Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Urteil vom 30.06.1983)

SG für das Saarland (Urteil vom 18.01.1983)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 30. Juni 1983 aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 18. Januar 1983 als unzulässig verworfen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Als Sonderrechtsnachfolgerin eines Beschädigten begehrt die Klägerin die nachträgliche Gewährung einer Pflegezulage der Stufe III.

Der verstorbene Ehemann der Klägerin erhielt Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), die eine Grundrente wegen Erwerbsunfähigkeit und eine Pflegezulage der Stufe I einschloß. Seinen Antrag, ihm Pflegezulage einer höheren Stufe zu gewähren, hatte das Versorgungsamt noch zu seinen Lebzeiten abgelehnt (bindend gewordener Bescheid vom 13. Juni 1977). Das im Verfahren der Beschädigtenversorgung einen Tag vor dem Tode des Beschädigten von Amts wegen eingeleitete Verwaltungsverfahren zur Überprüfung des Bescheides vom 13. Juni 1977 stellte das Versorgungsamt trotz der eine Pflegezulage der Stufe II befürwortenden versorgungsärztlichen Stellungnahme durch interne Verfügung wieder ein, weil es meinte, der Anspruch sei mit dem Tode des Beschädigten erloschen.

Im Verfahren der Hinterbliebenenversorgung lehnte die Versorgungsverwaltung die Gewährung einer Witwenrente ab, da der Beschädigte nicht an den Folgen einer Schädigung gestorben sei, bewilligte aber stattdessen Witwenbeihilfe (§ 48 BVG) in voller Höhe der Witwenrente (Bescheid vom 30. Mai 1978, Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 1980).

Mit der Klage hat die Klägerin zunächst Witwenrente und Schadensausgleich für Witwen begehrt. Daraufhin hat sich der Beklagte in einem Prozeßvergleich mit vorbehaltenem Widerrufsrecht bereiterklärt, der Klägerin Witwenrente und ab Januar 1977 Pflegezulage der Stufe II bis zum Tode ihres verstorbenen Ehemannes zu gewähren. Die Klägerin hat dafür ihren Anspruch auf Schadensausgleich für Witwen zurückgenommen.

Nach dem rechtzeitigen Vergleichswiderruf beider Beteiligten hat die Klägerin den Klageanspruch auf Schadensausgleich gemäß § 40 a Abs. 1 und 3 BVG in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) zurückgenommen und stattdessen begehrt, den Beklagten zur Gewährung von Witwenrente und einer Pflegezulage der Stufe III für die Zeit von Juni 1977 bis Januar 1978 zu verurteilen. Dem hat das SG stattgegeben (Urteil vom 18. Januar 1983).

Auf die nur noch wegen der letztgenannten Leistung eingelegte Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG insoweit aufgehoben und die Klage entsprechend abgewiesen, wie Pflegezulage der Stufe III zugesprochen worden ist: Die an sich nicht statthafte Berufung sei gemäß § 150 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, denn das SG hätte die Klage auf Pflegezulage als unzulässig abweisen müssen. Es fehle an einem anfechtbaren Verwaltungsakt des Beklagten über die begehrte Zugunstenentscheidung (Urteil vom 30. Juni 1983).

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin, das LSG habe die Klage zu Unrecht für unzulässig gehalten. Der für die Zulässigkeit ihrer Anfechtungsklage vorauszusetzende Verwaltungsakt, mit dem der Beklagte es abgelehnt habe, den begehrten Zugunstenbescheid zu erlassen, sei entgegen der Meinung des LSG im Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 1980 enthalten. Das LSG hätte seinerseits gemäß § 148 Nr. 2 SGG die Berufung des Beklagten als unzulässig verwerfen müssen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 30. Juni 1983 aufzuheben und die Berufung des Beklagten als unzulässig zu verwerfen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

Das LSG durfte der Berufung des Beklagten nicht stattgeben, weil dieses Rechtsmittel nicht statthaft war.

In Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung ist die Berufung nicht statthaft und damit auch nicht zulässig, soweit sie Versorgung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum betrifft (§ 148 Nr. 2 SGG). Das trifft auf die seit dem Berufungsverfahren allein noch umstrittene Pflegezulage (§ 35 BVG) zu. Der Senat vermag dem Berufungsgericht nicht darin zu folgen, daß die Berufung ungeachtet dessen wegen des vom Beklagten als Verfahrensmangel gerügten Vorgehens des SG zulässig war.

Das Verfahren des SG leidet nicht an einem wesentlichen Mangel. Zunächst war die Änderung der Klage dahin, daß die Klägerin nunmehr anstatt eines Schadensausgleichs für Witwen (§ 40 a BVG) aufgrund der Sonderrechtsnachfolge eine höhere Pflegezulage forderte, zulässig. Denn der Beklagte hatte sich in der mündlichen Verhandlung auf sie eingelassen, ohne der Änderung zu widersprechen, so daß seine Einwilligung anzunehmen ist (§ 99 Abs. 1 iVm Abs. 2 SGG). Sodann waren auch die Prozeßvoraussetzungen für diese geänderte Klage erfüllt, so daß entgegen der Rüge des Beklagten darin nicht ein wesentlicher Mangel des Verfahrens liegt, daß das SG in der Sache entschieden hat. Zwar ist dem Beklagten und dem LSG einzuräumen, daß die Aufhebungs- oder Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ebenso wie die speziell hier erhobene verbundene Aufhebungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) grundsätzlich nur dann zulässig ist, wenn ein Verwaltungsakt (§ 31 des Sozialgesetzbuchs, Zehntes Buch, Verwaltungsverfahren – SGB 10 –; bis zum 31. Dezember 1900: § 22 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung) vorliegt (BSGE 9, 171, 173; 39, 86, 87 = SozR 2200 § 628 Nr. 1). Die vor Erlaß eines solchen Bescheides unzulässige Klage wird aber zulässig, wenn der zunächst fehlende Verwaltungsakt bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nachgeholt wird. Das gilt im Grundsatz für alle Prozeßvoraussetzungen, die nicht ihrer besonderen Eigenart wegen eine Nachholung von vornherein ausschließen (zB die Einhaltung der Klagefrist).

Der Beklagte hatte im vorliegenden Rechtsstreit vor der letzten mündlichen Verhandlung des SG über den Pflegezulage-Anspruch der Klägerin durch Verwaltungsakt entschieden.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 31 Satz 1 SGB 10). Spätestens mit seinem Schriftsatz vom 11. Dezember 1981, der den Widerruf des auch über die Gewährung einer höheren Pflegezulage geschlossenen gerichtlichen Vergleichs erklärte, lehnte es das den Beklagten vertretende Landesversorgungsamt ab, der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes eine höhere Pflegezulage zu gewähren. Jedenfalls hierin wird der Regelungswille der Behörde auch hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin auf Pflegezulage unmißverständlich deutlich. Das Landesversorgungsamt begründete dies erstmals in einem späteren Schriftsatz damit, daß es sich der Meinung des Versorgungsamts anschließe, wonach eine Zugunstenentscheidung nach dem Tode des Ehemannes der Klägerin nicht mehr möglich sei (Schriftsatz vom 26. Mai 1982).

Damit liegt ein schriftlicher Verwaltungsakt vor (§ 31 Satz 1 SGB 10), der inhaltlich hinreichend bestimmt ist, die erlassende Behörde zu erkennen gibt, von dem Beauftragten des Behördenleiters unterschrieben und durch Vermittlung des Gerichts dem Betroffenen bekanntgegeben worden ist (§ 33 Abs. 1, 2 und 3, § 37 Abs. 1 SGB 10; vgl BSGE 46, 127, 135 = SozR 3100 § 89 Nr. 6; BSGE 53, 194, 195 = SozR 2200 § 1303 Nr. 24). Den zunächst vorliegenden Formfehler der mangelnden Begründung (§ 35 Abs. 1 SGB 10) hat die spätere Nachholung sogar noch geheilt (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB 10). Es fehlt allerdings die Rechtsbehelfsbelehrung (§ 36 SGB 10). Anfechtungsgründe dieser Art können aber die grundsätzliche Zulässigkeit der Anfechtungsklage nicht mehr ändern. Selbst wenn die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes wegen Abweichungen von der vorgeschriebenen Form zweifelhaft wäre, hätte die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Anfechtung gehabt, um den belastenden Anschein eines wirksamen Verwaltungsakts zu beseitigen (vgl Urteil des Senats vom 6. Oktober 1981 – 9 RVg 1/81 – in VersorgB 1982, 59).

Da der gerügte Verfahrensmangel des SG tatsächlich nicht vorlag, war das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1062280

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