Orientierungssatz

1. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Erbengemeinschaft als landwirtschaftlicher Unternehmer iS von GAL § 1 Abs 2 anzusehen ist.

2. Für die Entscheidung der Frage, ob das LSG zu Recht die Eigenschaft der Kläger als (Mit-)Unternehmer verneint hat, genügen aber nicht die Feststellungen des LSG, daß die Kläger in den Anwesen der Erbengemeinschaft nicht mitarbeiten, sich jeglicher Einflußnahme auf die Betriebsführung enthalten und auch aus den Erträgnissen der beiden landwirtschaftlichen Unternehmen keine Nutzen ziehen.

 

Normenkette

GAL § 1 Abs. 2 Fassung: 1965-09-14

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 1. Oktober 1968 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) sind die Kläger Miterben ihres am 23. April 1963 gestorbenen Vaters und als solche Miteigentümer der insgesamt 36 ha umfassenden landwirtschaftlichen Unternehmen in P, B.-straße ... u. .... Der Kläger zu 1., F Z, wohnt noch in dem Anwesen B.-straße ...; er ist als Montagearbeiter versicherungspflichtig tätig. Der Kläger zu 2), F Z, ist als Bundesbahnarbeiter beschäftigt und wohnt außerhalb des elterlichen Anwesens.

Die Beklagte nahm jeweils mit Bescheid vom 28. November 1966 jeden der Kläger in ihr Mitgliederverzeichnis auf und verlangte ab 1. Januar 1964 die Entrichtung von Beiträgen nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL). Die von den Klägern erhobenen Widersprüche wies sie durch inhaltlich gleichlautende Bescheide vom 13. Juni 1967 zurück. Das Sozialgericht (SG) verband die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung (§ 113 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und gab ihnen statt, indem es feststellte, daß eine Beitragspflicht der Kläger nicht bestehe. Das LSG wies die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurück. Nach der Ansicht des LSG beantwortet sich die Frage, wer im Einzelfall Unternehmer im Sinne von § 1 GAL 1963 ist, nach den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen. Für die Beurteilung der Unternehmer- bzw. Mitunternehmereigenschaft sei allein wesentlich, wer das Risiko (Gewinn und Verlust) zu tragen habe. Da die Kläger sich jeglicher Einflußnahme auf die Betriebsführung enthielten, im Betrieb nicht mitarbeiten und auch keinen Nutzen aus den Erträgnissen der beiden landwirtschaftlichen Unternehmen zögen, seien sie nicht als Mitunternehmer anzusehen und daher auch nicht beitragspflichtig.

Die Beklagte legte die vom LSG zugelassene Revision ein mit dem Antrag,

die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Sie rügt unrichtige Anwendung der §§ 1 und 14 GAL. Außerdem habe das LSG gegen die §§ 103, 128 SGG verstoßen, weil der Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt und die vorhandenen Erkenntnisquellen nicht ausgeschöpft worden seien.

Die Kläger sind vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht vertreten.

II

Die Revision hat insofern Erfolg, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden muß.

Streitig ist die Beitragspflicht der Kläger ab 1. Januar 1964. Nach den Fassungen des GAL vom 3. Juli 1961 und vom 23. Mai 1963 (GAL 1961/1963) ist sie in den §§ 1 Abs. 2, 9 Abs. 1 geregelt; die Vorschriften entsprechen den §§ 1 Abs. 2, 14 Abs. 1 des GAL 1965 in der Neufassung vom 14. September 1965. Die Beitragspflicht der Kläger ist davon abhängig, ob sie als landwirtschaftliche Unternehmer im Sinne von § 1 Abs. 2 GAL anzusehen sind. Das ist eine Rechtsfrage.

Die Nachprüfung von Rechtsfragen durch das Revisionsgericht (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) setzt voraus, daß das angefochtene Urteil eindeutige Feststellungen tatsächlicher Art enthält (§ 163 SGG). Ist der zu beurteilende Sachverhalt unklar oder unvollständig, so muß selbst wenn insoweit keine Rüge erhoben ist, bei einer zugelassenen Revision das Urteil aufgehoben werden (BSG SozR Nr. 6 zu § 163 SGG). Das Revisionsgericht kann die fehlenden tatsächlichen Feststellungen, auf die es für die Entscheidung über das Klagebegehren ankommt, nicht selbst treffen; es kann sie auch nicht aus dem Inhalt der Akten oder der Beiakten entnehmen (BSG SozR Nr. 9 zu § 163 SGG). Im vorliegenden Falle reichen die Feststellungen des LSG für die Nachprüfung seiner Rechtsauffassung durch den Senat nicht aus.

Das LSG ist sachlich-rechtlich zutreffend davon ausgegangen, daß ein Miterbe nicht schon allein wegen seines Miteigentums an dem zum Nachlaß gehörenden landwirtschaftlichen Betrieb als Unternehmer bzw. Mitunternehmer im Sinne von § 1 GAL anzusehen ist, daß es hierfür vielmehr auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse ankommt, insbesondere darauf, wer das Unternehmer-Risiko (Gewinn und Verlust) zu tragen hat (vgl. Urteile des BSG vom 26. Februar 1969 - SozR Nr. 5 zu § 9 GAL 1961 und vom 29. Juli 1969 - 11/7 RLw 9/68 und 10/68 -).

Für die Entscheidung der Frage, ob das LSG zu Recht die Eigenschaft der Kläger als (Mit-) Unternehmer verneint hat, genügen aber nicht die Feststellungen des LSG, daß die Kläger in den Anwesen der Erbengemeinschaft nicht mitarbeiten, sich jeglicher "Einflußnahme" auf die Betriebsführung enthalten und auch aus den Erträgnissen der beiden landwirtschaftlichen Unternehmen "keinen Nutzen ziehen". Für die Eigenschaft der Kläger als (Mit-) Unternehmer kommt es - anders als bei der Befreiung der Miterben von der Beitragspflicht nach § 9 Abs. 4 GAL 1961/1963, § 14 Abs. 4 GAL 1965 - nicht darauf an, ob die Mitglieder der Erbengemeinschaft in dem Betrieb mitarbeiten. Auch wenn sie dies nicht tun, kann das Unternehmen auf ihre Rechnung gehen (§ 1 Abs. 2 GAL), d.h., sie können am Gewinn beteiligt sein und den Verlust mitzutragen haben. Die Erbengemeinschaft kann allerdings in Ausübung der gemeinschaftlichen Verwaltung des Nachlasses (§ 2038 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches) mit einem Dritten oder auch mit einem (oder mit mehreren) Miterben vereinbaren, daß das Unternehmen bis zur Nachlaßauseinandersetzung auf dessen (deren) Rechnung gehen soll, daß also diesem oder diesen Miterben (oder einem Dritten) und nicht etwa der Erbengemeinschaft in der Zeit bis zur Auseinandersetzung die Erträgnisse zufließen und die Aufwendungen zur Last fallen sollen. Eine solche Vereinbarung kann - soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist - auch stillschweigend getroffen werden. Ob im vorliegenden Falle die Miterben untereinander (nach dem Urteil des SG, auf das vom LSG Bezug genommen ist, besteht die Erbengemeinschaft hier neben den Klägern aus ihrer Mutter, zwei Onkeln und einer Tante) eine ausdrückliche Vereinbarung dieser Art getroffen haben, ist dem Urteil des LSG nicht zu entnehmen; es besagt aber auch nichts darüber, was die Miterben etwa stillschweigend vereinbart haben. Die Feststellung, daß die Kläger sich "jeglicher Einflußnahme" auf die Betriebsführung enthalten, kann allenfalls ein Anhalt dafür sein, daß sie mit den übrigen Miterben stillschweigend vereinbart haben, das Unternehmen solle auf Rechnung eines (oder mehrerer) anderen Miterben geführt werden. Das Bestehen einer solchen Vereinbarung müßte jedoch vom LSG festgestellt sein. Daß die Kläger aus den Betrieben "keinen Nutzen ziehen", kann zwar bedeuten, daß sie keinen Anspruch auf Gewinn aus den Unternehmen haben, weil kraft Vereinbarung der Miterben der Gewinn einem (oder mehreren) anderen Miterben zufließen soll. Diese Feststellung kann aber auch (nur) bedeuten, daß die Kläger tatsächlich aus den Betrieben nichts entnehmen; sie läßt ferner offen, ob sie den ihnen zustehenden Anteil am Gewinn aus den Unternehmen etwa - stillschweigend - einem anderen Miterben zukommen lassen. Das letztere wäre hier nicht ohne weiteres auszuschließen. Das LSG hätte sich nämlich sowohl mit den Aussagen des Zeugen M Z, auf die es nur "zur Ergänzung des Tatbestandes" Bezug genommen hat, und mit den "Bestätigungen" der Gemeindeverwaltung Pocking vom 23. Dezember 1966 (jeweils Blatt 7 der Akten der Beklagten), als auch mit dem Vorbringen der Kläger in den Klageschriften (wonach die auf ihren "Anteil anfallenden Einnahmen ... alle an - ihre - Mutter übergehen") auseinandersetzen müssen. Schließlich enthält das Urteil des LSG überhaupt keine Feststellungen darüber, ob die Kläger an dem Verlust der Unternehmen (mit-) beteiligt sind.

Wegen der unzureichenden tatsächlichen Feststellungen des LSG kann der Senat dessen Rechtsauffassung nicht nachprüfen. Da die Revision zugelassen ist, kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte die Feststellungen des LSG mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen hätte (§§ 163, 164 Abs. 2 SGG).

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284845

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