Leitsatz (amtlich)

Hat ein Unfallversicherungsträger die vorläufige Rente auf Grund des RVO § 622 Abs 2 S 1 Dauerrente werden lassen, obwohl er noch vorher ein ärztliches Gutachten eingeholt hatte, so kommt es für eine Neufeststellung der Dauerrente (RVO § 622 Abs 1) auf eine wesentliche Änderung der Verhältnisse an, die für die letzte Feststellung der vorläufigen Rente maßgebend gewesen sind.

 

Normenkette

RVO § 622 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1963-04-30, Abs. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 1965 und des Sozialgerichts Schleswig vom 13. November 1964 werden aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin erlitt bei ihrem Arbeitsunfall am 3. Juli 1961 einen Bruch des 3. Lendenwirbels. Wegen der Unfallfolgen gewährte ihr die Beklagte durch Bescheid vom 18. Januar 1962 eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H. bis Mitte Januar 1962, anschließend um 20 v. H.; maßgebend hierfür war das Gutachten der Diakonissenanstalt F (Oberarzt Dr. E) vom 3. Dezember 1961. Nachuntersuchungen der Klägerin durch Dr. E erfolgten im Juni 1962 und Januar 1963; dabei wurde eine wesentliche Befundbesserung verneint, obgleich im Januar 1963 bereits eine knöcherne Verheilung des Wirbelbruchs röntgenologisch erkennbar war. Im Mai 1963 übersandte die Beklagte der Diakonissenanstalt den Gutachten-Vordruck zwecks Festsetzung der ersten Dauerrente. Die am 10. Juni 1963 durchgeführte Untersuchung ergab einen Befund, welcher nach Ansicht des Dr. E eine MdE von weiterhin 20 v. H. rechtfertigte. Nachdem das am 23. Juni 1963 angefertigte Gutachten am 1. Juli 1963 bei der Beklagten eingegangen war, verfügte der Sachbearbeiter folgenden Aktenvermerk vom 5. Juli 1963: "Nach dem Fachgutachten beträgt die unfallbedingte MdE unverändert 20 %. Die Rente ist mit dem 3.7.1963 automatisch Dauerrente geworden (§ 622 Abs. 2 RVO nF). Ein Dauerrentenbescheid wird daher nicht erteilt".

Im April 1964 wurde die Klägerin nochmals in der Diakonissenanstalt F untersucht. Oberarzt Dr. B schätzte in seinem Gutachten die unfallbedingte MdE auf nunmehr noch 10 v. H.; die von ihm angenommene Änderung begründeter damit, daß die Wirbelfraktur knöchern durchgebaut sei und sich der objektive Befund - trotz unveränderter subjektiver Beschwerden der Klägerin - gebessert habe; die Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule sei zwar noch schmerzhaft, jedoch habe sich bei Vornüberbeugung der Finger-Bodenabstand um 7 cm gegenüber der letzten Untersuchung vor zehn Monaten verkürzt; die Empfindungsstörung am rechten Oberschenkel sei in ihrer Ausdehnung zurückgegangen. Hiermit begründete auch die Beklagte ihren Bescheid vom 2. Juni 1964, durch den sie die Dauerrente mit Ablauf Juli 1964 entzog.

Der vom Sozialgericht (SG) Schleswig gehörte Sachverständige Dr. P hat ausgeführt, ein Vergleich der Gutachten vom Januar und vom Juni 1963 mit dem vom April 1964 ergebe im objektiven Befund keine wesentliche Änderung. Das SG hat durch Urteil vom 13. November 1964 den angefochtenen Rentenentziehungsbescheid aufgehoben: Für den Nachweis einer objektiven Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 622 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO idF durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 - UVNG -) komme als Vergleichsbefund nur derjenige des Gutachtens vom 23. Juni 1963 in Betracht, weil die Beklagte ihr Verhalten danach ausgerichtet habe, wie der Aktenvermerk vom 5. Juli 1963 zeige. Gegenüber dem Befund vom Juni 1963 habe die Nachuntersuchung im April 1964 keine wesentliche Besserung ergeben, auch keine Änderung um nur 5 v. H., die beim Wegfall einer Rente von 20 v. H. nach der Rechtsprechung ausreichen würde.

Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 21. Mai 1965 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Eine wesentliche Änderung der Befunde sei zwar ohne weiteres bei einem Vergleich des Gutachtens vom April 1964 mit demjenigen vom Dezember 1961 festzustellen, nicht dagegen bei einem Vergleich der Gutachten vom April 1964 und vom Juni 1963. Maßgebend sei aber allein der letztgenannte Vergleich. Das Verhalten der Beklagten nach dem Empfang des Gutachtens vom 23. Juni 1963 komme der Erteilung eines Dauerrentenbescheids gleich. Die kraft Gesetzes eingetretene Umwandlung der vorläufigen Rente in eine Dauerrente, die den Erlaß eines ausdrücklichen Bescheids über die Feststellung der ersten Dauerrente entbehrlich mache und ersetze, habe die gleiche Wirkung wie ein Feststellungsbescheid. Habe der Versicherungsträger nach Feststellung der vorläufigen Rente innerhalb der zwei Jahre - mit oder ohne ärztliche Begutachtung - nichts zur Erteilung eines Dauerrentenbescheids getan und so - gewollt oder ungewollt - den automatischen Eintritt der Dauerrente herbeigeführt, dann müsse er sich so behandeln lassen wie im Fall einer Bescheiderteilung, d. h., als für die Dauerberentung maßgebender Zustand des Versicherten kämen die unfallbedingten Gesundheitsstörungen in Betracht, wie sie sich zuletzt vor Ablauf der Zweijahresfrist darstellten. Wollte man hier zwischen dem Eintritt der Dauerrente kraft Gesetzes und ihrer bescheidmäßigen Feststellung unterscheiden, so hätte dies zur Folge, daß die Versicherten einen geringeren Schutz genössen, wenn kein förmlicher Bescheid ergehe, während in Wahrheit die Regelung des § 622 Abs. 2 RVO den Interessen der Versicherten bei Säumigkeit des Versicherungsträgers zu dienen bestimmt sei. - Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 5. Juli 1965 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23. Juli 1965 Revision eingelegt mit dem Antrag,

unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Innerhalb der gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bis zum 5. Oktober 1965 verlängerten Frist hat die Beklagte die Revision im wesentlichen wie folgt begründet:

In tatsächlicher Hinsicht beruhe die Feststellung des LSG, beim Vergleich der Befunde vom April 1964 und vom Juni 1963 ergebe sich keine wesentliche Änderung der Verhältnisse, auf einer fehlerhaften Beweiswürdigung. In rechtlicher Beziehung habe das LSG § 622 Abs. 2 Satz 1 RVO unrichtig angewandt. Diese Vorschrift diene lediglich der Besitzstandwahrung im Interesse der Versicherten hinsichtlich des Laufes der Schutzfrist (§ 622 Abs. 2 Satz 2 RVO), keinesfalls aber dürfe bei der Auslegung des § 622 Abs. 1 RVO der Unterschied zwischen einer Dauerrentenfeststellung durch Bescheid und ihrem Eintritt kraft Gesetzes verwischt werden. Eine wesentliche Änderung in den für die Feststellung der Leistung maßgebend gewesenen Verhältnisse könne sich eindeutig nur auf ein förmliches Feststellungsverfahren vor dem Rentenausschuß beziehen, nicht dagegen auf verwaltungsinterne Vorgänge, wie etwa den Aktenvermerk vom 5. Juli 1963. Die Rechtsauffassung des LSG laufe auf eine Ausschaltung der Rentenausschüsse durch die Gerichte hinaus.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten.

Beide Beteiligte haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

II

Die Revision ist statthaft und zulässig. Sie hat auch Erfolg.

Das LSG ist davon ausgegangen, eine wesentliche Änderung in den für die Leistungsfeststellung maßgebend gewesenen Verhältnissen liege zwar vor, wenn man den im Gutachten vom April 1964 festgelegten Befund mit demjenigen vom Dezember 1961 vergleiche, welcher der Bewilligung der vorläufigen Rente zugrunde gelegen hatte; hierauf komme es jedoch nicht an. Vielmehr sei für eine die Entziehung der Dauerrente rechtfertigende Änderung der Verhältnisse der Vergleich mit dem im Juni 1963 erhobenen Befund maßgebend, insoweit sei aber bis April 1964 keine wesentliche Änderung eingetreten.

Die Revision greift zunächst die letztgenannte Feststellung mit Rügen fehlerhafter Beweiswürdigung an und meint, bei ordnungsmäßigem Verfahren hätte das LSG zwangsläufig feststellen müssen, daß sich die Verhältnisse im April 1964 im Vergleich zu Juni 1963 wesentlich geändert hätten. Dieses Vorbringen ist unbegründet, da es nicht ersichtlich macht, inwiefern das LSG die Grenzen des Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten, insbesondere gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen haben könnte (vgl. BSG 2, 236). Insbesondere brauchte das LSG kein entscheidendes Gewicht darauf zu legen, daß Dr. B. im Gutachten vom April 1964 die unfallbedingte MdE nur noch mit 10 v. H. bewertete, während Dr. E im Juni 1963 die MdE auf 20 v. H. geschätzt hatte; auch bei der Anwendung des § 622 Abs. 1 RVO ist für die gerichtliche Beweiswürdigung in erster Linie der ärztlich festgestellte Befund bedeutsam, während es auf die ärztliche MdE-Schätzung nicht ausschlaggebend ankommt (vgl. BSG 4, 147, 149, SozR RVO § 608 aF Nr. 3, SGG § 128 Nr. 25; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 6. Aufl., S. 568 b). Das LSG hat verfahrensrechtlich bedenkenfrei angenommen, daß die im Entziehungsbescheid vom 2. Juni 1964 angeführten Besserungsmomente für den Nachweis einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse - hierfür würde nach Lage des Falles schon ein Rückgang der MdE auf 15 v. H. genügen (vgl. SozR RVO § 608 aF Nr. 8) - nicht ausreichten; denn der knöcherne Durchbau der Frakturstelle wurde bereits seit Januar 1963 in den Röntgenbefunden beschrieben, und die Verringerung des Finger-Bodenabstands beim Bücken um 7 cm konnte im Hinblick auf die Schwankungsbreite der Meßwerte nicht als wesentliche Änderung erachtet werden. Die Revisionsbegründung ist nicht geeignet, diese Auffassung schlüssig zu widerlegen.

Hiernach kommt es entscheidend darauf an, ob die Revisionsangriffe gegen die vom LSG vertretene Rechtsauffassung zutreffen, daß als Ausgangspunkt für eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 622 Abs. 1 RVO nicht der bei Feststellung der vorläufigen Rente Ende 1961 gegebene Befund, sondern der letzte vor dem kraft Gesetzes erfolgten Eintritt der Dauerrente nachweisbare Befund in Betracht kommt. In dieser Frage kann der erkennende Senat der Ansicht des LSG nicht beipflichten.

Die - gemäß Art. 4 § 2 Abs. 1 UVNG hier anwendbare - Vorschrift des § 622 Abs. 1 RVO stellt es auf eine Änderung der Verhältnisse ab, die für die Feststellung der Leistung maßgebend gewesen sind. Der Revision ist einzuräumen, daß der vom Gesetzgeber gewählte Ausdruck "Feststellung" auf das Erfordernis eines förmlichen, in der Erteilung eines klagefähigen Bescheides gipfelnden Feststellungsverfahrens unter Mitwirkung des Rentenausschusses (§§ 1568 ff RVO) hindeuten könnte. Maßgebend für die Beurteilung einer wesentlichen Änderung wäre somit stets der dem letzten bindend gewordenen Bescheid zugrunde liegende Tatbestand (so auch Schieckel/Göbelsmann, RVO-Gesamtkommentar, Anm. 1 zu § 622). Eine so eng am Gesetzeswortlaut orientierte Auslegung steht jedoch nicht im Einklang mit der Rechtsprechung, die bereits unter der Geltung des § 608 RVO aF auch eine formlose Erklärung des Versicherungsträgers als "Feststellung der Entschädigung" angesehen hat (vgl. BSG 12, 273, 275). Im Hinblick auf die auch in § 622 Abs. 1 RVO im wesentlichen gleichgebliebene Gesetzesfassung besteht nach Meinung des Senats kein Anlaß, für das seit dem 1. Juli 1963 geltende Recht eine einschränkende Auslegung im Sinne der Revisionsausführungen gutzuheißen. Auf die formale Seite der "Feststellung" kommt es also auch bei § 622 Abs. 1 RVO nicht an (ebenso Miesbach-Baumer, Die gesetzliche Unfallversicherung, Anm. 4 zu § 622). Als Akt der Leistungsfeststellung kommt z. B. auch ein Prozeßvergleich in Betracht, sofern sein Inhalt eine Konkretisierung der für die Leistungsgewährung zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Verhältnisse erkennen läßt (vgl. BSG 26, 227; ähnlich schon Urteil vom 30. Juli 1965, 2 RU 110/62; s. auch BSG 19, 5, 7).

Im vorliegenden Fall sind die Verhältnisse, wie sie bei der Klägerin zuletzt vor Ablauf von zwei Jahren seit dem Unfall bestanden, zwar durch den im Gutachten vom 23. Juni 1963 wiedergegebenen Befund dargestellt worden, indessen fehlt es an einer nach außen gerichteten Erklärung der Beklagten, daß sie diese Verhältnisse als für die Feststellung der ersten Dauerrente maßgebend ansehen wollte; stattdessen ist am 5. Juli 1963 - also nach Ablauf des in § 622 Abs. 2 Satz 1 RVO genannten Zeitraums - lediglich der Vermerk des Sachbearbeiters zu den Akten gelangt, der die soeben vollendete Umwandlung der vorläufigen Rente in die Dauerrente bloß noch registriert hat. Die Vorinstanzen haben hierin ein konkludentes Verhalten der Beklagten erblickt, welches der Erteilung eines Dauerrentenbescheids gleichkomme. Diese Betrachtungsweise beruht auf sozialpolitischen Erwägungen, bei denen verkannt wird, daß die mit dem UVNG eingeführte Neuregelung, insbesondere die Schaffung der "automatischen Dauerrente" des § 622 Abs. 2 Satz 1 RVO nicht nur durchweg Vergünstigungen, sondern auch - rechtlich nicht zu umgehende - Nachteile für die Rentenbezieher mit sich gebracht hat (vgl. Schieckel/Göbelsmann aaO Anm. 3; Krüger, BG 1964, 155, 156, Fußnote 9).

§ 622 Abs. 2 Satz 1 RVO hat den alten Rechtszustand, daß eine vorläufige Rente nach Ablauf von zwei Jahren nicht von selbst zur Dauerrente werden konnte (vgl. BSG 2, 245, 247), beseitigt. Die bisher schon auf Grund des § 1585 Abs. 2 Satz 1 RVO bestehende Pflicht des Versicherungsträgers, "spätestens" mit Ablauf von zwei Jahren nach dem Unfall die Dauerrente festzustellen, ist nunmehr durch den gesetzlich bestimmten Termin, an dem die Rente "automatisch" zur Dauerrente wird, mit einem verstärkten Zwang ausgestattet worden. Um die Konsequenz des § 622 Abs. 2 Satz 1 zu vermeiden, muß der Versicherungsträger rechtzeitig die Vorbereitungen für den fristgerechten Erlaß des ersten Dauerrentenbescheids (vgl. hierzu BSG 24, 36; s. aber auch LSG NRW, Breith. 1967, 114 und Gerken, SozVers 1966, 336) treffen, d. h. im Regelfall vor allem den Rentenbezieher ärztlich begutachten lassen. Trifft nun - was sich auch bei rechtzeitiger Vorbereitung nicht immer vermeiden läßt - das angeforderte Gutachten wegen Überlastung der beauftragten Ärzte oder wegen zeitraubender Untersuchungen erst nach Ablauf der zweijährigen Frist beim Versicherungsträger ein, so wird die bereits kraft Gesetzes entstandene Dauerrente selbstverständlich auch dann nicht mehr von dem neu ermittelten Befund berührt, wenn dieser bei einer noch vor Fristablauf stattgefundenen Untersuchung erhoben worden war. Ist das Gutachten - wie im vorliegenden Fall - zwar noch rechtzeitig beim Versicherungsträger eingegangen, von diesem jedoch nicht durch eine dem Versicherten abgegebene Erklärung sanktioniert worden, so läßt sich nicht mit der für die Anwendung des § 622 Abs. 1 RVO gebotenen Klarheit erkennen, ob nunmehr die nach dem jetzigen Befund anzunehmenden Verhältnisse für die Gewährung der Dauerrente maßgebend sein sollen. Hierbei darf insbesondere nicht außer acht gelassen werden, daß aus der Natur der Sache heraus dem Versicherungsträger eine Würdigung der von ihm eingeholten ärztlichen Gutachten vorbehalten bleibt und daß in nicht seltenen Fällen bei der besonders bedeutsamen Feststellung der ersten Dauerrente eine wiederholte Begutachtung für die Überzeugungsbildung des Versicherungsträgers unerläßlich erscheint. Da solche Umstände grundsätzlich nicht auszuschließen sind, bestehen von vornherein Bedenken dagegen, mit dem LSG das Schweigen des Versicherungsträgers als konkludentes Verhalten zu deuten.

Der vom LSG vertretenen Auffassung steht auch der Gesetzeswortlaut entgegen. § 622 Abs. 2 Satz 1 RVO besagt, daß "die Rente" - d. h. die bisherige vorläufige Rente mit ihrem Zahlbetrag und ihren Berechnungsgrundlagen - Dauerrente wird.

Hiermit würde es nicht im Einklang stehen, wenn ein dem Versicherungsträger zwar noch übermittelter, aber von ihm nicht mehr ausgewerteter ärztlicher Befund der Höhe der für die Dauerrente maßgebenden MdE unterschoben würde (vgl. Krüger aaO S. 156 zu II 1).

Der erkennende Senat ist hiernach der Meinung, daß als "Feststellung der Leistung" im Sinne des § 622 Abs. 1 RVO, wodurch die als Vergleichsbefund maßgebenden Verhältnisse bestimmt werden, jedenfalls ein formloser Verwaltungsakt des Versicherungsträgers zwar ausreicht, aber auch erforderlich ist. Fehlt es auch an einer solchen formlosen Erklärung gegenüber dem Versicherten, so kann ein vor Ablauf der Zweijahresfrist erhobener ärztlicher Befund nicht als maßgebende Vergleichsgrundlage für eine spätere Neufeststellung dienen, vielmehr ist in dem dann gegebenen Fall des "automatischen" Eintritts der ersten Dauerrente die wesentliche Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Befund aus der Zeit der vorläufigen Rentenfeststellung zu prüfen (ebenso Krüger aaO; Noell/Breitbach, Landwirtschaftliche Unfallversicherung, Anm. 2 b zu § 622; Bereiter-Hahn, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 4 zu § 622). Auch bei dieser Gesetzesauslegung verbleibt dem Rentenbezieher aus der Regelung des § 622 Abs. 2 Satz 1 RVO der Vorteil, daß er die Rente als Dauerrente mit der Schutzjahrwirkung des § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO weitererhält.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten erweist sich nach alledem als rechtmäßig; denn nach den Feststellungen des LSG hatten sich im Zeitpunkt der Bescheiderteilung die Verhältnisse, wie sie für die Feststellung der vorläufigen Rente Ende 1961 maßgebend gewesen waren, so wesentlich geändert, daß die Dauerrente von 20 v. H. entzogen werden durfte. Die Beklagte hat auch das vom 3. Juli 1963 anlaufende Schutzjahr (§ 622 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVO) eingehalten (vgl. Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 5 f zu § 622).

Auf die mithin begründete Revision der Beklagten muß demgemäß unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Klage abgewiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 244

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