Leitsatz (amtlich)

Versicherungsschutz auf dem Weg zur Tätigkeit kann auch bestehen, wenn nur noch eine kurze Zeit gearbeitet werden soll oder der Weg nach einer längeren Pause zum 2. Mal am selben Tag zurückgelegt wird.

 

Normenkette

RVO § 550 Abs 1 Fassung: 1974-04-01

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 03.11.1982; Aktenzeichen L 17 U 204/81)

SG Detmold (Entscheidung vom 12.10.1981; Aktenzeichen S 4 U 62/81)

 

Tatbestand

Der 1905 geborene Kläger ist selbständiger Friseurmeister. Er erlitt am 3. August 1979 gegen 17.35 Uhr einen Verkehrsunfall, bei dem er so schwer verletzt wurde, daß das rechte Bein im Oberschenkel amputiert werden mußte.

Mit Bescheid vom 25. März 1981 lehnte die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) die Entschädigung ab, weil der Kläger sich nicht auf einem versicherten Weg befunden habe. Er sei in einer Pause während der Arbeitszeit zum Duschen nach Hause gefahren; das sei eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit, die nicht im Zusammenhang mit seinem Betrieb stehe.

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die Klage abgewiesen. Es hat erhebliche Zweifel geäußert, ob der Kläger überhaupt auf dem Weg ins Geschäft gewesen sei und nicht auf dem Weg zum Masseur. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls Verletztenrente zu zahlen. Es hat dazu festgestellt: Der Kläger habe als Selbständiger ein Friseurgeschäft geführt, das von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr durchgehend geöffnet gewesen sei; hiernach habe der Kläger den Kassenabschluß noch besorgt. Der Kläger sei täglich zum Mittagessen nach Hause gefahren. Am Unfalltage, einem Freitag, sei ein solcher Andrang gewesen, daß sowohl die Ehefrau des Klägers als auch eine Aushilfe mitgearbeitet hätten. Der Kläger habe erst spät, nämlich zwischen 15.30 Uhr und 16.00 Uhr eine Möglichkeit gefunden, zum Mittagessen nach Hause zu fahren. Er habe sich bei dieser Gelegenheit auch geduscht, weil er für den Abend für eine Massage vorgemerkt war. Auf dem Rückweg ins Geschäft sei er gegen 17.35 Uhr verunglückt. Das LSG hat angenommen, daß der Weg des Klägers, auf dem er verunglückte, nach § 550 Reichsversicherungsordnung (RVO) unter Versicherungsschutz gestanden habe. Der Kläger habe zwar am Unfalltage wegen des Kundenandranges seine Mittagspause nicht zur üblichen Zeit gehalten; er hätte jedoch noch mindestens eine Stunde in seinem Geschäft nach der Pause zu arbeiten gehabt. Daß der Kläger die Pause nicht nur zum Essen, sondern auch zu anderen privaten Verrichtungen genutzt habe, schade dem Versicherungsschutz nicht. Wenn auch das Duschen wegen des geplanten Besuchs beim Masseur für den Kläger wichtig gewesen sein möge, so sei es doch anläßlich der Mittagspause erledigt worden und sei nicht der alleinige Grund für die Arbeitsunterbrechung gewesen. Das LSG hielt auch das Überschreiten der für ein Mittagessen notwendigen Zeit für unschädlich. Es hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat gegen das Urteil des LSG Revision eingelegt. Sie meint, es sei nicht zu billigen, daß ein Zeitraum von zwei Stunden als zulässig und angemessen für eine Mittagspause eines Unternehmers angesehen werde, wenn man den Unfallversicherungsschutz betrachte, den abhängig Beschäftigte hätten. Das LSG habe nicht festgestellt, daß der Kläger ohne die (zudem verspätete) Einnahme eines Mittagessens nicht die nur kurze Zeit hätte weiterarbeiten können. Entgegen der Meinung des LSG seien auch die Wege zur Mittagessenseinnahme von der Arbeitsstätte aus und nach der Essenseinnahme zu dieser zurück wegen des eigenwirtschaftlichen Charakters der Essenseinnahme unversichert. Hier komme noch hinzu, daß der Kläger für die eigenwirtschaftliche Essensbetätigung eine Zeit von zwei Stunden in Anspruch genommen habe.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er meint, es gehe nicht um die Frage, ob die Einnahme des Essens selbst für einen Pflichtversicherten eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit sei, sondern allein um die Frage, ob der Weg von und zu der Arbeit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung falle; dieses könne keinem Zweifel unterliegen.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Der Unfall, den der Kläger am 3. August 1979 gegen 17.35 Uhr in Bad O. auf der B mit seinem Mofa erlitten hat, ist ein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall. Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Als Arbeitsunfall gilt nach § 550 Abs 1 RVO auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der Kläger ist auf Grund der Satzung der Beklagten als Unternehmer nach § 543 Abs 1 RVO versichert. Für den Weg des Klägers, auf dem er den Unfall erlitten hat, ist der Versicherungsschutz nach § 550 Abs 1 RVO zu bejahen. Nach dem festgestellten Sachverhalt des LSG, an den das Bundessozialgericht (BSG) nach § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebunden ist, weil in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht worden sind, ist der Kläger zur Zeit des Unfalls auf dem Weg von seiner Wohnung nach dem Ort seiner Tätigkeit gewesen. Allerdings genügte dies allein nicht für den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Dieser Weg nach dem Ort der Tätigkeit muß vielmehr auch mit den Tätigkeiten zusammenhängen. Für diesen Zusammenhang ist vor allem die Absicht des Versicherten wesentlich. Es kommt darauf an, daß der Weg zurückgelegt wird, um den Ort der Tätigkeit wegen der dort zu verrichtenden Tätigkeit zu erreichen. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sich von seiner Wohnung aus auf den Weg zu seinem Geschäft gemacht, um dort noch einer versicherten Tätigkeit nachzugehen. Wieviel Zeit für die noch geplante Arbeit verblieb, ist grundsätzlich nicht von Bedeutung. Das Gesetz sieht zB das Abheben eines Geldbetrages, das im allgemeinen keinen längeren Zeitaufwand erfordert, als eine versicherte Tätigkeit an (§ 548 Abs 1 Satz 2 RVO). Der Zusammenhang des Weges mit der versicherten Tätigkeit kann auch nicht deshalb verneint werden, weil der Kläger seine Tätigkeit an diesem Tage zum zweiten Mal aufnehmen wollte. Denn der Versicherungsschutz nach § 550 Abs 1 RVO ist nicht auf täglich nur einen einzigen Weg nach dem Ort der Tätigkeit beschränkt (BSG 2200 § 550 Nrn 25 und 62). Es bestehen deshalb keine Bedenken, bei einer zweigeteilten Arbeitszeit, wie sie beispielsweise bei Beschäftigten der Verkehrsbetriebe bei geteiltem Dienst oder etwa bei Berufsmusikern, die morgens Dienste während einer Orchesterprobe verrichten und erst zum Abend für eine Konzertaufführung ihren Dienst wieder aufnehmen müssen, je zwei Wege am Tage zur Arbeit hin und von der Arbeit weg als versichert anzusehen. Dasselbe hat auch grundsätzlich zu gelten für Beschäftigte bei Ärzten und Anwälten, in Geschäften und Banken, die ihre Arbeit für zwei bis drei Stunden unterbrechen. Es ist diesen Versicherten nicht zuzumuten, während einer so langen Zeit sich am Arbeitsplatz aufzuhalten. Vielmehr ist es verständlich und üblich, eine so lange Unterbrechung für eine Heimfahrt zu nützen. Etwas anderes hat der Kläger am Unfalltage auch nicht getan. Er hat sogar die im allgemeinen zur Mittagszeit genommene Arbeitspause wegen der betrieblichen Erfordernisse verschoben. Dadurch wurde die Zeit seines Weges von und nach der Arbeitsstätte noch mehr als allgemein üblich durch die Tätigkeit in seinem Geschäft bestimmt.

Für den Versicherungsschutz des Klägers ist es unschädlich, daß er während der Pause nicht nur gegessen, sondern sich auch geduscht und möglicherweise noch anderes getan hat. Zwar sind Duschen und andere Tätigkeiten eigenwirtschaftlich, ebenso wie das Essen. Sie schließen den Versicherungsschutz für den Weg von der Arbeitsstätte zu diesen eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten und von hier zurück zur Arbeitsstätte nur dann aus, wenn sie der wesentliche Zweck des Weges sind. Das ist jedoch im allgemeinen bei Wegen, die ein Versicherter in der Mittagspause zurücklegt, um das Mittagessen einzunehmen, nicht der Fall (vgl BSG, Urteil vom 18. Dezember 1969 - 2 RU 252/67 - in BB 1970, 712 = USK 69130). Auch aus diesem Grunde war der Weg des Klägers bei seinem Unfall nach § 550 Abs 1 RVO geschützt. Der Zweck des Weges nach Hause war nicht in erster Linie die Verrichtung eigenwirtschaftlicher Tätigkeiten, sondern die Rückkehr in die Wohnung wegen einer längeren Pause; der eine Endpunkt dieses Weges war der Arbeitsplatz, der andere die Wohnung (vgl BSG SozR 2200 § 550 Nr 62). Gegen diesen Versicherungsschutz kann auch nicht, wie die Revision es meint, eingewendet werden, der Kläger hätte die nur noch verbliebene kurze Arbeitszeit auch ohne Mittagessen überbrücken können. Die Revision verkennt dabei, daß das Bedürfnis des Klägers zu einem Mittagessen nicht dadurch entfallen ist, daß er dazu vor 16.00 Uhr wegen des Kundenandrangs keine Zeit gefunden hatte; der Kläger war deshalb nicht zur Erhaltung des Versicherungsschutzes genötigt, auch noch die restliche Arbeitszeit bis nach 18.00 Uhr ohne Essenseinnahme auszuharren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664533

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