Entscheidungsstichwort (Thema)

Freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

Versicherungsfrei nach § 6 Abs 1 Nr 3 AVG (= § 1229 Abs 1 Nr 3 RVO) iS von § 10 Abs 1a AVG (= § 1233 Abs 1a RVO) kann nur sein, wer eine an sich versicherungspflichtige Beschäftigung ausübt.

 

Orientierungssatz

Übt ein beurlaubter oder suspendierter Beamter eine Beschäftigung aus, auf die sich die Versicherungsfreiheit nicht erstreckt, so ist er versicherungspflichtig; es ist dann folgerichtig, wenn ihm beim Fehlen einer Beschäftigung das Recht der freiwilligen Versicherung nach den für alle geltenden Regeln zugestanden wird.

 

Normenkette

AVG § 6 Abs 1 Nr 3 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1229 Abs 1 Nr 3 Fassung: 1965-06-09; AVG § 10 Abs 1 S 1 Fassung: 1975-05-07; RVO § 1233 Abs 1 S 1 Fassung: 1975-05-07; AVG § 10 Abs 1a Fassung: 1972-10-16; RVO § 1233 Abs 1a Fassung: 1972-10-16

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 25.10.1982; Aktenzeichen L 14 An 139/82)

SG Dortmund (Entscheidung vom 28.06.1982; Aktenzeichen S 3 An 249/81)

 

Tatbestand

Unter den Beteiligten ist noch streitig, ob die Beklagte der Klägerin die Hälfte der für die Zeit bis zum 1. März 1979 entrichteten Rentenversicherungsbeiträge zu erstatten hat.

Die 1953 geborene Klägerin war von Februar 1976 bis März 1977 Lehramtsanwärterin und von August 1977 bis Juli 1979 Lehrerin im Angestelltenverhältnis; für diese Zeit wurden für sie Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Angestellten entrichtet. Am 15. Juni 1979 wurde die Klägerin mit Wirkung vom 1. August 1979 in das Beamtenverhältnis auf Probe berufen; der Kultusminister stellte mit Erlaß vom 29. Oktober 1979 "den Eintritt der Versicherungsfreiheit" mit dem 1. März 1979 fest. Seit dem 1. August 1979 ist die Klägerin wegen Mutterschaft ohne Dienstbezüge beurlaubt.

Einen am 13. Juli 1981 gestellten Antrag der Klägerin auf Beitragserstattung lehnte die Beklagte ab. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Nach Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) ist der Anspruch deswegen nicht begründet, weil die Klägerin zur freiwilligen Versicherung berechtigt sei. Dieses Recht werde nicht durch § 10 Abs 1a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) ausgeschlossen, weil die Klägerin keinerlei Beschäftigung ausübe.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 6, 10 AVG. Sie hält es für nicht angängig, daß ihr aus der Beurlaubung wegen der Mutterschaft Nachteile in Bezug auf die Beitragserstattung erwüchsen; dies stünde im Widerspruch zu dem mit der Beurlaubung wegen Mutterschaft verfolgten familienpolitischen Zweck. Da ihr die für die Zeit vom 1. März bis 31. Juli 1979 entrichteten Beiträge von der zuständigen AOK erstattet worden seien, mache sie insoweit keinen Anspruch mehr geltend.

Die Klägerin beantragt, den angefochtenen Bescheid und die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von 3410,80 DM zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Da die Klägerin ihr Begehren auf die Erstattung der Hälfte der bis zum 1. März 1979 entrichteten Beiträge beschränkt hat, unterliegt das angefochtene Urteil einer Nachprüfung nur noch dahin, ob das LSG insoweit einen Anspruch der Klägerin zu Recht verneint hat. Das ist der Fall.

Nach § 82 Abs 1 Satz 1, 3 AVG ist dem Versicherten auf Antrag die Hälfte der seit dem Währungsschnitt entrichteten Beiträge zu erstatten, wenn die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfällt, ohne daß das Recht zur freiwilligen Versicherung besteht; der Anspruch kann nur geltend gemacht werden, wenn seit dem Wegfall der Versicherungspflicht zwei Jahre verstrichen sind und inzwischen nicht erneut eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt worden ist. Wie das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden hat, entsteht der Erstattungsanspruch mit der Stellung des Antrages, sofern zu diesem Zeitpunkt die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (SozR 2200 § 1303 Nrn 4, 5, 11, 17). Die Klägerin war, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, zu dem danach maßgebenden Zeitpunkt der Antragstellung am 13. Juli 1981 zur freiwilligen Versicherung berechtigt, so daß ein Erstattungsanspruch nicht entstanden ist.

Das Recht der Klägerin zur freiwilligen Versicherung ergibt sich aus § 10 Abs 1 Satz 1 AVG; die Klägerin ist nicht versicherungspflichtig und wohnt im Geltungsbereich des AVG. Dieses Recht wird auch nicht durch § 10 Abs 1a AVG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift gilt § 10 Abs 1 AVG ua für Personen, die nach § 6 AVG versicherungsfrei sind, nur, wenn sie - was bei der Klägerin nicht der Fall ist - für 60 Kalendermonate Beiträge entrichtet haben. Dem Kreis der nach § 6 AVG versicherungsfreien Personen gehört die Klägerin jedoch nicht an. Nach dem hier allein in Betracht kommenden § 6 Abs 1 Nr 3 AVG sind versicherungsfrei Beamte und sonstige Beschäftigte bestimmter öffentlich-rechtlicher Körperschaften, wenn ihnen Anwartschaft auf lebenslängliche Versorgung und Hinterbliebenenversorgung gewährleistet ist. Bereits aus dem Gebrauch des Wortes "Beschäftigte" ergibt sich jedoch, daß sich die Versicherungsfreiheit nur auf eine bestimmte, mit einer Versorgungsanwartschaft verbundene Beschäftigung, nicht aber auf die Person des Versicherten schlechthin bezieht (vgl dazu auch SozR 2200 § 169 Nr 4, 172 Nr 4). Versicherungsfrei kann also nur sein, wer eine an sich versicherungspflichtige Beschäftigung bestimmter Art ausübt. Fehlt es an einer solchen Beschäftigung, so ist auch Versicherungsfreiheit nicht gegeben, da es an einem Anknüpfungspunkt für die ihr eigentümlichen Rechtswirkungen fehlt. Hätte der Gesetzgeber allein auf das Bestehen eines durch eine Beurlaubung nicht berührten Beamtenstatus abheben wollen, so hätte er das durch eine Formulierung, wie sie etwa in § 13 Abs 1a Satz 3 AVG zu finden ist, zum Ausdruck gebracht; hat er das nicht getan, so läßt das darauf schließen, daß er eine dahingehende Regelung nicht gewollt hat (vgl dazu auch Urteil des 1. Senats des BSG vom 11. August 1983 - 1 RA 5/83 -).

Allein diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der getroffenen Regelung. § 10 Abs 1a AVG soll es insbesondere Beamten und anderen Bediensteten öffentlich-rechtlicher Körperschaften erschweren, sich durch Entrichtung freiwilliger Beiträge eine zusätzliche Alterssicherung zu verschaffen. Dieser auf Eindämmung der sog Doppelversorgung gerichteten Zielsetzung des Gesetzgebers (vgl jetzt auch ua § 37c AVG) liegt offenbar die Vorstellung zugrunde, daß Zeiten einer versicherungsfreien Beschäftigung regelmäßig ruhegehaltsfähige Dienstzeiten iS der Vorschriften des Beamtenversorgungsrechts sind, und daß daher hier die Zulassung einer Entrichtung freiwilliger Beiträge nach Maßgabe von § 10 Abs 1 AVG zu zahlreichen Fällen einer "Überversorgung" führen müßte. Der Gesetzgeber hatte aber keinen Anlaß, eine freiwillige Versicherung auch dort zu erschweren, wo regelmäßig ruhegehaltsfähige Dienstzeiten nicht zurückgelegt werden, wie das zumeist, wenn auch nicht in allen Fällen, bei ohne Dienstbezüge beurlaubten oder vom Dienst suspendierten Beamten zutrifft. Übt ein beurlaubter oder suspendierter Beamter eine Beschäftigung aus, auf die sich die Versicherungsfreiheit nicht erstreckt, so ist er versicherungspflichtig; es ist nur folgerichtig, wenn ihm beim Fehlen einer Beschäftigung das Recht der freiwilligen Versicherung nach den für alle geltenden Regeln zugestanden wird.

Soweit die Klägerin unter dem Gesichtspunkt von Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) Bedenken dagegen erhebt, daß ihr wegen ihrer Beurlaubung eine Beitragserstattung versagt bleibt und auf die bei nicht beurlaubten Beamten gegebene Rechtslage verweist, verkennt sie die Verschiedenheit der Sachverhalte. Nicht beurlaubte Beamte in sonst gleicher Lage erlangen oder verbessern durch die Zurücklegung weiterer Dienstzeiten ihre Alterssicherung, während der beurlaubte Beamte insoweit regelmäßig auf eine freiwillige Versicherung verwiesen ist; wenn die Klägerin meint, darauf - im Gegensatz zu anderen daran interessierten beurlaubten Beamten - verzichten zu können, so mag das ihren persönlichen Verhältnissen und Erwartungen entsprechen, die sich aber auf die anderer in sonst ähnlicher Lage nicht übertragen lassen. Vergleichbar ist die Klägerin allein einer anderen Mutter, die nicht Beamtin ist und ebenfalls eine Erwerbstätigkeit aufgibt, um sich ihrem Kind zu widmen, ohne einen Anspruch auf Beitragserstattung zu haben. Die Klägerin ist auch nicht "im Ergebnis gezwungen", ihre "Anwartschaft" in der gesetzlichen Rentenversicherung durch freiwillige Beiträge zu ergänzen. Die bereits entrichteten Beiträge "verfallen" nicht; es bleibt der Klägerin überlassen, ob, wann und in welchem Umfange sie von ihrem Recht zur freiwilligen Versicherung Gebrauch machen will. Im Falle einer Beendigung ihrer Beurlaubung bleibt es der Klägerin im übrigen unbenommen, einen dann gegebenen Erstattungsanspruch geltend zu machen.

Nach alledem war die Revision mit der sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

 

Fundstellen

Breith. 1984, 495

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