Leitsatz (redaktionell)

1. "Ruht" ein Anspruch auf Rente, so bleibt das "Stammrecht" unberührt, es besteht nur kein Recht auf die jeweils fälligen Leistungen, solange der Anspruch ruht; fallen die Gründe dafür weg, so sind die jeweiligen Leistungen ohne besonderen Antrag und ohne besondere Entscheidung wieder zu bewirken.

2. Der Anspruch auf Witwenabfindung ist nach den Vorschriften zur Zeit der Wiederverheiratung zu beurteilen.

 

Normenkette

BVG § 64 Fassung: 1950-12-20, § 44 Abs. 1 Fassung: 1953-08-07

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. November 1956 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die Klägerin, deren erster Ehemann als Berufssoldat im Kriege gefallen ist, erhielt durch vorläufigen Bescheid der Landesversicherungsanstalt (LVA.) N vom 25. November 1948 für sich und ihre Kinder vom 1. Januar 1949 an Rente nach dem Bayerischen Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) vom 26. März 1947. Durch Bescheid vom 26. Februar 1949 gewährte das Oberfinanzpräsidium N der Klägerin vom 1. August 1948 an einen widerruflichen Unterhaltsbetrag von monatlich 62,50 DM nach dem Gesetz über die Zahlung von Unterhaltsbeträgen an berufsmäßige Wehrmachtsangehörige und ihre Hinterbliebenen vom 12. August 1948 (GVBl. S. 147); dazu kamen Waisengeld und Kinderzuschläge für drei Kinder; die Klägerin wurde darauf hingewiesen, daß nach Art. 9 dieses Gesetzes neben Unterhaltsbeträgen Renten nach dem KBLG mit Ausnahme der Mindestrente nach § 14 Abs. 3 KBLG nicht gewährt werden dürfen; statt des Unterhaltsbetrages könne die Rente gewählt werden, die Wahl könne nachträglich geändert werden, jedoch nur zum Beginn des folgenden Kalenderjahres. Daraufhin entzog die LVA. durch Bescheid vom 29. März 1949 die Rente nach dem KBLG vom 1. Mai 1949 an. Am 13. April 1950 heiratete die Klägerin wieder. Am 2. Dezember 1950 beanspruchte sie Abfindung der Witwenrente. Durch endgültigen Bescheid vom 18. Juli 1952 gewährte das Versorgungsamt Nürnberg der Klägerin vom 1. Februar 1947 bis zum 31. Juli 1948 Witwenrente nach dem KBLG, die Abfindung lehnte es ab, da zur Zeit der Wiederheirat Unterhaltsbeträge gewährt worden seien. Die Berufung der Klägerin wegen der Versagung der Abfindung wies das Oberversicherungsamt zurück. Der Rekurs ging am 1. Januar 1954 als Berufung (neuen Rechts) auf das Landessozialgericht (LSG.) über. Das LSG. wies die Berufung durch Urteil vom 30. November 1956 zurück: Der Rekurs betreffe nicht ausschließlich die Abfindung der Witwenrente nach Art. 1, 7 KBLG in Verbindung mit § 588 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO), sondern die Frage, ob der Anspruch auf Witwenrente nach dem KBLG geruht habe oder erloschen gewesen sei, nachdem Unterhaltsbeträge gewährt worden seien; er sei daher nicht nach § 1700 Nr. 9 RVO ausgeschlossen gewesen; die Berufung betreffe dagegen einen Anspruch auf eine einmalige Leistung und sei nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht zulässig, sie sei aber wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen; der Anspruch der Klägerin auf Abfindung sei jedoch nicht begründet; als sie wieder geheiratet habe, habe sie Unterhaltsbeträge nach Art. 2 des Gesetzes vom 12. August 1948 bezogen, neben dieser Leistung habe Witwenrente nach dem KBLG nicht gewährt werden dürfen, dieser Anspruch habe nicht nur geruht, er sei ausgeschlossen gewesen, solange anstelle des Unterhaltsbetrages nicht die Rente gewählt worden sei; mit den Worten "nicht gewährt" habe nicht das Ruhen der Rente angeordnet, sondern der Anspruch ausgeschlossen werden sollen; dies ergebe sich insbesondere auch daraus, daß Art. 4 des Gesetzes vom 12. August 1948 zwischen "nicht gewähren" und "ruhen" unterschieden habe; die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, Ende 1949 vom Versorgungsamt eine unrichtige Auskunft über Art. 9 dieses Gesetzes erhalten zu haben, sie sei über diese Vorschrift und über das Wahlrecht in dem Bescheid vom 26. Februar 1949 ausdrücklich belehrt worden. Die Revision ließ das LSG. zu.

Das Urteil wurde der Klägerin am 29. Januar 1957 zugestellt. Am 11. Februar 1957 legte die Klägerin Revision ein und beantragte,

unter Aufhebung des Urteils des LSG. vom 30. November 1956 und der vorhergehenden Entscheidungen den Beklagten zu verurteilen, Abfindung der Witwenrente zu gewähren.

Am 8. März 1957 begründete sie die Revision: Das LSG. habe die Art. 1, 7 KBLG in Verbindung mit § 588 Abs. 2 RVO und Art. 9 des Gesetzes vom 12. August 1948 unrichtig angewandt; Art. 9 verbiete nur, daß der Witwe gleichzeitig Unterhaltsbeträge und Rente nach dem KBLG zu zahlen seien; dürfe die Rente nach Art.9 "nicht gewährt" werden, so ruhten die Leistungen, der Anspruch werde aber nicht ausgeschlossen; das Recht, zwischen den Unterhaltsbeträgen und der Rente nach dem KBLG zu wählen, setze voraus, daß beide Ansprüche gleichzeitig bestünden.

Der Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) und zulässig.

Da von der Zulässigkeit der Berufung die Rechtswirksamkeit des gesamten weiteren Verfahrens, auch des Revisionsverfahrens, abhängt, ist zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob das LSG. zu Recht in der Sache selbst entschieden hat. Dies ist zu bejahen. Das LSG. ist zutreffend davon ausgegangen, der Rekurs sei nicht nach § 1700 Nr. 9 RVO ausgeschlossen gewesen. Soweit die Berufung, da sie den Anspruch auf die einmalige Leistung einer Abfindung betraf, nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG ausgeschlossen gewesen wäre, hat das LSG. sie in entsprechender Anwendung des § 150 Nr. 1 SGG zulassen dürfen; die Berufung ist mithin statthaft gewesen (BSG. 1 S. 62 (67, 68)).

Die Revision ist aber nicht begründet. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Rüge, das LSG. habe Art. 9 des Bayerischen Gesetzes über die Zahlung von Unterhaltsbeträgen an berufsmäßige Wehrmachtsangehörige und ihre Hinterbliebenen vom 12. August 1948 (GVBl. S. 147) nicht richtig angewandt, revisibles Recht betrifft. Revisibel sind jedenfalls die Art. 1 und 7 KBLG und § 588 Abs. 2 RVO, deren Verletzung die Klägerin rügt. Die Revision läßt sich auch auf die Verletzung revisibler Rechtsnormen durch Anwendung nicht revisibler Normen stützen (Baumbach-Lauterbach, ZPO, 25. Aufl., § 549 Anm. 1 B; RGZ 102 S. 271).

Der Anspruch der Klägerin auf Abfindung der Witwenrente ist aber nicht begründet. Die Klägerin hat am 13. April 1950 wieder geheiratet. Für die Abfindung der Witwenrente sind die Vorschriften maßgebend, die zur Zeit der Wiederheirat gegolten haben (BSG. 1 S. 189 (191)). Der Witwe eines gefallenen Soldaten sind damals Leistungen nach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt worden, soweit im KBLG nichts anderes bestimmt gewesen ist (Art. 1 und 7 KBLG). Nach § 588 Abs. 2 RVO hat die Witwe, die wieder geheiratet hat, eine Abfindung erhalten; die Abfindung ist nach dem Jahresarbeitsverdienst (vgl. Art. 6 Abs. 3 KBLG, § 18 DVO zum KBLG vom 1. Mai 1949 (GVBl. S. 113)) bemessen worden. Die Abfindung ist wie in der Invalidenversicherung (vgl. EuM. Bd. 46 S. 422) und in der Angestelltenversicherung (vgl. BSG. 4 S. 190 (191)) aber nur möglich gewesen, wenn die Witwe zu der Zeit, als sie wieder geheiratet hat, Anspruch auf Witwenrente gehabt hat; es ist nicht erforderlich gewesen, daß sie diese Rente tatsächlich bezogen hat. Zu dieser Zeit hat der Klägerin Anspruch auf Witwenrente nach dem KBLG nicht zugestanden. Sie hat vom 1. Februar 1947 bis zum 31. Juli 1948 Witwenrente nach dem KBLG und vom 1. August 1948 an Unterhaltsbeträge nach dem Gesetz vom 12. August 1948 bezogen. Nach Art. 2 Abs. 1 dieses Gesetzes hat die Witwe eines Berufssoldaten, der im aktiven Dienst gestorben war, für die Dauer des Witwenstandes Unterhaltsbeträge erhalten. Neben den Unterhaltsbeträgen sind Renten nach dem KBLG mit Ausnahme der Mindestrente des Beschädigten (Art. 14 Abs. 3 KBLG) nicht gewährt worden (Art. 9 Satz 1 und 2); die Berechtigten haben aber statt des Unterhaltsbetrages die Rente nach dem KBLG wählen können, sie haben die Wahl auch nachträglich, jedoch nur zum Beginn des folgenden Kalenderjahres ändern können (Art. 9 Satz 3). Die Ansprüche auf Unterhaltsbeträge und auf Rente nach dem KBLG haben danach nicht nebeneinander bestanden; die Unterhaltsbeträge sind der Rente vorgegangen, sie sind an deren Stelle gewährt worden. Zwar hat statt des einen der andere Anspruch gewählt werden können, es hat aber stets nur ein Anspruch bestanden: Der Anspruch auf Unterhaltsbeträge oder statt dessen nach Wahl des Berechtigten der Anspruch auf Rente nach dem KBLG. Ist nicht statt des Unterhaltsbetrages die Rente nach dem KBLG gewählt worden, so ist dieser Anspruch ausgeschlossen gewesen, er hat nicht nur geruht. "Ruht" ein Anspruch auf Rente, so bleibt das "Stammrecht" unberührt, es besteht nur kein Recht auf die jeweils fälligen Leistungen, solange der Anspruch ruht (BSG. 5 S. 4 (6)); fallen die Gründe dafür weg, so sind die jeweiligen Leistungen ohne besonderen Antrag und ohne besondere Entscheidung wieder zu bewirken. Anders als beim Ruhen ist aber im vorliegenden Falle nicht nur das Recht auf die jeweils fällige Leistung, sondern der Anspruch auf Rente nach dem KBLG ausgeschlossen gewesen, solange Unterhaltsbeträge gewährt worden sind und nicht statt deren die Rente gewählt worden ist. Insoweit haben nicht zwei Ansprüche nebeneinander bestanden, von denen der Anspruch auf die Rente nach dem KBLG nicht erfüllt worden ist, vielmehr ist durch die Gewährung der Unterhaltsbeträge die Rente nach dem KBLG - mit Ausnahme der Mindestrente des Beschädigten (Art. 14 Abs. 3 KBLG) - endgültig, mindestens aber bis zum Ende des Kalenderjahres beseitigt gewesen, zu dessen Beginn statt der Rente die Unterhaltsbeträge gewählt worden sind. Das Recht auf die Rente ist nicht von selbst wieder aufgelebt; es ist von dem Verhalten des Berechtigten abhängig gewesen.

Mit Recht hat das LSG. dies auch dem Art. 4 des Gesetzes vom 12. August 1948 entnommen. Nach Art. 4 Abs. 1 sind Personen, die rechtskräftig zu Hauptschuldigen oder Belasteten im Sinne des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 (GVBl. S. 145) erklärt worden sind, Unterhaltsbeträge nicht gewährt worden; ist dagegen der betroffene oder der verstorbene Wehrmachtsangehörige zunächst als Hauptschuldiger oder Belasteter anzusehen gewesen, so haben die Unterhaltsbeträge geruht, bis rechtskräftig entschieden gewesen ist, zu welcher Gruppe von Belasteten die Betroffenen gehört haben. Für Hauptschuldige und Belastete und für deren Hinterbliebene ist danach der Anspruch auf Unterhaltsbeträge ausgeschlossen gewesen; nicht nur das Recht auf die jeweils fälligen Leistungen, auch das Stammrecht hat nicht bestanden. Soweit bestimmt gewesen ist, daß die Unterhaltsbeträge geruht haben, ist die endgültige Feststellung des Stammrechts und der daraus folgenden Leistung bis zur rechtskräftigen Feststellung der Belastung hinausgeschoben worden. Hat rechtskräftig festgestanden, daß die Betroffenen in die Gruppe der Hauptschuldigen oder Belasteten einzureihen sind, so ist das Stammrecht und damit auch das Recht auf die jeweils fällige Leistung beseitigt worden; ist die Zugehörigkeit zur Gruppe der Hauptschuldigen oder Belasteten rechtskräftig verneint worden, so ist der Anspruch erfüllbar geworden und die bisher fälligen Unterhaltsbeträge haben geleistet werden müssen.

Die Klägerin hat vom 1. August 1948 bis zum 30. April 1950, dem Ende des Monats, in dem sie wieder geheiratet hat, Unterhaltsbeträge nach Art. 2 des Gesetzes vom 12. August 1948 erhalten. Sie hat stattdessen nicht die Rente nach dem KBLG gewählt; diese Rente ist damit weggefallen. Nachträglich wäre eine Änderung nur zum Beginn eines Kalenderjahres möglich gewesen. Bis zum Beginn des Kalenderjahres 1950 hat die Klägerin aber nicht verlangt, ihr statt des Unterhaltsbetrages die Witwenrente nach dem KBLG zu gewähren. Der Unterhaltsbetrag ist mit dem Ende des Monats, in dem die Klägerin wieder geheiratet hat, erloschen (Art. 7 Abs. 2 des Gesetzes vom 12.8.1948). Der Anspruch auf Witwenrente nach dem KBLG ist aber für das Kalenderjahr 1950 ausgeschlossen gewesen. Er hat von selbst nicht wieder aufleben und nach der Wiederheirat auch nicht erneut geltend gemacht werden können.

Die Witwenrente der Klägerin nach dem KBLG hat hiernach nicht abgefunden werden können, eine Abfindung der Unterhaltsbeträge der Witwe ist in dem Gesetz vom 12. August 1948 nicht vorgesehen gewesen. Der angefochtene Verwaltungsakt ist daher nicht rechtswidrig. Die Revision ist nicht begründet; sie ist nach § 170 Abs. 1 SGG zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325657

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