Beteiligte

Klägerin und Revisionsbeklagte

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die Abtretung von Kindergeldansprüchen im wohlverstanden Interesse des Berechtigten (Beigeladenen) liegt.

Der Beigeladene, von Beruf Bau- und Reparaturschlosser mit einem monatlichen Einkommen von ca. 1.500,-- DM, ist bei einer gemeinnützigen Wohnungsbau-Gesellschaft Mieter einer Sozialwohnung, die er mit seiner nicht erwerbstätigen Ehefrau und seinen fünf minderjährigen Kindern bewohnt. Der monatliche Mietzins belief sich bis November 1981 auf 354, 90 DM und beträgt seitdem 369,-- DM.

Der daneben zu zahlende monatliche Pauschalbetrag für Energiekosten betrug bis Ende Januar 1982 251,-- DM und seitdem 287,-- DM.

Wegen rückständiger Miete und Energiekosten hatten der Vermieter bereits 1976 ein vollstreckbares Räumungsurteil erwirkt und die mit der Einstellung der Energiezufuhr gedroht. Deshalb hatte die Klägerin mehrfach die Zahlung der Rückstände aus Sozialhilfemitteln übernommen, obwohl nach den Einkommensverhältnissen keine sozialhilferechtliche Bedürftigkeit vorlag.

Um die Zahlung der laufenden Miete und Energiekostenpauschale in Zukunft sicherzustellen sowie die Energiekostenrückstände und die darlehensweise gewährten Sozialhilfeleistungen zu begleichen, trat der Beigeladene im Einverständnis mit seiner Ehefrau durch Erklärung vom 19. April 1978 das Kindergeld in Höhe von monatlich 630,-- DM an die Klägerin ab. Nach Ablehnung der Zahlung (Bescheid vom 17. Oktober 1979; Widerspruchsbescheid vom 20. November 1979) beantragte die Klägerin am 3. Oktober 1980 erneut die Befolgung der Abtretungserklärung des Beigeladenen vom 19. April 1978 unter Hinweis auf erneut aufgelaufene Mietrückstände in Höhe von 1.760,02 DM, wegen der der Vermieter wiederum mit der sofortigen Vollstreckung aus dem vorliegenden Räumungstitel gedroht hatte. Diesen Antrag lehnte die Beklagte erneut mit der Begründung ab, daß die Voraussetzungen des § 53 Abs. 2 und 3 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) nicht vorlägen und daher die Abtretung unwirksam sei (Bescheid vom 10. November 1980; Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 1980).

Im Klageverfahren hat der Beigeladene mit Einverständnis der Klägerin seine Abtretungserklärung vom 19. April 1978 dahin modifiziert, daß er nunmehr die Abtretung seines Kindergeldanspruchs auf die Zeit ab 1. November 1981 und auf den Umfang der laufenden Mietkosten und Energiekostenpauschale beschränke. Das SG hat daraufhin antragsgemäß die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zu der Feststellung verurteilt, daß ein wohlverstandenes Interesse i.S. des § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I bei der nunmehr abgegebenen eingeschränkten Abtretungserklärung vorliege (Urteil des SG Karlsruhe vom 19. November 1981). Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Baden-Württemberg vom 15. November 1982). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, das SG habe ein wohlverstandenes Interesse des Berechtigten zu Recht bejaht. Die Wirksamkeit der eingeschränkten Abtretung werde durch das Schreiben des Beigeladenen vom 21. Mai 1982, in dem er seine Abtretungserklärung zurückgenommen habe, nicht berührt; denn hierzu bedürfe es einer beiderseitigen, übereinstimmenden Vertragsaufhebung, die nicht erfolgt sei. Es entspreche Sinn und Zweck der Kindergeldgewährung und werde von der Zielsetzung des § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I gebilligt, daß der Berechtigte zur Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen Kindern die Kindergeldleistungen direkt oder auf dem Wege über eine Abtretung an die Klägerin zur Bezahlung der laufenden Miete nebst Energiekostenpauschale verwende. Hierdurch werde ein Vorteil erlangt, den der Berechtigte ohne die Abtretung nicht hätte erreichen können. Ohne diese hätte für die Klägerin keine Möglichkeit mehr bestanden, dem Beigeladenen zu helfen und einen drohenden Verlust der Wohnung abzuwenden. Der vorrangige Einsatz von Wohngeld, das im vorliegenden Fall im übrigen nicht annähernd die Mietkosten gedeckt habe, könne im Rahmen von § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I nicht verlangt werden.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I und § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das LSG habe den unbestimmten Rechtsbegriff des wohlverstandenen Interesses verkannt. Dieser setze voraus, daß die Abtretung einen Vorteil biete, der dem Sinn und der Zweckbestimmung der abgetretenen Leistung entspreche. Daran fehle es, wenn das Kindergeld - entgegen seiner starken Zweckbindung - auch für die Ehefrau und den Berechtigten selbst verwendet werde. Darüber hinaus liege die Abwendung drohender Obdachlosigkeit nicht ohne weiteres im Interesse der Familie, wenn die gemietete Wohnung - wie im vorliegenden Fall - nicht familiengerecht sei. Es könne ferner nicht unterstellt werden, daß die Kinder die derzeitige Familienwohnung bis zum Ende ihrer Ausbildung teilen würden. Bei Auszug stünde dann für die außerhalb der Wohnung lebenden Kinder wegen der hiervon unberührten weiteren Bindung an die Abtretungsvereinbarung Kindergeld nicht oder nicht in angemessener Höhe zur Verfügung. Das LSG hätte im übrigen klären müssen, ob dem Beigeladenen andere Sozialleistungen, insbesondere Wohngeld, zustehen, deren vorrangige Einsatzmöglichkeit die Abtretung als unwirksam erscheinen lasse. Habe der Vermieter insoweit bereits teilweise Befriedigung wegen seiner Mietforderungen erlangt oder hätte er sie durch Einwilligung des Beigeladenen erlangen können, liege die Abtretung des Kindergeldes nicht im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen. Schließlich hätte das LSG auch klären müssen, ob und wodurch ein Betreuungsverhältnis zwischen Klägerin und Beigeladenem zur Begleichung der Forderung Dritter begründet worden sei und ob dieses Betreuungsverhältnis auch gegen den Willen des Beigeladenen fortbestehen könne. Da ein solches Betreuungsverhältnis nach der Sachlage nicht bestehe, könne allenfalls ein mit der Abtretung stillschweigend miterteilter Auftrag zur Miet- und Energiekostenzahlung i.S. von § 662 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) angenommen werden, der aber durch die schriftliche Erklärung des Beigeladenen vom 21. Mai 1982 widerrufen und damit beendet worden sei.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. November 1982 und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. November 1981 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

II

Die zugelassene Revision führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG. Dessen Feststellungen reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.

Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhobene Klage ist zulässig. Ein Rechtsschutzbedürfnis für diese fehlt nicht bereits deshalb, weil die Klägerin unmittelbar Verurteilung zur Zahlung des abgetretenen Kindergeldes hätte verlangen können. Hierzu bedarf es zunächst der Feststellung der Beklagten, daß die Abtretung im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten (Beigeladenen) liegt. Diese in § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I vorgesehene Feststellung ist nicht lediglich eine verwaltungsinterne Vorentscheidung für die Zahlung, sondern bedarf als Voraussetzung der Wirksamkeit der Abtretung einer gesonderten Entscheidung, die in Form eines Verwaltungsaktes zu treffen ist. Dafür sprechen nicht nur Gründe der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, sondern insbesondere die Entstehungsgeschichte des § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I, der an den früheren § 119 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anknüpft. Diese Regelung sah ausnahmsweise eine Abtretung von Sozialleistungsansprüchen mit Genehmigung des Versicherungsamtes vor. Eine Verpflichtung zur Genehmigung war von der Rechtsprechung dann angenommen worden, wenn die Abtretung im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt (vgl. BSG SozR 119 RVO Nr. 5). Hat der Gesetzgeber - hieran anknüpfend - in § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I die Feststellung des wohlverstandenen Interesses nunmehr dem zuständigen Leistungsträger übertragen, muß dieser hierüber - wie früher das Versicherungsamt über die Genehmigung - durch Verwaltungsakt entscheiden. Ohne eine solche Entscheidung bliebe die Wirksamkeit der Abtretung im Ungewissen; dies gilt insbesondere auch für den Abtretungsempfänger, der - etwa wenn der Abtretende selbst sich nicht um die erforderliche Feststellung bemüht - ebenfalls die Möglichkeit haben muß, die vom zuständigen Leistungsträger zu treffende Verwaltungsentscheidung zu beantragen. Lehnt dieser die begehrte Feststellung ab, ist die - hier erhobene - kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die zulässige Klageart (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. III, S. 739c m.w.N.).

Der Senat kann offenlassen, ob es an einem Rechtsschutzbedürfnis für diese Klage dann fehlt, wenn die Abtretung bereits aus anderen Gründen des § 53 SGB I - ohne Feststellung des wohlverstandenen Interesses - wirksam ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die Wirksamkeit der Abtretung nach dem hier allein in Betracht kommenden § 53 Abs. 3 SGB I ungewiß ist und der zuständige Leistungsträger sie im angefochtenen Bescheid verneint hat. In derartigen Fällen kann sich der Abtretungsempfänger (oder der Abtretende) auf den Weg des § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I beschränken, ohne daß es einer Prüfung der Zulässigkeit der Abtretung nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 oder Abs. 3 SGB I bedarf.

Das LSG hat zu Recht als hier allein maßgeblich die im Termin am 19. November 1981 abgegebene - gegenüber der früheren Erklärung vom 19. April 1978 modifizierte und von der Klägerin stillschweigend angenommene - Abtretungserklärung angesehen, die auch von den ablehnenden Bescheiden der Beklagten inhaltlich umfaßt war. Diese Vereinbarung ist durch das Schreiben des Beigeladenen vom 21. Mai 1982, in dem er gegenüber der Beklagten seine Abtretungserklärung zurückgenommen hat, nicht berührt worden. Denn ein Abtretungsvertrag (§ 398 BGB) kann durch eine einseitige Erklärung nicht widerrufen werden; es bedarf vielmehr einer beiderseitigen Vertragsaufhebung, an der es nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des LSG hier fehlt. Daran ändert auch nichts, daß der Abtretungsvertrag bis zur Feststellung des wohlverstandenen Interesses, die auch nachträglich - mit rückwirkender Kraft - getroffen werden kann, schwebend unwirksam ist. Auch während des Schwebezustandes eines zustimmungsbedürftigen Vertrages i.S. von §§ 182ff. BGB besteht eine einstweilige Bindung der Beteiligten jedenfalls so lange, bis die erforderliche Zustimmung des Dritten erteilt sein kann (vgl. Palandt, Komm. zum BGB, 38. Aufl., Einführung vor § 182 Anm. 4; BGH LM ZPO § 3 Nr. 40 Bl. 3 R). Zwar unterscheidet sich die hier vom Leistungsträger begehrte Feststellung von der Genehmigung nach § 184 BGB, wirkt aber wie diese nach dem Zweck des § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I als Wirksamkeitsvoraussetzung der Abtretung (vgl. Brackmann, a.a.O.), so daß auch hier - nach den jedenfalls insoweit entsprechend anzuwendenden allgemeinen Regeln für Rechtsgeschäfte - von einer einstweiligen Bindung der Beteiligten auszugehen ist. Diese ist auch nicht dadurch entfallen, daß der Abtretungsvertrag mit der bescheidmäßigen Ablehnung der beantragten Feststellung endgültig unwirksam bzw. der Schwebezustand beendet worden wäre. Wird die ablehnende Entscheidung des zuständigen Leistungsträgers von dem Empfänger der Abtretungserklärung zulässig angefochten, bleibt es grundsätzlich bei der einstweiligen Bindung an das Rechtsgeschäft, bis eine endgültige - bindende - Entscheidung des Leistungsträgers vorliegt. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn zwischenzeitlich wesentliche Änderungen der Verhältnisse eingetreten sind, die zu einer Kündigung des durch die Abtretung begründeten Dauerschuldverhältnisses geführt haben oder dieses Verhältnis aus sonstigen Gründen, z.B. durch Wegfall der Geschäftsgrundlage, beendet worden ist. Dafür besteht aber nach den Feststellungen des LSG kein Anhalt.

An dem wohlverstandenen Interesse des Berechtigten i.S. von § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I fehlt es nicht bereits deshalb, weil es sich bei der abgetretenen Geldleistung um Kindergeld handelt. Weder aus dieser Bestimmung selbst noch aus ihrem systematischen Zusammenhang mit § 53 Abs. 3 SGB I, aus Sonderregelungen des Bundeskindergeldgesetzes - BKGG - (§ 12 Abs. 4) oder aus dem Zweck des Kindergeldes kann entnommen werden, daß Kindergeldansprüche - wie nach bisherigem Recht - praktisch unübertragbar sind. Dagegen spricht bereits die Entstehungsgeschichte des § 53 SGB I. Der frühere Rechtszustand, der das Kindergeld fast völlig dem Rechtsverkehr entzog - nach § 12 Abs. 1 und 2 BKGG a.F. war die Übertragung von Kindergeld prinzipiell ausgeschlossen -, war weitgehend als unbillig empfunden und teilweise sogar als verfassungsrechtlich problematisch angesehen worden (vgl. die Nachweise bei Burdenski/von Maydell/Schellhorn, SGB-AT, Komm., Vorbem. vor §§ 53 bis 55, Rdnr. 10). Er wurde insbesondere mit der Entwicklung des Sozialrechts zu voll ausgebildeten Ansprüchen auf Sozialleistungen nicht mehr als vereinbar angesehen (BT-Drucks. 7/868 S. 32). Daß diese Erwägungen insbesondere auch für den Bereich des Kindergeldes galten, ergibt sich daraus, daß § 12 Abs. 1 bis 3 BKGG durch Art II § 12 Nr. 1 SGB I ausdrücklich gestrichen und durch §§ 48, 53 bis 55 SGB I ersetzt worden ist (vgl. BT-Drucks. 7/868 S. 36 zu Art II § 12 SGB I), ohne daß für das Kindergeldrecht eine Sonderregelung getroffen worden oder in Kraft geblieben ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der bisher nicht gestrichenen Regelung des § 12 Abs. 4 BKGG. Diese Bestimmung ist, wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (BSG SozR 1200 § 53 SGB I Nr. 1), Iediglich aus "redaktionellen" Gründen erhalten geblieben, ohne daß hieraus der Schluß gezogen werden kann, sie habe deshalb weiterhin u.a. für die Übertragung des Kindergeldes unmittelbar Bedeutung. Da die Vorschrift des § 12 Abs. 1 bis 3 BKGG - für die allein Abs. 4 von Bedeutung war - durch die allgemeinen Regelungen des SGB I ersetzt wurde, ist nunmehr auch die Abtretung des Kindergeldes nach den in § 53 SGB I für alle Sozialleistungen vorgesehenen einheitlichen Maßstäben zu beurteilen.

Auch aus § 53 Abs. 3 SGB I kann nicht hergeleitet werden, daß die Übertragung von Kindergeld generell nicht im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt, weil Kindergeld regelmäßig die dort für maßgeblich erachtete Pfändungsfreigrenze für Arbeitseinkommen (§ 850c der Zivilprozeßordnung - ZPO -) unterschreitet. Selbst wenn diese Bestimmung dahin auszulegen wäre, daß eine Abtretung von Kindergeld - auch bei einem Zusammentreffen mit Arbeitseinkommen - nur zulässig wäre, soweit es den für Arbeitseinkommen geltenden pfändungsfreien Betrag übersteigt, kann dies nicht bedeuten, daß damit zugleich eine Grenze für § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I bestimmt ist, nämlich ein wohlverstandenes Interesse des Berechtigten schon dann zu verneinen ist, wenn die Abtretung weiter geht als § 53 Abs. 3 SGB I, also den nach § 850c ZPO nicht pfändbaren Mindestbetrag erfaßt (so aber Burdenski/von Maydell/Schellhorn, a.a.O., Rdnr. 18 zu § 53 SGB I; ähnlich Brackmann, a.a.O., S. 739d). Dies hätte zur Folge, daß § 53 Abs. 2 SGB I im allgemeinen nur bei einmaligen Leistungen und bei nicht der Sicherung des Lebensunterhalts dienenden Leistungen (z.B. Abfindungen) Bedeutung erlangt, während alle von § 53 Abs. 3 SGB I erfaßten Leistungen - wie bisher - in weitem Umfang von der Übertragung ausgeschlossen wären. Dies wird aber weder der Zielsetzung des Gesetzgebers gerecht noch entspricht es dem Wortlaut und den Motiven des § 53 SGB I. Danach soll bei allen Geldleistungen eine Übertragung zulässig sein, wenn sie dem Ausgleich von Vorschüssen Dritter auf fällige Sozialleistungen dient (Abs. 2 Nr. 1) oder sonst im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt (Abs. 2 Nr. 2). Darüber hinaus ("in anderen Fällen") soll nach § 53 Abs. 3 SGB I bei Geldleistungen mit Lebensunterhaltssicherungsfunktion eine Abtretung auch zulässig sein, soweit diese Leistung die Pfändungsfreigrenzen übersteigt (vgl. BT-Drucks., a.a.O., S. 32). Aus diesem Konkurrenzverhältnis wird ersichtlich, daß die Zulässigkeit der Abtretung nach Abs. 2 unabhängig von den Voraussetzungen des Abs. 3 des § 53 SGB I zu beurteilen ist, also grundsätzlich auch der nicht pfändbare Mindestbetrag abgetreten werden kann, sofern dies nur im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt. Hierbei kann offenbleiben, ob § 53 Abs. 3 SGB I für dessen Abs. 2 Nr. 2 einen Auslegungsmaßstab wenigstens in den Fällen bietet, in denen der Berechtigte außer der Sozialleistung kein weiteres Einkommen hat.

Das LSG hat zutreffend angenommen, daß die Abtretung des Kindergeldes zum Zwecke der Deckung der laufenden Miet- und Energiekosten der Familienwohnung jedenfalls dann im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt, wenn dadurch die Erhaltung der Wohnung gesichert wird. Dem kann die Beklagte nicht entgegen halten, daß dies der strengen Zweckbindung des Kindergeldes widerspreche, weil damit auch die Eltern begünstigt würden. Hierbei kann der Senat offenlassen, ob bei der Auslegung des Begriffs des "wohlverstandenen Interesses des Berechtigten", der als unbestimmter Rechtsbegriff voller gerichtlicher Überprüfung unterliegt, der Zweck der jeweiligen Sozialleistung überhaupt zu berücksichtigen ist und welches im einzelnen der Zweck und die Funktion des hier abgetretenen Kindergeldes ist (zum Funktionsgemisch beim Kindergeld vgl. Müller, ASP 1980, 414ff.). Jedenfalls ist Kindergeld keine zweckgebundene Leistung in dem Sinne, daß es ausschließlich für den Unterhalt der Kinder verwendet werden darf oder muß (BSG SozR 1200 § 52 SGB I Nr. 6 m.w.N.; BFH, Urteil vom 18. Mai 1982, BB 1982, 1597 = BFHE 136, 54ff.; dazu kritisch Hornung, DRpfl 1983, 216, 220). Kindergeld ist zwar nach § 1 BKGG zweckbestimmt, kann aber als primär dem Familienlastenausgleich dienende Leistung jedenfalls für den notwendigen Lebensunterhalt der Familie verwendet werden. Deshalb liegt es grundsätzlich auch im wohlverstandenen Interesse des Kindergeldberechtigten, wenn das Kindergeld zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts der Familie, zu dem auch die Unterkunft und der Energiebedarf gehören, in vertretbarem Umfang abgetreten wird. Dies gilt jedenfalls in dem "Normalfall", in dem die den Kindergeldanspruch auslösenden Kinder sämtlich in der Familienwohnung leben und die Abtretung der Deckung der laufenden Miet- und Energiekosten dient. Denn da das jeweilige Kind einen entsprechenden Anteil an der Familienwohnung hat, kommt die Abtretung auch den Kindern unmittelbar zugute. Daß damit zugleich auch die Eltern begünstigt werden, vermag die ablehnende Entscheidung der Beklagten nicht zu rechtfertigen.

Ob das wohlverstandene Interesse stets nur dann bejaht werden darf, wenn der mit der Abtretung erreichte Vorteil dem Verlust der freien Verfügung über die Leistung mindestens gleichwertig ist oder ob er sogar höherwertig sein muß (vgl. RVA AN 1917, 265), kann hier ebenfalls dahingestellt bleiben. Daß die Vermeidung einer Gefahr des Absinkens in die Obdachlosigkeit generell im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten und seiner Familie liegt, ergibt sich schon aus § 15a Bundessozialhilfegesetz (BSHG), der die Sicherung der Unterkunft unter den besonderen Schutz der Gemeinschaft stellt. Deshalb gehen die Einwände der Beklagten, die in der Obdachlosigkeit der Familie des Beigeladenen nicht ohne weiteres einen schwerwiegenden Nachteil sehen will, von vornherein fehl. Gleiches gilt für ihren Einwand, das wohlverstandene Interesse könne schon deshalb nicht festgestellt werden, weil der Berechtigte auch bei einer späteren Änderung in den Familienverhältnissen, z.B. dem Auszug von Kindern aus der elterlichen Wohnung, an die Abtretungserklärung gebunden bleibe, so daß dann Kindergeld für die außerhalb der Familienwohnung lebenden Kinder nicht mehr frei verfügbar sei. Die Beklagte verkennt, daß derartige Änderungen auch zu einer Änderung des Abtretungsvertrages führen können, der insoweit als Dauerschuldverhältnis einer Kündigung aus wichtigem Grund unterliegt. Ob und unter welchen Voraussetzungen auch die Beklagte in derartigen Fällen ihre Entscheidung wegen Wegfall des wohlverstandenen Interesses widerrufen könnte, kann offenbleiben. Jedenfalls kann sie das wohlverstandene Interesse nicht im vorhinein mit der Begründung versagen, daß es möglicherweise durch in Zukunft eintretende Veränderungen entfallen könne; dann könnte eine Entscheidung nach § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I praktisch niemals getroffen werden.

Ferner greift auch der Einwand der Beklagten nicht durch, daß wegen des Fehlens eines sozialrechtlichen Betreuungsverhältnisses zwischen Klägerin und Beigeladenem allenfalls ein mit der Abtretung stillschweigend miterteilter Auftrag zur Miet- und Energiekostenzahlung i.S. von § 662 BGB angenommen werden könne, der aber durch die schriftliche Erklärung des Beigeladenen vom 21. Mai 1982 widerrufen und damit beendet worden sei (§ 671 BGB). Die Beklagte übersieht, daß es sich hier nicht nur um einen isolierten Auszahlungsauftrag des Beigeladenen an die Klägerin handelt, sondern um einen Abtretungsvertrag, der - ungeachtet seiner rechtlichen Qualifizierung als fiduziarische Abtretung oder lediglich als Einziehungsermächtigung - auch die Verwendung des der Klägerin abgetretenen Kindergeldes zur Deckung der laufenden Miet- und Energiekosten mitumfaßt. Deshalb kann ein einseitiger Widerruf nicht zur Beendigung dieses Verhältnisses führen. Soweit die Beklagte mit ihrem Einwand geltend machen will, daß die Abtretung an den Sozialhilfeträger - statt an die eigentlichen Abtretungsbegünstigten - wegen des von diesem verfolgten Eigeninteresses nicht dem Interesse des Berechtigten diene, verkennt sie, daß die getroffene Abtretungsvereinbarung nicht nur aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität zweckmäßig erscheint, sondern im vorliegenden Fall auch der besonderen Betreuungsfunktion des Sozialhilfeträgers - hier im Rahmen von § 15a BSHG - entspricht. Nach dieser Vorschrift kann der Sozialhilfeträger im Rahmen seines Ermessens zur Sicherung der Unterkunft, insbesondere zum Schutz vor Exmittierung und damit vor Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft u.a. für bestehende Mietrückstände Hilfe gewähren, auch wenn eine Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 1 bis 15ff. BSHG nicht möglich ist. Ist der Sozialhilfeträger - wie vom LSG unangegriffen festgestellt - wiederholt in diesem Sinne tätig geworden, ist er im Rahmen seiner Betreuungspflicht mindestens berechtigt, darauf hinzuwirken, daß der Berechtigte seine vorhandenen Mittel in vernünftiger und sinnvoller Weise zur künftigen Sicherung seiner Unterkunft einsetzt und damit selbst bei der Abwendung der drohenden Obdachlosigkeit mitwirkt. Insoweit liegt die von der Klägerin veranlaßte Abtretung des Kindergeldes in Höhe der laufenden Miet- und Energiekosten durchaus im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten, zumal die Klägerin als öffentlich-rechtlicher Träger Gewähr dafür bietet, daß die ihr zu treuen Händen abgetretenen Beträge ordnungsgemäß für die Begleichung der Miet- und Energiekosten verwendet werden.

Allerdings muß in derartigen Fällen Klarheit bestehen, daß die mit der Abtretung bezweckte Sicherung gewährleistet ist. Soll hierdurch die Gefahr einer Zwangsräumung der Wohnung und Sperrung der Energiezufuhr für die Dauer des Abtretungsverhältnisses beseitigt werden, liegt es im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten, wenn die durch die Abtretung wirtschaftlich Begünstigten erklären, für die Dauer des Abtretungsverhältnisses auf Zwangsmaßnahmen zu verzichten. Derartige Erklärungen müssen jedenfalls in der Weise verbindlich sein, daß sich der Berechtigte hierauf im Prozeßfalle wirksam berufen kann. Hierzu hat das LSG bisher keine Feststellungen getroffen. Es wird daher zu prüfen haben, ob solche Erklärungen des Vermieters und der Stadtwerke bereits vorliegen oder beigebracht werden können. Gegebenenfalls wird die Beklagte selbst Sorge dafür zu tragen haben, daß durch eine entsprechende Klarstellung das wohlverstandene Interesse des Berechtigten gewahrt wird.

Das LSG hat ferner noch zu klären, ob und in welcher Höhe seit November 1981 Wohngeld gewährt und wem es ausgezahlt worden ist oder wird. Soweit nämlich bewilligtes Wohngeld bereits zur Sicherung der Erhaltung der Unterkunft eingesetzt wird, kann eine Abtretung des Kindergeldes in Höhe des Wohngeldes wegen der sonst eintretenden Übersicherung nicht im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegen. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob Wohngeld aufgrund einer Abtretung oder mit Einwilligung des Anspruchsberechtigten (§ 28 Abs. 1 Wohngeldgesetz - WoGG -) direkt an den Vermieter oder über den Sozialhilfeträger an diesen ausgezahlt wird oder ob es vom Sozialhilfeträger aus sonstigen Gründen - z.B. zur Tilgung gewährter Darlehen - eingezogen wird. Solange die laufende Miete nicht gezahlt wird, muß Wohngeld als die gegenüber dem Kindergeld "zwecknähere" Leistung vorranging zur Deckung der laufenden Mietkosten eingesetzt werden, wie § 1 i.V.m. § 30 Abs. 2 WoGG zu entnehmen ist. Soweit also der mit der Abtretung verfolgte Zweck der Sicherung der Unterkunft mit verfügbarem Wohngeld realisiert werden kann, ist die Abtretung des Kindergeldes nicht erforderlich und liegt daher auch nicht im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten.

Aus den Feststellungen des LSG ist insoweit nur zu entnehmen, daß für den Beigeladenen in den Jahren 1981 und 1982 Wohngeld bewilligt worden ist, das allerdings zur Deckung der Mietkosten nicht ausgereicht hat. Das LSG wird daher aufzuklären haben, für welche Zeiten und in welchem Umfang Wohngeld gewährt worden ist und ob es in der vorbezeichneten Weise zur Sicherung der Unterkunft eingesetzt worden ist oder von der Klägerin hätte eingesetzt werden können. Insoweit kommt es nicht auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der ablehnenden Verwaltungsentscheidung, sondern auf diejenige bis zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz an, weil sich die Wirkungen dieses Verwaltungsakts nach dem zugrundeliegenden Abtretungsvertrag in die Zukunft erstrecken.

Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten für das Revisionsverfahren mitzuentscheiden haben.10 RKg 19/83

Bundessozialgericht

Verkündet am

14. August 1984

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518456

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