Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragserhebung (Vierfache des normalen Beitrags). Bauarbeiten (nicht gewerbsmäßige)

 

Leitsatz (amtlich)

Sieht die Satzung einer Bau-BG für nicht gewerbsmäßige Unternehmer ganz allgemein die Erhebung des Vierfachen des sonst maßgebenden Beitragssatzes vor, obwohl eine solche hohe Beitragsbelastung unter Würdigung aller maßgeblichen Sachgesichtspunkte auch nicht annähernd gerechtfertigt wäre, so verstieße sie sowohl gegen die Ermächtigungsnorm (RVO § 728 Abs 3) als auch gegen GG Art 3 und wäre deshalb unwirksam.

 

Normenkette

RVO § 728 Abs. 3 Fassung: 1963-04-30; GG Art. 3

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 8. Mai 1973 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger ließ im Jahre 1968 in seinem Mehrfamilienhaus in Berlin in eigener Regie durch Handwerker eine Ölheizungsanlage einbauen und Modernisierungen von Wohnungen vornehmen. Nachdem der Kläger der Beklagten die bei diesen nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten im Jahre 1968 tätigen Personen, ferner die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und die Bruttolöhne im Gesamtbetrag von 17.313,- DM angemeldet hatte, verlangte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Februar 1969 vom Kläger einen Unfallversicherungsbeitrag von 1.789,39 DM. Dieser Betrag ergab sich aus der Lohnsumme, vervielfältigt mit den Gefahrklassen und dem Vierfachen des sonst maßgebenden Beitragssatzes. Nach erfolglosem Widerspruch (Bescheid vom 17. Februar 1970) hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Berlin Klage erhoben und geltend gemacht, er habe im Jahre 1968 durch die von ihm beschäftigten Handwerker nur Innenarbeiten, nicht aber gefährliche Außenarbeiten auf Gerüsten oder ähnliches ausführen lassen. Dabei habe sich kein Unfall ereignet. Wenn die Beklagte von ihm das Vierfache des für gewerbsmäßige Bauarbeiten berechneten Beitragssatzes verlange, so verstoße das gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Das SG hat die Klage mit Urteil vom 18. März 1971 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und im wesentlichen ausgeführt, die Berufung sei zulässig, da es sich bei dem geforderten Beitrag nicht um eine einmalige "Leistung" im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), d. h. nicht um einen "Anspruch" eines Versicherten handele. Das Rechtsmittel sei jedoch nicht begründet. Die Beklagte stütze sich bei ihrer Beitragsforderung auf § 63 Abs. 1 der am 26. November 1965 von der Vertreterversammlung beschlossenen Satzung, die vom Bundesversicherungsamt genehmigt worden und mit Wirkung vom 1. Januar 1966 in Kraft getreten sei. Der Erlaß einer Satzung sei kein Verwaltungsakt, sondern ein Akt der Rechtssetzung. Die Satzung könne von den zur Prüfung ihrer Rechtmäßigkeit berufenen Gerichten nur beanstandet werden, wenn das Gesetz, auf dem die Ermächtigung beruhe, oder höherrangiges Recht verletzt sei. Nach § 728 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO), auf dem § 63 Abs. 1 der Satzung beruhe, könne die Satzung bestimmen, daß der Beitrag für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten ein Mehrfaches, höchstens jedoch das Vierfache des nach dem Gefahrtarif berechneten Beitrages des letzten Geschäftsjahres ausmache. Diese Vorschrift sei nicht verfassungswidrig. Die aus den Gesetzesmaterialien ersichtliche Erwägung, daß die Sonderregelung in § 728 Abs. 3 RVO deshalb notwendig sei, weil die Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten nur kurzfristig Mitglieder der Berufsgenossenschaft seien und deshalb für die Belastung aus Arbeitsunfällen in späterer Zeit nicht mehr herangezogen werden könnten, reiche aus, um die in § 728 Abs. 3 RVO getroffene Regelung zu rechtfertigen und verfassungsrechtliche Bedenken zu entkräften. Auf längere Sicht trügen die gewerblichen Bauunternehmer mit ihren im Wege des Umlageverfahrens erhobenen Beiträgen auch diejenigen Aufwendungen mit, die auf den bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten eingetretenen Unfällen beruhten. Die gewerblichen Bauunternehmer ermöglichten mit ihren Umlagebeiträgen auch die Schaffung und Unterhaltung der für die Unfallversicherung erforderlichen ständigen Einrichtungen, insbesondere auf dem Gebiet der Unfallverhütung. Unter diesen Umständen sei die der Beitragsbemessung zugrunde liegende Differenzierung sachgerecht und mit Art. 3 Abs. 3 GG vereinbar. Wenn die Satzung den Beitrag einheitlich auf das Vierfache festgesetzt habe, so sei dies nicht zu beanstanden. Da die Beklagte zu einer Abstufung der Beitragserhöhung innerhalb des gesetzlichen Rahmens nicht verpflichtet sei, könne ihr deswegen ein Ermessensfehlgebrauch nicht angelastet werden. In einem sozialen Staat, in dem der Einzelne gegen Unfall, Krankheit, Erwerbsminderung und Alter ver- und gesichert sei, sei zur Aufbringung der Mittel für diese Sicherung nur eine pauschale Heranziehung der Versicherten oder ihrer Arbeitgeber möglich. Dabei müsse im Einzelfall das Versicherungsrisiko außer Betracht bleiben. Dadurch würden Grundrechte nicht verletzt. Zu Unrecht wende sich deshalb der Kläger gegen eine "Monopolstellung" des Versicherungsträgers.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 728 Abs. 3 RVO bzw. des § 63 Abs. 1 der Satzung der Beklagten. Diese Vorschriften seien wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG nichtig, weil sie eine ungleiche Behandlung zuließen, ohne entsprechende sachliche Unterschiede zu fordern. Mit weiterem Schreiben vom 20. März 1974 hat der Kläger noch eine Ablichtung eines Schreibens an das Schleswig-Holsteinische LSG vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des SG Berlin vom 18. März 1971 und des LSG Berlin vom 8. Mai 1973 sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 13. Februar 1969 und 17. Februar 1970 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Das LSG-Urteil sei zutreffend und stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des 2. Senats des Bundessozialgerichts (BSG).

Während des Revisionsverfahrens hat der Kläger angeregt, seine Revision bis auf weiteres unbehandelt zu lassen, weil er in einem Parallel-Verfahren vor dem LSG Schleswig-Holstein die Sache unter Umgehung der Revisionsinstanz so schnell wie möglich an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bringen wolle, was bei Berliner Sachen nicht möglich sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Senat sah sich nicht veranlaßt, den Abschluß eines Parallel-Verfahrens vor dem LSG Schleswig-Holstein abzuwarten, zumal eine Verfassungsbeschwerde beim BVerfG auch in dem dortigen Verfahren grundsätzlich erst nach Erschöpfung des Rechtsweges statthaft wäre (§ 90 Abs. 2 Satz 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG -).

Die Revision ist nicht begründet. Gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen keine Bedenken (vgl. BSG 6, 47, 50 und BSG in SozR Nr. 9 zu § 144 SGG). In sachlicher Hinsicht ist von der Vorschrift des § 728 Abs. 3 RVO auszugehen, die mit Wirkung vom 1. Juli 1963 durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I, 241) neu gefaßt worden ist. Hiernach kann die Satzung bestimmen, daß der Beitrag für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten ein Mehrfaches, höchstens jedoch das Vierfache des nach dem Gefahrtarif berechneten Beitrags des letzten Geschäftsjahres beträgt. Dazu hat der 2. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 19. Dezember 1968 in SozR Nr. 1 zu § 728 RVO ausgeführt, daß eine derartige Sonderregelung schon dem früheren Recht für längere nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten bekannt gewesen sei. Der 2. Senat hat unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien betont, diese Sonderregelung sei notwendig, weil die Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten, die bisher bei den Zweiganstalten nach besonderen Prämientarifen zu Beiträgen herangezogen worden seien, nur kurzfristig Mitglieder der Berufsgenossenschaft seien und deshalb für die Belastung aus Arbeitsunfällen in späterer Zeit nicht mehr herangezogen werden könnten (vgl. BT-Drucks. III/758 S. 64 zu § 726 des Entwurfs; BT-Drucks. IV/120 S. 67 zu § 725 des Entwurfs; s. auch Linthe in BG, Sonderheft vom 27. Mai 1963 S. 32); der 2. Senat hat dazu ausgesprochen, dies reiche aus, um die in § 728 Abs. 3 RVO getroffene Regelung zu rechtfertigen und zugleich die von der Revision hiergegen vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken zu entkräften (vgl. SozR aaO Aa 1 Rücks.). Der Kläger wendet sich in seinem an das LSG Schleswig-Holstein gerichteten Schreiben vom 15. Januar 1974 gegen diese Entscheidung und beanstandet die weitere Erwägung des 2. Senats in dem zitierten Urteil, die gewerblichen Unternehmen müßten aufgrund ihrer in der Regel längeren Zugehörigkeit zur Beklagten auch die Aufwendungen mittragen, die von den ihr nur kurzfristig angehörenden nichtgewerblichen Unternehmern verursacht würden; er hält diesen Gedanken versicherungsmathematisch für abwegig, weil die längere Zugehörigkeit zur Gefahrengemeinschaft eine entsprechend längere Arbeitszeit und damit auch ein größeres Unfallrisiko bedeute und der nicht gewerbsmäßige Unternehmer in dem ihn betreffenden Jahr alle Aufwendungen mittrage, und zwar auch die, die aus den viele Jahre zurückliegenden Arbeitsunfällen herrührten. Ebenso sei die Erwägung unrichtig, nur die gewerblichen Unternehmer mit ihren ständigen Beiträgen würden die Einrichtungen zur Unfallverhütung ermöglichen.

Diese Einwendungen des Klägers sind jedoch nicht geeignet, ein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Abgesehen davon, daß der 2. Senat nicht ausgeführt hat, "nur" die gewerbsmäßigen Unternehmer ermöglichten die Einrichtungen zur Unfallverhütung, verstößt es nicht gegen Gesetze der Logik und der Beitragsgerechtigkeit, bei der Aufbringung von Mitteln im Wege eines jährlichen Umlageverfahrens grundsätzliche Unterschiede zwischen den ständigen Beitragszahlern und solchen zu machen, die nur ausnahmsweise Bauarbeiten von oft verhältnismäßig kurzer Dauer (mehr als sechs Arbeitstage - vgl. § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO; § 59 Abs. 1 der Satzung der Beklagten) - ausführen. Denn eine Bau-Berufsgenossenschaft kann nicht ohne ständige Einrichtungen zweckentsprechend tätig werden. Ausmaß und nähere Gestaltung der erforderlichen Einrichtungen werden grundsätzlich durch die ständigen, d. h. die gewerbsmäßigen Unternehmer und durch die von ihnen geleisteten sowie zu erwartenden Umlagebeiträge bestimmt. Dem gelegentlich oder nur einmalig in die Bau-Berufsgenossenschaft einbezogenen Unternehmer kommen nicht nur allgemein die ohne sein Zutun gewonnenen Erfahrungen und die Vorsorgemaßnahmen der Unfallverhütung zugute, sondern im Falle eines Unfalls auch die übrigen Einrichtungen der gesetzlichen Unfallversicherung mit allen für den Verletzten und den Unternehmer, insbesondere auch für dessen Schadensersatzpflicht, bedeutsamen Konsequenzen (vgl. §§ 636 bis 639 RVO). Auf der anderen Seite ist der nicht gewerbsmäßige Unternehmer nach Beendigung seiner eigenen nur vorübergehenden Bauarbeiten an der weiteren wirtschaftlichen Sicherung der Gefahrengemeinschaft, deren Einrichtungen ihm zugute gekommen sind, nicht nur nicht beteiligt, sondern er trägt auch die etwaige Unfallast aus seiner eigenen Bautätigkeit nicht mit, wenn seine Mitgliedschaft nur innerhalb eines Geschäftsjahres besteht und sein Beitrag, wie es die Satzung der Beklagten im § 63 Abs. 1 vorschreibt, nach dem Beitrag "des letzten Geschäftsjahres" bemessen wird, obwohl es nicht der Lebenserfahrung widerspricht, bei solchen vorübergehenden Bauarbeiten ein höheres Unfallrisiko anzunehmen. Eine Differenzierung in der Beitragserhebung zwischen "gewerbsmäßig" und "nicht gewerbsmäßig" ist somit sachgerecht, weshalb der erkennende Senat den 2. Senat des BSG darin zustimmt (vgl. SozR aaO Aa 2), daß § 728 Abs. 3 RVO nicht gegen Art. 3 GG verstößt.

Wenn der Kläger einräumt, daß die nichtgewerblichen Unternehmer tatsächlich ein Vielfaches an Aufwendungen je Mark gemeldeter Lohnsumme verursachen dürften (Bl. 24 der Revisionsakte), weil im großen Umfang "schwarz" gearbeitet werde und die Beitragspflicht oft erst bei Eintritt eines Unfalls bekannt würde, bestätigt er damit selbst, daß insoweit erhebliche Unterschiede zwischen gewerbsmäßigen und nicht gewerbsmäßigen Unternehmern bestehen können. Der Kläger folgert daraus, diese Tatsache könne man aber nicht den ehrlichen nichtgewerblichen Unternehmern anlasten, die brav ihrer Meldepflicht nachkommen, ohne daß etwas passiert ist; andernfalls würden sie ja für ihre Ehrlichkeit geradezu bestraft werden (Bl. 24); deshalb solle man den vierfachen Beitragssatz nur von nicht gewerbsmäßigen Unternehmern verlangen, die ihrer Meldepflicht nicht nachgekommen seien. Diese Schlußfolgerung verkennt zum einen, daß von unbekannten Unternehmern überhaupt keine Beiträge eingezogen werden können und daß andererseits dem Unfallversicherungsträger durch "Schwarzarbeiten", die keine Unfälle mit sich bringen, auch keine Unfallasten entstehen. Hinsichtlich der anderen Fälle wird vom Kläger nicht beachtet, daß die Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten gemäß § 70 der Satzung bei Verstoß gegen die Meldepflicht sowie wegen anderer Verstöße mit erheblichen Strafen belegt werden können, womit dem Unfallversicherungsträger neben der nachträglichen Beitragsheranziehung zusätzliche Mittel zugeführt werden. Die Revision wendet sich indessen in Wirklichkeit nicht schlechthin gegen einen erhöhten Beitrag für nicht gewerbsmäßige Unternehmer, sondern hauptsächlich gegen die Festsetzung des Vierfachen des üblichen Beitrags (vgl. Revisionsakte Bl. 24). Dieses Vorbringen kann sich aber nicht gegen die Gesetzesvorschrift des § 728 Abs. 3 RVO richten, denn dort ist dies nicht vorgeschrieben, sondern im Gegenteil festgelegt, daß der Beitrag "höchstens das Vierfache" betragen darf. Die Beanstandung des Klägers richtet sich somit gegen die Satzung der Beklagten, die in § 63 Abs. 1 ganz allgemein bestimmt: "Der Beitrag für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten beträgt das Vierfache des nach dem Gefahrtarif berechneten Beitrages des letzten Geschäftsjahres (§ 728 Abs. 3 RVO)". Das LSG hat dazu - unter Hinweis auf BSG 13, 194 - ausgeführt, der Erlaß einer Satzung sei kein Verwaltungsakt, sondern ein Akt der Rechtssetzung, weshalb die Satzung von den Gerichten nur beanstandet werden könne, wenn das Gesetz, auf dem die Ermächtigung beruht oder höherrangiges Recht verletzt worden sei. Zu einer Abstufung innerhalb des gesetzlichen Rahmens sei sie nicht verpflichtet. Ob damit der Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers für den vorliegenden Fall hinreichend umrissen ist, mag zweifelhaft sein.

Zuleeg vertritt in seiner Abhandlung: "Die Ermessensfreiheit des Verordnungsgebers" in DVBl 1970, 157 ff die Auffassung, die vollziehende Gewalt müsse denselben strengen Ermessensregeln unterworfen werden wie beim Erlaß von Verwaltungsakten; die vollziehende Gewalt sei eher geneigt, unzulässige Erwägungen anzustellen, weil sie die Abgrenzung der relevanten Fehlergründe zu ihren Gunsten auslege, jedenfalls bestehe diese Gefahr (S. 159). Er kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß "Rechtsverordnungen ... in der Bundesrepublik Deutschland denselben Ermessensregeln wie Verwaltungsakte" unterliegen. Das BVerfG hat sich im Beschluß vom 23. Juli 1963 (BVerfGE 16, 332) zur verfassungsrechtlichen Stellung des Verordnungsgebers in ähnlichem Sinne geäußert. Danach hat der Verordnungsgeber einen Gestaltungsraum innerhalb der ihm jeweils aufgrund des Art. 80 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen; in diesem Raum muß er nach dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG im wohlverstandenen Sinn der ihm erteilten Ermächtigung handeln und darf keine Differenzierungen vornehmen, wenn sie über die Grenzen einer formell und materiell verfassungsmäßigen Ermächtigung hinaus eine Korrektur der Entscheidungen des Gesetzgebers bedeuten würden; in "den engen Grenzen des ihm demnach zustehenden Ermessens hat er sich von sachfremden Erwägungen freizuhalten" (aaO S. 338/339).

Im vorliegenden Fall ist allerdings keine Rechtsverordnung, sondern die Gültigkeit einer Satzungsbestimmung eines Unfallversicherungsträgers zu überprüfen. Der 2. Senat hat dazu mit Recht ausgesprochen, daß sich Art. 80 GG (Erlaß von Rechtsverordnungen) nicht auf die Befugnis von Selbstverwaltungskörperschaften bezieht, autonomes Recht zu setzen und auch eine analoge Anwendung bei der Prüfung autonomen Satzungsrechts nicht in Betracht kommt (SozR Nr. 1 zu § 728 RVO Aa 2 mit weiteren Nachweisen). Doch wäre zu erwägen, ob in den Fällen, in denen dem Unfallversicherungsträger - wie hier in § 728 Abs. 3 RVO - eine eindeutig begrenzte gesetzliche Ermächtigung eingeräumt ist, nicht nach den gleichen Grundsätzen zu verfahren ist, und zwar deswegen, weil das autonome Satzungsrecht durch das in diesen Fällen höherrangige Gesetzesrecht entscheidend eingeschränkt ist. Doch brauchte diese Frage hier nicht abschließend entschieden zu werden. Denn auch wenn man mit der Entscheidung des 2. Senats vom 13. Dezember 1960 (BSG 13, 189, 194) davon ausgeht, daß die Satzung, die keinen Verwaltungsakt darstellt, sondern ein Akt der Rechtssetzung ist, von dem zur Prüfung ihrer Rechtmäßigkeit berufenen Gericht nur beanstandet werden kann, wenn das Gesetz, auf dem die Ermächtigung beruht, oder höherrangiges Recht verletzt worden ist, sind der Entschließungsfreiheit des Unfallversicherungsträgers Grenzen gesetzt.

Wenn die Organe der Beklagten, insbesondere deren Vertreterversammlung, bei der Schaffung des § 63 Abs. 1 der Satzung - wie die Revision offenbar meint - willkürlich verfahren wären, indem sie für die nicht gewerbsmäßigen Unternehmer das Vierfache des normalen Beitrags festgesetzt hätten, obwohl deren anteilige. Unfalllasten im Verhältnis zu den anderen Unternehmern etwa gleich oder nur geringfügig höher wären bzw. wenn eine solche hohe Beitragsbelastung unter Würdigung aller maßgeblichen Sachgesichtspunkte auch nicht annähernd gerechtfertigt wäre, so würde diese Satzungsbestimmung sowohl gegen die Ermächtigungsnorm (§ 728 Abs. 3 RVO) als auch gegen Art. 3 GG verstoßen. Denn § 728 Abs. 3 RVO läßt nur ein "Mehrfaches" des Beitragssatzes zu mit der Einschränkung, daß "höchstens jedoch das Vierfache" des normalen Satzes bestimmt werden darf. Eine Satzung, die aus diesem Höchstsatz im praktischen Ergebnis einen Mindestsatz machen wollte, indem sie etwa nur deshalb, weil dem Unfallversicherungsträger die Ausführung nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten möglicherweise unerwünscht erschiene, ohne weitere sachgerechte Abwägung stets den höchstzulässigen Beitragssatz zur Anwendung brächte, würde die Vorschrift des § 728 Abs. 3 RVO in ihr Gegenteil verkehren und deshalb wegen Verstoßes gegen diese Vorschrift unwirksam sein. Ein solches oder ähnliches Vorgehen würde darüber hinaus aber auch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, weil ein Teil der Mitglieder ohne gerechtfertigten Grund mit zu hohen Beiträgen belastet würden und die anderen Mitglieder wegen des Umlageverfahrens dadurch gleichzeitig ohne gerechtfertigten Grund sich niedrigerer Beiträge erfreuen könnten. Wenn auch der autonome Satzungsgeber aus grundgesetzlicher Sicht - wie der Gesetzgeber - eine weitgehende Gestaltungsfreiheit hat, so darf er doch nicht Ungleichheiten schaffen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht hingenommen werden können (vgl. Entscheidung des BVerfG vom 17. März 1959 in SozR Nr. 44 zu Art. 3 GG Ab 15 mit weiteren Nachweisen). Ein solcher Fall wäre aber gegeben, wenn die streitige Satzungsbestimmung in der oben geschilderten oder in einer ähnlichen Weise willkürlich zustande gekommen wäre.

Daß dies hier der Fall ist, hat die Revision jedoch nicht dargetan. Sie beschränkt sich vielmehr auf allgemeines Vorbringen, ohne für den konkreten Fall darzulegen, daß und weshalb das Vierfache des Beitragssatzes angesichts der ihr bekannt gewordenen Unfallzahlen oder anteiligen Schadenssummen ganz offensichtlich zu hoch sei. Zu solchen näheren Angaben hätte sich die Revision um so mehr veranlaßt sehen müssen, als die Beklagte schon im sozialgerichtlichen Verfahren (vgl. Schriftsatz vom 16. Februar 1971) u. a. vorgetragen hat, daß ein erhöhtes Versicherungsrisiko für die Bau-Berufsgenossenschaften bestehe, habe sich in der Zeit bis zum Inkrafttreten des UVNG gezeigt. Bis dahin seien die Bau-Berufsgenossenschaften verpflichtet gewesen, dem Bundesversicherungsamt für die Aufstellung der Prämientarife alle fünf Jahre Unterlagen über die Aufwendungen aus nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten einzureichen. Die nach diesen Grundlagen festgesetzten Prämien hätten schon damals ständig etwa das Vierfache der normalen Beitragssätze betragen. Da die von der Beklagten vorgenommene Beitragsfestsetzung mit Rücksicht auf die obigen Darlegungen des Senats zur Frage der zulässigen Differenzierung zwischen gewerbsmäßigen und nicht gewerbsmäßigen Unternehmern und auf den Umstand, daß das Gesetz selbst vom "Vierfachen" des Beitragssatzes spricht, nicht von vornherein den Charakter der Willkür auf der Stirn trägt, hätte die Revision ihre Annahme durch hinreichend präzise Angaben untermauern müssen. Stattdessen hat sie selbst eingeräumt, daß die nicht gewerbsmäßigen Unternehmer tatsächlich ein Vielfaches an Aufwendungen je Mark gemeldeter Lohnsumme verursachen dürften.

Da das angefochtene Urteil nach alledem im Ergebnis nicht zu beanstanden war, konnte die Revision keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649081

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