Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen für die Gewährung von flexiblem Altersruhegeld

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für den Anspruch auf flexibles Altersruhegeld stellt RVO § 1248 Abs 4 idF des 4. RVÄndG als negative Voraussetzung auf, daß keine über die dort festgelegten Grenzen hinausgehende Beschäftigung gegen Entgelt oder Erwerbstätigkeit erfolgt.

2. In den letzten 3 Monaten eines auslaufenden Dauerarbeitsverhältnisses ist kein flexibles Altersruhegeld zu gewähren. Ein rentenunschädlicher Hinzuverdienst ist erst zulässig, wenn ein Dauerarbeitsverhältnis beendet und ein neues, auf längstens 3 Monate im Voraus vertraglich ausbedungenes Arbeitsverhältnis begonnen hat. Letzteres kann sich unmittelbar an das Dauerarbeitsverhältnis anschließen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Arbeitnehmer, der über den Zeitpunkt hinaus, von dem an er flexibles Altersruhegeld begehrt, eine Beschäftigung im Rahmen des RVO § 1248 Abs 4 Buchst a (AVG § 25 Abs 4 Buchst a) beim bisherigen Arbeitgeber ausübt, hat nur dann Anspruch auf die Leistung, wenn eindeutige Abmachungen darüber bestehen, daß es sich bei der Beschäftigung um ein neues Arbeitsverhältnis handelt und nicht nur - unter einer lediglich formalen Kündigung - um eine bloße Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses.

 

Normenkette

RVO § 1248 Abs. 4 Buchst. a Fassung: 1973-03-30, Abs. 6 Fassung: 1972-10-16, Abs. 7 Fassung: 1972-10-16, Abs. 1 Fassung: 1972-10-16, § 1228 Abs. 2 Buchst. a Fassung: 1965-06-09, § 1290 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1972-10-16, § 1545 Fassung: 1924-12-15

 

Tenor

Auf die Sprungrevision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 8. Januar 1974 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 1973 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger das ihm von der Beklagten ab 1. September 1973 gewährte Altersruhegeld (ARG) bereits ab 1. Juni 1973 zusteht.

Der am ... 1910 geborene Kläger war bis zum 31. August 1973 mit einem monatlichen Bruttoarbeitsverdienst von zuletzt 1.827,26 DM beschäftigt. Auf seinen Antrag vom 25. Mai 1973, ihm das ARG ab 1. Juni 1973 zu bewilligen, gewährte ihm die Beklagte das ARG nach § 1248 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ab 1. September 1973 (Bescheid vom 8. Oktober 1973).

Mit der Klage hat der Kläger den Bescheid angefochten und das ARG ab 1. Juni 1973 beansprucht. Er hat behauptet: Er habe im Mai 1973, als er den Rentenantrag gestellt, habe, dem Personalsachbearbeiter seines Arbeitgebers erklärt, er werde am 31. August 1973 seine Arbeit beenden. Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt und die Berufung zugelassen (Urteil vom 8. Januar 1974).

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte im Einvernehmen mit dem Kläger Sprungrevision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 1248 Abs. 4 Buchst. a RVO i. d. F. des 4. Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 30. März 1973. Sie bekämpft die Auslegung durch das SG, dem Versicherten sei ein ARG dann zu gewähren, wenn er seit dem Zeitpunkt, in dem ihm erstmalig ein ARG zusteht, nicht mehr als drei Monate voll arbeite.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen.

Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheidet.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungsrevision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Entgegen der Auffassung des SG steht dem Kläger das ARG mit vollendetem 63. Lebensjahr ab 1. Juni 1973 gemäß § 1248 Abs. 1 RVO i. d. F. des Rentenreformgesetzes (RRG) nicht zu. Nach § 1290 Abs. 1 Satz 2 RVO i. d. F. des RRG ist ARG nach § 1248 Abs. 1 RVO, das der Kläger vom 1. Juni 1973 an beantragt hat, regelmäßig vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem seine Voraussetzungen erfüllt sind. Damit hätten alle Voraussetzungen dafür, daß die Beklagte antragsgemäß das ARG nach § 1248 Abs. 1 RVO ab 1. Juni 1973 zu gewähren hatte, bis spätestens zum Ablauf des 31. Mai 1973 vorhanden sein müssen. Diese Voraussetzungen sind:

Vollendetes 63. Lebensjahr, keine über die in § 1248 Abs. 4 RVO i. d. F. des 4. RVÄndG festgelegten Grenzen hinausgehende Beschäftigung gegen Entgelt oder Erwerbstätigkeit, Erfüllung der Wartezeit gemäß § 1248 Abs. 7 Satz 1 RVO i. d. F. des RRG und der Antrag (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. III, S. 684 b VII).

Von diesen Voraussetzungen fehlt die - negative - des § 1248 Abs. 4 i. d. F. des 4. RVÄndG. Es ist zwar zutreffend, daß in dieser Vorschrift und insbesondere in der des hier allein in Betracht kommenden Buchst. a die Worte "Nebenbeschäftigung" und "Nebentätigkeit" aus § 1228 Abs. 2 RVO fehlen, obschon § 1248 Abs. 4 RVO dem § 1228 Abs. 2 RVO nachgebildet ist (vgl. Niemeyer/Schenke, Die flexible Altersgrenze, BArbBl 1973, 138, 140). Es kann offenbleiben, ob trotz der fehlenden beiden Worte "Nebenbeschäftigung" und "Nebentätigkeit" in § 1248 Abs. 4 RVO i. d. F. des 4. RVÄndG der Sache nach dasselbe wie in § 1228 Abs. 2 RVO gemeint ist (so Brackmann, aaO, S. 684 b VII, der die hier streitige negative Voraussetzung mit: "Keine über die festgelegten Grenzen hinausgehende Beschäftigung oder Nebentätigkeit" kennzeichnet). Es muß auch nicht entschieden werden, wie die in § 1248 Abs. 4 RVO i. d. F. des 4. RVÄndG gebrauchten Begriffe einer "Beschäftigung gegen Entgelt" und einer "Erwerbstätigkeit" des näheren zu verstehen und voneinander abzugrenzen sind. Es kann insbesondere dahinstehen, ob mit "Erwerbstätigkeit" kein übergreifender Begriff i. S. jeder auf Gewinn abzielenden, also nicht unentgeltlich zu verrichtenden Arbeit (BSGE 19, 147, 149) oder allein die Erwerbstätigkeit eines Selbständigen gemeint ist (so Brackmann, aaO, S. 684 b VIII). Denn nach dem insoweit klaren Wortlaut des § 1248 Abs. 4 Satz 1 Buchst. a RVO i. d. F. des 4. RVÄndG besteht ein Anspruch auf ARG nach § 1248 Abs. 1 RVO lediglich, wenn die Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit nur gelegentlich ausgeübt wird, insbesondere zur Aushilfe für eine Zeitdauer, die im Laufe eines jeden Jahres seit dem erstmaligen Beginn des ARG auf nicht mehr als drei Monate oder insgesamt fünfundsiebzig Arbeitstage noch der Natur der Sache beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch Vertrag beschränkt ist. Entgegen der Auffassung des SG hat das Gesetz hier nicht allein eine zeitliche Schranke von nicht mehr als drei Monaten oder insgesamt 75 Arbeitstagen gesetzt. Es hat vielmehr zusätzlich verlangt, daß sich diese zeitliche Beschränkung aus der Natur der Sache oder im voraus durch Vertrag ergibt. Das Gesetz hat diese Beschränkung aus der Natur der Sache oder auf Grund voraufgehender vertraglicher Vereinbarung, worauf die Beklagte zutreffend aufmerksam macht, zusätzlich noch dahin erläutert, daß die entgeltliche Beschäftigung oder die Erwerbstätigkeit "nur gelegentlich, insbesondere zur Aushilfe" ausgeübt werden soll. Von alledem kann hier keine Rede sein. Der Kläger setzte, wie das SG bindend festgestellt hat, seine bisherige volle Beschäftigung uneingeschränkt über den 31. Mai 1973 hinaus bis zum 31. August 1973 fort. Angesichts dieser eindeutigen und zudem von der Revision nicht angefochtenen und daher das Revisionsgericht bindenden Feststellungen (§ 167 SGG) ist kein Raum für die vom Kläger hilfsweise angeregte Aufhebung und Zurückverweisung an die Vorinstanz, um Feststellungen über den Abschluß eines zeitlich begrenzten Arbeitsverhältnisses treffen zu können. Die weitere Beschäftigung des Klägers über den 31. Mai 1973 hinaus war weder nach der Natur der Sache noch im voraus durch Vertrag auf die Zeit über den 31. Mai 1973 hinaus bis zum 31. August 1973 beschränkt. Sie hatte auch keinen Gelegenheitscharakter, etwa dadurch, daß der Kläger aushilfs- oder vertretungsweise entgeltlich beschäftigt wurde. Es ist allerdings denkbar, daß die für den Anspruch auf ARG nach § 1248 Abs. 1 RVO unschädliche, unbeschränkte Verdienstmöglichkeit nach § 1248 Abs. 4 Satz 1 Buchst. a RVO i. d. F. des 4. RVÄndG in den ersten drei Monaten nach Rentenbeginn besteht. Jedoch bedarf es dann, wenn die zeitliche Begrenzung auf drei Monate oder insgesamt 75 Arbeitstage nicht bereits aus der Natur der Sache abgeleitet werden kann, der vorherigen besonderen vertraglichen Vereinbarung (vgl. Niemeyer/Schenke, BArbBl 1973, 138, 140). Die Befürchtung des SG, ein solches Erfordernis ließe sich rechtsmißbräuchlich leicht herstellen, indem formal das bisherige Arbeitsverhältnis gekündigt und ein neues auf drei weitere Monate begründet würde, dürfte in aller Regel nicht bestehen. Sollten sich aber im Einzelfall Anhaltspunkte für eine rechtsmißbräuchliche Vertragsgestaltung ergeben, wäre es Sache des Versicherungsträgers, einer derartigen Ausnutzung der Vorschrift des § 1248 Abs. 4 Satz 1 Buchst. a RVO i. d. F. des 4. RVÄndG entgegenzutreten und ggf. den Anspruch auf ARG abzulehnen.

Aus der Entstehungsgeschichte des § 1248 Abs. 4 RVO ist Gegenteiliges nicht zu entnehmen. § 1248 Abs. 4 RVO i. d. F. des RRG sah vor, das ARG nach Vollendung des 63. Lebensjahres bzw. 62. Lebensjahres ohne Rücksicht auf eine nebenher ausgeübte entgeltliche Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit zu gewähren (vgl. Niemeyer/Schenke, aaO; Brackmann, aaO, S. 684 b VII). Die Möglichkeit des zusätzlichen Verdienstes neben dem Bezug von ARG wurde indessen durch die Regelung des § 1248 Abs. 4 RVO i. d. F. des 4. RVÄndG eingeschränkt. Gerade wegen dieser hiermit eingeführten gesetzlich festgelegten Beschränkung einer Beschäftigung gegen Entgelt oder einer Erwerbstätigkeit neben dem Rentenbezug besteht ein Anspruch nach § 1248 Abs. 1 RVO nur, wenn auch die negative Voraussetzung - keine über die in § 1248 Abs. 4 RVO i. d. F. des 4. RVÄndG festgelegten Grenzen hinausgehende Beschäftigung gegen Entgelt oder Erwerbstätigkeit - erfüllt ist. Dies ist aber hier nicht der Fall.

Im Falle des Klägers ist nach allem festzustellen, daß dessen entgeltliche Beschäftigung über den 31. Mai 1973 hinaus bis zum 31. August 1973 die in § 1248 Abs. 4 Satz 1 Buchst. a RVO i. d. F. des 4. RVÄndG festgelegten Grenzen überschritten hat. Da die negative Voraussetzung für einen Anspruch auf ARG nach § 1248 Abs. 1 RVO bis zum Ablauf des 31. Mai 1973. fehlt, ist dem Kläger das ARG nach § 1248 Abs. 1 RVO nicht vom 1. Juni 1973 an zu gewähren (§ 1290 Abs. 1 Satz 2 RVO).

Der Kläger hat sich darauf beschränkt zu verlangen, daß der Rentenbeginn auf den 1. Juni 1973 vorverlegt werde. Damit hat er zugleich zu erkennen gegeben, daß er bei einem Mißerfolg seines Begehrens, den Rentenbeginn auf den 1. Juni 1973 vorzuverlegen, die Feststellung der Beklagten über den Eintritt des Versicherungsfalls des Alters auf den 1. September 1973 als seine eigene Bestimmungserklärung hinnehmen werde. Das Vorgehen der Beklagten, den Versicherungsfall auf den 1. September 1973 festzustellen und damit aus ihrer Sicht das bestmögliche für den Kläger zu tun, entspricht allerdings nicht der Vorschrift des § 1248 Abs. 6 RVO. Danach ist die Bestimmungserklärung allein vom Versicherten und nicht vom Rentenversicherungsträger vorzunehmen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 22. Mai 1974 - 12 RJ 8/74 - SozR 2200 § 1248 Nr. 3). Dieses Vorgehen der Beklagten ist jedoch insofern unschädlich, als sich der Kläger die ursprünglich durch die Beklagte vorgenommene Bestimmung des Versicherungsfalls des Alters auf den 1. September 1973 im Gerichtsverfahren als seine Erklärung zu eigen gemacht hat. Allerdings ist es im Interesse der Klarheit besser, wenn der Versicherungsträger nach gehöriger Belehrung vom Versicherten die ausdrückliche Bestimmungserklärung einholt (§§ 1545 ff RVO).

Da die nach § 1248 Abs. 6 RVO erforderliche Erklärung des Klägers über die Bestimmung des Versicherungsfalls des Alters hier jedoch auch ohne ausdrückliche Erklärung durch Auslegung festgestellt werden kann, ist der angefochtene Bescheid auch insoweit rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 148

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