Leitsatz (amtlich)

Der ständige - freiwillige - Aufenthalt im Ausland steht der Zahlung der Witwenrentenabfindung auch dann entgegen - Vergleiche BSG 1966-02-03 4 RJ 387/64 = BSGE 24, 227 -, wenn die Witwe Deutschland unter der Herrschaft des Nationalsozialismus aus Verfolgungsgründen verlassen hat.

 

Normenkette

RVO § 1302 Fassung: 1957-02-23, § 1315 Fassung: 1960-02-25, § 1317 Fassung: 1960-02-25

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. März 1970 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Rechtsstreit wird um die Zahlung einer Witwenrentenabfindung an die in Israel lebende Klägerin geführt. Beide Vorinstanzen haben - in Übereinstimmung mit der Beklagten (Bescheid vom 18. Oktober 1968) - den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch verneint (Urteile des Sozialgerichts vom 30. Mai 1969 und des Landessozialgerichts - LSG - vom 18. März 1970). Nach den vom Berufungsgericht getroffenen und nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen hält sich die Klägerin - sie ist Verfolgte des Nationalsozialismus und hat Deutschland unter der Herrschaft des Nationalsozialismus aus Verfolgungsgründen verlassen - seit vielen Jahren ständig in Israel auf. Die Beklagte hatte ihr eine Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung ihres im Juni 1954 verstorbenen Ehemannes bewilligt. Den Rentenbetrag überwies sie auf ein Konto der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Anspruch auf Witwenrentenabfindung (§ 1302 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) - so hat das LSG in den Entscheidungsgründen seines Urteils ausgeführt - sei jedoch trotz der zweiten Eheschließung im Juli 1962 nicht entstanden. Die Klägerin habe nämlich ihren ständigen Aufenthalt im Ausland. In einem solchen Fall sei die Gewährung einer Leistung aus der Rentenversicherung in der Regel ausgeschlossen. Ausnahmen seien im Gesetz zwar für Renten, nicht aber für Witwenrentenabfindungen vorgesehen. Eine Sonderregelung gelte insoweit auch nicht für Verfolgte des Nationalsozialismus.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der - zugelassenen - Revision. Ihrer Auffassung nach findet die vom LSG getroffene Entscheidung im Gesetz keine Stütze. Ein Verbot der Zahlung von Rentenabfindungen in Fällen der vorliegenden Art sei an keiner Stelle ausgesprochen. Mit der Gewährung der Rentenabfindung solle im Falle der Wiederheirat eine finanzielle Starthilfe gegeben werden. Der Wille des Gesetzgebers gehe nicht dahin, solche Personen, denen eine Rente ins Ausland gezahlt worden sei, von der Abfindung auszuschließen. Eine derartige Regelung würde auch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verstoßen.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 1968 aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung der Witwenrentenabfindung zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils.

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat zwar für die Zeit bis zu ihrer Wiederverheiratung Witwenrente aus der Rentenversicherung ihres verstorbenen Ehemannes erhalten. Dieser Umstand vermag jedoch den von ihr erhobenen Anspruch auf Witwenrentenabfindung nicht zu stützen. Sie beruft sich zu Unrecht auf § 1302 Abs. 1 RVO. Hiernach wird einer Witwe, die wieder heiratet, als Abfindung das Fünffache des Jahresbetrages der bisher bezogenen Rente gewährt. Diese Vorschrift findet jedoch auf solche Rentenbezieher, die sich - wie die Klägerin - gewöhnlich freiwillig im Ausland aufhalten, keine Anwendung. Dies hat der erkennende Senat bereits durch Urteil vom 3. Februar 1966 (BSG 24, 227) entschieden. Die Gewährung einer Geldleistung aus der Rentenversicherung setzt hiernach in der Regel voraus, daß sich der Berechtigte im Inland aufhält. Dies folgt aus dem für das Gebiet der Rentenversicherung geltenden Territorialprinzip. Daran hat sich - so hat der erkennende Senat in der vorbezeichneten Entscheidung ausgeführt - die Auslegung der §§ 1315 ff RVO zu orientieren. Das bedeutet, daß die für Rentenzahlungen geltenden Ausnahmevorschriften, die die Zahlung der laufenden Rente an die Klägerin rechtfertigten, eng ausgelegt werden müssen und daß eine Ausweitung auf Leistungen anderer Art - dazu gehört die Witwenrentenabfindung (vgl. § 1235 RVO) - ausgeschlossen ist. Der erkennende Senat hat nach erneuter Prüfung keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Ihre Richtigkeit wird dadurch hervorgehoben, daß der Gesetzgeber durch das Rentenversicherungsänderungsgesetz vom 9. Juni 1965 die Vorschrift des § 1323 a RVO geschaffen hat. Die dort getroffene Regelung bezieht sich auf die Beitragserstattung nach §§ 1303, 1304 RVO. Sie bestimmt ausdrücklich, daß einer Beitragserstattung der Aufenthalt des Berechtigten im Ausland nicht entgegenstehe. Die vom Gesetzgeber erkannte Notwendigkeit der ausdrücklichen Durchbrechung des Territorialprinzips für diesen Fall setzt seine Geltung im übrigen voraus (vgl. BSG aaO mit weiteren Nachweisen). Gründe dafür, daß diese Gesetzesinterpretation gegen das Grundgesetz verstoßen würde, vermag der Senat nicht zu erkennen.

Eine Ausnahme ergibt sich in dem vorliegenden Fall nicht etwa daraus, daß die Klägerin Verfolgte des Nationalsozialismus ist und Deutschland unter der Herrschaft des Nationalsozialismus aus Verfolgungsgründen verlassen hat. Die Abfindung des § 1302 RVO steht in keinem Zusammenhang mit der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. Aus diesem Grunde sah sich der Gesetzgeber - abweichend von anderen Tatbeständen, die eine besondere gesetzliche Regelung erforderlich machten (vgl. für das Gebiet der Arbeiterrentenversicherung z. B. das Gesetz über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1949 - WiGBl Nr. 31 - und § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO) - insoweit nicht veranlaßt, eine Sonderregelung zu schaffen. Verfolgte des Nationalsozialismus sind daher in dieser Hinsicht in der Regel anderen Rentenempfängern gegenüber nicht begünstigt. Ob es bei einem unfreiwilligen Aufenthalt im Ausland anders ist, kann hier dahinstehen. Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß sie Deutschland unfreiwillig verlassen habe. Die erzwungene Auswanderung gibt für sich allein noch keinen Anhalt dafür, daß der spätere Auslandsaufenthalt in seiner Gesamtheit als unfreiwillig gelten müsse. Es ist deshalb davon auszugehen, daß der Aufenthalt der Klägerin in Israel während der Nachkriegszeit ihrem eigenen freien Willensentschluß entspricht. An einer Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland ist sie aus keinem erkennbaren, rechtlich erheblichen Grunde gehindert.

Hiernach könnte der Anspruch der Klägerin nur dann begründet sein, wenn internationales Recht oder zwischenstaatliche Vereinbarungen dies vorsähen (vgl. BSG aaO). Dies ist jedoch nicht der Fall. Insbesondere besteht keine Vereinbarung zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland, die die Witwenrentenabfindung zum Inhalt hat.

Das LSG hat den Anspruch der Klägerin zu Recht verneint, ihre Revision muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669592

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