Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergang polnischer Beitragszeiten bei "Juden in den eingegliederten Ostgebieten"

 

Orientierungssatz

1. § 17 Abs 1 Buchst b FRG erfaßt nur solche Beitragszeiten, welche in der Zeit der Einführung des deutschen Sozialversicherungsrechts in Gebieten, die dem Deutschen Reich eingegliedert worden sind oder vorübergehend unter deutscher Verwaltung gestanden haben, auf die reichsgesetzliche Rentenversicherung übergegangen sind.

2. Die Beschränkung des § 17 Abs 1 Buchst b FRG auf die sogenannten übergegangenen Zeiten kann nicht als willkürlich angesehen werden.

3. Ob ein deutscher Versicherungsträger fremde Beiträge wie nach den Reichsversicherungsgesetzen entrichtete Beiträge zu behandeln hatte, beurteilt sich ausschließlich nach der Rechtslage während der Geltung der Reichsversicherungsgesetze.

4. Der in § 45 Abs 1 SVOstgebieteEV angeordnete Übergang der Rechte und des Vermögens der aufgelösten polnischen Versicherungsträger auf die Träger der Reichsversicherung kann für sich allein den Schluß nicht rechtfertigen, die in den eingegliederten Gebieten entstandenen Versicherungsverhältnisse seien auf einen deutschen Rentenversicherungsträger übergeleitet worden, zumal die Rechtsnachfolge hinsichtlich der Verpflichtungen (Abs 1 S 2) und die endgültige Auseinandersetzung mit der polnischen Sozialversicherung (S 4) weiteren Regelungen vorbehalten blieben. Allein aus der Übertragung von Deckungsmitteln des verpflichteten (polnischen) Rentenversicherungsträgers folgt noch nicht, daß insoweit auch die Versicherungsverhältnisse in die reichsdeutsche Versicherungslast übergegangen wären.

5. Die Regelungen des § 3 Abs 4 FRG (F: 1953-08-07) wollte der Gesetzgeber des FRG vom 25.2.1960 nicht beibehalten.

6. Auf die "Juden in den eingegliederten Ostgebieten" ist die SVOstgebieteEV auch durch das sogenannte "Polenstatut" nicht anzuwenden gewesen.

 

Normenkette

FRG § 17 Abs 1 Buchst b Fassung: 1960-02-25, § 1 Fassung: 1953-08-07, § 3 Abs 4 Fassung: 1953-08-07; SVOstgebieteEV § 1 Abs 1 S 2 Fassung: 1941-12-22, § 45 Abs 1 S 2 Fassung: 1941-12-22; RAMErl 1942-06-29; RAMErl 1942-08-26

 

Verfahrensgang

SG Berlin (Entscheidung vom 23.07.1986; Aktenzeichen S 8 An 444/86)

 

Tatbestand

Streitig ist die Anerkennung polnischer Beitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung.

Die am 8. März 1919 in Polen geborene Klägerin ist Angehörige des jüdischen Glaubens. Nach dem Besuch des Gymnasiums war sie von September 1937 bis September 1939 als Angestellte einer Konfektionsfabrik in Lodz beschäftigt. Sie war sodann wegen ihres jüdischen Glaubens nationalsozialistischer Verfolgung ausgesetzt und lebte bis September 1944 in der Illegalität. Nach einer bis November 1946 andauernden Erkrankung war sie bis Mai 1948 wiederum als Angestellte in Polen beschäftigt. Sodann wanderte sie nach Israel aus und erwarb später die dortige Staatsangehörigkeit.

Im März 1983 beantragte die Klägerin bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 12 der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit vom 20. November 1978 (BGBl II S 851) sowie die Berücksichtigung der in Polen zurückgelegten Beitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 17 Abs 1 Buchst b) iVm § 15 des Fremdrentengesetzes (FRG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I S 93). Letzteren Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. September 1984 ab, weil eine Beitrags- bzw Beschäftigungszeit weder nachgewiesen noch ausreichend glaubhaft gemacht worden sei. Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 1986 mit der Begründung zurückgewiesen, trotz zwischenzeitlicher Glaubhaftmachung einer Beitragszeit vom 1. September 1937 bis 30. September 1939 seien die Voraussetzungen einer Anerkennung nach § 1 FRG iVm § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 (BGBl I S 1846; = WGSVG) bzw nach § 17 Abs 1 Buchst b) FRG nicht erfüllt.

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Berlin die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 18. September 1984 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 1986 verurteilt, eine glaubhaft gemachte Versicherungszeit der Klägerin gemäß §§ 15, 17 Abs 1 Buchst b) FRG unter Einstufung in Leistungsgruppe 5 der Angestelltenversicherung für die Zeit vom 1. September 1937 bis 30. September 1939 anzuerkennen. Zur Begründung hat das SG im wesentlichen ausgeführt:

Die Klägerin habe Anspruch auf Herstellung einer Versicherungsunterlage über die von ihr in der Zeit von September 1937 bis September 1939 zurückgelegten Beitragszeiten. Eine Beitragsabführung für diese Zeiten sei glaubhaft gemacht. Sie seien gemäß § 17 Abs 1 Buchst b) FRG in der deutschen Rentenversicherung anrechenbar. Die Vorschrift bezwecke in Erweiterung des persönlichen Geltungsbereiches des § 15 FRG die Honorierung der sogen "übergegangenen" Beitragszeiten auch bei Personen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit. Entgegen der im Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. Juni 1971 - 4 RJ 357/68 - (BSG SozR Nr 5 zu § 17 FRG) vertretenen Auffassung sei das Versicherungsverhältnis der Klägerin nach Maßgabe der Vorschriften über die Einführung des deutschen Sozialversicherungsrechts in den eingegliederten polnischen Gebieten auf die deutsche Rentenversicherung übergeleitet worden. Die Stadt Lodz habe zu den sogen eingegliederten Ostgebieten, nämlich zum Gau Wartheland gehört. Für dieses Gebiet habe die Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den eingegliederten Ostgebieten vom 22. Dezember 1941 (RGBl I S 777; Ostgebiets-Verordnung, OGVO) Regelungen über die Einführung der Reichsversicherung getroffen. Zwar habe die Klägerin als polnische Staatsangehörige jüdischer Herkunft nach § 1 Abs 2 OGVO und nach den zur Durchführung der OGVO ergangenen Erlassen des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 29. Juni 1942 (AN II S 408) und vom 13. März 1943 (AN II S 126) keine Leistungen beanspruchen können, während für die ehemals polnische nichtjüdische Bevölkerung § 7 des Erlasses des RAM vom 26. August 1942 (AN II S 469; sogen "Polen-Statut") bestimmt habe, daß auf der Grundlage reichsrechtlicher Vorschriften mit einigen "Besonderheiten" Leistungen in beschränktem Umfange unter Anrechnung polnischer Versicherungszeiten auf die Wartezeit zu gewähren seien. Die Beurteilung im Urteil des BSG vom 23. Juni 1971, nahezu die gesamte ehemals polnische Bevölkerung des sogen Reichsgaus Wartheland sei von der Übernahme in die deutsche Rentenversicherung ausgeschlossen worden, erweise sich damit als unrichtig. Lediglich die jüdische Bevölkerung habe trotz Bestehens einer Beitragspflicht überhaupt keine Leistungen beanspruchen können. Das stehe aber einer Erfüllung der Voraussetzungen des § 17 Abs 1 Buchst b) FRG nicht entgegen. Hierfür sei eine Leistungsgewährung nicht erforderlich. Lediglich das Versicherungsverhältnis müsse in die deutsche Rentenversicherung übergeleitet worden sein. Das sei der Fall. Für die Versicherungsverhältnisse der jüdischen Bevölkerung im Reichsgau Wartheland sei nach Auflösung der dort ansässigen Versicherungsträger und Übertragung ihres Vermögens auf deutsche Träger sowie in Anbetracht dessen, daß nach einem Rundschreiben der Regierung des Generalgouvernements vom 5. April 1944 (AN II S 139) die Ansprüche des hier betroffenen Personenkreises nicht in die Rentenlast der Hauptanstalt für Sozialversicherung des Generalgouvernements gefallen seien, nur eine Leistungszuständigkeit der Reichsversicherungsträger in Betracht gekommen. Die Voraussetzungen des § 17 Abs 1 Buchst b) FRG seien zusätzlich aus anderen Erwägungen erfüllt. Entgegen der im Urteil des BSG vom 23. Juni 1971 angedeuteten Möglichkeit, daß die OGVO in der Bundesrepublik keine Wirkung habe entfalten können, sei von deren Weitergeltung und nicht von vornherein von einer Nichtigkeit der hier einschlägigen Bestimmungen in ihrer Gesamtheit auszugehen. Für die Aufnahme in den Willen des nachkonstitutionellen Gesetzgebers spreche, daß die OGVO erst mit Art 7 § 3 Abs 1 Buchst n) des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I S 93) ausdrücklich außer Kraft gesetzt worden sei. Ebenfalls nicht gerechtfertigt sei die Annahme, daß die OGVO wenn überhaupt, so lediglich mit ihren Einschränkungen und Ergänzungs- und Durchführungsbestimmungen weiter gegolten habe. § 3 Abs 4 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953 (BGBl I S 848; FAG) habe ausdrücklich bestimmt, daß die OGVO und die dazu erlassenen Ergänzungs- und Durchführungsbestimmungen auch auf Leistungsansprüche und Anwartschaften aus Versicherungsverhältnissen in der polnischen Sozialversicherung anzuwenden seien, die nach dieser VO nicht oder nicht voll auf die deutsche Sozialversicherung übergegangen seien. Unmittelbar vor Inkrafttreten des FRG unter der Geltung des FAG habe daher eine Leistungsanwartschaft der Klägerin bejaht werden müssen. Zwar habe § 3 Abs 4 im Zusammenhang mit § 1 FAG gestanden, wonach eine zahlbare Versichertenrente aus polnischen Beitragszeiten nur diejenigen ehemals polnischen oder polnisch-jüdischen Volkszugehörigen erhalten hätten, die sich ständig im Bundesgebiet oder im Land Berlin aufgehalten und von dem Versicherungsträger, bei dem das Versicherungsverhältnis bestanden habe, keine Leistungen erhalten hätten. Es müsse jedoch zwischen der Frage der Zusammensetzung einer Rentenanwartschaft bzw einer Versichertenrente und der Frage der Zahlbarkeit der Anwartschaft bzw Rente unterschieden werden. Das Vorliegen einer Rentenanwartschaft werde durch die möglicherweise ausgeschlossene Zahlbarkeit einer Rente aus dieser Anwartschaft nicht berührt. Schließlich sei nichts daraus herzuleiten, daß in § 17 FRG eine dem § 3 Abs 4 FAG entsprechende Regelung nicht ausdrücklich aufgenommen worden sei. Den Materialien zu § 17 FRG sei nicht zu entnehmen, daß die Regelung ausschließlich auf den Personenkreis des § 1 Abs 1 Satz 2 Nr 1 FAG beschränkt sein solle. Die am Gedanken der Entschädigung bzw Ersatzleistung dafür, daß Vertriebene und Flüchtlinge ihre Ansprüche und Anwartschaften nicht mehr gegen den ursprünglichen Versicherungsträger hätten geltend machen können, orientierte Zielrichtung des FAG müsse auch für § 17 FRG fortgelten. Die Vorschrift erweitere ausdrücklich den persönlichen Geltungsbereich des § 15 FRG. Dann könne sie nicht bloß im wesentlichen auf die früher in Polen lebenden deutschen Volkszugehörigen beschränkt sein. Für diesen Personenkreis bedürfe es des § 17 FRG nicht, weil er regelmäßig die Vertriebeneneigenschaft erfülle und somit § 15 FRG unmittelbar Anwendung finde.

Das SG hat die Sprungrevision zugelassen. Die Beklagte hat unter Beifügung einer schriftlichen Zustimmungserklärung der Klägerin dieses Rechtsmittel eingelegt und trägt zu seiner Begründung vor:

Die Voraussetzungen des § 17 Abs 1 Buchst b) FRG für eine Berücksichtigung der polnischen Beitragszeiten der Klägerin von 1937 bis 1939 seien nicht erfüllt. Zwar habe § 20 Abs 1 OGVO die Behandlung früherer polnischer Beiträge in der deutschen Reichsversicherung und damit einen Beitragsübergang iS des § 17 Abs 1 Buchst b) FRG geregelt. Der persönliche Geltungsbereich der OGVO habe jedoch nach deren § 1 Abs 2 iVm den Erlassen des RAM vom 29. Juni 1942 und 13. März 1943 nicht Juden und damit auch nicht die Klägerin erfaßt. Nach der durch das "Polen-Statut" geschaffenen Rechtslage seien polnische Beiträge von Juden nicht und solche von "Schutzangehörigen und Staatenlosen polnischen Volkstums" nicht voll auf die deutsche Sozialversicherung übergegangen und somit in beiden Fällen nicht von der Reichsversicherung "wie nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze zu behandeln". Diese Bewertung der damaligen Rechtslage habe nach dem Wortlaut des § 3 Abs 4 FAG der Einschätzung des Bundesgesetzgebers entsprochen. Das ab 1. Januar 1959 geltende FRG enthalte eine vergleichbare Gleichbehandlungsanordnung nicht mehr. Durch die frühere Gleichstellungsfiktion des FAG werde auch nicht der Tatbestand des § 17 Abs 1 Buchst b) FRG erfüllt. Die darin enthaltene Formulierung "zu behandeln hatte" beziehe sich auf die Reichsversicherungsträger und die Zeit des Beitragsüberganges, nicht aber auf spätere bundesgesetzliche Übergangsregelungen wie das FAG. Selbst wenn § 3 Abs 4 FAG zu berücksichtigen wäre, wäre er im Falle der Klägerin nicht anzuwenden, weil diese die Voraussetzungen des § 8 Abs 1 FAG nicht erfüllt habe. § 3 Abs 4 FAG sei nicht losgelöst vom Leistungsrecht als versicherungsrechtliche Bestimmung getroffen worden, sondern habe entsprechend der Zweckrichtung des FAG gerade die Leistungsberechnung bei Fremd- und Auslandsrenten zum Regelungsgegenstand gehabt. Er habe grundsätzlich nur bei Inlandsaufenthalt gegolten und sei bei Auslandsaufenthalt nur unter zusätzlichen, von der Klägerin nicht erfüllten Voraussetzungen entsprechend anwendbar gewesen. Nach der Konstruktion des Auslandsrentenrechts im FAG habe im übrigen das Gesetz nicht ein Stammrecht (Anwartschaft) angenommen, dessen Zahlbarkeit ins Ausland nur eingeschränkt oder ausgeschlossen worden sei. Vielmehr sei das Stammrecht immer nur dann bejaht worden, wenn auch die gesetzlichen Zahlungsvoraussetzungen erfüllt gewesen seien. Bei Eintritt eines Versicherungsfalles während des Zweiten Weltkrieges seien die polnischen Beitragszeiten der Klägerin nicht wie nach den Reichsversicherungsgesetzen entrichtete Beiträge zu behandeln gewesen. Das aber verlange der Wortlaut des § 17 Abs 1 Buchst b) FRG. Diese Auslegung entspreche der im Urteil des BSG vom 23. Juni 1971 vertretenen Auffassung. Zu ihr bekenne sich auch die Kommentarliteratur. Sie (Beklagte) habe ihre frühere gegenteilige Verwaltungspraxis im Hinblick auf das Urteil vom 23. Juni 1971 geändert. Entgegen der Ansicht des SG könne die Anwendbarkeit des § 17 Abs 1 Buchst b) FRG in den Fällen des § 1 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 OGVO nicht damit begründet werden, daß in diesen Fällen die Beiträge versicherungsrechtlich voll übergegangen seien und lediglich leistungsrechtliche Beschränkungen bestanden hätten. Diese Gegenüberstellung sei rechtlich unzulässig, weil § 17 Abs 1 Buchst b) FRG verlange, daß die ausländischen Beiträge bei Eintritt des Versicherungsfalles wie nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze entrichteten Beiträge zu behandeln gewesen seien. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den Materialien zum FRG. § 17 Abs 1 Buchst b) FRG habe nach dem Willen des Gesetzgebers § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Satz 2 FAG ablösen sollen. Dieser habe einen Vollübergang von Leistungen und Anwartschaften vorausgesetzt. An diesem Vollübergang dürfe sich auch die Auslegung des § 17 Abs 1 Buchst b) FRG orientieren. § 3 Abs 4 FAG habe keine Nachfolgeregelung gefunden, obwohl gerade aufgrund dieser Normierung der Gesetzgeber das Problem gesehen haben müsse.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Juli 1986 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, aus den Gründen des angefochtenen Urteils die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Sie ist entgegen der im Urteil des SG vertretenen Rechtsansicht nicht verpflichtet, Versicherungsunterlagen für die in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten der Klägerin herzustellen. Nach § 11 Abs 2 der Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO) sind Unterlagen nach Maßgabe des FRG für Zeiten herzustellen, die nach dem FRG anrechenbar sind. Die von der Klägerin in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten sind nach diesem Gesetz nicht anrechenbar. Von den Vorschriften des FRG kommt hier allein § 17 Abs 1 Buchst b in Betracht; denn eine Anrechnung nach §§ 1, 15 FRG oder nach § 20 WGSVG iVm § 15 FRG scheidet aus, weil die persönlichen Voraussetzungen hierfür fehlen. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Nach § 17 Abs 1 Buchst b FRG wären die von der Klägerin an den polnischen Rentenversicherungsträger entrichteten Beiträge nur dann anzurechnen, wenn ein deutscher Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 3 FRG) sie bei Eintritt des Versicherungsfalles wie nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze entrichtete Beiträge zu behandeln hatte. Daran fehlt es hier.

Ob ein deutscher Versicherungsträger fremde Beiträge wie nach den Reichsversicherungsgesetzen entrichtete Beiträge zu behandeln hatte, beurteilt sich ausschließlich nach der Rechtslage während der Geltung der Reichsversicherungsgesetze. Das ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des § 17 Abs 1 Buchst b FRG, der die Vergangenheitsform gebraucht ("zu behandeln hatte"), sondern vor allem aus seiner Entstehungsgeschichte, die insoweit ausschließlich auf den Zeitraum der Einführung des deutschen Sozialversicherungsrechts in Gebieten, die dem deutschen Reich eingegliedert waren oder vorübergehend unter deutscher Verwaltung gestanden haben, abstellt. In der Begründung zum Entwurf des FRG heißt es zu § 17 Abs 1 (BT-Drucks III/1109 S 41), daß sich Buchst b auf Personen beziehe, deren Versicherungsverhältnis nach Maßgabe der Vorschriften über die Einführung des deutschen Sozialversicherungsrechts in den vorgenannten Gebieten übergeleitet worden ist; dies solle im Ergebnis der bisherigen Regelung in § 1 Abs 2 Nr 1 Satz 2 FAG entsprechen (BT-Drucks aaO), wonach ein Versicherungsverhältnis bei einem deutschen Versicherungsträger auch dann als gegeben gilt, wenn die aus dem Versicherungsverhältnis entstandenen Verpflichtungen (Leistungen und Anwartschaften) eines nichtdeutschen Versicherungsträgers nach Reichsrecht auf den deutschen Versicherungsträger übergegangen sind. § 8 Abs 1 Nr 2 Buchst b FAG, der Leistungen an Berechtigte im Ausland betraf, sprach insoweit von Versicherungszeiten, die aus einer ausländischen Rentenversicherung auf die reichsgesetzliche Rentenversicherung übergegangen sind (vgl dazu BSG SozR Nr 6 zu § 1321 RVO). Mit diesen unterschiedlichen Formulierungen (Behandlung der Beiträge, Überleitung des Versicherungsverhältnisses, Übergang der Verpflichtungen, Übergang der Versicherungszeiten) hat der Gesetzgeber stets denselben Sachverhalt gemeint, nämlich daß Beitragszeiten von einer fremden Versicherung auf die reichsgesetzliche Rentenversicherung übergegangen sind. Dementsprechend haben bereits der 5. Senat des BSG (SozR Nr 6 zu § 1321 RVO) und ihm folgend der 11a-Senat (SozR 2200 § 1250 Nr 9 und neuerdings im Urteil vom 26. August 1987 - 11a RA 34/86 -) entschieden, daß § 17 Abs 1 Buchst b FRG nur solche bei einem fremden Versicherungsträger zurückgelegten Zeiten erfaßt, die seinerzeit auf die reichsgesetzliche Rentenversicherung übergegangen sind. Nur solche Zeiten sind bei jedermann (nicht nur bei Vertriebenen und Flüchtlingen) so zu berücksichtigen, als handele es sich um von vornherein nach den Reichsversicherungsgesetzen zurückgelegte Zeiten.

Eine entsprechende Behandlungspflicht hätte sich im vorliegenden Fall nur aus der OGVO nebst ihren Durchführungsbestimmungen ergeben können, die jedoch auf die Klägerin keine Anwendung gefunden hat. Zwar bestimmte die OGVO in ihrem § 1 Abs 1 Satz 1, daß die Reichsversicherungsordnung (RVO), das Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und das Reichsknappschaftsgesetz (RKG) mit den dazu erlassenen Vorschriften vom Stichtag an (gemäß § 1 Abs 3 OGVO der 1. Januar 1942) in den "eingegliederten Ostgebieten" Anwendung finden sollten, zu denen der "Gau Wartheland" mit der Stadt Lodz gehörte. Nach dem folgenden Satz 2 fanden diese Vorschriften jedoch keine Anwendung auf "Schutzangehörige und Staatenlose polnischen Volkstums"; das gleiche wurde durch den auf der Ermächtigung der § 1 Abs 2 und § 43 Abs 1 OGVO beruhenden Erlaß des RAM vom 29. Juni 1942 (aaO) - Abschnitt C - für "Juden in den eingegliederten Ostgebieten" bestimmt. Auf sie sollten die Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze grundsätzlich keine Anwendung finden; zu der in Aussicht genommenen Regelung über die Behandlung der jüdischen Bevölkerung in den eingegliederten Ostgebieten ist es offensichtlich nicht mehr gekommen. Die Klägerin gehörte damit nicht zu dem von der OGVO erfaßten Personenkreis mit der Folge, daß die von ihr zur polnischen Rentenversicherung entrichteten Beiträge nicht wie nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze entrichtete Beiträge zu behandeln waren. Eine solche Behandlungspflicht der zur polnischen Rentenversicherung entrichteten Beiträge bei Eintritt des Versicherungsfalles hatte die OGVO in ihrem Abschnitt IV (§§ 20 ff) angeordnet und dort näher geregelt. Da die OGVO und damit die Reichsversicherungsgesetze insgesamt aber auf die Klägerin nicht anzuwenden waren, konnte auch dieser Abschnitt für sie nicht gelten.

An diesem Ergebnis änderte sich auch nichts dadurch, daß auf die "Schutzangehörigen und Staatenlosen polnischen Volkstums" (vgl zur Abgrenzung dieses von der Reichsversicherung ausgenommenen Personenkreises den Erlaß vom 29. Juni 1942, aaO, - Abschnitte A und B -, und die Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. März 1941, RGBl 1941, 118) die OGVO später durch das sog "Polenstatut" (Erlaß des RAM vom 26. August 1942, aaO) teilweise für anwendbar erklärt worden ist. Hierdurch ist für diesen Personenkreis anstelle der Leistungen der Reichsversicherung aber nur die Gewährung von besonderen Unterstützungsleistungen bis zur Höhe des für sie geltenden Richtsatzes der öffentlichen Fürsorge - ohne Rechtsanspruch - unter entsprechender Anwendung der OGVO angeordnet worden (Abschnitt I § 2). Die "Juden in den eingegliederten Ostgebieten" blieben selbst davon ausgeschlossen. Auch wenn diese Diskriminierung außer acht gelassen und die jüdische Bevölkerung mit derjenigen polnischen Volkstums gleichgestellt wird, bedeutet dies gleichwohl nicht, daß nunmehr die für diese Personenkreise zur polnischen Rentenversicherung entrichteten Beiträge wie nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze entrichtete Beiträge zu behandeln gewesen wären. Denn einen (uneingeschränkten) Übergang der Beitragszeiten hat das "Polenstatut" mit seinen einschränkenden Besonderheiten nicht bewirkt. Davon ist auch der Gesetzgeber des FAG ausgegangen; denn sonst hätte es der Regelung des § 3 Abs 4 FAG (s dazu im folgenden) nicht bedurft.

Für die Annahme des SG, daß aufgrund der OGVO (wenigstens) die in den eingegliederten Gebieten entstandenen Versicherungsverhältnisse auf einen deutschen Rentenversicherungsträger übergeleitet worden seien und dort - wenn auch ohne Leistungspflicht, jedoch mit einer nicht völlig in Abrede zu stellenden Leistungsaussicht - bestanden hätten, findet sich in den maßgeblichen Rechtsvorschriften kein ausreichender Anhalt. Der erkennende Senat stimmt dem 11a-Senat in seinem Urteil vom 26. August 1987 (aaO) darin zu, daß der in § 45 Abs 1 OGVO angeordnete Übergang der Rechte und des Vermögens der aufgelösten polnischen Versicherungsträger auf die Träger der Reichsversicherung für sich allein einen solchen Schluß nicht rechtfertigen kann, zumal die Rechtsnachfolge hinsichtlich der Verpflichtungen (Abs 1 Satz 2) und die endgültige Auseinandersetzung mit der polnischen Sozialversicherung (Satz 4) weiteren Regelungen vorbehalten blieben. Allein aus der Übertragung von Deckungsmitteln des verpflichteten (polnischen) Rentenversicherungsträgers folgt noch nicht, daß insoweit auch die Versicherungsverhältnisse in die reichsdeutsche Versicherungslast übergegangen wären. Darauf stellt aber § 17 Abs 1 Buchst b FRG ab und läßt - anders als § 19 WGSVG - die angeordnete Übertragung von Deckungsmitteln nicht genügen.

Das SG kann seine Auffassung schließlich auch nicht auf § 3 Abs 4 FAG stützen, weil der Gesetzgeber des FRG diese Regelung nicht übernommen hat. Auch darin folgt der erkennende Senat dem Urteil des 11a-Senats vom 26. August 1987 (aaO). § 3 Abs 4 FAG bestimmte, daß die OGVO auch auf Leistungsansprüche und Anwartschaften aus Versicherungsverhältnissen anzuwenden war, die nach dieser VO nicht oder nicht voll auf die deutsche Sozialversicherung übergegangen sind. Diese Erstreckung des Anwendungsbereichs der OGVO durch das FAG hat zwar Personen wie die Klägerin begünstigt, jedenfalls soweit es sich um Leistungen für Zeiten des Aufenthalts im Bundesgebiet oder in Berlin gehandelt hat. Nach der Gesetzesbegründung betraf die Vorschrift vor allem die "Schutzangehörigen oder Staatenlosen polnischen Volkstums", aber auch die "Juden in den eingegliederten Ostgebieten", ferner auch diejenigen, die an bestimmten Stichtagen nicht in den eingegliederten Ostgebieten beschäftigt gewesen sind oder gewohnt haben (BT-Drucks I/4201 S 17 zu § 3 Abs 4). Bezüglich dieser Personen, die bisher von der Anwendung der OGVO ausgeschlossen waren, hielt es der Gesetzgeber des FAG "für möglich, daß sie sich nunmehr ständig und befugt im Bundesgebiet aufhalten"; deshalb sollten ihnen die Vorschriften der OGVO aus Gründen der Gleichbehandlung ebenso zugute kommen wie die Sudeten-VO vom 27. Juni 1940 den Protektoratsdeutschen nach § 3 Abs 2 FAG (BT-Drucks aaO). Ob diese Erstreckung der OGVO in § 3 Abs 4 FAG auf die obengenannten Personenkreise nur für Fremdrenten an Berechtigte im Bundesgebiet und im Land Berlin oder auch - wie die Klägerin geltend macht - für Renten gegolten hat, die Berechtigten im Ausland nach § 8 Abs 1 FAG zustanden, kann der Senat offenlassen. Denn die Erstreckung hatte, wie bereits der 4. Senat im Urteil vom 23. Juni 1971 (SozR Nr 5 zu § 17 FRG) und ihm folgend der 11a-Senat im Urteil vom 26. August 1987 (aaO) zutreffend dargelegt haben, Bedeutung nur im Rahmen des FAG. Der Gesetzgeber des FRG hat § 3 Abs 4 FAG durch Art 7 § 3 Abs 1 FANG ausdrücklich aufgehoben, weil er seine Beibehaltung nach der Neukonzeption dieses Gesetzes offensichtlich nicht mehr für erforderlich hielt. Für die gegenteilige Ansicht des SG, wonach das FRG in § 17 Abs 1 Buchst b insoweit nichts anderes habe regeln wollen als die Vorläufervorschrift in § 3 Abs 4 FAG, findet sich kein ausreichender Anhalt. Dem steht nicht nur der Wortlaut, sondern auch die Gesetzesbegründung zu § 17 Abs 1 Buchst b FRG (BT-Drucks III/1109 S 41) entgegen, in der von § 3 Abs 4 FAG keine Rede ist; vielmehr sollte § 17 Abs 1 Buchst b FRG im Ergebnis der bisherigen Regelung in § 1 Abs 2 Nr 1 Satz 2 FAG entsprechen, wonach Verpflichtungen eines nichtdeutschen Rentenversicherungsträgers nach dem Reichsrecht auf einen deutschen Versicherungsträger übergegangen sein mußten. Der Senat folgt daher dem 4. und 11. Senat (aaO) auch darin, daß der Gesetzgeber des FRG die Regelung des § 3 Abs 4 FAG nicht beibehalten wollte.

Diese Beschränkung des § 17 Abs 1 Buchst b FRG auf die sogenannten übergegangenen Zeiten vermag der Senat auch nicht als willkürlich zu erachten. Damit sind zwar fremdstaatliche Beitragszeiten, die bisher nach § 3 Abs 4 FAG übergegangenen Beitragszeiten gleichgestellt wurden, vom FRG nicht mehr erfaßt. Das stellt jedoch im Rahmen der gesetzgeberischen Neukonzeption des FRG, das mit dem Eingliederungsprinzip eine weitgehende sozialrechtliche Gleichstellung von Einheimischen und Vertriebenen gebracht hat, keine systemwidrige oder willkürliche Verschlechterung dar. Der 5. Senat (BSG SozR Nr 6 zu § 1321 RVO) hat bereits zutreffend dargelegt, daß für die vom FRG derart begünstigten Personen (§§ 1, 15 FRG) die bisherige Unterscheidung zwischen den im Herkunftsland zurückgelegten fremdstaatlichen Beitragszeiten und reichsgesetzlichen Beitragszeiten ihre Bedeutung verloren hat, und hat dabei auch darauf hingewiesen, daß § 17 Abs 1 Buchst b FRG von daher gesehen keinen spezifisch fremdrentenrechtlichen Sachverhalt regelt, sondern seinen systematischen Standort eigentlich in § 27 AVG hat. Denn mit dieser Regelung sollten - wie bisher schon - übergegangene Zeiten ganz allgemein - und nicht nur bei Vertriebenen und Flüchtlingen - wie reichsgesetzliche Zeiten behandelt werden, weil die bereits nach Reichsrecht bewirkte Gleichstellung durch die Kriegsfolgen nicht verloren gehen sollte. Personen, die bereits aufgrund der Reichsversicherungsgesetze Ansprüche oder Anwartschaften erworben hatten, sollten diese unabhängig von weiteren Voraussetzungen behalten. Damit setzt sich zwar der von der Klägerin als diskriminierend empfundene Ausschluß ihrer Beiträge aus der Übernahme in die Reichsversicherung bis heute fort. Das Fehlen einer Regelung, die die Klägerin so stellt, als seien ihre Beiträge auf die Reichsversicherung übergeleitet worden, ist aber gleichwohl nicht wegen Verstoßes gegen Art 3 Abs 1 GG verfassungswidrig; denn ein Schaden ist der Klägerin in der Sozialversicherung nicht bereits durch die mangelnde Übernahme der streitigen Beiträge in die deutsche Versicherungslast, also als Folge ihrer jüdischen Glaubenszugehörigkeit entstanden, sondern erst später durch die Auswanderung aus Polen im Jahre 1948. Die nicht übergegangenen polnischen Beitragszeiten sind nicht untergegangen, sondern weiterhin in der polnischen Versicherungslast verblieben oder jedenfalls in diese für solche Berechtigte wieder zurückgefallen, die - wie die Klägerin - nach dem Krieg weiterhin in dem wieder selbständig gewordenen und in den Besitz seines ursprünglichen Gebiets gelangten polnischen Staates gelebt haben. In der Zeit nach Kriegsende, in der sich die Klägerin noch in Polen befand, sind die früheren polnischen Sozialversicherungsvorschriften wieder eingeführt und insoweit die entsprechenden Regelungen der OGVO rückgängig gemacht worden (vgl dazu Schmiedinger, Die Sozialversicherung 1985, 168). Die Klägerin hätte daher die vor dem Krieg in Polen zurückgelegten Beitragszeiten angerechnet erhalten, wenn sie nicht 1948 nach Israel ausgesiedelt wäre. Daß das WGSVG (§ 20) einen hierdurch entstandenen Schaden nicht ausgleicht, ist ebenfalls nicht verfassungswidrig; denn der Gesetzgeber des WGSVG durfte die Anwendung des FRG auf "vertriebene" Verfolgte beschränken, also auf Verfolgte, die bei Verlassen des Vertreibungsgebiets dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört haben. Nur bei diesem Personenkreis - zu dem die Klägerin nicht gehört - mußte sich der Gesetzgeber veranlaßt sehen, einen durch die Aussiedlung in der Sozialversicherung erlittenen Schaden durch Anwendung des FRG auszugleichen. Dies gilt hingegen nicht für solche "Schäden", die darauf beruhen, daß das Einwanderungsland (Israel) die im Herkunftsland zurückgelegten Zeiten nicht anerkennt oder ein entsprechendes Sozialversicherungsabkommen zwischen Ein- und Auswanderungsland nicht besteht.

Nach allem konnte das Urteil des SG keinen Bestand haben; es war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665199

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