Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankengeldanspruch

 

Leitsatz (redaktionell)

Voraussetzung des Krankengeldanspruchs ist das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses, soweit nicht das Gesetz ausdrücklich Ausnahmen vorsieht. Der mit Ablauf einer Bezugsperiode endende Krankengeldanspruch entsteht nach Ablauf der Blockfrist von 3 Jahren (RVO § 183 Abs 2 S 1 Halbs 2) nur dann neu, wenn eine Mitgliedschaft als tragende Rechtsgrundlage des Anspruchs vorhanden ist.

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 Fassung: 1967-12-21, § 183 Abs. 1 Fassung: 1961-07-12, Abs. 2 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1961-07-12, § 184 Abs. 1 Fassung: 1970-12-21, § 206 Fassung: 1924-12-15, § 311 Fassung: 1965-08-24; SozSichAbk ESP Art. 2 Abs. 1 Nr. 1a Fassung: 1959-10-20, Art. 3 Nr. 1 Fassung: 1959-10-29, Art. 4 Fassung: 1959-10-29, Art. 5 Abs. 1 Fassung: 1959-10-29, Art. 16 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1959-10-29

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 25.11.1976; Aktenzeichen L 16 Kr 95/76)

SG Köln (Entscheidung vom 14.06.1976; Aktenzeichen S 19 (6) Kr 76/75)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. November 1976 und des Sozialgerichts Köln vom 14. Juni 1976 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Krankengeld.

Der 1905 geborene Kläger ist spanischer Staatsangehöriger. Er war als versicherungspflichtig Beschäftigter Mitglied der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Während seiner Beschäftigung wurde er wegen einer Augenerkrankung am 23. November 1970 arbeitsunfähig und bezog Krankengeld für 78 Wochen bis zum 21. Mai 1972. Eine Beschäftigung übte er später nicht mehr aus. Er kehrte nach Spanien zurück und ist inzwischen völlig erblindet. Seinen Antrag vom 19. Juni 1974, ihm ab 23. November 1973 (Beginn der 2. Blockfrist) erneut Krankengeld zu zahlen, lehnte die Beklagte ab, weil der Kläger bei Beginn der neuen Blockfrist nicht mehr ihr Mitglied war. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Beide Vorinstanzen haben die Beklagte zur Zahlung des Krankengeldes verurteilt. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt: Da der Kläger seine Beschäftigung während des Krankengeldbezuges habe aufgeben müssen und ein anderer, die Mitgliedschaft erhaltender oder neu begründender Tatbestand nicht gegeben sei, habe seine Mitgliedschaft mit dem Ende des 1. Krankengeldbezuges am 21. Mai 1972 geendet. Für die Auslösung des einzelnen Leistungsanspruchs komme es jedoch lediglich darauf an, ob der Berechtigte im Zeitpunkt des Versicherungsfalls Mitglied der leistungspflichtigen Krankenkasse mit einem gerade diese Leistung beinhaltenden Leistungsanspruch gewesen sei. Versicherungsfall für das Krankengeld sei die Krankheit. Diese sei bei dem Kläger während seiner Mitgliedschaft eingetreten. Der einmal begründete Anspruch auf Krankengeld sei ein Daueranspruch, der lediglich nach Ablauf von je 78 Wochen unterbrochen werde. Das Wiederaufleben dieses Anspruchs zu Beginn einer neuen Blockfrist setze nicht das Bestehen einer Mitgliedschaft voraus. Das Sozialgericht (SG) habe die Beklagte deshalb zu Recht zur Zahlung des Krankengeldes verurteilt.

Mit der - zugelassenen - Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 183 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie meint, diese Vorschrift finde nur solange Anwendung, als der Versicherte arbeitsunfähig sei. Bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit ende die Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers. Andernfalls erhalte das Krankengeld die Funktion einer Rente. Es habe jedoch nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen, das Krankengeld in eine Rente umzuwandeln.

Die Beklagte beantragt,

die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat für die Zeit ab 19. Juni 1974 keinen Anspruch auf die Gewährung von Krankengeld.

Da der Kläger spanischer Staatsangehöriger ist und seinen ständigen gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien hat, unterliegt er mit seinen Ansprüchen an die Beklagte den Vorschriften des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem spanischen Staat über soziale Sicherheit vom 29. Oktober 1959 (BGBl 1961 II 599). Die späteren Abkommensänderungen, die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Spanien vereinbart worden sind, haben keine Bedeutung für den streitigen Anspruch. Nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 1a i.V.m. Abs. 2 des Abkommens findet es Anwendung in der Bundesrepublik Deutschland auf die Rechtsvorschriften über die Krankenversicherung. Es gilt für Staatsangehörige der Vertragsstaaten (Art. 3 Nr. 1), die in ihren Rechten und Pflichten einander gleichgestellt sind (Art. 4), und bewirkt, daß der Aufenthalt einer Person im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates einem Inlandsaufenthalt gleich zuordnen ist, sofern es für die Leistungsgewährung darauf ankommt (Art. 5 Abs. 1). Da nach Art. 16 Abs. 3 Satz 1 Geldleistungen von dem zuständigen Träger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften gewährt werden und das Abkommen Sonderregelungen für die Zahlung von Krankengeld - mit Ausnahme des im vorliegenden Rechtsstreit nicht eingreifenden § 214 RVO (Art. 12 Abs. 2 des Abkommens) - nicht enthält, richten sich die Ansprüche des Klägers nach den Vorschriften der RVO wie bei Inlandsaufenthalt.

Nach § 182 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 RVO wird Krankengeld - als Teil der Krankenhilfe - gewährt, wenn die Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht. Diese Vorschrift, die die Grundvoraussetzungen der Leistung "Krankengeld" festlegt, wird ergänzt durch § 183 Abs. 2 Satz 1 RVO. Danach wird Krankengeld zwar grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung gewährt. Für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit wird es jedoch für höchstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren - gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an - gezahlt. Nur dieser Fall hat für den vorliegenden Rechtsstreit Bedeutung, denn bei dem Kläger hat nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG eine Augenerkrankung bestanden, die 1970 zu seiner seither fortdauernden Arbeitsunfähigkeit geführt hat; andere Krankheiten haben nicht vorgelegen.

Wie der Senat bereits in zwei gleichliegenden, ebenfalls spanische Staatsangehörige betreffenden Fällen mit Urteilen vom 5. Oktober 1977 (3 RK 35/75 - zur Veröffentlichung vorgesehen - und 3 RK 8/77) entschieden hat, ist Voraussetzung des Krankengeldanspruchs das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses; denn Rechtsgrundlage für die Regelleistung "Krankengeld" ist die durch das Versicherungsverhältnis vermittelte Mitgliedschaft des Versicherten zu seiner Krankenkasse. Da das Solidaritätsprinzip der Krankenversicherung dazu führt, daß Leistungen der Solidargemeinschaft nur für Mitglieder vorgesehen sind, können Leistungen außerhalb der Mitgliedschaft - als Ausnahme - nur dann in Betracht kommen, wenn das Gesetz sie ausdrücklich anordnet. Aus § 183 Abs. 2 RVO läßt sich jedoch eine Leistungsgestaltung, wie sie der Kläger erstrebt, nicht herleiten. Da Krankenpflege und Krankenhauspflege sowie Krankengeld nur bei bestehender Mitgliedschaft zeitlich unbegrenzt gewährt werden, beim Ausscheiden aus der Versicherung dagegen sowohl Krankenpflege als auch Krankenhauspflege nach 26 Wochen enden (§ 183 Abs. 1 Satz 2, § 184 Abs. 1 Satz 2 RVO), ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, daß nach dem Ausscheiden des Mitglieds aus der Versicherung und nach Ablauf der nachgehenden 26-Wochen-Frist ein Krankengeldanspruch neu oder erneut zur Entstehung kommen könnte. Der mit Ablauf der Bezugsperiode endende Krankengeldanspruch entsteht nach Ablauf der Blockfrist von drei Jahren (§ 183 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 RVO) deshalb nur dann neu, wenn eine Mitgliedschaft als tragende Rechtsgrundlage des Anspruchs vorhanden ist; und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Arbeitsunfähigkeit zwischenzeitlich durchgehend bestanden hat oder ob sie von Arbeitsfähigkeit unterbrochen worden ist (vgl. hierzu ausführlich die beiden genannten Urteile des Senats vom 5. Oktober 1977).

Das Prinzip der Einheit des Versicherungsfalls vermag für sich allein - ohne Mitgliedschaft - die Entstehung oder Wiederentstehung des Anspruchs nicht zu tragen. Die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der Höchstbezugszeit ebenso wie die Fortdauer der Behandlungsbedürftigkeit nach Wegfall des Krankengeldanspruchs lösen für den Versicherten, der aus der Mitgliedschaft ausgeschieden und dessen nachgehende Ansprüche abgelaufen sind, keine leistungsrechtlichen Folgen mehr aus. Es wäre unverständlich, wenn die soziale Krankenversicherung einem Erkrankten infolge mangelnder Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft der Versicherten zwar die ärztliche Behandlung seiner Krankheit und alle anderen Leistungen der Krankenpflege sowie auch Krankenhauspflege verweigern müßte (kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung - § 183 Abs. 1 Satz 2, § 184 Abs. 1 Satz 2 RVO -), ihm aber dennoch bei entsprechender Dauer seiner Erkrankung alle drei Jahre für 78 Wochen eine Geldleistung zu zahlen hätte. Zu diesem Ergebnis würde die vom Kläger vertretene Auffassung führen. Eine solche Intervallzahlung hätte dann einen rentenähnlichen Charakter und stünde schon deshalb mit der Leistungscharakteristik der gesetzlichen Krankenversicherung im System der sozialen Sicherheit nicht im Einklang. Hinzu käme, daß diese Zahlung infolge der Berechnungsvorschriften des Krankengeldes sich in aller Regel auf einen weit höheren Betrag belaufen würde als die eigentlichen Dauerleistungen, die das System der sozialen Sicherheit bei langfristigem Ausfall der Erwerbsfähigkeit vorsieht, nämlich die Renten der Rentenversicherung. Schließlich wäre es auch sinnwidrig - hierauf hat der Senat bereits in der Entscheidung vom 2. Oktober 1970 (SozR Nr. 54 zu § 183 RVO), wenn auch in anderem Zusammenhang, hingewiesen -, daß der Erkrankte zwar bei Arbeitsunfähigkeit alle drei Jahre eine Geldleistung erhalten könnte, daß ihm aber die Versicherung gerade den Nachweis jener Arbeitsunfähigkeit durch kassenärztliche Untersuchung nicht gewähren dürfte, weil es sich dabei um eine ausgeschlossene Leistung der Krankenpflege handelt.

Nach alledem konnte für den Kläger weder bei Beginn der zweiten Blockfrist am 23. November 1973 noch zur Zeit der Antragstellung am 19. Juni 1974 ein Anspruch auf Krankengeld zur Entstehung gelangen; denn der Kläger war damals nicht mehr Mitglied der Beklagten und ihm standen auch nachgehende Ansprüche auf Krankenpflege oder Krankenhauspflege nicht mehr zu. Auf die Revision der Beklagten müssen deshalb die dem Kläger das begehrte Krankengeld zusprechenden Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Klage muß abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654602

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