Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 13. November 1979 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Revisionsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt höhere Witwenrente unter zusätzlicher Berücksichtigung von Beiträgen, die nach dem Tode des Versicherten entrichtet wurden.

Der zuletzt in Israel wohnhafte Versicherte war Verfolgter des Nationalsozialismus und bezog seit August 1971 von der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Auf seinen Nachentrichtungsantrag vom 19. November 1975, den der Versicherte nach Beiträgen und Zeitraum durch Schreiben vom 12. Juli 1976 konkretisiert hatte, gestattete die Beklagte dem Versicherten mit Bescheid vom 23. Juli 1976 gemäß §§ 10 und 9 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) die Nachentrichtung von näher bezeichneten Beiträgen mit dem Zusatz 9 das Datum der Bereiterklärung gelte als Zeitpunkt der Beitragsnachentrichtung, wenn die Beiträge innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Zustellung des Bescheides (am 28. Juli 1976) entrichtet würden. Der am 16. Januar 1977 vor Ablauf der Sechsmonatsfrist (am 28. Januar 1977) verstorbene Versicherte hat die Beiträge nicht mehr entrichtete. Die Klägerin beantragte im April 1977 Witwenrente und erklärte, das Nachentrichtungsverfahren fortsetzen zu wollen. Der von ihr gezahlte Nachentrichtungsbetrag von 4.968,– DM wurde dem Konto der Beklagten am 27. April 1977 gutgeschrieben.

Die Beklagte gewährte Witwenrente, ohne die nachentrichteten Beiträge zu berücksichtigen 9 da diese erst nach Fristablauf gutgeschrieben worden seien (Bescheid vom 29. September 1977, Widersprachsbescheid vom 13. Juni 1978).

Die hiergegen erhobene Klage auf Gewährung einer höheren Witwenrente unter Anrechnung der naher bezeichneten nachentrichteten Beiträge hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts –SG– Berlin vom 7. Mai 1979, Urteil des Landessozialgerichts –LSG– Berlin vom 13. November 1979). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, die Beiträge seien noch in angemessener Frist iS des § 141 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) entrichtet worden. Der Beklagten sei darin zuzustimmen, daß in Auslandsfällen die Zeit von sechs Monaten für den Versicherten selbst im Kegelfall ausreichend sei. Bei dessen Tod trete aber eine Situation ein, die es erforderlich mache, die Lage der Hinterbliebenen, die durch § 141 Abs. 2 AVG gleichermaßen begünstigt würden, zu berücksichtigen. Ihnen sei zur Einstellung auf die durch den Tod des Versicherten eingetretene Veränderung der Verhältnisse eine Überlegungsfrist in der Grössenordnung der üblichen Rechtsmittelfrist ab Eintritt des Versicherungsfalls einzuräumen. Bei der im Ausland lebenden Klägerin sei deshalb von einer Frist von (etwa) drei Monaten ab dem Tode des Versicherten am 16. Januar 1977 auszugehen, die die Klägerin mit ihrer Erklärung vom 14. April 1977, das Nachentrichtungsverfahren fortzusetzen, und der Beitragsentrichtung vom 27. April 1977 gewahrt habe.

Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision Verletzung des § 10 WGSVG und der §§ 141, 142 AVG. Sie meint, die Angemessenheit der Frist sei allein aus der Sicht des Versicherten zu sehen und könne für die Hinterbliebenen nicht verlängert werden.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten war zurückzuweisen. Das LSG hat die Klage auf höhere Witwenrente unter zusätzlicher Anrechnung der für die Zeit von Juni 1946 bis Januar 1953 nachentrichteten Beiträge zu Recht als begründet angesehen. Dem steht nicht entgegen, daß der Versicherte am 16. Januar 1977 verstorben ist und die Beiträge erst am 27. April 1977 bei der Beklagten eingegangen sind.

Dabei ist zwar mit der Beklagten davon auszugehen, daß der Klägerin kein von vornherein eigenes Nachentrichtungsrecht zusteht. Nach § 10 Abs. 3 WGSVG können der überlebende Ehegatte und die Waisenrentenberechtigten Kinder aus eigenem Recht Beiträge nachentrichten, wenn der Verfolgte vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. Februar 1971 verstorben ist. Selbst wenn man die in § 10 Abs. 1 Satz 2 WGSVG für die ersten zwölf Monate nach dem Inkrafttreten getroffene Regelung auf Hinterbliebene entsprechend anwendet, kann jedenfalls bei Eintritt des Todes nach dem 31. Januar 1972 den Hinterbliebenen kein eigenes Nachentrichtungsrecht mehr zustehen (SozR 5070 § 10 Nr. 7). Diese Regelung betrifft aber nur die Begründung des Nachentrichtungsrechts durch Stellung des Nachentrichtungsantrags (vgl Urteil des Senats BSGE 45, 247 sowie Urteile des 12. Senats vom 22. Februar 1980 – 12 RK 12/79 – und vom 23. September 1980 – 12 RK 27/79 –); die hier zu entscheidende Frage, ob der Hinterbliebene zur Beitragsnachentrichtung berechtigt ist, wenn der Versicherte vor seinem Tod die Nachentrichtung beantragt und sich zur Entrichtung von Beiträgen bereit erklärt hat, ist in § 10 Abs. 3 WGSVG nicht geregelt.

Für diese Fälle ergibt sich das Beitragsentrichtungsrecht des Hinterbliebenen vielmehr aus § 141 Abs. 1 und 2 AVG. Diese für die Entrichtung freiwilliger Beiträge geltende Regelung ist nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz VGSVG auf die gemäß Satz 1 dieser Vorschrift nachentrichteten Beiträge anzuwenden, auch soweit diese nach Abs. 1 Satz 3 der Vorschrift als Pflichtbeiträge gelten. Bei der danach gebotenen entsprechenden Anwendung des § 141 AVG dürfen Beiträge nach § 10 Abs. 1 VGSVG – nach Ablauf von zwölf Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes – nicht mehr „nach Eintritt der Berufsunfähigkeit, der Erwerbsunfähigkeit oder des Todes für Zeiten vorher” entrichtet werden (Abs. 1); das gilt nicht, wenn sich der Versicherte vorher gegenüber einer zuständigen Stelle zur Entrichtung von Beiträgen für diese Zeiten bereit erklärt hat und die Beiträge in einer angemessenen Frist geleistet werden (Abs. 2).

Bei dieser Regelung gilt die Ausnahmebestimmung des Abs. 2 für alle in Abs. 1 genannten Versicherungsfälle, also auch für den Versicherungsfall des Todes. Daraus folgt zwingend, daß unter den Voraussetzungen des Abs. 2 mithin noch Beiträge nach dem Tode des Versicherten entrichtet werden können. Das Gesetz sagt allerdings nicht, wer dann die Beiträge entrichten darf. In Betracht kommen jedoch nur die Personen, die von der Beitragsentrichtung begünstigt würden. Das kann nicht nur der Rechtsnachfolger sein, der auf ihn übergegangene Ansprüche des Versicherten verfolgen will. Das Entrichtungsrecht muß vielmehr außerdem den Hinterbliebenen des Versicherten zustehen, die nunmehr aus von diesem abgeleiteten Recht Hinterbliebenenansprüche geltend machen wollen. Das bestätigt mittelbar § 10 Abs. 3 WGSVG, der ihnen zeitweise sogar eigene Nachentrichtungsrechte nach dem Tode des Versicherten gegeben hat. Dementsprechend hat bereits der 12, Senat nach dem Tode des Berechtigten eine Nachentrichtung von Beiträgen nach Art. 2 § 49a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes iVm § 141 Abs. 2 AVG durch die Witwe als zulässig angesehen (SozR 5750 § 51a Nr. 29). Die Befugnis zur Nachentrichtung steht dann jedem einzelnen Hinterbliebenen zu.

Die Klägerin hat von dieser Nachentrichtungsbefugnis in ihrer Eigenschaft als Witwe des Versicherten Gebrauch gemacht. Hierbei waren die Voraussetzungen des § 141 Abs. 2 AVG erfüllt. Der Versicherte hatte im Schreiben vom 12. Juli 1976 seinen Nachentrichtungsantrag nach Beiträgen und Zeitraum konkretisiert und sich jedenfalls damit zur Entrichtung der dort genannten Beiträge bereit erklärt. Diese Beiträge sind noch in angemessener Frist danach geleistet worden, auch wenn sie erst am 27. April 1977 bei der Beklagten eingegangen sind.

Nach den Gesetzesmaterialien zur Reichsversicherungsordnung (RVO) wurde der Beitragsentrichtung die Bereiterklärung, wenn demnächst die Beiträge in angemessener Frist entrichtet werden, gleichgestellt, um einem Erlöschen der (damals noch zu wahrenden) Anwartschaft ohne ein erhebliches Verschulden des Versicherten möglichst vorzubeugen; die Bemessung der Frist werde nach Lage der Verhältnisse eine verschiedene sein können und deshalb zweckmäßig der Rechtsprechung überlassen bleiben (Entwurf RVO vom 12. März 1910, zu §§ 1424 bis 1427). Die Rechtsprechung hat als angemessen eine Zeitspanne bezeichnet, die sich nach den näheren Umständen des Einzelfalles bestimmt, und die ein sorgfältig und aufmerksam handelnder Mensch einhalten wird. Die Beitragszahlung braucht nicht alsbald oder möglichst rasch zu erfolgen; dem Versicherten steht vielmehr ein gewisser zeitlicher Spielraum zur Verfügung. Andererseits soll aber die Nachentrichtungsfrist nicht auf einen Zeitabschnitt erstreckt werden, dessen Dauer durch ein nachlässiges Verhalten oder gar absichtliches Verschleppen beeinflußt wird (BSGE 19, 247; Urteil vom 27. April 1977 – 5 RJ 72/76 –).

Im vorliegenden Falle war als angemessene Frist für den Versicherten jedenfalls die Zeit bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Zustellung des Nachentrichtungsbescheides, also bis zum 28. Januar 1977 anzusehen. Insoweit waren Besonderheiten zu beachten, die bei anderen Nachentrichtungen nicht gegeben sind. Der in erster Linie materiell-rechtlich bedeutsame Nachentrichtungsantrag des Versicherten hatte zugleich ein Verwaltungsverfahren eingeleitet, das mit dem Nachentrichtungsbescheid geendet hatte; darin war das Nachentrichtungsrecht nach Beiträgen und Zeitraum festgestellt worden. Bei einem solchen Verfahren kann der Versicherte (Berechtigte) nach seiner Bereiterklärung schon zu seiner eigenen Gewißheit zunächst die Erteilung des Nachentrichtungsbescheides abwarten, auch wenn er bereits vorher die Beiträge entrichten darf. Der Nachentrichtungsbescheid hat hier außerdem weitere Ausführungen enthalten, die sich auf den Lauf der angemessenen Frist ebenfalls auswirken. Dem Versicherten wurde mitgeteilt, das Datum der Bereiterklärung gelte als Zeitpunkt der Beitragsentrichtung, wenn der (im Ausland lebende) Versicherte die Nachentrichtung der Beiträge innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Zustellung des Bescheides vornehme. Das bedeutete, daß der Versicherte sich auf diese Frist einstellen durfte. Wenn er die Beiträge bis zum 28. Januar 1977 entrichtete, leistete er sie somit in einer angemessenen Frist nach der Bereiterklärung (ähnlich SozR 5750 Art. 2 § 51a Nr. 29 bei Zubilligung von Teilzahlungen).

Daraus ist aber nicht abzuleiten, daß die angemessene Frist ungeachtet des zwischenzeitlichen Todes des Versicherten in jedem Falle mit dem 28. Januar 1977 zu Ende war. Die Allgemeinheit der Frist ist nicht (vorausschauend) vom Zeitpunkt der Bereiterklärung oder eines Nachentrichtungsbescheides, sondern (rückschauend) vom Zeitpunkt der Beitragszahlung aus zu beurteilen. Die Dauer der angemessenen Frist kann nämlich auch durch Umstände beeinflußt werden, die erst wahrend ihres Laufes eintreten (so wenn sich zB bei Versicherten im Ausland unvorhergesehene devisenrechtliche Schwierigkeiten einstellen). Insoweit müssen entgegen der Ansicht der Beklagten aber auch die Verhältnisse berücksichtigt werden, die sich für Rechtsnachfolger und Hinterbliebene ergeben, wenn sie nach dem Tode des Versicherten gem. § 141 Abs. 2 AVG noch die Beiträge für den Versicherten entrichten dürfen. Es ist zwar richtig, daß sie in eine Rechtsstellung des Versicherten eintreten. Daraus ist aber nur abzuleiten, daß sie die Lage so hinnehmen müssen, wie sie beim Tode des Versicherten gegeben war. Von da an ist jedoch den in ihrer Person gegebenen Umständen mit Rechnung zu tragen. Die Beklagte übersieht, daß sie mit dem Tode des Versicherten deshalb zur Nachentrichtung berechtigt werden, weil diese sie begünstigen kann. Dann muß aber auch ihre eigene Interessenlage nun berücksichtigt werden können. Selbst wenn sie die Absichten und Möglichkeiten des Versicherten hinsichtlich der Nachentrichtung kannten, stehen sie vor neuen Überlegungen; sie müssen, sich die Frage stellen, ob die Nachentrichtung für sie selbst sinnvoll ist. Mit dem Tode des Versicherten verändert sich in jedem Falle die Kalkulation der Beitragsnachentrichtung; den vollen Beiträgen steht zB nun nicht mehr eine volle Rente des Versicherten, sondern bei Hinterbliebenen nur noch die geringere Hinterbliebenenrente gegenüber. Möglicherweise werden deshalb Hinterbliebene auch die neue Lage untereinander erörtern wollen. Aber auch andere Umstände (zB Möglichkeiten der Beschaffung und Überweisung des erforderlichen Geldbetrages) können es erforderlich machen, die für den Versicherten angemessen gewesene Frist um eine der Lage der Hinterbliebenen angemessene Zeit zu verlängern. Zu einer neuen „Bereiterklärung” haben Rechtsnachfolger und Hinterbliebene freilich kein Recht; wie für den Versicherten ist auch für sie die angemessene Frist nach den von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätzen entsprechend den näheren Umständen des Einzelfalles zu bestimmen.

Die Entscheidung des LSG, daß die Beitragsentrichtung der Klägerin noch in angemessener Frist nach der Bereiterklärung des Versicherten erfolgte, entspricht diesen Grundsätzen. Das LSG hat zutreffend in Betracht gezogen, daß sich die Klägerin im Ausland aufhielt und erst mit dem Rechtsberater im Inland Fühlung aufnehmen mußte. Es hat die Erklärung der Klägerin, das Nachentrichtungsverfahren fortzusetzen, nicht als eine neue Bereiterklärung und die – anderen Zwecken dienende – Rechtsmittelfrist nach dem Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei Zustellung im Ausland nicht als eine bindende Richtlinie gewertet, Seine Feststellung der Angemessenheit beruht letztlich auf einer Abwägung von Tatumständen, die vom Revisionsgericht nicht voll nachprüfbar ist (vgl SozR 2200 § 1301 Nrn. 8 und 11). Die Angemessenheit der Frist im Rahmen des § 141 Abs. 2 AVG läßt sich nur von Fall zu Fall beurteilen, wie dies auch der Absicht des Gesetzgebers entsprach. Wenn das LSG in die Entrichtungsfrist hier wenig mehr als drei Monate nach dem Tode des Versicherten bzw. nahezu drei Monate nach dem Ende der für den Versicherten angemessen gewesenen Frist einbezogen hat, so hält sich das jedenfalls in den für die angemessene Frist des § 141 Abs. 2 AVG in Betracht kommenden Grenzen.

Sonach gelten die Beiträge gem. § 142 Abs. 1 Nr. 2 AVG als im Zeitpunkt der Bereiterklärung des Versicherten entrichtet, so daß sie bei der Witwenrente der Klägerin zu berücksichtigen sind.

Daher war die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BSGE, 230

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