Entscheidungsstichwort (Thema)

Witwenbeihilfe. schädigungsbedingte Minderung der Witwenversorgung. rechtlich relevante Einkommenseinbußen nach Prozentsätzen

 

Orientierungssatz

1. Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "nicht unerhebliche Beeinträchtigung der Hinterbliebenenversorgung" sind die vom BMA mit Rundschreiben vom 16.3.1984 (BArbBl 1984 Nr 5, 63) herausgegebenen Richtlinien nicht zu beanstanden (vgl BSG vom 4.10.1984 - 9a RV 42/83 = SozR 3100 § 48 Nr 10 und vom 11.4.1985 - 4b/9a RV 25/84 = SozR 3100 § 48 Nr 11).

2. § 48 Abs 1 S 1 BVG stellt nicht auf die Einschränkung des individuellen Lebensbedarfs ab. Entscheidend kommt es auf die Beeinträchtigung der Hinterbliebenenversorgung an, die durch das schädigungsbedingte Mindereinkommen des verstorbenen Ehemannes verursacht ist. Diese Versorgungseinbuße kann indessen nur dann zur Zubilligung von Witwenbeihilfe führen, wenn sie in einer bestimmten Größenordnung, wie im Rundschreiben des BMA festgelegt, besteht. Davon abzuweichen besteht also weniger Anlaß, nachdem die dortigen Richtsätze mit Wirkung ab 1. Januar 1986 Gesetzeskraft erlangt haben.

 

Normenkette

BVG § 48 Abs 1 S 1 Fassung: 1985-06-04

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 14.06.1984; Aktenzeichen L 4 V 47/83)

SG Duisburg (Entscheidung vom 21.06.1983; Aktenzeichen S 18 (25) V 226/79)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Witwenbeihilfe nach § 48 Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Ihr im Jahre 1977 im Alter von 62 Jahren verstorbener Ehemann (M.) hatte wegen des Verlustes des linken Oberschenkels Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 vH (davon 10 vH wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs 2 BVG) bezogen. Die Versorgungsverwaltung hatte mit rechtsverbindlichem Bescheid vom 23. Februar 1965 Berufsschadensausgleich abgelehnt, aufgrund eines weiteren Antrags vom September 1967 jedoch für diesen Monat zuerkannt. Der Tod des M. war durch ein schädigungsunabhängiges Leiden verursacht.

M. war nach abgeschlossener Lehre von 1933 bis 1939 in seinem erlernten Beruf als Klempner und Installateur sowie mehrere Jahre als Heizungsmonteur tätig. Nach Kriegsende arbeitete er zunächst als Lagerist, von 1953 bis 1966 als Klempner und war nach schädigungsbedingter Aufgabe dieses Berufes bis November 1976 als Heizer und Kolonnenführer beschäftigt. Die von Oktober 1967 an bezogene Rente wegen Berufsunfähigkeit wurde nach Ausscheiden aus dem Berufsleben vom 1. Dezember 1976 an in ein flexibles Altersruhegeld umgewandelt.

Die Versorgungsbehörde lehnte die Gewährung von Witwenbeihilfe ab, da die Hinterbliebenenversorgung (Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung ab Oktober 1977 monatlich 765,50 DM zuzüglich monatlich 32,-- DM Werksrente) schädigungsbedingt und weniger als 10 vH beeinträchtigt werde (Bescheid vom 26. Januar 1979; Widerspruchsbescheid vom 2. August 1979).

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Nach der Vergleichsberechnung anhand der Einkommensverhältnisse einer Vergleichsperson hätte die Witwenrente in der Zeit von Oktober 1977 bis Januar 1983 zwischen 851,60 DM und 1.017,90 DM betragen; sie wäre zwischen 86,10 DM und 103,80 DM höher als tatsächlich zuerkannt. Der schädigungsbedingte Minderbetrag schwanke zwischen 10,10 und 10,16 %, bei Hinzurechnung der Werksrente bei knapp unter 10 vH (9,84 bzw 9,89). Die Gesamtversorgung der Klägerin sei nicht unerheblich beeinträchtigt.

Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision rügt der Beklagte eine Verletzung materiellen Rechts (§ 48 Abs 1 Satz 1 BVG). Nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 4. Oktober 1984 - 9a RV 42/83 (= SozR 3100 § 48 Nr 10) - sei die Frage, ob die Hinterbliebenenversorgung der Klägerin iS des § 48 Abs 1 Satz 1 BVG "nicht unerheblich beeinträchtigt ist", nach den im Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 16. März 1984 festgelegten Richtwerten zu beurteilen. Entsprechend der Höhe der bezogenen RVO-Witwenrente sei für das Ausmaß der Minderung der Hinterbliebenenversorgung der maßgebende Prozentsatz bei 15 vH festgelegt. Tatsächlich betrage die schädigungsbedingte Einbuße der Hinterbliebenenversorgung bei der Klägerin nur knapp 10 vH.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG und SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Urteile des LSG und SG sind aufzuheben, und die Klage ist abzuweisen. Der Klägerin steht Witwenbeihilfe nach § 48 Abs 1 Satz 1 BVG nicht zu.

Nach dieser Vorschrift idF des Art 2 § 1 Nr 5 HStruktG-AFG vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113), die zur Zeit des Todes des verstorbenen Ehemannes der Klägerin galt, ist einer Witwe, deren Ehemann nicht an den Folgen einer Schädigung gestorben ist, Witwenbeihilfe zu gewähren, wenn der Schwerbeschädigte durch die Folgen der Schädigung gehindert war, eine entsprechende Erwerbstätigkeit in vollem Umfang auszuüben und dadurch die Versorgung seiner Hinterbliebenen "nicht unerheblich beeinträchtigt" worden ist. Diese Voraussetzungen sieht das Berufungsgericht als erfüllt an, da die Klägerin eine schädigungsbedingte Minderung in ihrer Hinterbliebenenversorgung von knapp 10 vH hinnehmen müsse. Damit hat das LSG einen Beurteilungsmaßstab angelegt, der mit der - allerdings erst nach Erlaß des Berufungsurteils ergangenen - Rechtsprechung des Senats nicht im Einklang steht.

Der Senat hat im Urteil vom 4. Oktober 1984 (SozR 3100 § 48 Nr 10) ausgesprochen, daß zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "nicht unerhebliche Beeinträchtigung der Hinterbliebenenversorgung" die vom BMA mit Rundschreiben vom 16. März 1984 (BArbBl 1984 Nr 5, 63) herausgegebenen Richtlinien nicht zu beanstanden sind. Dieser in Fortführung von BSGE 53, 169, 171 = SozR 3100 § 48 Nr 8 und im Urteil vom 7. Dezember 1983 - 9a RV 46/82 - entwickelten Rechtsprechung des Senats hat sich auch der 4b Senat des Bundessozialgerichts (BSG) angeschlossen (SozR 3100 § 48 Nr 11). Der BMA hat in dem genannten Rundschreiben den Ländern empfohlen, von einem zwischen 10 bis 15 gestaffelten Prozentsatz als Richtwert auszugehen, der der jeweils festgelegten Einkommensgruppe zuzurechnen ist. Als Obergrenze dient dabei die durchschnittlich erzielte Witwenrente, die bei 33 vH von einem Zwölftel des zuletzt bekanntgegebenen durchschnittlichen Bruttojahresarbeitsentgelts aller Versicherten der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten liegt; als Untergrenze genügt bei einer unter 25 vH liegenden Witwenrente eine Minderung von 10 vH. Dazwischen liegen weitere vier Gruppen, bei denen je nach der Höhe der Hinterbliebenenrente eine Minderversorgung zwischen 14 und 11 vH ausreichend ist.

Für das Einstufungsgerüst ist im zugrunde liegenden Streitfall die Rentenversicherungs-Bezugsgrößenverordnung 1977 vom 1. Dezember 1976 (BGBl I 3276) maßgebend. Danach betrug das durchschnittliche Bruttojahresarbeitsentgelt 23.335,-- DM. Ein Zwölftel dieses Betrages ergibt einen Monatsbetrag von 1.945,-- DM, so daß die durchschnittliche Witwenrente von 33 vH hiervon aufgerundet 642,-- DM beträgt. Die der Klägerin ab Oktober 1977 gewährte monatliche RVO-Witwenrente in Höhe von 765,50 DM ist höher als der im Rundschreiben in Betracht kommende Vomhundertsatz von 33 vH (tatsächlich 39,3 vH). Gemessen an diesem Einkommen ist die Klägerin in die höchste der insgesamt sechs Einkommensgruppen einzustufen. Danach ist das Tatbestandsmerkmal der "nicht unerheblichen Beeinträchtigung" nur bei einer schädigungsbedingten Einbuße der Hinterbliebenenversorgung von mindestens 15 vH erfüllt. Nach den unangegriffen gebliebenen Feststellungen des LSG, die somit für das BSG verbindlich sind (§ 163 SGG), erreicht die Klägerin diesen Vomhundertsatz bei weitem nicht; er liegt bei 10,10 bis 10,16 und unter Einbeziehung der Werksrente von monatlich 32,-- DM sogar nur bei knapp unter 10 (tatsächlich um 9,84 bzw 9,89).

Diese erhebliche prozentuale Abweichung rechtfertigt nicht, wie die Klägerin unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats in SozR 3100 § 48 Nr 10 meint, eine vom Einzelfall ausgehende individuelle Beurteilung. Eine solche hatte der Senat nur bei geringfügigen Abweichungen von den den Einkommensgruppen zugeordneten Prozentsätzen für zulässig erachtet. Eine solche nach oben und unten zugebilligte Spannbreite konnte, wie aus dem Zusammenhang ersichtlich, nur bei einer Abweichung unter 1 vH liegen. Andernfalls wäre das vom BMA festgelegte Einstufungsgefüge in Frage gestellt. Gerade dies hatte aber der Senat mit seiner Rechtsprechung gebilligt.

§ 48 Abs 1 Satz 1 BVG stellt auch nicht, wie das Berufungsgericht meint, auf die Einschränkung des individuellen Lebensbedarfs ab. Die Höhe der Miete etwa ist im Verhältnis zu der tatsächlich erzielten RVO-Witwenrente ohne Belang. Entscheidend kommt es auf die Beeinträchtigung der Hinterbliebenenversorgung an, die durch das schädigungsbedingte Mindereinkommen des verstorbenen Ehemannes der Klägerin verursacht ist. Diese Versorgungseinbuße kann indessen - wie ausgeführt - nur dann zur Zubilligung von Witwenbeihilfe führen, wenn sie in einer bestimmten Größenordnung, wie im Rundschreiben des BMA festgelegt, besteht. Davon abzuweichen besteht umso weniger Anlaß, nachdem die dortigen Richtsätze mit Wirkung ab 1. Januar 1986 Gesetzeskraft erlangt haben; durch das 14. AnpG-KOV vom 4. Juni 1985 (BGBl I 910) ist § 48 Abs 1 Satz 1 BVG entsprechend geändert worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657368

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