Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 27.06.1995; Aktenzeichen L 5 Ar 323/95)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 1995 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß das Urteil des Landessozialgerichts unter Ziffer I wie folgt gefaßt wird:

“Auf die Berufung der Klägerin wird die Beklagte … verurteilt, bei der Festsetzung der der Klägerin zu erstattenden Aufwendungen den gemäß § 116 Abs 3 Satz 2 BRAGO erhöhten Gebührenrahmen zugrunde zu legen.”

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Höhe der im Vorverfahren von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden außergerichtlichen Kosten.

Die 1927 geborene Klägerin ist Volksdeutsche und siedelte im Mai 1988 aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland über. Die Beklagte bewilligte ihr im selben Jahr Altersruhegeld nach § 1248 Abs 3 RVO. Mit ihrem Widerspruch vom 1. Februar 1989 wandte sich die Klägerin gegen die Höhe der Rente, indem sie unter Vorlage von Unterlagen die volle Berücksichtigung von zwei zusätzlichen Zeiten und die höhere Bewertung von anerkannten Zeiten geltend machte. Mit Schreiben vom 5. Juli 1991 bestellte sich der Prozeßagent und Rentenberater L. zum Bevollmächtigten der Klägerin. Er reichte eine weitere Bescheinigung ein und schränkte das Begehren der Klägerin dahin ein, daß diese für die Zeit zwischen 1949 und 1951 keine zusätzliche Beschäftigungszeit mehr geltend machte und sich für die Zeit von 1972 bis 1988 mit einer Bewertung in der Leistungsgruppe 1 der Arbeiter in der Landwirtschaft statt der mit dem Widerspruch zunächst beanspruchten “Leistungsgruppe 1 Gewerbe (Handwerk)” einverstanden erklärte. Daraufhin stellte die Beklagte durch Bescheid vom 15. Juni 1992 gemäß § 44 SGB X das Altersruhegeld der Klägerin neu fest. Gegenüber dem Erstbescheid erkannte sie nunmehr mehrere glaubhaft gemachte Beitragszeiten nach dem FRG sowie Ersatzzeiten nach § 1251 Abs 1 Nr 5 RVO an, berücksichtigte eine weitere Zeit voll und bewertete diese teilweise mit Leistungsgruppe 1 der Arbeiter in der Landwirtschaft. Hierdurch erhöhte sich das laufende Altersruhegeld von 809,73 DM auf 1.063,11 DM; außerdem erhielt die Klägerin eine Nachzahlung.

Mit Schreiben vom 29. Juni 1992 .teilte der Bevollmächtigte der Klägerin der Beklagten mit, durch den vorgenannten Bescheid sei der Widerspruch in der Hauptsache erledigt, und machte an außergerichtlichen Kosten geltend:

§ 116 Abs 1 BRAGO

382,50 DM

§ 116 Abs 3 BRAGO

191,25 DM

573,75 DM

+ Büropauschale

40,00 DM

613,75 DM

+ 14 % MwSt

85,93 DM

699,68 DM

Durch Bescheid vom 14. August 1992 erkannte die Beklagte folgende Kosten an:

nach § 116 BRAGO

200,00 DM

nach § 26 BRAGO

30,00 DM

230,00 DM

+ 14 % MwSt

32,20 DM

262,20 DM

Mit seinem Widerspruch machte der Bevollmächtigte der Klägerin geltend, daß seine Gebühren nach dem Umfang und dem Erfolg seiner Bemühungen im Rentenverfahren “mit der Mittelgebühr zu bewerten” seien; deshalb seien ihm “auch die 50 % zu gewähren”. Im Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 1993 führte die Beklagte aus, in einem Widerspruchsverfahren bestehe kein Anspruch auf einen Zuschlag nach § 116 Abs 3 BRAGO. Im übrigen müsse es bei der Kostenfestsetzung von 200,00 DM gemäß § 116 Abs 1 BRAGO verbleiben; die Mittelgebühr (385,00 DM) sei nach dem Umfang der Vertretungstätigkeit nicht gerechtfertigt.

Im Klageverfahren hat die Klägerin erfolglos an dem Begehren festgehalten, die Gebühren ihres Bevollmächtigten auf 699,68 DM anstatt 262,20 DM festzusetzen. Im Gerichtsbescheid vom 23. April 1993 hat das SG Nürnberg den geltend gemachten Anspruch mit der Begründung verneint, eine Kostenerstattung nach § 63 Abs 2 SGB X scheide bereits deshalb aus, weil die Zuziehung des Bevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren nicht notwendig gewesen sei. Wegen des Verbotes der “reformatio in peius” könne der Bescheid vom 14. August 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 1993 allerdings nicht zum Nachteil der Klägerin geändert werden. Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG die Beklagte unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung sowie in Abänderung der vorgenannten Verwaltungsentscheidungen verurteilt, “die nach § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGO festgesetzte Rahmengebühr um den Zuschlag nach § 116 Abs 3 Satz 2 BRAGO zu erhöhen” (Urteil vom 27. Juni 1995). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Streitig sei nur noch, ob die festgesetzte Rahmenpauschgebühr von 200,00 DM um den Zuschlag nach § 116 Abs 3 BRAGO zu erhöhen sei. Dieser Anspruch sei gegeben. § 116 Abs 3 BRAGO sei auch im sog isolierten Vorverfahren anzuwenden. Daß es zu einer vorgerichtlichen Erledigung gekommen sei, sei im wesentlichen dem Bemühen des Bevollmächtigten der Klägerin zuzuschreiben.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine unrichtige Anwendung des § 116 Abs 3 BRAGO und trägt vor: Im sog isolierten Vorverfahren bestehe kein Anspruch auf einen Zuschlag. Außerdem habe das LSG zu Unrecht die notwendige Mitwirkung des Bevollmächtigten der Klägerin an der Erledigung bejaht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 1995 aufzuheben und zu erkennen, daß Vertretungskosten über den bereits am 14. August 1992 anerkannten Betrag von 262,20 DM hinaus nicht zu erstatten sind.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin ist berechtigt, die von ihrem Bevollmächtigten in Rechnung gestellten Kosten im eigenen Namen gegenüber der Beklagten als Aufwendungen geltend zu machen (BSG, Urteil vom 9. August 1995, 9 RVs 7/94, SozR 3-1930 § 116 Nr 7). Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch darauf hat, daß diese ihr für das Widerspruchsverfahren die Aufwendungen ihres Bevollmächtigten unter Beachtung der Vorschrift des § 116 Abs 3 BRAGO zu erstatten hat.

Das Begehren der Klägerin ist sinngemäß dahin zu verstehen, bei der Festsetzung der ihr zu erstattenden Aufwendungen § 116 Abs 3 BRAGO so zu berücksichtigen, wie es sich aus dem Gesetz ergibt. Danach ist allerdings nicht – wie im bisherigen Verfahren angenommen – die aus dem Gebührenrahmen des § 116 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BRAGO ermittelte Rahmengebühr gemäß § 116 Abs 3 Satz 2 BRAGO um 50 vH zu erhöhen. Vielmehr ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 116 Abs 3 Satz 1 BRAGO zunächst die Höchstgebühr des Gebührenrahmens des § 116 Abs 1 Satz 1 BRAGO zu erhöhen (§ 116 Abs 3 Satz 2 BRAGO) und dann innerhalb dieses erhöhten Rahmens die angemessene Gebühr zu ermitteln. Hiervon ausgehend steht dem Bevollmächtigten der Klägerin eine höhere Rahmenpauschgebühr als der von der Beklagten in alleiniger Anwendung von § 116 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BRAGO anerkannte Betrag von 200,00 DM zu

Nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war (§ 63 Abs 2 SGB X). Das LSG hat zutreffend erkannt, daß die Beklagte die Notwendigkeit der Zuziehung im angefochtenen Bescheid vom 14. August 1992 mit Bindungswirkung gegenüber der Klägerin festgestellt hat. Hiergegen hat die Beklagte auch keine begründeten Einwendungen erhoben.

Es bestehen keine Bedenken, daß der Bevollmächtigte der Klägerin als Rentenberater seine Gebühren nach den Vorschriften der BRAGO abrechnen kann (vgl Art IX des Kostenänderungsgesetzes vom 26. Juli 1957 ≪BGBl I S 861≫ idF vom 28. August 1980 ≪BGBl I S 1503≫ iVm Art 1 § 1 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RBerG) und diese Gebühren grundsätzlich im Rahmen von § 63 Abs 2 SGB X vom Gegner erstattet verlangt werden können (vgl Urteil des Senats vom 24. .April 1996, 5 RJ 44/95, zur Veröffentlichung vorgesehen). Da einem Rentenberater somit für eine Vertretung im gerichtlichen Verfahren Rahmengebühren nach § 116 Abs 1 Satz 1 BRAGO zustehen, gilt der Gebührenrahmen des § 116 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BRAGO – allerdings auf zwei Drittel ermäßigt – auch für eine Vertretung in einem Vorverfahren, wenn sich – wie hier – kein gerichtliches Verfahren angeschlossen hat (isoliertes Vorverfahren). Dies ist in der Rechtsprechung anerkannt (BSG, Urteil vom 7. Dezember 1983, 9a RVs 5/82, SozR 1300 § 63 Nr 2, und 22. März 1984, 11 RA 16/83, SozR 1300 § 63 Nr 3). Darüber hinaus gilt aber im sog isolierten Vorverfahren entgegen der Ansicht der Beklagten auch die Vorschrift des § 116 Abs 3 Satz 1 und 2 BRAGO. Insoweit schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung den Ausführungen im Urteil des 9. Senats des BSG vom 9. August 1995, 9 RVs 7/94, SozR 3-1930 § 116 Nr 7 an.

Hiernach ist im vorliegenden Fall gemäß § 116 Abs 1 Satz 1 BRAGO in der vom 1. September 1990 bis 28. Februar 1993 geltenden Fassung ein Gebührenrahmen von 80,00 bis 1.060,00 DM gegeben, der nach § 116 Abs 3 Satz 2 BRAGO auf 80,00 bis 1.590,00 DM zu erhöhen und sodann auf zwei Drittel, dh 53,00 bis 1.060,00 DM, zu verringern ist. Das LSG hat zutreffend gewürdigt, daß es im wesentlichen dem Bemühen des Bevollmächtigten der Klägerin zuzuschreiben ist, daß es zu einer vorgerichtlichen Erledigung des Begehrens der Klägerin gekommen ist. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß die Klägerin ihre im Widerspruchsverfahren zunächst erhobenen Ansprüche nach Einschaltung ihres Bevollmächtigten teilweise nicht mehr aufrechterhalten und sich außerdem mit dem Neufeststellungsbescheid vom 15. Juni 1992, der die verbliebenen Forderungen nicht in vollem Umfang erfüllte, zufriedengegeben hat. Aufgrund dessen hat das LSG im Ergebnis zutreffend die Voraussetzungen des § 116 Abs 3 BRAGO bejaht. Allerdings hätte das LSG dann keinen “Zuschlag” auf die von der Beklagten im Bescheid vom 14. August 1992 nach § 116 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BRAGO zugebilligte Rahmengebühr iH von 200,00 DM zuerkennen dürfen, sondern in dem entsprechend seiner Auffassung maßgebenden Gebührenrahmen (53,00 bis 1.060,00 DM) ermitteln müssen, welche Gebühr “billig” ist.

Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt – bzw hier der Rentenberater – gemäß § 12 Abs 1 BRAGO die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr – wie hier – von einem Dritten zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt/Rentenberater getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Eine solche Feststellung und die ggf anderweitige Festsetzung obliegt dann dem Gebührenschuldner. Ab welcher Überschreitung der angemessenen Gebühr die Bestimmung durch den Rechtsanwalt/Rentenberater als “unbillig” anzusehen ist, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt (vgl BSG, Urteil vom 22. März 1983, 11 RA 16/83, SozR 1300 § 63 Nr 3, und Beschluß vom 22. Februar 1993, 14b/4 REg 12/91, SozR 3-1930 § 116 Nr 4). Im vorliegenden Fall bedarf es indessen keiner Feststellung, ob die vom Bevollmächtigten der Klägerin gemäß § 116 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BRAGO bestimmte Gebühr von 382,50 DM unbillig ist. Nach den zutreffenden Ausführungen des LSG ist eine Rahmenpauschgebühr, welche die Klägerin für die Inanspruchnahme ihres Bevollmächtigten verlangen kann, jedenfalls iH von 200,00 DM bestandskräftig geworden. Die Beklagte hat der Klägerin diesen Betrag im Bescheid vom 14. August 1992 als Rahmenpauschgebühr nach § 116 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BRAGO zugebilligt und ist dabei von einem Gebührenrahmen von 53,00 bis 707,00 DM (zwei Drittel von 80,00 bis 1.060,00 DM) ausgegangen; die Klägerin hat dies nicht mehr angegriffen, indem sie ihr Berufungsbegehren ausdrücklich auf die – zusätzliche – Anwendung des § 116 Abs 3 BRAGO beschränkt hat. Hieraus folgt, daß sich die Beteiligten darüber einig sind, daß ein Betrag von 200,00 DM “billig” ist, sofern der Höchstbetrag des Gebührenrahmens von § 116 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BRAGO nicht in Anwendung von § 116 Abs 3 BRAGO erhöht wird. Da aber nach der Auffassung des Senats in Übereinstimmung mit dem LSG die Voraussetzungen des § 116 Abs 3 BRAGO gegeben sind, ist statt des Gebührenrahmens von 53,00 bis 707,00 DM, von dem die Beklagte bei der Zubilligung des Betrages von 200,00 DM ausgegangen ist, wegen der notwendigen Erhöhung des Höchstbetrages um 50 vH richtigerweise ein Gebührenrahmen von 53,00 bis 1.060,00 DM zugrunde zu legen. Innerhalb dieses Rahmens wird die Beklagte prüfen müssen, ob sie den geltend gemachten Betrag von insgesamt 300,00 DM als “billig” ansieht, was angesichts des bereits anerkannten Betrages von 200,00 DM naheliegen dürfte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 780371

AGS 1999, 9

SozSi 1997, 438

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