ausführungen in dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten der Beklagten decken, daß nämlich alle Körperflüssigkeiten, also auch der Speichel, als Infektionsträger in Betracht kommen.

Daß das LSG aufgrund dieser festgestellten Übertragungsmöglichkeiten wegen der Vielzahl der möglichen Infektionsherde im Tätigkeitsbereich der Klägerin von einer erhöhten Gefährdung der Klägerin ausging, ist rechtlich bedenkenfrei. Auch daß es der Feststellung, daß Patienten mit der Diagnose "Virushepatitis A" zZt des Auftretens der Krankheit und Wochen und Monate davor in der Fachklinik nicht behandelt worden waren, kein größeres Gewicht beigemessen hat, gibt entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung zu Bedenken keinen Anlaß. Denn das LSG hat auch diesen Umstand nicht etwa unberücksichtigt gelassen, ihm vielmehr in seine Überlegungen mit einbezogen, angesichts des vielfach unerkannten Krankheitsverlaufs dann aber den für den Kausalzusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht eingeräumt.

Ebenfalls ohne Rechtsirrtum hat das LSG den Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit der Klägerin und deren Erkrankung an Hepatitis bejaht. Wie das LSG zutreffend angenommen hat, bedarf es zur Bejahung des Kausalzusammenhangs nicht der Feststellung einer konkreten Infektionsquelle. Aus Nr 37 der Anlage 1 zur BKVO ergibt sich nicht, daß ein im Krankenhaus behandelter Patient die Ursache für die Ansteckung gewesen sein muß; es genügt vielmehr, daß die Infektionskrankheit durch die berufliche Beschäftigung, also auch durch andere im Krankenhaus Beschäftigte verursacht worden ist (BSG SozR Nr 1 zur 6. BKVO Anl Nr 47; Brackmann, aaO, S 491n mwN); Podzun, aaO, S 6). Es kann deshalb dahinstehen, ob wegen des gleichzeitigen Ausbruchs der Krankheit bei der Klägerin und ihrer Arbeitskollegin die Infektion durch einen Patienten des Krankenhauses als überwiegend wahrscheinlich anzusehen war. Auch der Umstand, daß die Klägerin mit dem von den Patienten benutzten Geschirr in Berührung kam, erlangt ebenso wie der weitere Umstand, daß die Klägerin bei der Diätsprechstunde unmittelbaren Patientenkontakt hatte, nur insofern Bedeutung, als der Kreis der zu berücksichtigenden Infektionsherde damit weiter zu ziehen war und sich dadurch die Infektionsgefahr für die Klägerin bei ihrer Tätigkeit nach der Auffassung des LSG erhöhte. Dem weiteren gegen die Bejahung des Kausalzusammenhangs vorgebrachten Einwand der Revision, das LSG hätte dem gleichzeitigen Auftreten der Krankheit als einzigen für den Kausalzusammenhang sprechenden Umstand keine ausschlaggebende Bedeutung beimessen dürfen, kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die Revision von einem unzutreffenden Ausgangspunkt ausgeht. Das LSG hat unter Heranziehung aller Umstände neben der Gleichzeitigkeit der Krankheitsfälle noch zusätzlich auf eine besondere Infektionsgefahr als für den Kausalzusammenhang erheblichen Gesichtspunkt abgehoben. Daß die Revision meint, aufgrund der getroffenen Feststellungen zu einem anderen Ergebnis gelangen zu müssen, vermag die Entscheidung des LSG nicht angreifbar zu machen.

Es kann deshalb dahinstehen, ob die Infektionskrankheit der Klägerin auch - noch gleichzeitig - ein Arbeitsunfall iS des § 548 Reichsversicherungsordnung ist.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662617

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