Entscheidungsstichwort (Thema)

Knappschaftliche Rentenversicherung. Eingliederungsprinzip. Leiter der Ausbildung. oberschlesischer Kohlenbergbau. Unterstellung unter das Bergbau-Ministerium

 

Orientierungssatz

Eine von 1957 bis 1962 in Polen zurückgelegte Versicherungszeit als unmittelbar dem Bergbau-Ministerium unterstehender Leiter der Ausbildung im Lehrrevier einer Steinkohlenzeche ist gemäß § 20 Abs 4 FRG der knappschaftlichen Rentenversicherung zuzuordnen, wenn sie im Bundesgebiet verrichtet worden wäre, der Versicherungspflicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung unterlegen hätte.

 

Normenkette

FRG § 20 Abs 4 S 1 Fassung: 1960-02-25; SGB 4 § 7 Fassung: 1976-12-23

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 19.03.1985; Aktenzeichen L 15 Kn 131/82)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 29.09.1982; Aktenzeichen S 18 Kn 78/80)

 

Tatbestand

Der 1924 geborene Kläger war von 1939 bis Mai 1971 im oberschlesischen Kohlenbergbau tätig. Ab 1952 war er Leiter des Lehrreviers und ab 1. Oktober 1957 Leiter der Ausbildung der Steinkohlenzeche Rozbark in Bytom (Beuthen). Er hatte nun die Aufsicht über Lehrrevier und Lehrwerkstätten, in denen die Berglehrlinge praktisch zu Bergleuten ausgebildet wurden. Das Lehrrevier war ein Vorrichtungsrevier, in dem der Kohleabbau vorbereitet wurde; sodann wurde es jeweils in die gewöhnliche Produktion übernommen. Im Rahmen seiner Tätigkeit war der Kläger wöchentlich mindestens zweimal unter Tage. Das Lehrrevier unterstand dem Leiter des Lehrreviers, der dem Kläger untergeordnet war. Sowohl der Kläger als auch der Leiter des Lehrreviers waren von der Bergbehörde als Aufsichtspersonen bestätigt. Der Kläger unterstand unmittelbar dem Bergbau-Ministerium und wurde auch unmittelbar von diesem bezahlt. Dies diente dem Zweck, die Ausbildung im Interesse des Jugendschutzes von der Produktion unabhängig zu machen.

Der Kläger ist 1971 ins Bundesgebiet gekommen und besitzt den Flüchtlingsausweis A. Mit Bescheid vom 15. Dezember 1979 gewährte ihm die Beklagte Bergmannsrente. In diesem Bescheid ordnete sie die Zeit vom 1. Oktober 1957 bis zum 31. Dezember 1962 der Rentenversicherung der Angestellten zu. Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 19. Mai 1980). Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat mit Urteil vom 29. September 1982 in Abänderung der angefochtenen Bescheide und des dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährenden Bescheides vom 23. März 1981 die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Zuordnung der Versicherungszeit vom 1. Oktober 1957 bis zum 31. Dezember 1962 zur knappschaftlichen Rentenversicherung Erwerbsunfähigkeitsrente zu gewähren. Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 19. März 1985 unter Einbeziehung des Bescheides über das Knappschaftsruhegeld vom 5. April 1984 zurückgewiesen. Es hat festgestellt, daß die Beschäftigung des Klägers während der streitigen Zeit, wenn sie im Bundesgebiet verrichtet worden wäre, der Versicherungspflicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung unterlegen hätte.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 20 Abs 4 des Fremdrentengesetzes (FRG). Sie macht geltend, der Kläger habe zwar seine Arbeiten auf einer Zeche ausgeführt, aber nicht zur Belegschaft der Zeche gehört. Deshalb hätte er unter den gegebenen oder ähnlichen Umständen in der Bundesrepublik als außerhalb des Betriebes Stehender der knappschaftlichen Rentenversicherung nur angehören können, wenn seine Arbeit von der Verordnung über knappschaftliche Arbeiten vom 11. Februar 1933 erfaßt worden wäre. Das treffe jedoch nicht zu.

Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung der Urteile des SG Gelsenkirchen vom 29. September 1982 und des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. März 1985 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.

Zutreffend haben die Vorinstanzen die Bescheide der Beklagten vom 23. März 1983 (EU-Rente) und vom 5. April 1984 (Knappschaftsruhegeld) in das Verfahren einbezogen, weil diese Bescheide den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 15. Dezember 1979 (Bergmannsrente) iS von § 96 Abs 1 SGG ersetzt haben (vgl § 45 Abs 3 Reichsknappschaftsgesetz -RKG-).

Da für den Kläger in der streitigen Zeit keine Beitragszeiten aufgrund einer Pflichtversicherung in einer der knappschaftlichen Rentenversicherung entsprechenden Berufsversicherung zurückgelegt worden sind (§ 20 Abs 1 Satz 1 des FRG), hängt die Zuordnung dieser Zeit zur knappschaftlichen Rentenversicherung nach dem Eingliederungsprinzip des § 20 Abs 4 Satz 1 FRG davon ab, ob die Beschäftigung, wäre sie im Bundesgebiet verrichtet worden, nach den jeweils geltenden reichs- oder bundesrechtlichen Vorschriften der Versicherungspflicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung unterlegen hätte. Dabei sind Vorschriften über die Beschränkung der Versicherungspflicht nach der Stellung des Beschäftigten im knappschaftlichen Betrieb, nach der Höhe des Arbeitsverdienstes, wegen der Gewährleistung von Versorgungsanwartschaften oder wegen der Eigenschaft als Beamter oder Soldat nicht anzuwenden, wie sich aus der Bezugnahme von § 20 Abs 4 Satz 2 FRG auf § 16 Satz 2 2. Halbsatz FRG ergibt.

Aus dem Sinn der zuletzt genannten Bestimmung ist zu entnehmen, daß die Besonderheiten des Dienstverhältnisses des Klägers, insbesondere seine unmittelbare Unterstellung unter das polnische Bergbau-Ministerium und eine sich daraus ergebende etwaige Gewährleistung von Versorgungsanwartschaften bei Anwendung des § 20 Abs 4 Satz 1 FRG auf den Kläger unberücksichtigt zu bleiben haben. Die entscheidende Frage ist demnach, ob die Beschäftigung des Klägers während der streitigen Zeit, dh die nichtselbständige Arbeit (§ 7 des 4. Buches des Sozialgesetzbuches - SGB 4 -), wenn sie im Bundesgebiet verrichtet worden wäre, der Versicherungspflicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung unterlegen hätte. Dies haben die Vorinstanzen zutreffend bejaht.

In der Zeit vom 1. Juni 1957 bis zum 31. Dezember 1967, und damit in der hier streitigen Zeit, unterlagen der Versicherungspflicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung Personen, die als Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellte) gegen Entgelt in einem knappschaftlichen Betrieb beschäftigt waren (vgl § 1 Abs 1 Nr 1 RKG) . Auf die Jahresarbeitsverdienstgrenze kommt es dabei wegen der bereits erwähnten Bezugnahme des § 20 Abs 4 Satz 2 auf § 16 Satz 2 2. Halbsatz FRG für die Zuordnung zur knappschaftlichen Rentenversicherung nicht an.

Nach den von der Beklagten nicht beanstandeten und somit gemäß § 163 SGG für den Senat bindenden Feststellungen des LSG war der Kläger in der streitigen Zeit nichtselbständig in dem Betrieb der Steinkohlenzeche Rozbark als Leiter der Ausbildung tätig. Ihm unterstanden das Lehrrevier und die Lehrwerkstätten über Tage. An beiden Betriebspunkten wurden die Berglehrlinge praktisch zu Bergleuten ausgebildet. Eine besondere betriebliche Verbindung zur Zeche bestand darin, daß das Lehrrevier ein Vorrichtungsrevier war, in dem der Kohleabbau in der Weise vorbereitet wurde, daß nach Fertigstellung der Vorrichtungsarbeiten das Vorrichtungsrevier in die gewöhnliche Produktion - den Steinkohlenabbau - übernommen wurde. Wenn das LSG daraus gefolgert hat, das Lehrrevier sei ein unselbständiger Bestandteil des Zechenbetriebes gewesen, so ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat eingeräumt, daß der Kläger hinsichtlich der praktischen Arbeit, in den Betrieb eingegliedert war. Sie meint aber, man könne ihn deshalb nicht uneingeschränkt als Betriebsangehörigen bezeichnen, weil er rechtlich dem Bergbau-Ministerium unterstanden habe. Auch von der Beklagten wird indes nicht geltend gemacht, daß der Kläger, wenn er die Beschäftigung nicht unter den Besonderheiten des polnischen Bergbaus, sondern im Bundesgebiet verrichtet hätte, rechtlich außerhalb des Betriebes der Zeche gestanden hätte, in der er Leiter der Ausbildung gewesen wäre. Unter diesen Umständen und insbesondere bei Berücksichtigung der Feststellung, daß die Ausbildung auf der Zeche für den Personalbestand der Zeche erfolgte, wäre er im Bundesgebiet in den Betrieb einer Zeche eingeordnet gewesen und hätte auch rechtlich diesem Betrieb, nicht aber einem Ministerium angehört. Er hätte allenfalls bei einem Bergamt, Oberbergamt oder einer bergmännischen Prüfstelle beschäftigt sein können, hätte dann aber nach § 1 Abs 1 Nr 2 RKG der Versicherung nach dem RKG unterlegen. Auch dies rechtfertigt den von den Vorinstanzen gezogenen Schluß, daß die Tätigkeit des Klägers, wäre sie im Bundesgebiet verrichtet worden, der Versicherungspflicht zur knappschaftlichen Rentenversicherung unterlegen hätte. Der Kläger wäre dann aus den dargelegten Gründen entweder in einem knappschaftlichen Betrieb im Sinne von § 2 Abs 1 Satz 1 RKG als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt gewesen (§ 1 Abs 1 Nr 1 RKG) oder er hätte zumindest gemäß § 1 Abs 1 Nr 2 RKG der knappschaftlichen Rentenversicherung iS des § 20 Abs 4 FRG unterlegen.

Auf die von der Beklagten in der Revisionsbegründung erörterte Frage, ob der Kläger unter die Verordnung des Reichsarbeitsministers über knappschaftliche Arbeiten vom 11. Februar 1933 (RGBl I S 66) fällt, kommt es schon deshalb nicht mehr an, weil diese Verordnung nur auf Arbeiten bezogen ist, die von einem anderen Unternehmer als dem Bergwerksunternehmer ausgeführt werden (§ 1 Abs 1 der Verordnung). Gerade dies trifft aber nach den Feststellungen des LSG auf den Kläger nicht zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662448

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