Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 25.02.1965)

SG Heilbronn (Urteil vom 04.04.1963)

SG Heilbronn (Urteil vom 03.09.1959)

 

Tenor

Auf die Revision des Restitutionsbeklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Februar 1965 und das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 4. April 1963 aufgehoben.

Die Restitutionsklage des Restitutionsklägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 3. September 1959 wird als unzulässig verworfen.

Der Restitutionskläger hat dem Restitutionsbeklagten die außergerichtlichen Kosten für alle drei Instanzen zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger des Vorprozesses und jetzige Restitutionsbeklagte – nachfolgend als „Kläger” bezeichnet – wurde im Herbst 1946 aus dem Sudetenland in die Bundesrepublik umgesiedelt. Im November 1953 beantragte er Versorgung wegen „Gehirnepilepsie durch Kopfverletzung”; er gab dabei an, im Juli 1945 sei er auf dem Rückweg von der Arbeit von zwei Tschechen vom Rad gerissen und schwer mißhandelt worden; er sei mit dem Kopf auf die Straße aufgeschlagen und bewußtlos liegengeblieben; dabei habe er schwere Verletzungen am Kopf sowie eine Gehirnerschütterung erlitten. Der Kläger fügte eine Bescheinigung von Dr. G. vom 12. November 1953 bei. Danach stand er seit März 1948 „in hiesiger Praxis” in Behandlung wegen epileptischer Anfälle, die sich in letzter Zeit gehäuft hätten. Der Zeuge R. erklärte in einer eidesstattlichen Versicherung, der Kläger sei im Juli 1945 von zwei Tschechen vom Rad gerissen, getreten und geschlagen worden, so daß er bewußtlos auf der Straße liegengeblieben sei. Der Kläger habe klaffende Wunden an der Stirn sowie im Gesicht und eine Gehirnerschütterung erlitten. In einem Gutachten vom 10. November 1955 äußerten Prof. Dr. H., Oberarzt Dr. B. und Dr. W. – Nervenklinik des Bürgerhospitals Stuttgart – nach Erstellung eines EEG's die. Ansicht, der Kläger habe bei dem Geschehen offenbar nur eine Gehirnerschütterung erlitten; wahrscheinlich handele es sich bei ihm um eine genuine Epilepsie; konstitutionell gehöre der Kläger zum Status dysrhaphicus (embryonale Entwicklungsstörung), der durch eine erhöhte Krampfbereitschaft gekennzeichnet sei. Durch Bescheid des Versorgungsamtes (VersorgA) Stuttgart vom 12. Dezember 1955 wurde lediglich der Anspruch auf Heilbehandlung wegen „Narbe an der Stirn” anerkennt; im übrigen wurde der Versorgungsantrag abgelehnt. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Bescheid des Landesversorgungsamtes –LVersorgA– Baden-Württemberg vom 2. Juli 1956). Im Klageverfahren wurde ein Gutachten von Prof. Dr. W./Dr. B. (Universitäts-Nervenklinik Tübingen) vom 8. November 1957 eingeholt. Darin heißt es, retrospektiv werde man bei dem jetzigen neurologischen und EEG-Befund annehmen müssen, daß das Unfallereignis vom Juli 1945 nicht nur eine Gehirnerschütterung, sondern eine substantielle Hirnschädigung im Sinne einer Contusio cerebri bedingt habe; es handele sich um ein posttraumatisches Anfallsleiden, die schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage ab 1. November 1953 40 %.

Auf Anfrage des Sozialgerichts (SG) teilte die AOK Ludwigsburg mit Schreiben vom 5. März 1958 die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers – vorwiegend wegen Epilepsie – von 1955 bis 1957 mit; behandelnder Arzt sei immer Dr. G. gewesen. Die Psychiatrische und Nervenklinik Nürnberg (stationäre Behandlung vom 13. bis 15. August 1955) erstattete einen Befundbericht; darin lautet die Diagnose: „Epilepsie unklarer Aetiologie, Kyphoskoliose”. Der Zeuge R. erklärte vor dem SG, er sei im Juli 1946 – nicht, wie früher angegeben, im Juli 1945 – von der Schwester des Klägers zu Hilfe gerufen worden und habe den Kläger blutüberströmt und bewußtlos halb auf der Straße, halb im Graben liegend vorgefunden. Nach diesem Vorfall habe er den Kläger nicht mehr gesehen, sondern nur von Dr. L. erfahren, daß der Kläger eine schwere Gehirnerschütterung erlitten habe. Dr. G. teilte dem SG mit, der Kläger stehe erst seit dem 15. Juni 1951 in seiner Behandlung; nach seinen damaligen Angaben sei er von Tschechen überfallen und vom Rad heruntergeschlagen worden. Die Zeugin Maria H., Schwester des Klägers, bekundete, bei einem Spaziergang habe sie ihren Bruder blutüberströmt und besinnungslos auf der Straße gefunden; nach dem Unfall habe er einige Wochen im Bett gelegen. Der Arzt Dr. B. – früher Nervenklinik des Bürgerhospitals Stuttgart – meinte in einem Ergänzungsgutachten vom 8. Dezember 1958, die Schilderung der Mißhandlung durch die Tschechen enthalte Widersprüche. Nach dem EEG der Universitäts-Nervenklinik Tübingen sei zwar die Wahrscheinlichkeit für eine symptomatische Epilepsie größer geworden, damit sei aber die traumatische Genese nicht geklärt; möglicherweise sei das Ereignis vom Juli 1945 bereits ein epileptischer Anfall gewesen. Der Kläger sei eine erhebliche dysplastische Persönlichkeit; eine erhöhte Krampfbereitschaft sei anzunehmen. Das SG holte eine schriftliche Auskunft der Heimatortskartei für Sudetendeutsche ein und zog schriftliche Erklärungen von den Zeugen K., und L. bei; der Zeuge K. wurde durch einen ersuchten Richter vernommen. In einem Ergänzungsgutachten vom 6. April 1959 äußerten Prof. Dr. W. und Dr. B., das Anfallsleiden sei als Schädigungsfolge anzuerkennen, „vorausgesetzt, daß seine – des Klägers – Angaben glaubwürdig sind”.

Durch Urteil des SG Heilbronn vom 3. September 1959 wurde der Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 12. Dezember 1955 und 2. Juli 1956 verurteilt, dem Kläger wegen Anfallsleiden ab 1. November 1955 Rente nach einem Erwerbsminderungsgrad von 40 % zu gewähren. Das SG sah den Überfall durch die Tschechen im Juli 1946 als erwiesen an und folgte in medizinischer Hinsicht dem Gutachten der Universitäts-Nervenklinik Tübingen. Der Beklagte legte gegen das Urteil des SG kein Rechtsmittel ein. Der Ausführungsbescheid des VersorgA Stuttgart II erging am 6. November 1959.

Mit Schreiben vom 11. Dezember 1959 bat die AOK Ludwigsburg das VersorgA Stuttgart II (dort eingegangen am 15. Dezember 1959) um Bestätigung des Ersatzanspruchs gemäß § 19 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Diesem Schreiben hatte sie ihre Krankenakte beigefügt. Darin befand sich unter anderem ein vertrauensärztliches Gutachten der Landesversicherungsanstalt (LVA) Württemberg vom 4. Juli 1956 mit folgendem – auszugsweisem – Wortlaut:

„Pat. hat epileptische Anfälle. … Nach einem Gutachten von Dr. H. hat er aber schon während der Schulzeit „Ohnmachtsanfälle” gehabt. Ferner hatte er 1946, wie aus den Archivakten hervorgeht 9 einen Fahrradsturz und eine Platzwunde an der linken Stirnseite.”.

In dem erwähnten Gutachten (Arztbrief) vom 6. März 1951, das gleichfalls der Krankenakte beilag, hatte der Nervenarzt Dr. H. an den behandelnden Arzt Dr. K. geschrieben:

„Der Patient gibt an, während der Schulzeit häufig „Ohnmachtsanfälle” gehabt zu haben. Bei genauer Exploration stellt sich heraus, daß es sich um Absenzen gehandelt hat. Den ersten epileptischen Krampfanfall hat er mit 22 Jahren im Jahr 1947 gehabt, ….1946 Sturz vom Fahrrad, dabei Platzwunde an der linken Stirnseite, keine Bewußtlosigkeit. Die Platzwunde ist ziemlich rasch geheilt. … Nach der Vorgeschichte ist anzunehmen, daß es sich bei B. um eine genuine Epilepsie handelt. Die Kopfverletzung vom Juli 1946 war nicht schwer genug, um eine traumatische Epilepsie daraus herleiten zu können. …”.

Auf Anforderung übersandte die AOK Ludwigsburg außerdem ihre Archivakten. Darin lautet ein vertrauensärztliches Gutachten von Dr. F. vom 28. Februar 1951:

„Pat. ist 1946 vom Fahrrad gestürzt und hat sich an der linken Stirnseite verletzt …. War wegen Körperschwäche niemals Soldat. Patient gibt an, daß er in der Jugendzeit Ohnmachts-, aber keine Krampfanfälle gehabt hat. … Epileptische Anfälle, Ursache noch nicht aufgeklärte …”.

Dr. K. schrieb in einem Arztbrief vom 8. März 1951 an Dr. F.

„Zur gefl. Kenntnisnahme lege ich Originalschreiben von Dr. H. – vom 6. März 1951 – bei. Es bleibt also bei der von mir gestellten Diagnose genuine Epilepsien …”.

Am 7. März 1960 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag und bat um eine 100 %ige Rente. Das VersorgA veranlaßte eine Begutachtung durch Dr. F. (Neurologisches und Hirnverletzten-Versorgungskrankenhaus Tübingen). In dem Gutachten, das nach einer stationären Beobachtung vom 15. August bis 29. August 1960 erstattet ist, führte Dr. F. aus, die Ursache des Traumas (durch Mißhandlungen von Tschechen) stehe nicht fest; für eine Hirnverletzung finde sich kein Anhalt; das Anfallsleiden habe schon vorher bestanden; die Prognose von Absencen im Kindesalter sei im allgemeinen ungünstig, eine Ablösung der Absencen durch spätere generalisierte Anfälle werde häufig beobachtet; eine Verschlimmerung des schon seit der Kindheit bestehenden Krampfleidens durch die mit Wahrscheinlichkeit im – Jahre 1946 erlittene Hirnerschütterung sei abzulehnen. Die Akte wurde darauf dem LVersorgA Baden-Württemberg vorgelegt und ging dort am 14. Oktober 1960 ein. Mit Schriftsatz vom 7. November 1960, eingegangen beim SG Heilbronn am 9. November 1960, beantragte der Beklagte – nunmehr Restitutionskläger – die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 179 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 580 Nr. 7 b der Zivilprozeßordnung (ZPO) mit der Begründung, der Kläger – nunmehr Restitutionsbeklagter – habe das für ihn günstige Urteil vom 3. September 1959 durch unzutreffende Angaben erschlichen; die Anerkennung des Anfallsleidens sei zu Unrecht erfolgt. Der Kläger meinte demgegenüber, als Wiederaufnahmegrund schieden die vom Arzt festgehaltenen Darstellungen seines Patienten zwangsläufig aus; außerdem hätte der Beklagte die jetzt vorgelegten Gutachten schon im Hauptprozeß vorlegen können und müssen. In einer gutachtlichen Stellungnahme vom 29. Dezember 1961 erklärten die Ärzte Dr. M. und Dr. B. (Universitäts-Nervenklinik Tübingen), der Kläger habe bei der eingehenden Exploration während der Begutachtung vom November 1957 in der dortigen Klinik ausdrücklich verneint, früher ohnmachtsartige Zustände, Bewußtseinstrübungen oder Bewußtlosigkeitszustände gehabt zu haben. Nach den jetzigen Unterlagen könne eine Glaubwürdigkeit des Klägers, die zur Voraussetzung für die Anerkennung des Anfallsleidens gemacht worden sei, nicht mehr angenommen werden. Diagnostisch handele es sich zweifellos um ein Anfallsleiden unbekannter Ätiologie; die Wahrscheinlichkeit für die Annahme eines schädigungsbedingten Leidens sei nicht gegeben. Das SG hat Dr. H. uneidlich und die Mutter sowie den Vater und die Schwester des Klägers eidlich als Zeugen vernommen.

Durch Urteil des SG Heilbronn vom 4. April 1963 wurde – unter Aufhebung des Urteils des SG Heilbronn vom 3. September 1959 – die Klage gegen den Bescheid vom 12. Dezember 1955 idF des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 1956 abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 25. Februar 1965 zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen. In den Gründen ist ausgeführt, die Voraussetzungen zur Wiederaufnahme des Verfahrens lägen nach § 179 SGG iVm § 580 Nr. 7 b ZPO vor. Für die Entscheidung könne offenbleiben, ob dem LVersorgA bereits im Februar 1960 eine beglaubigte Abschrift des Arztbriefes des Nervenarztes Dr. H. vom 6. März 1951 vorgelegen habe. Jedenfalls stelle erst die vom Vertrauensarzt signierte Durchschrift des vertrauensärztlichen Gutachtens vom 4. Juli 1956 eine Urkunde im Sinne dieser Bestimmung dar. Als Urkunde sei hier nicht die ärztliche Beurteilung des Vertrauensarztes oder die von ihm wiedergegebene Auffassung des Dr. H. anzusehen, sondern die schriftliche Aufzeichnung der vom Kläger bei der Untersuchung durch Dr. H. angegebenen Krankheitsvorgeschichte. Diese Urkunde würde mit Sicherheit im Vorprozeß eine für den Beklagten günstigere Entscheidung herbeigeführt haben, wie sich aus dem zweiten Gutachten der Universitäts-Nervenklinik Tübingen ergebe. Der Beklagte sei erst durch das Auffinden des vertrauensärztlichen Gutachtens vom 4. Juli 1956 bzw. des Berichtes des Dr. H. in der Akte der AOK Ludwigsburg in den Stand gesetzt worden, diese Urkunde zu benutzen. Ob das SG seine Amtsermittlungspflicht verletzt habe, könne dahinstehen, da die Vorschrift des § 580 ZPO auf die Kenntnis der Prozeßpartei abstelle. Die Voraussetzungen des § 582 ZPO seien gegeben, obwohl der Beklagte gegen das frühere Urteil vom 3. September 1959 kein Rechtsmittel eingelegt habe; der Beklagte hätte damals auch in einem etwaigen Berufungsverfahren die jetzt wesentliche Urkunde mangels Kenntnis nicht benutzen können. Die Restitutionsklage sei rechtzeitig erhoben; die Monatsfrist des § 586 ZPO habe erst mit der Kenntnis des LVersorgA zu laufen begonnen. Das SG habe zutreffend die Restitutionsklage als begründet angesehen. Die Anerkennung der Epilepsie als Schädigungsfolge habe auf der unzutreffenden Annahme beruht, daß der Kläger bis zu dem Vorfall vom Juli 1946 keine Symptome eines Anfallsleidens gezeigt habe. Das Gegenteil ergebe sich jedoch aus den im Jahre 1951 bei Dr. H. (also unbeeinflußt vom Rentenverfahren) gemachten Angaben des Klägers zur Vorgeschichte.

Gegen dieses, ihm am 3. Mai 1965 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 25. Mai 1965, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 26. Mai 1965, Revision eingelegt und diese innerhalb der Revisionsbegründungsfrist rechtzeitig begründet.

Der Kläger beantragt nach seinen Schriftsätzen vom 25. Mai 1965 und 22. Juni 1965,

1) unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens kostenpflichtig zurückzuweisen,

2) hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Baden-Württemberg zurückzuverweisen.

Der Kläger rügt die Verletzung prozeßrechtlicher Vorschriften, insbesondere der §§ 580 Nr. 7 b, 582 ZPO und trägt hierzu vor, das vertrauensärztliche Gutachten der LVA Württemberg vom 4. Juli 1956 stelle entgegen der Auffassung des LSG weder eine Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO dar noch sei dieses Gutachten für den Beklagten unzugänglich gewesen. Ein ärztliches Gutachten beurkunde keine Tatsachen. Eine Aufspaltung des Gutachtens in einen Teil, der die ärztliche Beurteilung beinhalte, und einen Teil, der die Krankheitsvorgeschichte betreffe, wobei nur der letzte Teil als Urkunde angesehen werde, sei rechtlich unzulässig. Auch eine Krankheitsvorgeschichte besitze keine Urkundenqualität. Die Notizen eines Arztes zur Krankheitsvorgeschichte seien keine Tatsachen, sondern wiedergegebene Angaben des Patienten, die der Nachprüfung bedürften, ob sie nicht auf einem Irrtum des Arztes oder des Patienten beruhten. Auf dem Umweg über das Vorlegen einer Urkunde dürfe nicht nachträglich die Vernehmung weiterer Zeugen oder Sachverständiger erreicht werden. Durch die vom SG durchgeführte Vernehmung des Dr. H. als Zeuge sei offenbar geworden, daß nicht ein Urkundenbeweis, sondern ein Zeugenbeweis vorgelegen habe. Die angebliche Urkunde sei auch nicht nachträglich aufgefunden worden. Dem Beklagten sei bekannt gewesen, daß bei der AOK Akten über den Kläger existierten; allenfalls habe er davon aus grober Nachlässigkeit nichts gewußt; das müsse zu seinen Lasten gehen. Selbst wenn das SG seine Amtsermittlungspflicht verletzt haben sollte, so wäre es Pflicht des Beklagten gewesen, auf weitere Akten bei der AOK hinzuweisen. Der Beklagte sei überdies in der Lage gewesen, gegen das frühere Urteil vom 3. September 1959 Berufung einzulegen. Ein etwaiger Fehler des Beklagten könne nicht durch eine Restitutionsklage wieder ausgemerzt werden. Im übrigen sei die frühere Beurteilung richtig. Nach den übereinstimmenden Zeugenaussagen sei von einer Epilepsie des Klägers nichts bekannt gewesen; der Kläger habe nicht „häufig Ohnmachten” in seiner Kindheit gehabt, sondern sei nur etwa zwei Mal ohnmächtig geworden. Die Notiz von Dr. H. müsse auf einem Irrtum beruhen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 25. Februar 1965 als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Nach der in Rechtslehre und Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung sei ärztlichen Urkunden nur insoweit die Eigenschaft von Urkunden in dem hier beachtlichen Sinne abgesprochen worden, als darin ärztliche Beurteilungen enthalten seien. Dagegen handele es sich bei der Niederschrift der Anamnese um eine Festhaltung von Tatsachen und damit um eine Urkunde im Sinne des § 570 Nr. 7 b ZPO. Die Vernehmung des Zeugen Dr. H. habe nur auf die Feststellung abgezielt, mit welchem Grad von Verläßlichkeit die in seiner Niederschrift wiedergegebenen Tatsachen festgehalten worden seien. Gerade der Umstand, daß der Kläger überhaupt einmal solche Angaben gemacht habe, sei eine für den Ausgang des ursprünglichen Verfahrens wesentliche Tatsache. Dem Beklagten sei nicht bekannt gewesen, daß bei der AOK Ludwigsburg noch weitere Unterlagen vorhanden waren, zumal die AOK auf Anforderung des SG nur die Behandlungen ab 1955 angegeben und der Kläger selbst eine frühere Behandlung bei Dr. H. oder einem anderen Nervenfacharzt nie erwähnt habe. Eine Berufung gegen das Ersturteil ohne Kenntnis der jetzt entscheidenden Unterlagen habe wenig Aussicht auf Erfolg geboten. Sachlich sei der Anspruch des Klägers auf Anerkennung seiner Epilepsie als Versorgungsleiden völlig unbegründet.

Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist daher zulässig; der Kläger mußte mit seinem Rechtsmittel auch in der Sache Erfolg haben.

Die Parteien streiten darüber, ob die Restitutionsklage des Beklagten – Restitutionsklägers –, die auf §§ 179 SGG, 580 Nr. 7 b ZPO gestützt ist, insgesamt zulässig (§§ 586 iVm 589, 582 ZPO), statthaft (§§ 580, 589 ZPO) und begründet (§ 590 ZPO) ist. Die Restitutionsklage ist rechtzeitig erhoben. Der Beklagte hat die Notfrist von einem Monat des § 586 Abs. 1 ZPO zur Erhebung der Restitutionsklage gewahrt. Nach dieser Vorschrift beginnt die Frist mit dem Tage zu laufen, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat (§ 586 Abs. 2 ZPO). Das LSG hat keine Feststellung darüber getroffen, wann das VersorgA Stuttgart II von den ärztlichen. Unterlagen mit den darin niedergelegten Angaben des Klägers über angebliche Vorerkrankungen erfahren hat. Dieser Feststellung bedurfte es auch nicht, da es für die Fristwahrung nicht auf die Kenntnis des VersorgA, sondern auf die Kenntnis des LVersorgA ankommt. Der erkennende Senat schließt sich in dieser Frage den Entscheidungen des Reichsversorgungsgerichts (RVG) – Bd. 6, 81 – und des 80 Senats des BSG (vom 19. Dezember 1967 in BSG 27, 259) an. Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift des § 71 Abs. 5 SGG wird in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung (KOV) das Land durch das LVersorgA vertreten. Das LVersorgA ist hiernach für das gesamte durch das SGG geregelte Prozeßverfahren ausschließlich zuständig. Auch zur Beseitigung des rechtskräftigen Urteils des SG Heilbronn vom 3. September 1959 durch Erhebung einer Restitutionsklage, die auch eine Prozeßhandlung nach dem SGG darstellt, ist die ausschließliche Zuständigkeit des LVersorgA als der sachbearbeitenden Stelle gegeben, auf dessen Kenntnis vom Anfechtungsgrund es demnach für die Berechnung der Monatsfrist ankommt. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG sind die Versorgungsakten am 14. Oktober 1960 dem ärztlichen Dienst des LVersorgA vorgelegt worden. Die Klage ist also am 9. November 1960 rechtzeitig erhoben worden. Zu diesem Zeitpunkt war auch die 5-Jahresfrist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO zur Erhebung der Restitutionsklage gegen das Urteil des SG Heilbronn vom 3. September 1959 noch nicht abgelaufen.

Die Restitutionsklage ist auch nicht etwa deshalb unzulässig, weil der Beklagte es schuldhaft versäumt hätte, in dem früheren Verfahren Berufung einzulegen (§ 582 ZPO). Zwar lagen in dem Vorprozeß widersprechende ärztliche Gutachten vor; bei dieser Sachlage wäre auch eine andere Entscheidung im Rechtsmittelverfahren möglich gewesen. Für die Zulässigkeit der Restitutionsklage kommt es aber nicht darauf an, daß der Restitutionskläger im Vorprozeß alle Rechtsmittel ausgeschöpft hat. § 582 ZPO stellt es allein darauf ab, daß die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, den Restitutionsgrund durch ein Rechtsmittel geltend zu machen. Im vorliegenden Falle hat die Versorgungsverwaltung von dem Restitutionsgrund erst nach Ablauf der Berufungsfrist Kenntnis erlangt. Das Urteil des SG Heilbronn war dem Beklagten am 11. September 1959 zugestellt worden; das Schreiben der AOK Ludwigsburg ging aber erst am 15. Dezember 1959 bei dem VersorgA ein.

Die Restitutionsklage ist aber nicht statthaft. Das LSG hat als Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO die vom Vertrauensarzt signierte Durchschrift des vertrauensärztlichen Gutachtens vom 4. Juli 1956 (Bl. 43 der Versorgungsakten) angesehen, wobei es erläuternd hinzugefügt hat, Urkunde sei hier nicht die ärztliche Beurteilung des Vertrauensarztes Dr. F. oder die von ihm wiedergegebene Auffassung des Dr. H. sondern „die schriftliche Aufzeichnung der vom Kläger bei der früheren Untersuchung durch Dr. H. angegebenen Krankheitsvorgeschichte”. Diese Auffassung hält jedoch einer Nachprüfung nicht stand, da das LSG den Begriff der Urkunde im Sinne dieser Vorschrift verkannt hat. Dem LSG ist – entgegen der Ansicht des Klägers – darin zuzustimmen, daß es sich bei dem vertrauensärztlichen Gutachten vom 4. Juli 1956 um eine Urkunde im Rechtssinne handelt. Nach der nahezu einhellig vertretenen Auffassung ist eine Urkunde im Sinne der §§ 415 ff ZPO die Verkörperung einer Gedankenäußerung in vereinbarten Schriftzeichen (sog. „schriftliche Urkunde”, vgl. Stein-Jonas, ZPO, 18. Aufl., Vorbem. zu § 415 ZPO; Wieczorek, ZPO, § 415 Anm. A; Zoller, ZPO, 10.Aufl., Übersicht vor §§ 415 ff, Anm. II; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 80 Aufl., § 118 Anm. I 1). Dabei ist es unerheblich, ob die Urkunde bereits bei ihrer Errichtung zum Beweis der darin enthaltenen Gedankenäußerung bestimmt war (Absichtsurkunde), oder ob sie bei ihrer Errichtung nur dem Zweck der Mitteilung, z. B. als Brief – Arztbrief –, diente (Zufallsurkunde; vgl. Stein-Jonas aaO Anm. 1; Wieczorek aaO Anm. A III a 3). Für das Prozeßrecht ist demnach im allgemeinen eine Urkunde jedes Schriftstück, mit dem, d. h. durch dessen Inhalt etwas bewiesen werden soll, gleichviel, ob es für diesen Zweck brauchbar ist oder nicht. In formeller Hinsicht beweist eine Urkunde, daß der Aussteller die in der Urkunde enthaltene Erklärung abgegeben hat; für diese Beweiskraft hat das Gesetz eine Reihe bindender Beweisregeln festgelegt (vgl. § 416 ZPO). Dagegen bezieht sich die materielle Beweiskraft auf die Bedeutung der Erklärung des Ausstellers für das Beweisthema (vgl. Rosenberg aaO, § 118 Anm. III 3). Sehr verschieden von der in der Urkunde enthaltenen Erklärung des Ausstellers muß aber eine in der Urkunde wiedergegebene Erklärung eines anderen bewertet werden; ihre formelle und materielle Beweiskraft ist stets ohne gesetzliche Bindung frei zu würdigen (vgl. Stein-Jonas aaO Vorbem. III 3 zu § 415 ZPO). Wenn also unter den allgemeinen Urkundenbegriff auch ärztliche Gutachten, Krankengeschichten, Atteste und Arztbriefe fallen (vgl. Rosenberg, § 118 Anm. II 2 b; Wieczorek, § 415 Anm. A II c; Stein-Jonas, Vorbem. III 2 zu § 415, § 286 Anm. III 4; RG in HRR 1930 Nr. 1864; BSG 27, 259), so muß auch hier zwischen der Erklärung des Ausstellers, d. h. des Arztes, und den in der Urkunde wiedergegebenen Erklärungen eines anderen, des Patienten, unterschieden werden; den Erklärungen des Patienten kommt die in §§ 415 bis 418 ZPO niedergelegte Beweiskraft nicht zu; sie unterliegen der freien richterlichen Beweiswürdigung (vgl. BG aaO). Auf eine derartige, in der Urkunde wiedergegebene Patientenerklärung stützt aber der Beklagte seine Restitutionsklage.

Grundsätzlich kann auch von einer solchen Patientenerklärung als Beweismittel Gebrauch gemacht werden. Nach den Prozeßgesetzen (ZPO, SGG) haben die Parteien im allgemeinen unter den vorhandenen Beweismitteln die freie Wahl; sie können Protokolle über frühere Aussagen von Zeugen als Urkunden benutzen und ebenso ärztliche Privaturkunden, die das Zeugnis oder Gutachten eines medizinischen Sachverständigen ersetzen sollen. Dieser Grundsatz von der freien Wahl des Beweismittels gilt jedoch nicht uneingeschränkt; eine. Ausnahme tritt z. B. dann ein, wenn das Gesetz ausdrücklich eine Beschränkung der Beweismittel vorgeschrieben hat, wie im Urkundenprozeß (§§ 592, 593 ZPO). Andererseits können trotz ihrer formellen Beweiskraft Urkunden im Prozeß unverwertbar sein, wenn sie lediglich zum Ersatz für einen Zeugen- oder Sachverständigenbeweis eingereicht worden sind (vgl. Stein-Jonas, § 286 Anm. III 4; Wieczorek, § 415 Anm. A II a). Im Zweifel wird der unmittelbar durch Vernehmung eines Zeugen geführte Beweis dem bloß mittelbaren Beweis durch Vorlage einer Urkunde mit der schriftlich niedergelegten Aussage oder Erklärung eines Zeugen vorzuziehen sein (vgl. RG 4, 378; 46, 412; s. auch § 294 und insbesondere § 377 Abs. 3 und 4 ZPO), sofern das Gericht nicht die schriftliche Erklärung des Zeugen für ausreichend erachtet.

Dieses – teilweise – Zurücktreten des Urkundenbeweises hinter den Zeugenbeweis ist das entscheidende Kriterium für die Beurteilung des hier vorliegenden Falles. Es können nämlich nicht alle Urkunden im Sinne der §§ 415 ff ZPO als Urkunden für eine Restitutionsklage nach § 580 Nr. 7 b ZPO verwertet werden. Das geht aus den Grundsätzen des Wiederaufnahmeverfahrens hervor. Schon der Vorprozeß hat dem obersten Zweck jedes Prozeßverfahrens gedient, nämlich der materiellen Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen und den Rechtsfrieden schnell und endgültig wiederherzustellen (vgl. BGH 38, 333). Das Interesse der Allgemeinheit, Rechtsstreitigkeiten durch gerichtliche Entscheidung endgültig zum Abschluß zu bringen, ist so groß, daß es im Interesse des Rechtsfriedens hingenommen werden muß, daß – rechtskräftige – Urteile bestehen bleiben, die der wirklichen Rechtslage nicht entsprechen, sei es, weil der Rechtsstreit durch Gerichte fehlsam behandelt worden ist, sei es, weil die Parteien den Sachverhalt nicht vollständig dargelegt oder bewiesen haben. Wenn trotzdem ausnahmsweise Urteile mit der Restitutionsklage beseitigt werden können, so kann der Restitutionsgrund nur subsidiär sein, d. h. er kann die Restitutionsklage nur dann rechtfertigen, wenn er nicht bereits im Vorprozeß bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt der Partei oder ihres Vertreters mit begründeter Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden konnte (vgl. DR 1944, 498; Rosenberg, § 155 Anm. II 1 und die dort zitierte Rechtsprechung; Gauls Die Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, 1956, Bielefeld, S. 25). Das Gesetz läßt aber nicht alle Beweismittel als Restitutionsgründe zu, die im Vorprozeß nicht geltend gemacht werden konnten und zu einer anderen Entscheidung geführt hätten, sondern beschränkt die Restitutionsgründe auf die in § 580 ZPO aufgezählten und eng umgrenzten Ausnahmefälle; bei diesen wäre es für das Gerechtigkeitsgefühl unerträglich, wenn es keine Möglichkeit gäbe, die ergangene Entscheidung zu korrigieren und durch eine andere zu ersetzen. Dazu gehören zunächst die in § 580 Nr. 1 bis 5 genannten Fälle, in denen das Ergebnis des Prozesses durch eine in Bezug auf den Rechtsstreit begangene unerlaubte Handlung beeinflußt worden ist, und die in Ziffer 6 geregelte Aufhebung eines Urteils durch ein anderes rechtskräftiges Urteil. Sodann ist nach Ziffer 7 a und b ZPO die Wiederaufnahme zugelassen, wenn die Unrichtigkeit des Urteils durch das nachträglich verfügbar gewordene Beweismittel augenfällig offenbar wird; so erklärt sich die Einschränkung auf nachträglich aufgefundene rechtskräftige Urteile und – ihnen gleichgestellt – „Urkunden”. Dem Beklagten ist zwar zuzugeben, daß das Gesetz von Urkunden schlechthin spricht. Die Gleichstellung mit Urteilen zeigt aber, daß die Urkunde allein wegen ihres besonderen Beweiswertes, der ihr vom Gesetz (§§ 415 ff ZPO) eingeräumt ist, die Restitutionsklage statthaft machen soll. Diese Sonderstellung, welche das Gesetz der Urkunde im Wiederaufnahmeverfahren einräumt, findet ihre innere Rechtfertigung darin, daß die Urkunde grundsätzlich in ihrem inhaltlichen Bestande unbeeinflußbar und unwandelbar ist und so die sicherste Form einer wahrheitsgetreuen Tatsachenvermittlung bietet. Genießt aber die Urkunde nach der Vorstellung des Gesetzgebers in § 580 Nr. 7 b ZPO nur wegen ihrer „hervorragenden Beweiskraft” diesen Vorzug, so bedeutet das im Hinblick auf die Urkundenbeweisregeln, daß sie nur dann als Restitutionsgrundlage geeignet ist, wenn ihre formelle Beweiskraft das Beweisthema deckt (vgl. Gaul aaO S. 82). Diese Voraussetzung ist jedoch nicht gegeben, wenn die Urkunde in dem Wiederaufnahmeverfahren iVm dem allein zu berücksichtigenden Prozeßstoff keinen urkundlichen Beweiswert hat, sondern nur dazu dienen soll, neue Beweismittel in den Rechtsstreit einzuführen und die Vernehmung von bisher noch nicht benannten Zeugen oder Sachverständlichen; denn diese anderen, nachträglich vorgebrachten Beweismittel rechtfertigen die Restitutionsklage nach dem Gesetz gerade nicht. Mithin sind Privaturkunden oder Zeugenprotokolle und Sachverständigengutachten dann keine Urkunden im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO, wenn sie nicht für sich allein, sondern nur in Verbindung mit anderen, im Vorprozeß nicht vorgebrachten Beweismitteln zu einer für den Restitutionskläger günstigeren Entscheidung führen können und einen Zeugen- oder Sachverständigenbeweis ersetzen sollen (vgl. Rosenberg, § 155 Anm. II 2 c; Gaul aaO S. 82; RG 46, 412; 80, 242; 84, 145; 89, 5; RG in JW 1912, 802; BAG 6, 247 = NJW 1958, 2133; BGE 5, 157; 34, 77; BGH in Lindenmaier-Möhring, § 580 Ziff. 7 b ZPO Nr. 16).

Danach aber kann im vorliegenden Fall der Ansicht des Beklagten, Urkunden im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO seien auch das vertrauensärztliche Gutachten und der Arztbrief des Dr. H. mit den Angaben des Klägers über Ohnmachtsanfälle in der Schulzeit, nicht gefolgt werden (vgl. insbesondere RG 80, 242). Ein urkundlicher Beweiswert kommt den in Sachverständigengutachten oder Arztzeugnissen wiedergegebenen Angaben eines Patienten im Rechtsstreit regelmäßig schon deshalb nicht zu, weil jederzeit die Vernehmung von Zeugen zu einem anderen Ergebnis über die vom Patienten angegebenen Tatsachen führen und die Urkunde insoweit ihren Beweiswert verlieren kann. Die Angaben des Sachverständigen oder Arztes in der Urkunde würden sich dann als ein fehlerhaftes Zeugnis darstellen. Fehlerhafte Zeugnisse aber erkennt das Gesetz nur in den Grenzen des § 580 Nr. 3 ZPO als Restitutionsgrund an; ein solcher liegt nur dann vor, wenn der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat – und deswegen verurteilt worden ist (vgl. auch § 581 ZPO). Dagegen bildet die nachträglich eingetretene Möglichkeit der Benennung neuer Zeugen oder Gutachter, auch wenn diese Möglichkeit sich erst aus einer später aufgefundenen Urkunde ergibt, keinen Restitutionsgrund. So liegt der Fall aber hier.

Das LSG hat die Restitutionsklage auf die vom Vertrauensarzt signierte Durchschrift des vertrauensärztlichen Gutachtens vom 4. Juli 1956 gestützt. In diesem Gutachten wird lediglich mit einem Satz erwähnt: „Nach einem Gutachten von Dr. H. hat er aber schon während der Schulzeit Ohnmachtsanfälle gehabt”. Hierbei erstreckt sich der besondere Beweiswert der Urkunde – des versorgungsärztlichen Gutachtens – allenfalls darauf, daß in einem anderen Gutachten – von Dr. H. – bestimmte Angaben zur Vorgeschichte enthalten sind; dabei bleibt völlig offen, von wem diese Angaben stammen und inwieweit diesen ein Beweiswert beigemessen werden kann. Deshalb mußte auf das Gutachten (Arztbrief) von Dr. H. zurückgegriffen werden, weil dies das eigentliche nähere Beweismittel ist. Zwar ist auch dieses Gutachten, wie früher dargelegt, als Urkunde im weiteren Sinne anzusehen; jedoch erschöpft sich der besondere Beweiswert dieser Urkunde in der darin enthaltenen Erklärung des Ausstellers, d. h. des Dr. H. Dagegen bezieht sich nach den obigen Ausführungen der Beweiswert nicht auf die in der Urkunde wiedergegebenen Äußerungen des Klägers; diese unterliegen der freien Beweiswürdigung (vgl. Stein-Jonas, Vorbem. III 3 zu § 415 ZPO). Da der Kläger die Richtigkeit der Wiedergabe seiner Angaben durch Dr. H. und weiterhin überhaupt bestritten hat, in der Schulzeit „häufig Ohnmachtsanfälle” gehabt zu haben, sah das LSG sich genötigt, Dr. H. als Zeugen zu vernehmen; es hatte richtig erkannt, daß die beigebrachten Urkunden für sich allein nicht geeignet waren, den Nachweis dafür zu erbringen, daß der Kläger in der Schulzeit Ohnmachtsanfälle gehabt hat, und damit die Restitutionsklage zum Erfolg zu führen. Außerdem wurden über das Auftreten und die Häufigkeit von Ohnmachtsanfällen in der Jugendzeit sowie über die mittelbaren Folgen der Mißhandlungen vom Juli 1946 auch noch die Verwandten des Klägers vernommen. Dies zeigt deutlich, daß die im Arztbrief enthaltenen Angaben über die Ohnmachtsanfälle noch keinen urkundlichen Beweis über das tatsächliche Auftreten von Ohnmachtsanfällen in der Jugendzeit lieferten, sondern daß diese Angaben erst noch durch einen Zeugenbeweis ergänzt bzw. ersetzt werden konnten und mußten. Im Grunde genommen handelt es sich bei diesen Angaben im Arztbrief nur um den Hinweis auf einen vorhandenen sachverständigen Zeugen, der schon im Vorprozeß als Zeuge zur Verfügung gestanden hätte, dort aber noch nicht bekannt war (vgl. BGHZ 38, 333 und insbes. RGZ 80, 242). Das gleiche würde für den Vertrauensarzt gelten, der das Gutachten vom 4. Juli 1956 erstattet hat. Den genannten Urkunden kommt somit – soweit darin das Auftreten von Ohnmachtsanfällen erwähnt ist – kein eigentlicher Beweiswert im Sinne des Gesetzes zu, weil sie nur den Anlaß zu weiteren Zeugenvernehmungen und im Anschluß daran auch noch zur Einholung eines weiteren fachärztlichen Gutachtens gegeben haben (vgl. S. 15 der Urteilsabschrift des LSG). Eine derartige Urkunde mit solch beschränktem Beweiswert ihres für den Restitutionsstreit bedeutsamen Inhalts kann nicht einen Restitutionsgrund im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO bilden, denn sonst würde damit der Restitutionsklage in einer Weise, die weit über die sinngemäß vom Gesetz gezogenen Grenzen hinausgehen würde, Raum gegeben werden. Es geht nicht an, die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Beschränkung der Restitutionsklage durch Vorlegen von Urkunden aller Art. bedeutungslos zu machen (vgl. RG aaO; BGH 1, 221; Stein-Jonas, § 580 Anm. IV 2).

Das Reichsgericht (RG) hatte zwar in einer Entscheidung (JW 1916, 135) Bedenken gegen die von anderen Senaten des RG vertretene Ansicht (vgl. insbesondere RG in JW 1912, 802 und RG 80, 242) geäußert, daß Protokolle über die Aussagen bzw. Erklärungen von Zeugen und Sachverständigen, weil sie nur den Zeugen- und Sachverständigenbeweis zu ersetzen bestimmt seien, zur Begründung der Restitutionsklage nicht hinreichten. Wenn sich das RG dabei für seine Bedenken auf RG in JW 1897, 168 Nr. 15 (zu dem inhaltlich gleichlautenden § 543 Nr. 7 b ZPO aF) bezogen hat, so hat es offenbar übersehen, daß auch in dieser älteren Entscheidung die Verwertung von Zeugenaussagen aus einem anderen Verfahren ausdrücklich für unzulässig erklärt war, wenn der Zeuge noch in dem schwebenden Verfahren vernommen werden konnte. Die – für die damalige Entscheidung nicht tragende – Ansicht des RG in JW 1916, 135 hat in der Folgezeit zu keinem grundlegenden Wandel der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des RG geführt. Wieczorek hat die zitierte Entscheidung mit Recht als bedenklich bezeichnet (vgl. Wieczorek, § 580 Anm. E I b 2). Der erkennende Senat schließt sich der überwiegend vom RG und – soweit bekannt – auch einhellig vom BGH und von der Rechtslehre vertretenen Auffassung an, daß Urkunden, insbesondere ärztliche Gutachten und Arztberichte, dann keinen Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO darstellen, wenn sie einen Zeugen- oder Sachverständigenbeweis ersetzen sollen und die Zeugen bzw. Sachverständigen für das schwebende Wiederaufnahmeverfahren zur Verfügung stehen. Das BSG hat bereits in einer Entscheidung (SozR SGG § 179 Nr. 6 = BSG 18, 186 – dort zur Berücksichtigung von neuen Tatsachen im Revisionsverfahren –) hervorgehoben, gerade der Fall, daß sich ein Beteiligter erst in der Revisionsinstanz auf eine neu aufgefundene oder für ihn verfügbar gewordene Urkunde beruft, berge die Gefahr in sich, daß mit dem neuen Vorbringen der Versuch einer mißbräuchlichen Hemmung des Eintritts der Rechtskraft unternommen werde; insbesondere sei denkbar, daß die Urkunde nur anstelle eines anderen, keinen Restitutionsgrund bildenden Beweismittels in den Prozeß eingeführt werde, um einen Restitutionsgrund zu gewinnen (vgl. auch BGHZ 3, 65, 69; 5, 240, 247). Nur wenn sich diese Bedenken nach der „jeweiligen verfahrensrechtlichen Lage des anhängigen Rechtsstreits” (s. BGHZ 5, 248) ausräumen ließen, könne auch die erst in der Revisionsinstanz für den Beteiligten verfügbar gewordene Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO einen Restitutionsgrund darstellen. Zu einem Abweichen von dieser Rechtsprechung besteht um so weniger Veranlassung, da auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) (Bd. 6, 247 = NJW 1958, 2133) und der Bundesgerichtshof (BGH) in ständiger Rechtsprechung (BGHZ 1, 218; 5, 157; 31, 351; 34, 77; 38, 333) die sehr eingeschränkte Anwendungsmöglichkeit des § 580 Nr. 7 b ZPO gebilligt haben. Demnach sind weder das vertrauensärztliche Gutachten noch der Arztbrief des Dr. H. als Urkunden im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO anzusehen und können daher auch keinen Restitutionsgrund bilden.

Der Beklagte glaubt anscheinend, neben der Urkunde noch einen weiteren Restitutionsgrund anführen zu können, wenn er vorbringt, daß der Kläger „das für ihn günstige Urteil vom 3. September 1959 durch unzutreffende Angaben erschlichen hat”. Er verkennt dabei, daß ein „Erschleichen” oder unzutreffende Angaben durch eine Partei nur dann zur Zulässigkeit der Wiederaufnahme führen können, wenn der Beteiligte deswegen strafrechtlich verurteilt worden ist (vgl. § 179 Abs. 2 SGG, s. auch § 580 Nr. 1 ZPO). Im vorliegenden Fall behauptet der Beklagte nicht einmal, daß ein Strafverfahren eingeleitet worden ist. Der bloße Verdacht einer strafbaren Handlung reicht jedenfalls nach der ausdrücklichen Vorschrift des Gesetzes (§ 179 Abs. 2 SGG) für die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht aus.

Mangels eines Restitutionsgrundes ist die Wiederaufnahmeklage nicht statthaft; in diesem Falle ist sie als unzulässig zu verwerfen. Gemäß § 589 ZPO hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob die Restitutionsklage an sich statthaft und ob sie in der gehörigen Form und Frist erhoben ist; mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Klage als unzulässig zu verwerfen. Mit der Formulierung „an sich statthaft” knüpft diese Vorschrift an §§ 579 und 580 ZPO an. Die letztgenannte Vorschrift beginnt mit den Worten: „Die Restitutionsklage findet statt”; nachfolgend sind dann die einzelnen Restitutionsgründe aufgeführt. Die gleichen Worte „findet statt” werden in der ZPO bei den ordentlichen Rechtsmitteln der Berufung (§ 511), Revision (§ 545) und Beschwerde (§ 567) gebraucht. Die Zulässigkeitsprüfung hat sich bei diesen Rechtsmitteln auch darauf zu erstrecken, ob das Rechtsmittel „an sich statthaft” ist (vgl. §§ 519 b, 554 a, 574 ZPO). Die Statthaftigkeit ist somit ein Unterfall der Zulässigkeit; diese hängt sowohl davon ab, daß das Rechtsmittel an sich statthaft ist, als auch davon, daß das Rechtsmittel form- und fristgerecht eingelegt und, wenn vorgeschrieben, begründet ist (vgl. Rosenberg, § 134 Anm. II; Baumbach/Lauterbach, ZPO, Grundzüge vor § 511 Anm. 2). Die Voraussetzungen für die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels sind von Amts wegen zu prüfen (vgl. Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 519 b Anm. 1 A; Rosenberg § 134 Anm. II 1; RG 159, 84). Bei der Restitutionsklage handelt es sich zwar nicht um ein ordentliches Rechtsmittel im Sinne des 3. Buches der ZPO, wohl aber um einen rechtsmittelähnlichen, außerordentlichen Rechtsbehelf zur Beseitigung der Rechtskraftwirkung von Urteilen (vgl. RGZ 57, 233; 96, 52; 135, 123, 129). Rechtsdogmatisch ist kein Grund ersichtlich, warum die Frage des Vorliegens der Statthaftigkeit, die in §§ 579, 580 ZPO ihre besondere, für das Wiederaufnahmeverfahren zugeschnittene Regelung gefunden hat, anders beurteilt und nicht in die Zulässigkeitsprüfung miteinbezogen werden sollte. Schon der Wortlaut in §§ 580, 589 ZPO („findet statt” – „an sich statthaft”) weist darauf hin, daß es sich bei der Prüfung der Statthaftigkeit der Restitutionsklage, ebenso wie bei der Prüfung der Statthaftigkeit der ordentlichen Rechtsmittel, um einen Unterabschnitt der Zulässigkeitsprüfung handelt. Auch § 590 ZPO steht dieser Auffassung nicht entgegen. Wenn in § 590 Abs. 2 und 3 von Grund „und” Zulässigkeit der Wiederaufnahme gesprochen wird, so wird damit nur auf die besonderen Statthaftigkeitsgründe (§§ 579, 580 ZPO) hingewiesen, wenngleich diese zur Zulässigkeit gehören. Hätte der Gesetzgeber bei der Vorabentscheidung nach § 590 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur die Zulässigkeit schlechthin erwähnt, so hätte die Gefahr bestanden, daß darunter nur die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen (Form, Frist) verstanden werden. Tatsächlich soll aber die für das Wiederaufnahmeverfahren wesentliche Frage, ob überhaupt ein Grund für die Nichtigkeit oder Restitution gegeben ist, vorab entschieden werden können, bevor in die erneute Verhandlung über die Hauptsache eingetreten wird.

Im Gegensatz zu dieser Auffassung hat das RG in einer Entscheidung (RGZ 75, 53), die später als grundlegend angesehen und wiederholt zitiert worden ist, auf eine „vom Gesetz gewollte dreifache Gliederung der auf erhobene Nichtigkeits- oder Restitutionsklage zu erlassenden richterlichen Entscheidung” hingewiesen. Nach Ansicht des RG ist zunächst über die Zulässigkeit der Klage zu befinden. Dazu gehört – so RG – nur die Entscheidung über das Vorhandensein ihrer prozessualen Voraussetzungen, als neben der Frage nach der Wahrung der Form und der Einhaltung der Fristen die Entscheidung darüber, ob der Wiederaufnahmekläger einen die Wiederaufnahme „an sich” rechtfertigenden Grund geltend macht; „Das will sagen, ob seine Behauptung ihm sei ein solcher Grund erwachsen, den Anforderungen der §§ 579, 580 ZPO entspricht, nicht dagegen auch, ob diese Behauptung sachlich zutrifft”. Nur wenn es an einem der angegebenen prozeßrechtlichen Erfordernisse fehlt, ist die Klage nach Ansicht des RG gemäß § 589 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Sind dagegen die prozeßrechtlichen Anforderungen erfüllt, so ist die Wiederaufnahmeklage zuzulassen, und es handelt sich dann weiter um das Vorhandensein des Wiederaufnahmegrundes. Wird der Wiederaufnahmegrund als sachlich unzutreffend befunden, so hat das Urteil nicht auf Verwerfung, sondern auf Zurückweisung der Wiederaufnahmeklage zu lauten. Erweist sich dagegen der behauptete Wiederaufnahmegrund als gegeben, so ist das Urteil des Vorprozesses im Umfange der Wirksamkeit des Anfechtungsgrundes aufzuheben und neu in der Sache zu entscheiden. Dieser Auffassung des RG über die „vom Gesetz gewollte dreifache Gliederung” des Wiederaufnahmeverfahrens mit der Folge, daß im ersten Abschnitt die Behauptung des Wiederaufnahmegrundes genügt, während im zweiten Abschnitt – wenn der Wiederaufnahmegrund als unzutreffend befunden wird – die Wiederaufnahmeklage als unbegründet abzuweisen ist, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Das RG hebt eingangs seiner Entscheidung (Bd. 75 S. 53) selbst hervor, daß der Wortlaut des Gesetzes „in gewisser Weise” für die Annahme spricht, daß die Frage, ob der von dem Restitutionskläger genannte. Restitutionsgrund sachlich zutrifft, im Bereich der Entscheidung über die Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage liegt. Für die von ihm gleichwohl angenommene, aus § 590 Abs. 2 und 3 ZPO hergeleitete „dreifache Gliederung” hat es eine eigentliche Begründung nicht gegeben. Insbesondere hat sich das RG nicht mit der oben erörterten Frage auseinandergesetzt, daß das Vorliegen des Statthaftigkeitsgrundes nicht gleichbedeutend mit der Zulässigkeit der Restitutionsklage ist, sondern daß es sich dabei nur um einen Teilaspekt der Zulässigkeit handelt pur die Zulässigkeit müssen darüber hinaus insbesondere die Fristbestimmungen des § 586 ZPO und die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen geprüft werden. Die – naheliegende – Parallele zu den ordentlichen Rechtsmitteln, bei denen die Zulässigkeitsprüfung auch das Vorliegen der Statthaftigkeit miteinschließt, hat das RG überhaupt nicht erörtert. Die §§ 589, 590 ZPO enthalten überdies keine Regelung über die zeitliche Reihenfolge der Prüfung von Statthaftigkeit und allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen. Vielmehr schließt sich der Gesetzeswortlaut des § 590 ZPO – wie oben dargelegt – zwanglos an den vorhergehenden § 589 ZPO an, wonach das Gericht von Amts wegen zu prüfen hat, ob die Klage „an sich statthaft” (Grund) und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben, ist (allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen). Der § 590 ZPO besagt demnach nur, daß im Wiederaufnahmeverfahren über Statthaftigkeit und sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen vorab entschieden werden kann, in Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz daß nach Möglichkeit der gesamte Prozeßstoff in einer Verhandlung zu verhandeln und zu entscheiden ist. Die Auffassung des RG führt dazu, daß die im Gesetz gleichrangig nebeneinandergestellten Voraussetzungen für eine Vorabentscheidung („Grund und Zulässigkeit”) auseinandergerissen werden. Dafür besteht bei der Wiederaufnahmeklage nach Gesetzeswortlaut und Sinn ebensowenig Anlaß wie sonst bei Rechtsmittelverfahren. Bei diesen, vornehmlich bei der Rüge von Verfahrensmängeln (vgl. §§ 150 Nr. 2, 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG), deren Geltendmachung gleichfalls zur Statthaftigkeit gehört, tritt ebenfalls die Frage auf, ob die Verfahrensmängel nur behauptet zu sein brauchen oder ob sie auch tatsächlich vorliegen müssen, um die Statthaftigkeit zu rechtfertigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (seit BSG 1, 150 = SozR SGG § 162 Nr. 9; s. auch BFH zu § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO in NJW 68, 2264) ist die Statthaftigkeit nur gegeben, wenn der gerügte wesentliche Mangel des Verfahrens tatsächlich vorliegt. Die bloße Behauptung eines solchen Mangels genügt nicht, selbst wenn sie substantiiert aufgestellt wird. Wenn aber zur Statthaftigkeit nicht die Behauptung eines Grundes genügt, sondern dieser tatsächlich vorliegen muß, dann ist es auch folgerichtig, daß beim Nichtvorliegen des Grundes, als beim Nichtvorhandensein der Statthaftigkeit, das Rechtsmittel als unzulässig verworfen wird. Mithin bestätigt auch der Vergleich mit den ordentlichen Rechtsmittelverfahren, daß § 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO, der bei Nichtstatthaftigkeit der Restitutionsklage deren Verwerfung als unzulässig vorschreibt, voraussetzt, daß das Vorhandensein des Restitutionsgrundes geprüft und verneint worden ist.

Gegen diese Auffassung des Senats können um so weniger Bedenken erhoben werden, als das RG, soweit ersichtlich, in der Folgezeit nicht immer an der früheren Entscheidung (Bd. 75 S. 53) festgehalten hat. In Band 135 S. 123, 129 hat das RG ausgesprochen, daß die Behauptung des Restitutionsklägers über das Vorhandensein einer für ihn günstigen Urkunde nicht genügt, sondern daß zur Statthaftigkeit der Restitutionsklage auch die Beibringung dieser Urkunde als prozeßrechtliches Erfordernis gehört. Auch der BGH hat die vom RG vertretene Dreiteilung des Verfahrens nicht immer streng eingehalten. In BGH Band 38 S. 333 wird zwar eine Restitutionsklage, bei der die beigebrachten Urkunden für sich allein nicht ausreichten, sondern nur in Verbindung mit weiteren Zeugenaussagen eine günstigere Entscheidung erreicht werden konnte, als unbegründet abgewiesen (vgl. auch OGHZ 3, 35; Grundsatz der Dreiteilung des Wiederaufnahmeverfahrens). Andererseits wird aber einer Entscheidung vom 28. Juni 1951 (Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des BGH, § 580 Nr. 7 b ZPO, Entscheidung Nr. 4) der Leitsatz vorangestellt: „Wird die Wiederaufnahmeklage auf § 580 Ziffer 7 b ZPO gestützt, so kann wegen der besonderen Gestaltung des Wiederaufnahmeverfahrens die Frage, ob die Klage zulässig ist, ausnahmsweise offen bleiben, wenn feststeht, daß das für die Parteien im Ergebnis ganz ohne Bedeutung ist, und die Klage abgewiesen wird, weil die Urkunde kein günstigeres Ergebnis herbeigeführt haben würde”. Mit Recht wird von Lindenmaier/Möhring in der Anmerkung zu dieser Entscheidung hervorgehoben, daß der BGH zwar die scharfe Trennung der drei Stadien des Wiederaufnahmeverfahrens „wie sie seit RGZ 75, 53 in der Theorie eindeutig feststeht, in der Praxis aber immer wieder zu Schwierigkeiten führt” bestätigt, aber für den entschiedenen Fall eine Ausnahme zugelassen hat. Nach Auffassung des erkennenden Senats werden diese Schwierigkeiten vermieden, wenn die Prüfung der Geeignetheit der Urkunde (Wiederaufnahmegrund) sofort in die Zulässigkeitsprüfung miteinbezogen wird. Alsdann hätte die vom BGH entschiedene Restitutionsklage (s. Lindenmaier/Möhring aaO) in jedem Falle als unzulässig verworfen werden müssen, ohne daß es der Bezugnahme auf die „besondere Gestaltung des Wiederaufnahmeverfahrens” bedurft hätte. In einer späteren Entscheidung vom 26. Mai 1965 (FRZ Bd. 12, 1965, S. 427 = LM, § 580 Ziff. 7 b ZPO, Nr. 16), hat der BGH eine Restitutionsklage, die vom Oberlandesgericht als unbegründet abgewiesen war, als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 580 Ziff. 7 b ZPO könne nicht auf Urkunden gestützt werden, die nur die Erklärung von solchen Zeugen oder Sachverständigen enthielten, die im Vorprozeß noch nicht zu dem sich aus der Urkunde ergebenden Beweisthema gehört worden seien und deren Bekundungen vermittels der Urkunde in den Rechtsstreit eingeführt werden sollten. Die Wiederaufnahmeklage könne daher nicht als zulässig angesehen werden. Der BGH hat hier offenbar die Behauptung des Restitutionsklägers nicht genügen lassen wollen, sondern die Geeignetheit und damit den Inhalt der Urkunden unter der Frage der Statthaftigkeit d.h. der Zulässigkeit im Sinne des § 589 ZPO geprüft. Der vom BGH zu beurteilende Fall unterschied sich somit nicht wesentlich von dem hier vorliegenden Rechtsstreit. Eine echte Abweichung zu der. Rechtsprechung des BGH liegt daher nicht vor; einer Anrufung des Gemeinsamen Senats (vgl. § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 – BGBl I S. 661 –) bedurfte es daher nicht.

In der Literatur wird die Auffassung des RG über die Trennung des Wiederaufnahmeverfahrens in drei Stadien mit der Folgerung, daß die Behauptung eines Restitutionsgrundes für die Prüfung der Zulässigkeit genügt, u. a. von Rosenberg (§ 156 Anm. IV), Stein-Jonas (Vorbemerkung vor § 578 Anm. III), Baumbach/Lauterbach (ZPO, Übersicht vor § 578 Anm. 3 A) und Sydow/Busch (§ 590 ZPO Anm. 6) geteilt. Wesentliche Bedenken gegen diese Auffassung werden jedoch von Wieczorek (§ 578 Anm. B I und B II) geltend gemacht. Mit Recht hebt Wieczorek – neben Erörterung der sonstigen, gegen die Ansicht des RG sprechenden Gründe – hervor, daß vom Blickpunkt des dritten Abschnitts aus – wenn die beiden ersten Abschnitte der Prüfung der Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage und ihrer „Begründetheit” erfolgreich durchlaufen sind – die beiden vorhergehenden Abschnitte Zulässigkeitsbedingungen sind, weil an die erneute „Verhandlung zur Hauptsache” im Sinne des § 590 ZPO erst gegangen werden darf, wenn die Vorbedingungen des ersten und zweiten Abschnittes zu bejahen sind. Dieser Auffassung ist aus den oben ausführlich dargelegten Gründen der Vorzug zu geben, so daß die Restitutionsklage gemäß § 589 ZPO als unzulässig zu verwerfen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Unterschriften

Dr. Tesmer, Dr. Brocke, Dr. Burdenski

 

Fundstellen

BSGE, 10

MDR 1969, 517

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