Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld. Schulausbildung. Nachhilfestunden

 

Orientierungssatz

1. Schulausbildung iS von § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG ist nicht jeder Erwerb von Bildungsinhalten, Kenntnissen und Fertigkeiten, die für eine spätere berufliche Beschäftigung oder Tätigkeit nützlich, wertvoll oder erwünscht sind. In der Regel wird darunter der Besuch öffentlicher oder privater allgemeinbildender und weiterführender Schulen verstanden, wenn der Unterricht nach staatlich genehmigten Lehrplänen für öffentliche Schulen gestaltet wird (vgl BSG vom 7.9.1988 10 RKg 6/87). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wird gewöhnlich eine Ausbildung im Rahmen der herkömmlichen Organisationsform einer Schule verlangt, dh der Besuch einer allgemeinbildenden Schule mit Vollzeitunterricht (vgl BSG vom 25.11.1976 11 RA 146/75 = BSGE 43, 44, 45). Die Zeit der ausschließlich selbstbestimmten Vorbereitung auf eine Prüfung oder auf den weiteren Besuch einer Schule läßt sich nicht unter den Begriff der Schulausbildung einordnen.

2. Beim Wegfall des Kindergeldanspruchs mit Vollendung des 16. Lebensjahres des Kindes ohne Bescheiderteilung und bei nicht durchgehendem Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs 2 oder Abs 4 BKGG, stellt die spätere Anzeige eines Berücksichtigungstatbestandes keine Anzeige iS von § 17 Abs 3 BKGG, sondern einen Neuantrag dar, für den die Ausschlußfrist des § 9 Abs 2 BKGG gilt.

 

Normenkette

BKGG § 2 Abs 2 S 1 Nr 1, § 17 Abs 3 S 1, § 9 Abs 2

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 07.08.1987; Aktenzeichen L 6 Kg 13/86)

SG Mainz (Entscheidung vom 12.09.1986; Aktenzeichen S 4 Kg 23/85)

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt mit seiner vom Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz zugelassenen Revision weiterhin die rückwirkende Gewährung von Kindergeld für seine am 2. April 1963 geborene Tochter Claudia für den Zeitraum vom 1. März 1982 bis einschließlich August 1984.

Der Kläger bezieht bzw bezog für seine drei ehelichen Kinder Kindergeld. Das Kindergeld für Claudia entzog die Beklagte mit Ablauf des Monats April 1981 wegen Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes, ohne daß ein Bescheid erteilt wurde. Zu dieser Zeit besuchte Claudia noch bis einschließlich Juni 1981 eine allgemeinbildende Schule in B. Anschließend meldete sie sich bei dem zuständigen Arbeitsamt arbeitsuchend und stand der Arbeitsvermittlung bis zum 9. September 1981 zur Verfügung. In der Folgezeit übte sie eine von dem LSG nicht näher gekennzeichnete Beschäftigung bis einschließlich Februar 1982 aus. Ab März 1982 bereitete sie sich mit Nachhilfeunterricht auf den weiteren Schulbesuch vor. Von August 1982 an besuchte sie bis zum Sommer 1985 eine allgemeinbildende Schule in W.

Im März 1985 teilte der Kläger dem zuständigen Arbeitsamt mit, daß sich seine drei Kinder noch in Ausbildung befänden. Daraufhin bewilligte das Arbeitsamt ihm durch Bescheid vom 14. Juni 1985 rückwirkend für die Zeit ab September 1984 das Kindergeld. Für weiter zurückliegende Zeiten wurde die Kindergeldzahlung abgelehnt, weil diese nach § 9 Abs 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) nicht möglich sei. Der Widerspruch des Klägers war bezüglich seiner Tochter Claudia erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 1985). Während des anschließenden Klageverfahrens erklärte die Beklagte sich durch Schriftsatz vom 16. Mai 1986 bereit, das Kindergeld bis zum Ende des Besuches der Schule in B      (Juni 1981) zu zahlen. Durch ihren während des Berufungsverfahrens eingereichten Schriftsatz vom 7. Mai 1987 erklärte sie sich ferner bereit, das Kindergeld auch während der anschließenden Zeit der Arbeitslosigkeit zu zahlen.

Mit seinem auf die Gewährung von Kindergeld für Claudia für die Zeit vor September 1984 gerichteten Begehren ist der Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts -SG- Mainz vom 12. September 1986; Urteil des LSG vom 7. August 1987). In dem Urteil des LSG heißt es, die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld für Claudia hätten nach der bescheidlosen Entziehung ab Mai 1981 nicht durchgehend vorgelegen. Die Mitteilung des Klägers vom März 1985 sei als Antrag auf Wiedergewährung der Leistung anzusehen. Für die rückwirkende Gewährung des Kindergeldes sei daher die Vorschrift des § 9 Abs 2 BKGG anwendbar, so daß diese erst ab September 1984 habe erfolgen dürfen. Die Mitteilung von März 1985 sei keine Anzeige im Sinne des § 17 Abs 3 BKGG gewesen. Dies ergebe sich auch daraus, daß nach dem Vorbringen des Klägers ein Anspruch auf durchgehende Zahlung von Kindergeld nicht bestanden habe. Er selbst gehe davon aus, daß während der Zeit der abhängigen Beschäftigung von Claudia die Berücksichtigung dieses Kindes ausgeschlossen gewesen sei.

Der Kläger wertet sein an die zuständige Kindergeldkasse gerichtetes Schreiben vom März 1985 als Anzeige im Sinne von § 17 Abs 3 BKGG. Er hat nach seinem Vorbringen im Revisionsverfahren bereits unmittelbar nach Vollendung des 16. Lebensjahres von Claudia eine entsprechende Anzeige erstattet. Im übrigen hätten die Voraussetzungen für eine bescheidlose Entziehung des Kindergeldes nach § 25 Abs 2 BKGG seinerzeit nicht vorgelegen. Die Anwendung des § 9 Abs 2 BKGG sei daher nicht gerechtfertigt. Er habe durchgehend Anspruch auf Kindergeld gehabt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil der Vorinstanzen und den Bescheid vom 14. Juni 1985 in Form des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für das Kind Claudia Kindergeld für März 1982 bis August 1984 nachzuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Nach ihrer Überzeugung haben die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres von Claudia nicht durchgehend bis zur Neubeantragung des Kindergeldes im März 1985 vorgelegen. Die Mitteilung vom März 1985 sei aus diesem Grunde auch keine Anzeige im Sinne des § 17 Abs 3 BKGG gewesen, sondern vielmehr ein Neuantrag, auf den § 9 Abs 2 BKGG anzuwenden gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die Revision ist unbegründet. Dem Kläger steht das für die streitige Zeit begehrte Kindergeld nicht zu. Der Anspruch kann weder aus der für die Zeit ab Mai 1978 erfolgten Kindergeldbewilligung hergeleitet werden, noch hat der Kläger aufgrund seines Antrages vom März 1985 einen solchen Anspruch.

Wie die Vorinstanzen bereits ausführlich und zutreffend dargestellt haben, hatte die Beklagte das unter Berücksichtigung des Kindes Claudia ab Mai 1978 bewilligte Kindergeld mit der Vollendung des 18. Lebensjahres dieses Kindes im April 1981 nach § 25 Abs 2 Nr 2 BKGG entzogen. Hierfür bedurfte es nicht der Erteilung eines Bescheides, weil von dem Kläger keine Anzeige nach § 17 Abs 3 BKGG über die seinerzeit fortdauernde Schulausbildung des Kindes erstattet worden war. Erst durch ihre während des sozialgerichtlichen Verfahrens abgegebenen Erklärungen gewährte die Beklagte das Kindergeld rückwirkend für die Dauer des Schulbesuches in B      bis einschließlich Juni 1981 sowie die daran anschließende Zeit der Arbeitslosigkeit bis einschließlich September 1981. Diese Gewährungen erfolgten aufgrund der Anzeige des Klägers vom März 1985.

Für die Zeit ab Oktober 1981 lagen nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG die Voraussetzungen für die weitere Berücksichtigung von Claudia bei der Kindergeldgewährung nicht vor. Das damals bereits 18jährige Kind befand sich weder in Schul- oder Berufsausbildung (§ 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG) noch lagen die sonstigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 BKGG für die Gewährung von Kindergeld für Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten, vor; vielmehr ging Claudia einer Beschäftigung nach. Anders als der Kläger annimmt, waren die Voraussetzungen für die Berücksichtigung von Claudia bei der Kindergeldgewährung auch während der Zeit nicht gegeben, in welcher das Kind sich mit Hilfe von Nachhilfestunden auf den beabsichtigten Schulbesuch in W         vorbereitete (März 1982 bis einschließlich Juli 1982). Schulausbildung im Sinne von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG ist nicht jeder Erwerb von Bildungsinhalten, Kenntnissen und Fertigkeiten, die für eine spätere berufliche Beschäftigung oder Tätigkeit nützlich, wertvoll oder erwünscht sind. In der Regel wird darunter der Besuch öffentlicher oder privater allgemeinbildender und weiterführender Schulen verstanden, wenn der Unterricht nach staatlich genehmigten Lehrplänen für öffentliche Schulen gestaltet wird (vgl BSG SozR 5870 § 2 Nr 32 mwN und zuletzt das Urteil des erkennenden Senats vom 7. September 1988 - 10 RKg 6/87 -). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wird gewöhnlich eine Ausbildung im Rahmen der herkömmlichen Organisationsform einer Schule verlangt, dh der Besuch einer allgemeinbildenden Schule mit Vollzeitunterricht (BSGE 43, 44, 45). Die Zeit der ausschließlich selbstbestimmten Vorbereitung auf eine Prüfung oder auf den weiteren Besuch einer Schule läßt sich nicht unter den Begriff der Schulausbildung einordnen.

Die Vorinstanzen haben angesichts des festgestellten Sachverhalts zutreffend angenommen, daß die Voraussetzungen des § 17 Abs 3 BKGG nicht vorlagen. Nach dieser Vorschrift wird ein Kind auch bei Überschreiten der Altersgrenze "weiterhin berücksichtigt", wenn der Berechtigte anzeigt, daß die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 oder 4 BKGG vorliegen. Eine solche Mitteilung enthielt das Schreiben des Klägers vom März 1985 schon deswegen nicht, weil diese Voraussetzungen jedenfalls ab Oktober 1981 nicht mehr gegeben waren und demgemäß auch nicht angezeigt werden konnten.

SG und LSG haben das Schreiben vom März 1985 zutreffend als Antrag auf Wiedergewährung von Kindergeld für Claudia angesehen, weil ein Anspruch auf dieses Kindergeld, wie dargelegt ist, zwischenzeitlich nicht mehr bestanden hatte. Demgemäß konnte das Kindergeld nach Abs 2 dieser Norm rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor der Antragstellung im März 1985 bewilligt werden.

Eine weitergehende rückwirkende Zahlung des Kindergeldes nach § 20 Abs 5 BKGG iVm § 44 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) kommt hier ebenfalls nicht in Betracht. Für die Zeit des weiteren und erneuten Schulbesuchs von Claudia in W         ab August 1982 hat die Beklagte nämlich keine Regelung getroffen, welche nach § 44 SGB 10 zurückgenommen werden könnte.

Die Revision des Klägers war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665273

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