Leitsatz (amtlich)

Streitigkeiten zwischen einer LVA und einer AOK über die Rückzahlung von Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner, die die Krankenkasse zu Unrecht von den von ihr eingezogenen und an die LVA abzuführenden Beiträgen zur Rentenversicherung der Arbeiter einbehalten hat, sind keine Streitigkeiten "wegen Rückerstattung von Beiträgen", sondern "Erstattungsstreitigkeiten zwischen ... Körperschaften des öffentlichen Rechts" iS des SGG § 149; die Berufung ist daher ausgeschlossen, wenn der Beschwerdewert 500 DM nicht übersteigt.

 

Normenkette

SGG § 149 Fassung: 1958-06-25

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. März 1961 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Speyer behielt von den Beiträgen zur Rentenversicherung der Arbeiter, die sie in der Zeit vom 1. Oktober 1956 bis zum 31. März 1959 für die klagende Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinland-Pfalz eingezogen hatte, 413, 72 DM als Beitrag zur Krankenversicherung des Waisenrentenempfängers S... ein; dieser war aber in dem genannten Zeitraum bei der AOK Ludwigshafen auf Grund Versicherungspflichtiger Beschäftigung gegen Krankheit versichert, so daß eine Versicherung in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) nicht bestand (§ 165 Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) und die LVA daher zur Zahlung von Beiträgen zur Krankenversicherung für ihn nicht verpflichtet war.

Da sich die beklagte AOK - der die versicherungspflichtige Beschäftigung des S. nicht bekannt geworden war - weigerte, die für S. einbehaltenen Beiträge zur KVdR zurückzuzahlen, erhob die LVA Klage auf Erstattung von 413,72 DM. Das Sozialgericht (SG) verurteilte die beklagte AOK, "die in der Waisenrentensache W. S. zu Unrecht empfangenen Krankenversicherungsbeiträge in vollen Umfange zurückzuerstatten". Die Berufung wurde nicht lassen; die Rechtsmittelbelehrung enthält den Hinweis, daß gegen dieses Urteil die Berufung zulässig sei.

Gegen das ihr am 5. Februar 1960 zugestellte Urteil legte die beklagte AOK am 3. März 1960 Berufung ein. Sie ist der Ansicht, die Berufung sei nach § 149 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht ausgeschlossen, weil es sich um eine Streitigkeit wegen Rückerstattung von Beiträgen handele und der Beschwerdewert 50 DM übersteige. Die klagende. LVA erklärte demgegenüber, sie fordere nicht Erstattung der entrichteten Beiträge zur KVdR, sondern die Nachzahlung zu wenig, abgeführter Rentenversicherungsbeiträge.

Mit Urteil vom 15. März 1961 verwarf das Landessozialgericht (LSG) die Berufung als unzulässig. Die Berufung betreffe eine Erstattungsstreitigkeit zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts in Sinne des § 149 SGG, denn die beklagte AOK habe die Beiträge zur KVdR für den Waisenrentenempfänger S. von den eingezogenen Beiträgen zur Rentenversicherung einbehalten und dadurch Beiträge zur KVdR von der Klägerin erhalten. Da der Anspruch auf Rückerstattung den Beschwerdewert von 500 DM nicht erreiche, sei die Berufung nicht zulässig.

Gegen das am 13. April 1961 zugestellte Urteil legte die beklagte AOK am 4. Mai 1961 Revision ein mit dem Antrag, die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie rügt Verletzung des § 149 SGG. Da es sich um einen Streit wegen Rückerstattung von Beiträgen, nicht aber um eine Ersatz- oder Erstattungsstreitigkeit handele, und der Beschwerdewert 50 DM Obersteige, sei die Berufung zu Unrecht verworfen worden.

Die Klägerin beantragte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise das LSG-Urteil abzuändern und die Beklagte zur Zahlung von 413,72 DM zu verurteilen.

II

Die form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nicht zulässig.

Nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist die Revision auch ohne Zulassung durch das LSG statthaft, wenn ein - tatsächlich vorliegender - wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (BSG 1, 150, 153). Die Rüge der AOK, das Verfahren des LSG leide deswegen an einem wesentlichen Mangel, weil es die Berufung als unzulässig verworfen hat, vermag die Statthaftigkeit der Revision nicht zu begründen. Zwar liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel auch dann vor, wenn das LSG anstelle einer Sachentscheidung ein Prozeßurteil erlassen hat (vgl. BSG 1, 283; 3, 293; 297; 47; 200 f; SozR § 143 SGG Nr. 1). Das LSG hat aber im vorliegenden Fall die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Es ist dabei ohne Rechtsirrtum davon ausgegangen, daß die Berufung nicht zugelassen war; denn der Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung, das Urteil könne mit der Berufung angefochten werden, stellt keine wirksame Berufungszulassung nach § 150 Nr. 1 SGG dar (BSG 2, 121, 125; BSG SozR SGG § 162 Nr. 36).

Die Berufung war auch nicht nach § 143 SGG zulässig, denn es handelt sich hier nicht um eine Klage auf Abführung der von der Krankenkasse eingezogenen Beiträge zur Rentenversicherung, sondern um einen Erstattungsstreit zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts, so daß sich die Zulässigkeit der Berufung nach § 149 SGG richtet. Die Auffassung, die LVA mache einen Anspruch auf Abführung der Beiträge zur Rentenversicherung gegenüber der Krankenkasse geltend, wird der Rechtslage nicht gerecht, wie sie für den Abrechnungsverkehr zwischen Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern durch die KVdR-Beitragsvorschriften vom 26. Juli 1956 (BABl 1956, 491) gekennzeichnet ist. Hiernach meldet die Krankenkasse bis spätestens zum 20. eines jeden Monats dem Rentenversicherungsträger lediglich die Zahl der versicherungspflichtigen Rentner nach den Stand vom ersten des Abrechnungsmonats, den allgemeinen Beitragssatz für die die versicherungspflichtigen Mitglieder, den nach § 385 Abs. 2 RVO ermäßigten Beitragssatz sowie die sich hieraus nach § 381 Abs. 2 RVO gegen den Rentenversicherungsträger ergebende Beitragsforderung (§1 Abs. 1 KVdR-Beitragsvorschriften). Den auf diese Weise ermittelten Betrag behält die Krankenkasse von den Beiträgen ein, die sie für den Träger der Rentenversicherung eingezogen hat (§2 KVdR-Beitragsvorschriften), und führt von den eingezogenen Rentenversicherungsbeiträgen nur noch den Restbetrag an den Rentenversicherungsträger ab. Damit sind die Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner entrichtet. Im vorliegenden Fall hat die beklagte AOK auf diese Weise zu Unrecht Beitrage zur KVdR für den Waisenrentenempfänger S. erhalten, weil dieser auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses anderweitig pflichtversichert war und somit eine Pflichtversicherung nach § 165 Abs. 1 Nr. 4 RVO nicht bestand (§ 165 Abs. 6 RVO). Da aber die KVdR-Beiträge für S. durch die Verrechnung - wenn auch zu Unrecht - bereits entrichtet worden sind, handelt es sich hier um einen Erstattungsstreit nach § 149 SGG und nicht um eine Klage auf Zahlung der von der Krankenkasse eingezogenen und nicht abgeführten Beiträge zur Rentenversicherung, bei dem nach § 143 SGG die Berufung nicht ausgeschlossen wäre.

Nach § 149 SGG ist die Berufung ausgeschlossen bei Ersatz- oder Erstattungsstreitigkeiten zwischen Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts, wenn der Beschwerdewert fünfhundert Deutsche Mark nicht übersteigt (erste Alternative), sowie bei Streitigkeiten wegen Zurückerstattung von Leistungen, wenn der Beschwerdewert fünfhundert Deutsche Mark nicht übersteigt (zweite Alternative), ferner bei Streitigkeiten wegen Rückerstattung von Beiträgen, wenn der Beschwerdewert fünfzig Deutsche Mark nicht übersteigt (dritte Alternative). Der vorliegende Fall könnte sowohl als Erstattungsstreit zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts (erste Alternative) als auch als Beitragserstattungsstreit (dritte Alternative) angesehen werden. Je nachdem, ob man den Streit unter die erste oder die dritte Alternative einordnet, wäre die Berufung unzulässig, weil der Beschwerdewert unter 500 DM liegt (erste Alternative), oder zulässig, weil der Beschwerdewert mehr als 50 DM beträgt (dritte Alternative). Für die Beurteilung der Frage, welche Regelung (erste oder dritte Alternative des § 149 SGG) hier den Vorzug verdient, ist vom Sinn und Zweck der §§ 144 ff SGG auszugehen. Diese Vorschriften sollen den gerichtlichen Rechtsschutz bei Bagatellstreitigkeiten, d.h. bei Streitigkeiten, deren Bedeutung im allgemeinen gering ist, auf eine Instanz beschränken und damit die Landessozialgerichte vor weniger bedeutsamen Rechtsstreitigkeiten bewahren, soweit nicht die Berufung nach § 150 SGG ausnahmsweise statthaft ist (vgl. BSG 11, 35 f). Das Gesetz rechnet zwar Beitragserstattungsstreitigkeiten bei geringfügigen Beiträgen zu den Bagatellstreitigkeiten, für die die Berufung nicht zulässig ist. Da aber für Privatpersonen - Arbeitgeber und Versicherte - schon kleinere Beträge von erheblicher Bedeutung sein können, während bei der im allgemeinen gegebenen finanziellen Stärke der öffentlichem Rechtsträger auch größere Beträge nicht in gleichem Maße ins Gewicht fallen, hat § 149 SGG die Höhe des für die Zulässigkeit der Berufung maßgebenden Beschwerdewertes bei Erstattungsstreitigkeiten unterschiedlich danach festgesetzt, ob es sich um einen Streit zwischen Behörden oder Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts handelt (erste Alternative), oder ob eine Privatperson (oder der Fiskus) die Erstattung von Beiträgen begehrt (dritte Alternative). Die Auffassung, § 149 SGG wolle zwar die Berufung bei Erstattungsstreitigkeiten zwischen öffentlichen Rechtsträgern ausschließen, wenn der Beschwerdewert 500 DM nicht übersteigt, sie sei aber bei Beitragserstattungsstreitigkeiten auch zwischen öffentlich-rechtlichen Körperschaften zulässig, wenn der Be schwer de wert 50 DM überschreitet, widerspricht somit dem Sinn und Zweck des § 149 SGG.

Daß die dritte Alternative des § 149 SGG gegenüber der ersten Alternative nicht lex specialis ist, die der ersten Alternativregelung vorgeht, zeigt auch die ursprüngliche Fassung dieser Vorschrift:

"Die Berufung ist ausgeschlossen bei Ersatz- oder Erstattungsstreitigkeiten zwischen Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Anstalten des öffentlichen Rechts, wenn der Beschwerdewert dreihundert Deutsche Mark nicht übersteigt. Dies gilt auch für Ansprüche der Versicherten auf Rückerstattung von Beiträgen, sofern der anerkannte Rückerstattungsbetrag nicht mehr als fünfzig Deutsche Mark beträgt".

Diese Fassung ließ keinen Zweifel daran zu, daß die dritte Alternativregelung auf Beitragserstattungsstreitigkeiten zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts keine Anwendung finden konnte. Auch die Motive zum SGG lassen erkennen, daß di e erweiterte Zulassung der Berufung nur dann gelten sollte, wenn die Rückerstattung von einem Versicherten begehrt wurde, die Beschränkung der Zulässigkeit der Berufung bei Beitragserstattungsstreitigkeiten zwischen öffentlichen Rechtsträgern aber unberührt bleiben sollte. Der letzte Halbsatz des § 149 SGG aF war im Entwurf der Sozialgerichtsordnung noch nicht enthalten (BT-Drucksache Nr. 4357, 1. WP 1949, § 97); er wurde erst auf Vorschlag des Bundesrates eingefügt, der diese Ergänzung zur Vermeidung von Härten für den Versicherten für notwendig hielt (vgl. S. 43 der genannten BT-Drucksache unter Nr. 32). Diese grundsätzliche Regelung hat auch durch die Neufassung des § 149 SGG keine wesentliche Änderung erfahren. Die ursprüngliche Fassung des § 149 SGG erschien dem Gesetzgeber nur deswegen zu eng, weil sie - ihrem Wortlaut nach - neben dem Versicherten den Arbeitgeber, der ebenfalls einen Teil der Beiträge zu tragen hat, nicht erfaßte (vgl. hierzu auch BSG 11, 35 f). Durch die Streichung des Wortes "Versicherter" im letzten Halbsatz des § 149 SGG sollten die Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung von Arbeitgebern, die die Erstattung von Beiträgen verlangen, beseitigt werden (BT-Drucks. Nr. 36, 3. WP 1957 S. 6 zu Nr. 8 d). Gleichzeitig wurde der Beschwerdewert bei Erstattungsstreitigkeiten zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts (erste Alternative) von 300 DM auf 500 DM erhöht. Diese Änderungen zeigen, daß die Neufassung des § 149 SGG durch § 6 Nr. 9 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 25. Juni 1958 (BGBl I 409) nur Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung von Arbeitgebern, die die Erstattung von Beiträgen verlangen, beseitigen (BT-Drucks. Nr. 3415, 2. WP 1953 S. 7) und im übrigen die Zulässigkeit der Berufung bei Erstattungsstreitigkeiten zwischen öffentlichen Rechtsträgern weiter einschränken wollte.

Demnach entspricht es Sinn und Zweck des § 149 SGG, daß die weitgehende Zulässigkeit der Berufung bei Streitigkeiten wegen Erstattung von Beiträgen schon bei einem Beschwerdewert von mehr als 50 DM (dritte Alternative des § 149 SGG) nur dann Platz greift, wenn an dem Streit Versicherte oder Arbeitgeber beteiligt sind. Betrifft die geforderte Erstattung von Beiträgen hingegen Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber, sondern als Versicherungsträger, so ist die Berufung nach der ersten Alternative des § 149 SGG erst bei einem Beschwerdewert von mehr als 500 DM zulässig.

Da es sich hier somit um eine Erstattungsstreitigkeit nach § 149 SGG erste Alternative handelt und der Beschwerdewert 500 DM nicht übersteigt, war die Berufung nicht zulässig und das LSG hat zu Recht ein Prozeßurteil erlassen. Der von der beklagten AOK gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor, so daß die Revision als unzulässig zu verwerfen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 172

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