Entscheidungsstichwort (Thema)

Erbrecht. Fiskus. Fiskuserbrecht. Sonderrechtsnachfolge

 

Orientierungssatz

Der Nachlaßpfleger eines Verstorbenen Rentners kann bei Fehlen von Sonderrechtsnachfolgern die Auszahlung noch fälliger Rentenbeträge nicht verlangen, wenn der Fiskus als möglicher Erbe in Betracht kommt (Festhaltung an BSG vom 25.11.1982 - 5b RJ 46/81 = SozR 1200 § 58 Nr 2).

 

Normenkette

SGB I §§ 56, 58 S. 2, § 59; BGB § 1964 Abs. 1, § 1990

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 30.04.1993; Aktenzeichen L 5 J 21/91)

SG Berlin (Entscheidung vom 31.07.1991; Aktenzeichen S 32 J 1395/90)

 

Tatbestand

Die am 9. Februar 1990 verstorbene Käthe Winkelmann (im folgenden: Versicherte) hatte von der Beklagten Altersruhegeld bezogen. Dieses konnte für die Monate Januar und Februar 1990 nicht ausgezahlt werden. Die Versicherte hinterließ kein Testament. Die als einzige gesetzliche Erbin iS des § 1936 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ermittelte Nichte der Versicherten hat die Erbschaft ausgeschlagen. Der Nachlaß ist überschuldet.

Der Nachlaßpfleger forderte im März 1990 die Beklagte auf, für die Monate Januar und Februar 1990 die Rente und den Eigenanteil für die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) an ihn zu zahlen. Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 2. Juli 1990 ab. Am 30. November 1990 ist von dem Nachlaßpfleger im Namen der unbekannten Erben Klage auf Zahlung der Rentenbeträge und für Januar und Februar 1990 des Anteils zur Krankenversicherung für Februar 1990 erhoben worden. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage als zulässige Leistungsklage nach § 54 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angesehen und als unbegründet abgewiesen. Es hat im Urteil die Berufung zugelassen (Urteil vom 31. Juli 1991). Die durch den Nachlaßpfleger vertretenen unbekannten Erben haben Berufung eingelegt.

Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG vom 31. Juli 1991 und den Bescheid der Beklagten vom 2. Juli 1990 aufgehoben. Es hat die Beklagte verurteilt, an die Kläger zH des Nachlaßpflegers 1.589,84 DM zu zahlen (Urteil vom 30. April 1993).

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Beklagten. Die Beklagte rügt sinngemäß eine Verletzung des § 58 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Erstes Buch - (SGB I).

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Juli 1991 zurückzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil des LSG war aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückzuweisen. Die Kläger können die Auszahlung der Rentenbeträge nicht verlangen.

Die Berufung ist statthaft gewesen, denn das SG hat im Urteil die Berufung nach § 150 SGG in der bis zum 28. Februar 1993 geltenden Fassung zugelassen.

Die Beklagte ist nicht verpflichtet und nicht berechtigt, die rückständigen Rentenbeträge für Januar und Februar 1990 auszuzahlen. Der Anspruch auf Auszahlung der rückständigen Rentenbeträge ist mit dem Tode der Versicherten nicht erloschen, weil er bereits durch Bescheid festgestellt war (§ 59 Satz 2 SGB I). Sonderrechtsnachfolger iS des § 56 Abs 1 SGB I sind nicht vorhanden. Ob im vorliegenden Fall der Fiskus als Erbe in Betracht kommt oder eine natürliche Person, steht noch nicht fest. Ein natürlicher Erbe ist bisher nicht ermittelt worden, bzw soweit in der Nichte vorhanden, hat diese die Erbschaft ausgeschlagen. Die Feststellung des Nachlaßgerichts nach § 1964 Abs 1 BGB, daß ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden ist, ist bisher ebenfalls noch nicht getroffen worden. Für diese Fallgestaltung hat der Senat bereits mit Urteil vom 25. November 1982 (SozR 1200 § 58 Nr 2) entschieden, daß ein vom Gericht eingesetzter Nachlaßpfleger die Auszahlung der Rente dann nicht beanspruchen kann. Der Senat hat das seinerzeit damit begründet, daß noch nicht feststehe, ob der Erbe die Erfüllung der vom Nachlaßpfleger geltend gemachten Forderungen verlangen könnte. Solange der Fiskus als Erbe in Betracht komme, bestehe die Möglichkeit, daß der Erbe nach § 58 Satz 2 SGB I die Erfüllung der Forderungen nicht verlangen könne. Zwar bestehe ebenso die Möglichkeit, daß ein natürlicher Erbe vorhanden sei, demgegenüber die Erfüllung der Leistung nicht verweigert werden könnte. Diese bloße Möglichkeit genüge aber nicht, um dem Nachlaßpfleger das Recht zuzubilligen, die fälligen Ansprüche geltend zu machen. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Sie gilt auch für den hier vom LSG angenommenen Fall, daß der Nachlaß überschuldet ist. Das LSG meint, daß bei einem überschuldeten Nachlaß der Fiskus niemals in die Lage komme, die Rentenansprüche geltend zu machen. Entweder würden die rückständigen Rentenansprüche vom Nachlaßpfleger im Namen der unbekannten Erben geltend gemacht oder, soweit der Fiskus Erbe sei, würden die Rechte von dem dann zu bestellenden Nachlaßverwalter kraft seiner Organstellung im eigenen Namen geltend gemacht. Diese Argumente des LSG sind so nicht zutreffend. Auch dann, wenn vom Nachlaßgericht nach § 1964 Abs 1 BGB die Feststellung getroffen wird, daß ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden ist, ist die Einsetzung eines Nachlaßverwalters bei einem überschuldeten Nachlaß nicht zwingend, wie sich schon aus § 1990 BGB ergibt. Im übrigen könnte auch ein Nachlaßverwalter die Zahlung der rückständigen Rentenbeträge an sich nicht verlangen, wenn der tatsächliche Erbe die Zahlung nicht verlangen könnte. Die Einreden, die gegen ein Zahlungsverlangen des Erben beständen, bestehen auch gegen den Nachlaßverwalter (vgl Soergel-Stein 12. Aufl § 1975 Anm 7). Es ist zuzugeben, daß die gesetzliche Regelung für Nachlaßgläubiger zu widersprüchlich erscheinenden Ergebnissen führt. Einerseits kann der gesetzliche Erbe, auch wenn er sich auf die beschränkte Erbenhaftung beruft, die rückständigen Rentenzahlungen als Erbe nach § 58 SGB I geltend machen. In diesem Fall werden die Nachlaßgläubiger durch das eingeräumte Erbrecht mittelbar geschützt. Andererseits kann der Fiskus die rückständigen Rentenansprüche als Erbe nicht geltend machen. In diesem Fall fallen auch die Nachlaßgläubiger mit ihren Forderungen aus, soweit sich der Fiskus auf die beschränkte Erbenhaftung beruft. Dieses Ergebnis ist aber Folge der vom Gesetzgeber gewählten Konstruktion. Der Gesetzgeber hat nicht etwa das Erbrecht des Fiskus in der Weise eingeschränkt, daß er nur für den Fall, daß der Nachlaß auch ohne die Rente zur Befriedigung der Nachlaßgläubiger ausreicht, von der Geltendmachung der Rentenansprüche ausgeschlossen ist. Der Gesetzgeber hat vielmehr den Fiskus als Erben generell von der Geltendmachung der rückständigen Rentenansprüche ausgeschlossen. Damit sind diese Ansprüche, soweit der Fiskus Erbe ist, für den Nachlaß ohne Wert und können auch nicht dazu dienen, die Nachlaßgläubiger zu befriedigen. Dies ist Folge der Tatsache, daß sich die Ansprüche der Nachlaßgläubiger gegen den Nachlaß und nicht etwa direkt gegen die Beklagte als Schuldnerin des oder der Erben richten. Wenn in den Gesetzgebungsmaterialien zu § 58 SGB I davon gesprochen wird, daß unbeschadet des Ausschlusses des Fiskus eventuelle Rechte Dritter aus den Ansprüchen befriedigt werden können (vgl BT-Drucks 7/3786), so können damit nur direkte Ansprüche dieser Dritten gegen die Beklagte gemeint sein. Ansprüche Dritter gegen den Nachlaß bzw den Erben können sich, falls der Fiskus Erbe ist, immer nur gegen den Fiskus richten und niemals gegen die Beklagte. Im übrigen ist das dargestellte Ergebnis eines quasi zufälligen Ausfalls der Nachlaßgläubiger mit ihren Forderungen nicht völlig außergewöhnlich. Bei einem überschuldeten Nachlaß können die Nachlaßgläubiger auch in anderen Fällen mehr oder weniger zufällig mit ihren Ansprüchen ausfallen, soweit Rentenzahlungen ausstehen. In allen den Fällen, in denen eine Sonderrechtsnachfolge nach § 56 SGB I hinsichtlich der rückständigen Rentenansprüche besteht, fallen die Nachlaßgläubiger mit ihren allein gegen den Erben gerichteten Forderungen aus. Unerheblich ist, daß in diesem Fall die Beklagte die rückständigen Rentenzahlungen an den Sonderrechtsnachfolger auszahlen muß. Aus der Sicht eines Nachlaßgläubigers ist es bei überschuldetem Nachlaß völlig unerheblich, ob die Beklagte rückständige Rentenzahlungen an einen Dritten zahlen muß oder überhaupt nicht zahlen muß. Der Nachlaß geht in beiden Fällen insoweit leer aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 518432

AusR 1995, 20

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