Orientierungssatz

Auch bei Nachversicherungsfällen nach RVO § 1242a aF ist (wie bei RVO § 1402 nF) für die Höhe der Nachversicherungsschuld das Recht maßgebend, das zur Zeit des Ausscheidens aus versicherungsfreier Beschäftigung gilt.

 

Normenkette

AVG § 1 Abs. 6 Fassung: 1945-03-17; RVO § 1242a Fassung: 1945-03-17

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 25. Juli 1958 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob für die Nachversicherung der 1950 aus versicherungsfreier Beschäftigung ausgeschiedenen Lehrerin Weber (W.) ein einheitlicher Beitragssatz von 10 % gilt oder ob wegen ihrer aus politischen Gründen erfolgten zeitweisen Entfernung aus dem öffentlichen Dienst (1945 - 1948) für die Zeit bis zu dieser Entfernung ein Beitragssatz von 5,6 % zugrunde zu legen ist.

Die Lehrerin W. war seit 1940 bei der Klägerin als Angestellte im öffentlichen Schuldienst beschäftigt. Vom 1. Oktober 1942 an war sie versicherungsfrei (§ 11 Angestelltenversicherungsgesetz - AVG - aF). Am 1. August 1945 wurde sie aus politischen Gründen entlassen. Eine Nachversicherung fand nicht statt. Am 23. Februar 1948 wurde sie in ihr früheres versicherungsfreies Beschäftigungsverhältnis wieder aufgenommen. Aus diesem schied sie am 31. Oktober 1950 aus. Vom 1. November 1950 an bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (1955) übte sie die bisherige Tätigkeit versicherungspflichtig aus.

Die Klägerin zahlte an die Beklagte zum Zwecke der Nachversicherung der Lehrerin W. für die Zeit vom 1. Oktober 1942 bis 31. Juli 1945 5,6 % des Entgelts (§ 6 Nr. 2 der Lohnabzugsverordnung vom 24. April 1942) und stellte diesen Betrag im Verhältnis 10 : 1 in DM um. Die Beklagte war jedoch der Meinung, daß die Nachversicherungsbeiträge für diese Zeit - ebenso wie (unstreitig) für die Zeit vom 23. Februar 1948 bis 31. Oktober 1950 - in Höhe von 10 % des Entgelts (§ 8 Sozialversicherungsanpassungsgesetz vom 17. Juni 1949 - SVAG -) und im Umstellungsverhältnis 1 : 1 zu entrichten seien. Nach längerem Schriftwechsel rief die Klägerin die Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Hamburg an; sie bat um die Feststellung, daß die Beklagte für die Nachversicherung der Lehrerin W. höhere Beiträge als die gezahlten nicht verlangen könne. Das SG wies die Klage ab. Die Klägerin legte Berufung, die Beklagte Anschlußberufung ein. Die Beklagte war zu der Auffassung gelangt, daß auf Grund des inzwischen geschaffenen § 72 b des Gesetzes zu Art. 131 Grundgesetz - G 131 - (Zweites Änderungsgesetz vom 11. September 1957 - Art. 1 Nr. 69) die Lehrerin W. als nachversichert gelte und eine echte Nachversicherung ausscheide. Sie beantragte daher, die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Lehrerin W. für die Zeit vom 1. Oktober 1942 bis 31. Juli 1945 als nachversichert nach §§ 72, 72 b G 131 gilt. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung und die Anschlußberufung zurück (Urteil vom 25. Juli 1958): Die Lehrerin W. gehöre nicht zu dem vom G 131 erfaßten Personenkreis, weil sie schon vor Inkrafttreten des Grundgesetzes wieder in ihrer früheren Stellung beschäftigt gewesen sei; eine fiktive Nachversicherung komme daher nicht in Betracht. Die Pflicht zur echten Nachversicherung sei erst beim endgültigen Ausscheiden am 31. Oktober 1950 für die ganze Zeit der versicherungsfreien Beschäftigung entstanden. Das politisch bedingte Ausscheiden im Jahre 1945 habe keine Nachversicherungspflicht begründet, weil § 1242 a Reichsversicherungsordnung (RVO) aF außer Kraft war. Die Nachversicherungspflicht zugunsten der Lehrerin W. sei nach der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 14 vom 19. Juli 1947 (ArbBl. brit. Zone S. 240) - Ziff. 2 a und 5 Satz 1 - erst mit der Rechtskraft der Entscheidung über die Wiederzulassung für den öffentlichen Dienst entstanden, jedoch durch die kurz darauf erfolgte Wiedereinstellung der Lehrerin W. in das "alte Arbeitsverhältnis" wieder erloschen. Das folge aus dem Zweck der in der SVA Nr. 14 Ziff. 2 a getroffenen Regelung. Die Revision wurde zugelassen.

Die Klägerin legte Revision ein mit dem Antrag, das Urteil des LSG insoweit aufzuheben, als ihre Berufung zurückgewiesen wurde, und unter Aufhebung des Urteils des SG nach dem Klageantrag zu erkennen. Sie begründete ihre Revision mit der Rüge einer fehlerhaften Anwendung der SVA Nr. 14 in Verbindung mit § 1242 a RVO aF. Zu unterscheiden sei zwischen einer versicherungsfreien Beschäftigungszeit der Lehrerin W. bis zum 31. Juli 1945 und einer solchem vom 23. Februar 1948 bis zum 31. Oktober 1950. Die Pflicht zur Nachversicherung für die Zeit bis zum 31. Juli 1945 sei nach Durchführung der Entnazifizierung entstanden. Die spätere Wiederverwendung im öffentlichen Dienst habe daran nichts geändert. Ihre - der Klägerin - damalige unrichtige Auffassung, die Nachversicherung sei nicht erforderlich, habe keine Bedeutung.

Die Beklagte beantragte, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Revision ist zulässig. Die SVA Nr. 14, deren Verletzung die Klägerin u. a. rügt, ist revisibles Recht im Sinne von § 162 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG); denn ihr Geltungsbereich erstreckte sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus auf das gesamte Gebiet der ehemals britischen Zone. Gegen die Prüfung der richtigen Anwendung der SVA Nr. 14 durch das Revisionsgericht bestehen keine Bedenken (vgl. BSG 3, 252).

Die Revision ist aber unbegründet.

Das LSG geht im Ergebnis zutreffend davon aus, daß eine fiktive Nachversicherung der Lehrerin W. für die Zeit von 1942 - 1945 nach dem G 131 nicht in Betracht kommt. Zwar gelten unter Art. 131 Grundgesetz fallende Personen, die nach der im G 131 getroffenen Regelung keinen Anspruch oder keine Anwartschaft auf Alters- und Hinterbliebenenversorgung haben, für sämtliche Zeiten als nachversichert, in denen sie vor Ablauf des 8. Mai 1945 wegen ihrer Beschäftigung im öffentlichen Dienst nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze in den gesetzlichen Rentenversicherungen versicherungsfrei waren oder der Versicherungspflicht nicht unterlagen. Nach § 72 b Satz 2 G 131 (in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. August 1961 - BGBl I 1579) gilt das auch, wenn ein durch entsprechende Wiederverwendung begründetes Dienstverhältnis endet, ohne daß aus ihm Alters- und Hinterbliebenenversorgung zusteht, bei deren Bemessung die für die Nachversicherung erheblichen Zeiten berücksichtigt werden. Diese Bestimmung ist jedoch nach der Auffassung des Senats im vorliegenden Rechtsstreit nicht anzuwenden. Ihr Sinn und Wortlaut lassen erkennen, daß sie sich nur auf solche Fälle bezieht, in denen das Ausscheiden aus einem durch entsprechende Wiederverwendung begründeten Dienstverhältnis in der Zeit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes (1. April 1951) erfolgt ist. Die Lehrerin W. ist aber bereits im November 1950 aus der versicherungsfreien Wiederbeschäftigung ausgeschieden. Es kann dahinstehen, ob die Anwendung der gesamten Vorschrift auch deshalb ausscheidet, weil - wie das LSG meint - die Klägerin nicht unter das G 131 fällt.

Ein Beschäftigungsverhältnis besteht regelmäßig nur solange, bis es tatsächlich gelöst ist; das Ende einer Beschäftigung kann nur nach den tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen beurteilt werden. Entscheidend ist, ob der Arbeitgeber (Dienstherr) auch während des Aussetzens der tatsächlichen Beschäftigung die Verfügungsmacht über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers behält oder nicht (Entsch. des RVA Nr. 4447 - AN 1932 S. IV 405; BSG 3, 30, 35; 13, 130; 15, 65; 16, 289, 293). Nach diesen Grundsätzen war - wie der Klägerin zuzugeben ist - die Beschäftigung der Lehrerin W. mit deren Entfernung aus dem öffentlichen Dienst im Jahre 1945 zunächst tatsächlich beendet. Das aus politischen Gründen erfolgte Ausscheiden im Jahre 1945 kann aber wegen der Eigenart der damaligen Verhältnisse nicht wie ein sonstiges Ausscheiden aus versicherungsfreier Tätigkeit beurteilt werden.

Denn während der Übergangszeit nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 wurden allenthalben, vor allem auch im öffentlichen Dienst und in der Sozialversicherung, nur vorläufige Maßnahmen getroffen. Bei der rechtlichen Wertung der tatsächlichen Vorgänge sowie der rechtsetzenden Maßnahmen und ihrer Folgen darf dieser Übergangscharakter nicht außer Betracht bleiben; vielfach ist eine rechtliche Beurteilung erst von der späteren, endgültigen Regelung her möglich. Zu derartig vorläufigen Maßnahmen gehörte aber die Entlassung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes und die vorläufige Außerkraftsetzung versicherungsrechtlicher Vorschriften, wie z. B. der Nachversicherung. Diesen besonderen Verhältnissen trägt auch der Auftrag des Grundgesetzes in Art. 131 Rechnung.

Die Lehrerin W., um deren Nachversicherung es geht, war auf Grund einer Anordnung der Besatzungsmacht entlassen worden. Ihre Entfernung aus dem öffentlichen Dienst ließ eine Nachversicherungspflicht zunächst nicht entstehen, weil für Personen, die nach dem Zusammenbruch ihre versicherungsfreie Beschäftigung in der britischen Zone aus politischen Gründen aufgeben mußten - gleichfalls nach Besatzungsrecht - die Nachversicherung verboten war. Erst die SVA Nr. 14 (in Kraft seit 1. September 1947) ermöglichte die Nachversicherung für einen bestimmten Personenkreis, zu dem auch wiederum die Lehrerin W. gehörte. Die Nachversicherung war allerdings erst möglich, als über die Wiederzulassung zum öffentlichen Dienst entschieden war (SVA Nr. 14 Ziff. 2 a). Dieser Zeitpunkt ist vom LSG nicht festgestellt worden. Es steht jedoch fest, daß die Klägerin schon bald die Wiedereinstellung der Lehrerin W. beabsichtigte und diese Absicht dann auch kurze Zeit nach dem Inkrafttreten der SVA Nr. 14 durchführte, ohne die Lehrerin W. zuvor in der Rentenversicherung der Angestellten nachzuversichern.

Für die Nachversicherung solcher Personen, die nach ihrer Wiederzulassung zum öffentlichen Dienst in ihr altes Beschäftigungsverhältnis übernommen worden sind und ihre frühere Rechtsstellung wiedererlangt haben, enthält die SVA Nr. 14 keine ausdrückliche Regelung. Auch die Vorschriften über den Aufschub der Nachversicherung wegen vorübergehender Unterbrechung der versicherungsfreien Beschäftigung (Verordnung über die Nachentrichtung von Beiträgen für versicherungsfreie Personen vom 4. Oktober 1930) sind wegen der besonderen Sach- und Rechtslage im vorliegenden Falle nicht unmittelbar anwendbar. Es kann jedoch nicht im Sinn der SVA Nr. 14 gelegen haben, für Fälle dieser Art eine Nachversicherungspflicht als fortbestehend anzusehen, obwohl die Voraussetzungen für die Nachversicherung durch die tatsächlichen Ereignisse bereits überholt waren und ihre Durchführung zu dem Ergebnis geführt hätte, den wiederbeschäftigten Personen eine doppelte Altersversorgung zu verschaffen. Die Lösung kann nur in Sinn und Zweck der Nachversicherung gefunden werden, die ihrem Wesen nach einen nur subsidiär eintretenden Versicherungsschutz bezweckt. Von der Zeit an, als die Lehrerin W. wieder in ihrer früheren Rechtsstellung verwendet wurde, bestand also weder ein Bedürfnis noch eine rechtliche Verpflichtung, sie in der Rentenversicherung der Angestellten nachzuversichern. Die etwa entstanden gewesene Nachversicherungsschuld ist vielmehr - wie das LSG zutreffend angenommen hat - erloschen. Hierfür spricht auch die tatsächliche Handhabung durch die Behörden und Verwaltungsdienststellen der damaligen Zeit, nicht zuletzt das Verhalten der Klägerin selbst.

Die Frage der Nachversicherung der Lehrerin W. für ihre gesamte Beschäftigungszeit konnte daher erst dann auftauchen, als ihr 1948 wieder aufgenommenes versicherungsfreies Beschäftigungsverhältnis aufhörte und sie die Anwartschaften auf eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen verlor (1. November 1950). Nunmehr trat die Nachversicherungspflicht für die gesamte versicherungsfreie Beschäftigung der Lehrerin W. seit 1942 ein. Eine Aufteilung in verschiedene Nachversicherungszeiten und ihre unterschiedliche Bewertung ist deshalb nicht möglich; sie würde darauf hinauslaufen, den durch die Wiederverwendung in der alten Rechtsstellung erloschenen Nachversicherungsanspruch nachträglich wieder beachtlich zu machen. Vielmehr sind die Beschäftigungszeiten einheitlich zu behandeln, sowohl was Beitragshöhe als auch das Währungsverhältnis anbelangt. Für die Höhe der Nachversicherungsschuld ist das Recht maßgebend, das zur Zeit des Ausscheidens aus versicherungsfreier Beschäftigung gilt. Dieser in § 124 Abs. 1 AVG nF festgelegte Grundsatz ist nicht nur bei Nachversicherungsfällen anwendbar, die unter der Geltung des AVG nF eintreten. Auch bei Nachversicherungsfällen nach § 1242 a RVO aF, der - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - im vorliegenden Fall anzuwenden ist (§ 1 Abs. 6 AVG in der für die brit. Zone geltenden Fassung), kommt es für die Höhe der Nachversicherungsbeiträge auf diesen Zeitpunkt an.

Die Revision der Klägerin muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2374897

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