Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 13.02.1995)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 1995 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung vorgezogenen Altersruhegeldes nach § 1248 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Zeit von Januar 1989 bis Oktober 1993. Er sieht das Merkmal der Arbeitlosigkeit als durch Zeiten der Arbeitslosigkeit in Spanien erfüllt an.

Der 1928 geborene Kläger ist Spanier. Er legte von Januar 1959 bis Juli 1981 in der Bundesrepublik insgesamt 265 Kalendermonate Versicherungszeiten zurück. Seit 1981 lebt er wieder in Spanien. Dort leistete er bis 1985 Beiträge zur Sozialversicherung und bezog von Februar 1986 bis Oktober 1988 Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Seit dem 31. Oktober 1988 erhält er das vorgezogene spanische Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit. Er erhält seit dem 1. November 1993 von der Beklagten Regelaltersrente.

Am 16. Januar 1989 stellte der Kläger auch in Deutschland Antrag auf vorgezogenes Altersruhegeld. Die Beklagte lehnte ab (Bescheid vom 12. Juni 1990). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. Juni 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 13. Februar 1995). Die Gewährung von deutschem vorgezogenen Altersruhegeld setze Arbeitslosigkeit in Deutschland voraus. Das habe sowohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) wie auch das Bundessozialgericht (BSG) mehrfach zutreffend entschieden.

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er ist der Auffassung, daß er als Ausländer diskriminiert werde.

Er beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 1995 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24. Juni 1994 und des Bescheids der Beklagten vom 12. Juni 1990 die Beklagte zu verurteilen, ihm vorgezogenes Altersruhegeld für die Zeit vom 16. Januar 1989 bis zum 30. Oktober 1993 zu gewähren.

hilfsweise, folgende Fragen dem EuGH gemäß Artikel 177 EWG-V vorzulegen:

  1. Ist Artikel 12 Abs 3 der VO 1408/71 so auszulegen, daß wenn nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats die Gewährung der vorgezogenen Altersrente von der Voraussetzung abhängt, daß der Arbeitnehmer während einer bestimmten Zeit vor der Rente als Arbeitsloser der Arbeitsvermittlung im Geltungsbereich dieser Rechtsvorschriften zur Verfügung steht, so ist diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen, wenn der Arbeitnehmer während dieser Zeit vor der Rente als Arbeitsloser in dem Mitgliedstaat zur Verfügung steht, in dem er wohnt?
  2. Falls Frage 1 verneint wird: Enthält die VO 1408/71 eine Lücke, die gemäß Artikel 51 EWG-V in dem o.g. Sinne zu schließen ist?
  3. Falls Frage 2 verneint wird: Ist die Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats, die die Wanderarbeitnehmer zwingt, im Gebiet dieses Staats sich als Arbeitslose aufzuhalten, um die Voraussetzung des Arbeitslosseins für den Anspruch auf die vorgezogene Altersrente zu erfüllen, mit dem Prinzip der Freizügigkeit vereinbar?

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die durch Zulassung statthafte Revision ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Altersruhegeld für die Zeit vor dem 1. November 1993. Die Voraussetzungen eines vorzeitigen Altersruhegeldes wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 1248 Abs 2 RVO liegen bei ihm nicht vor.

Da der Kläger seinen Anspruch bereits vor dem Inkrafttreten des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) geltend gemacht hat, sind bei ihm noch die Vorschriften der RVO anzuwenden (§ 300 Abs 2 SGB VI).

Zu Recht hat das LSG ausgeführt, daß es für § 1248 Abs 2 RVO nicht ausreicht, daß der Kläger außerhalb der Bundesrepublik Deutschland 52 Wochen ohne Arbeit war. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß nur Zeiten der Arbeitslosigkeit in Deutschland geeignet sind, das von § 1248 Abs 2 RVO geforderte Tatbestandsmerkmal der Arbeitslosigkeit von 52 Wochen zu erfüllen (Urteil vom 31. März 1982 – 4 RJ 17/81 – SozR 2200 § 1248 Nr 35 und Urteil vom 14. November 1989 – 8 RKn 7/88 – SozR 2200 § 1248 Nr 49).

Dieses Verständnis des § 1248 Abs 2 RVO verstößt auch nicht gegen supranationales Recht der Europäischen Union, und zwar weder gegen primäres Gemeinschaftsrecht, etwa gegen den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 (BGBl II S 766), noch gegen sekundäres Gemeinschaftsrecht, etwa gegen die Verordnung Nr 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern vom 14. Juni 1971 (EWGV 1408/71). Das hat auch der EuGH bereits mit Urteil vom 9. Juli 1975 entschieden (Rs 20/75 – EuGHE 1975, 892 = SozR 6050 Art 45 Nr 1).

Da das Angebot an offenen Stellen in der Gemeinschaft regional schwankt, sind die Leistungen bei Arbeitslosigkeit an den geografischen Raum gebunden, in dem der Betroffene arbeitslos geworden ist. § 1248 Abs 2 RVO ist eine Vorschrift, die Leistungen letztlich deshalb gewährt, weil der Versicherte schon längere Zeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt arbeitslos ist und nicht mehr zu erwarten ist, daß er noch vor Erreichen der „normalen” Altersgrenze in das Arbeitsleben im Inland wieder eingegliedert werden kann. Das Altersruhegeld wird daher vorgezogen und der Bedürfnisfall der Arbeitslosigkeit unter Berücksichtigung der inländischen Verhältnisse damit abgedeckt. Gerade für Leistungen wegen Arbeitslosigkeit sieht aber das europäische Recht eine Regionalisierung vor. Dem Arbeitsmarkt als innerer und maßgebender Grund für die Leistung nach § 1248 Abs 2 RVO läßt sich am besten bei Anknüpfung an die regionalen Gegebenheiten begegnen. Das ist anders bei Leistungen, die ihren inneren Grund nicht in der Arbeitslosigkeit selbst haben, sondern etwa in der gesundheitlichen Beeinträchtigung (Berufsunfähigkeit) oder in der besonderen Bedürfnislage, die durch das Aufziehen von Kindern entsteht und bei deren Voraussetzungen dann die Frage der Arbeitslosigkeit lediglich auch eine Rolle spielt. In diesem Falle sind nicht die Vorschriften des Gemeinschaftsrechtes über die Leistungen bei Arbeitslosigkeit heranzuziehen (Art 69 ff EWGV 1408/71), die wegen der Besonderheit der Arbeitslosigkeit und der Leistungen wegen Arbeitslosigkeit an einer Regionalisierung festhalten, sondern die Bestimmung über die Art von Leistungen, um die es jeweils geht (etwa über Invalidität oder über Familienleistungen) und die eine stärkere Berücksichtigung von Vorgängen außerhalb der nationalen Grenzen – auch der Arbeitslosigkeit -vorsehen und wegen der Eigenart dieser Bedürfnislage und der dafür zu gewährenden Leistungen auch vorsehen können.

Wie der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 28. Juli 1992 in der Sache 5 RJ 62/91 (SozR 3-2200 § 1248 Nr 6) entschieden hat, geben deshalb das vom Kläger angesprochene Einfügen des Art 9a in die EWGV 1408/71 und die vom Kläger zitierten Entscheidungen des EuGH auch keinen Hinweis darauf, daß der EuGH den von ihm am 9. Juli 1975 entschiedenen Fall (aaO) heute anders sehen würde. Das europäische Recht hat sich insoweit nicht geändert, und die damals als tragend angesehenen Gesichtspunkte sind auch heute noch von gleicher Bedeutung.

Da die Ungleichbehandlung von inländischer und ausländischer Arbeitslosigkeit somit sachlich gerechtfertigte Gründe hat, liegt auch kein Verstoß gegen Art 3 des Grundgesetzes vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174051

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge