Leitsatz (amtlich)

Ob Beschäftigte (hier: Kundendiensttechniker eines Unternehmens, das Fotokopiergeräte verkauft und vermietet) nach der Verkehrsauffassung als Angestellte oder Arbeiter anzusehen sind, läßt sich erst nach Klärung der gesamten Umstände ihrer Beschäftigung beurteilen (Fortführung von BSG vom 24.10.1978 - 12 RK 60/76 = BSGE 47, 106, 108/109).

 

Orientierungssatz

Abgrenzung zwischen Arbeitern und Angestellten - Berufsgruppenkatalog - Verkehrsanschauung - Überwiegen körperlicher oder geistiger Tätigkeit - Aufgaben eines Facharbeiters:

1. Die Prüfung der Frage, ob jemand Arbeiter oder Angestellter und daher in der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Angestellten versichert ist, hat in mehreren Stufen zu erfolgen. Dabei ist auf die folgende erst überzugehen, wenn auf der vorangegangenen keine Entscheidung möglich ist. Auf der ersten Stufe ist zu untersuchen, ob der Beschäftigte zu einer der in § 3 Abs 1 AVG beispielhaft ("insbesondere") aufgezählten Gruppen gehört. Ist dieses nicht der Fall, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Beschäftigung einer der im sogenannten Berufsgruppenkatalog (Best des RAM über die Berufsgruppen in der Angestelltenversicherung vom 8.3.1924, RGBl I, 274 - abgeändert durch die VO vom 4.2.1927 und die VO vom 15.7.1927, RGBl I, 58 bzw 222) aufgeführten Gruppen entspricht. Ist auch das nicht der Fall, ist auf der dritten Stufe zu untersuchen, ob die Beschäftigung derjenigen einer Berufsgruppe entspricht, die nach der Verkehrsanschauung allgemein als Angestellte betrachtet werden. Ergibt sich auch hiernach keine Lösung, hängt die Frage, ob der Beschäftigte Angestellter oder Arbeiter ist, auf einer vierten Stufe davon ab, ob die Beschäftigung vorwiegend geistig oder vorwiegend körperlich geprägt ist. Ergibt die Abwägung anhand des Gesamtbildes kein deutliches Übergewicht für eine körperliche oder für eine geistige Prägung, ist auf der fünften und letzten Stufe auf den übereinstimmenden Willen der Vertragspartner des Beschäftigungsverhältnisses abzustellen (vgl zum Ganzen BSG vom 24.10.1978 12 RK 60/76 = BSGE 47, 106 = SozR 2200 § 165b Nr 3).

2. Überträgt man die in dem Berufsgruppenkatalog zum Ausdruck kommenden Merkmale für Angestelltentätigkeiten auf die Beschäftigten neuer Branchen, so ist für Angestellte entweder eine gehobene technische Qualifikation oder die Wahrnehmung leitender Funktionen zu fordern.

3. Unter Verkehrsanschauung ist die Ansicht der beteiligten Berufskreise und der interessierten Öffentlichkeit zu verstehen, wobei es auf den gesamten Geltungsbereich des AVG und der RVO ankommt (vgl BSG vom 24.10.1978 aaO). Für die Bildung der Verkehrsanschauung sind die bundesweit geschlossenen Tarifverträge von entscheidender Bedeutung, wenn sie auf einer langdauernden beständigen Tarifpraxis beruhen und eine bundesweite Übereinstimmung erkennen lassen (vgl BSG vom 9.12.1982 12 RK 6/82 = SozR 2400 § 3 Nr 5).

4. Es gehört heute allgemein zu den Aufgaben qualifizierter Facharbeiter, daß sie bei der Installation und dem Betrieb technisch hochentwickelter Geräte den Benutzer mit der Funktionsweise vertraut machen, bei Störungen in uU zeitaufwendiger Arbeit Fehler suchen, das Gerät nach einer Fehlerbeseitigung durch Probelauf auf ein einwandfreies Funktionieren überprüfen, mit dem Benutzer über die Ursachen der Mängel und deren künftige Vermeidung sprechen und die heute mit Lieferungen und Reparaturen üblicherweise verbundenen schriftlichen Arbeiten erledigen (Ausfüllen von Lieferscheinen und Stundenlohnzetteln sowie Erstellen von Mängelberichten). Bei den Kundendiensttechnikern können grundsätzlich keine anderen Maßstäbe angelegt werden. Demgegenüber wird das Gesamtbild von geistiger Arbeit bestimmt, wenn das geschuldete und erzielte Arbeitsergebnis hauptsächlich in der Behandlung und Lösung technischer Probleme (ohne anschließende handwerkliche Umsetzung) oder in der Wahrnehmung kaufmännischer, beratender oder leitender Tätigkeiten liegt und körperliche Arbeiten dabei nur eine untergeordnete Rolle spielen.

 

Normenkette

RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 3 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AnVBerufsBest Fassung: 1927-07-15

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 18.04.1985; Aktenzeichen VI KRBf 22/82)

SG Hamburg (Entscheidung vom 15.06.1982; Aktenzeichen 21 KR 76/79)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob Kundendiensttechniker als Arbeiter in der Arbeiterrentenversicherung oder als Angestellte in der Angestelltenversicherung versichert sind.

Im Jahre 1978 kam es zwischen der Rechtsvorgängerin der Klägerin, die Kopiersysteme verkauft und vermietet, und der Beklagten zu Meinungsverschiedenheiten darüber, ob bei der Beklagten krankenversicherte Kundendiensttechniker der Klägerin in der Arbeiterrentenversicherung oder in der Angestelltenversicherung versichert sind. Aufgrund einer Betriebsprüfung kam die Beklagte zu dem Ergebnis, daß sechs namentlich benannte Kundendiensttechniker arbeiterrentenversicherungspflichtig seien. Hierüber erteilte sie der Rechtsvorgängerin der Klägerin den Bescheid vom 27. November 1978. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 1979).

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Hamburg die Landesversicherungsanstalt (LVA) Freie und Hansestadt Hamburg, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), die Kundendiensttechniker und die Techniker-Krankenkasse beigeladen. Durch Urteil vom 15. Juni 1982 hat es die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens ist einer der beigeladenen Kundendiensttechniker (K., bis dahin Beigeladener zu 6) verstorben. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 18. April 1985 das Urteil des SG sowie den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben. Es hat die Kundendiensttechniker als Angestellte angesehen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Die Kundendiensttechniker gehörten nicht zu den in § 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) oder im Berufsgruppenkatalog bezeichneten Gruppen von Angestellten. Auch lasse sich eine im wesentlichen einheitliche Verkehrsauffassung nicht feststellen. Einschlägige Tarifverträge ergäben kein einheitliches Bild des Kundendiensttechnikers, weil darin auch kaufmännische Elemente enthalten und unterschiedlich akzentuiert seien; auch werde darin die Bezeichnung "Kundendiensttechniker" nicht für einen im wesentlichen gleichen Aufgabenbereich verwendet. So wichen die vorliegenden Stellenbeschreibungen der Firmen C. und R. X. untereinander und von derjenigen der Klägerin ab. Ebensowenig sei zu erkennen, ob die körperliche oder die geistige Betätigung der Arbeit der Kundendiensttechniker das Gepräge gebe. Wenn die rentenversicherungspflichtige Zuordnung davon abhänge, ob überwiegend geistige oder vorwiegend körperliche Arbeit geleistet werde, könne der Unterschied nicht in der schöpferischen Betätigung im weitesten Sinne einerseits und der reproduzierenden (Reparatur-)Tätigkeit andererseits gefunden werden. Jedenfalls sei der Einsatz von theoretischen Kenntnissen und von praktischen Erfahrungen nicht allein dem reproduzierenden Tätigkeitsbereich zuzurechnen, solange er nicht unmittelbar und im wesentlichen Ausmaß manuelle Handlungen bestimme. Der Umfang der rein körperlichen Arbeit sei allerdings verhältnismäßig klein. Er liege, wie der Zeuge D. (richtig: D.) glaubhaft dargestellt habe, bei etwa 20 %. In welchem Maße hierzu die vom Zeugen ausdrücklich nicht einbezogene Fehleranalyse zu addieren sei, lasse sich nicht eindeutig abgrenzen. Zu Recht weise das SG insoweit darauf hin, daß auch ein qualifizierter Facharbeiter über gründliche technische Kenntnisse verfügen und diese bei der Ausführung seiner Arbeit einsetzen müsse, ohne daß er deswegen als Angestellter anzusehen sei. Auch beim Kundendiensttechniker werde unter diesem Gesichtspunkt immerhin ein Teil der dem eigentlichen - manuell zu erledigenden - Reparaturvorgang vorausgehenden Überlegungen der reproduzierenden Arbeit zuzurechnen sein. Nach dem Bild, das sich aus den vorliegenden Unterlagen, der Darstellung durch die Klägerin und der Zeugenaussage ergebe, sei der Anteil der körperlichen Tätigkeit einschließlich des ihr zuzurechnenden Teils der Fehleranalyse etwa gleich groß wie derjenige der geistigen, nicht mit der körperlichen Betätigung verbundenen Beschäftigung. Zu der letztgenannten zählten vor allem die Einweisungs- und Abschlußgespräche sowie die Kundenberatung im weiteren, von der Klägerin geschilderten Sinne. Da sich ein Überwiegen körperlicher oder geistiger Arbeit nicht feststellen lasse, komme es auf die Auffassung der Parteien des Arbeitsvertrages an. Danach seien die Kundendiensttechniker Angestellte.

Gegen das Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision der Beklagten. Sie rügt eine unrichtige Anwendung des § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 2 Abs 1 Nr 1 AVG und macht im wesentlichen geltend: Da die vorgreiflichen Kriterien (Gesetz, Berufsgruppenkatalog, Verkehrsauffassung) eine Abgrenzung nicht ermöglichten, komme es auf das Überwiegen körperlicher oder geistiger Arbeit an. Dabei sei, wie schon das SG ausgeführt habe, zu berücksichtigen, daß durch die fortschreitende Spezialisierung, Rationalisierung und Technisierung an die Stelle der hauptsächlichen Verwendung körperlicher Arbeitskraft vielfach eine qualifizierte, insbesondere technisches Können erfordernde Tätigkeit getreten sei. Diese Erkenntnis könne aber nicht dazu führen, daß der geistigen Arbeit für die Abgrenzung nicht mehr allein die körperliche Arbeit im herkömmlichen Sinne - also reine Handarbeit - entgegenzusetzen sei. Die "Handarbeit" müsse vielmehr alle Tätigkeiten umfassen, die zur Durchführung der körperlichen Arbeit erforderlich, mit ihr somit untrennbar verbunden sei. Allein dadurch, daß die Technik und insbesondere die Elektronik den Arbeitnehmer in die Lage versetze, seine körperliche Arbeitskraft schneller, gezielter und dadurch einfacher einzusetzen, werde die Arbeit nicht zu einer geistigen. Die Technik stelle lediglich ein Hilfsmittel zur Unterstützung der eigentlichen körperlichen Arbeit dar. Wenn man berücksichtige, daß die Klägerin auch noch Verkaufsrepräsentanten beschäftige, so könnten keine Zweifel daran bestehen, daß die beigeladenen Kundendiensttechniker für den Auf- und Abbau, die Wartung und die Beseitigung von Störungen der Kopiergeräte zuständig seien. Diesen körperlichen Arbeiten sei auch die gesamte Fehleranalyse zuzurechnen. Insgesamt gebe die körperliche Arbeit der Beschäftigung der Kundendiensttechniker das Gepräge, so daß sie Arbeiter seien.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und macht im wesentlichen geltend: Die Beklagte rüge keine Verletzung geltenden Rechts, sondern wolle die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz korrigieren. Wenn sie die gesamte Fehleranalyse dem Bereich der körperlichen Arbeit zurechnen wolle, so setze sie entgegen ihrem (der Klägerin) Vortrag die "Störungsbeseitigung" mit einem technischen Defekt am Gerät gleich, womit der unzutreffende Eindruck erweckt werde, daß jede Störungsbeseitigung eine Manipulation am Gerät voraussetze und daher eine handwerkliche Tätigkeit sei. Dem sei sie schon im Berufungsverfahren mit dem Vorbringen entgegengetreten, daß für den Kundendienst als Serviceleistung die Anwendungs- und Bedienungsberatung im Mittelpunkt stehe. Anwendungs- und Bedienungsfehler führten aber nicht in jedem Fall zu einer Störung am Gerät, sondern uU nur zu einer unbefriedigenden Qualität von Kopien; dann hätten die Kundendiensttechniker Mittel und Wege aufzuzeigen, die Qualität zu verbessern, ohne daß dieses "Störungsbeseitigung" sei. Die Tätigkeit der Verkaufsrepräsentanten sei für die Einordnung der Kundendiensttechniker unerheblich. Schließlich vermöge sie (die Klägerin) der übereinstimmenden Auffassung der Vorinstanzen nicht zu folgen, daß es keine Verkehrsanschauung zur Einordnung der Kundendiensttechniker gebe. Diese würden, zumal sich die Kundendiensttechniker nicht aus dem Beruf des Kundendienstmechanikers entwickelt hätten, seit jeher und allgemein in der Fotokopierbranche als Angestellte angesehen, weil bei ihnen an die Stelle der hauptsächlichen Verwendung der körperlichen Arbeitskraft, eine qualifiziertere, insbesondere technisches Können erfordernde Tätigkeit getreten sei. Die Beklagte wolle diese Entwicklung durch den Rückgriff auf das überlieferte Berufsbild eines gewerblichen Arbeitnehmers annullieren. Damit werde aber einer Entwicklung Tür und Tor geöffnet, sämtliche technischen Angestellten-Berufe, die sich erst in den letzten Jahren entwickelt hätten (zB Bild-, Ton-, Fernseh-, Bio-, Chemo-, Agrartechniker), dem Kreis der gewerblichen Arbeitnehmer zuzuführen.

Die beigeladene LVA (Beigeladene zu 1) schließt sich mit eigenen Ausführungen der Ansicht der Beklagten an und beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuverweisen.

Die beigeladene BfA (Beigeladene zu 2) sieht von einer Äußerung in der Sache ab und stellt auch keinen Antrag.

Der beigeladene Kundendiensttechniker B. (Beigeladener zu 3) teilt die Auffassung der Klägerin und schließt sich deren Antrag an.

Die Beigeladenen K., F., M. und W. (jetzt Beigeladene zu 4 bis 7) sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die beigeladene Techniker-Krankenkasse (jetzt Beigeladene zu 8) hält das Urteil des LSG für zutreffend und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung an das LSG begründet. Die vom LSG bisher festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.

Nach § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO werden alle Personen, die als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt sind, in der Rentenversicherung der Arbeiter versichert, sofern sie nicht nach den Bestimmungen des AVG oder anderer Sondergesetze rentenversicherungspflichtig sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hat die Prüfung der Frage, ob jemand Arbeiter oder Angestellter und daher in der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Angestellten versichert ist, in mehreren Stufen zu erfolgen. Dabei ist auf die folgende erst überzugehen, wenn auf der vorangegangenen keine Entscheidung möglich ist. Auf der ersten Stufe ist zu untersuchen, ob der Beschäftigte zu einer der in § 3 Abs 1 AVG beispielhaft ("insbesondere") aufgezählten Gruppen gehört. Ist dieses nicht der Fall, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Beschäftigung einer der im sogenannten Berufsgruppenkatalog (Best des RAM über die Berufsgruppen in der Angestelltenversicherung vom 8. März 1924, RGBl I S 274 - abgeändert durch die VO vom 4. Februar 1927 und die VO vom 15. Juli 1927, RGBl I S 58 bzw S 222) aufgeführten Gruppen entspricht. Ist auch das nicht der Fall, ist auf der dritten Stufe zu untersuchen, ob die Beschäftigung derjenigen einer Berufsgruppe entspricht, die nach der Verkehrsanschauung allgemein als Angestellte betrachtet werden. Ergibt sich auch hiernach keine Lösung, hängt die Frage, ob der Beschäftigte Angestellter oder Arbeiter ist, auf einer vierten Stufe davon ab, ob die Beschäftigung vorwiegend geistig oder vorwiegend körperlich geprägt ist. Ergibt die Abwägung anhand des Gesamtbildes kein deutliches Übergewicht für eine körperliche oder für eine geistige Prägung, ist auf der fünften und letzten Stufe auf den übereinstimmenden Willen der Vertragspartner des Beschäftigungsverhältnisses abzustellen (zum Ganzen BSGE 47, 106 = SozR 2200 § 165b Nr 3). Von diesen Grundsätzen ist auch das LSG ausgegangen.

Bei ihrer Anwendung auf die beigeladenen Kundendiensttechniker folgt der Senat dem LSG zunächst darin, daß eine Lösung auf der ersten Stufe ausscheidet. In Betracht kommt aus dem Katalog des § 3 Abs 1 AVG nur die Nr 2. Danach gehören zu den Angestellten insbesondere technische Angestellte in Betrieb, Büro und Verwaltung, Werkmeister und andere Angestellte in einer ähnlich gehobenen oder höheren Stellung. Das LSG hat die Kundendiensttechniker diesem Personenkreis nicht zugeordnet, weil ihnen keine leitenden oder andere Arbeitnehmer überwachenden Funktionen übertragen seien. Hiergegen ergeben sich keine Bedenken. Solche sind auch von den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens nicht geäußert worden.

Auch der Berufsgruppenkatalog läßt keine Einstufung der Kundendiensttechniker als Angestellte zu. Das LSG hat hierzu ausgeführt: In diesem Katalog würden zwar bei verschiedenen Berufszweigen auch Techniker zu den Angestellten gezählt. Ihre Erwähnung im Zusammenhang mit den Ingenieuren spreche jedoch dafür, daß an eine Gruppe mit höherer Qualifikation als derjenigen der Kundendiensttechniker gedacht worden sei; insofern seien die Ausführungen des SG nicht zu beanstanden. Dieses hatte dem Berufsgruppenkatalog entnommen, daß als Angestellte nur solche Fachkräfte angesehen würden, die eine entsprechende technische Fachschulausbildung durchlaufen hätten und als "mittlere Führungskräfte" zwischen Facharbeiter und dem Ingenieur stehend technische Aufgaben in der Konstruktion, der Entwicklung, Fertigungsplanung, Arbeitsvorbereitung und Fertigung wahrnähmen. - Der somit übereinstimmenden und auch von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogenen Auffassung der Vorinstanzen, wonach der Berufsgruppenkatalog keine Zuordnung der Kundendiensttechniker erlaubt, stimmt der Senat im Ergebnis zu. Dabei kann offen bleiben, ob eine solche Zuordnung nicht schon deswegen ausscheidet, weil die Kopierbranche, die sich erst nach dem Erlaß des Berufsgruppenkatalogs entwickelt hat, nicht zu den darin aufgeführten Industrie- und Gewerbezweigen gehört. Denn überträgt man gleichwohl die in dem Katalog zum Ausdruck kommenden Merkmale für Angestelltentätigkeiten auf die Beschäftigten neuer Branchen, so ist für Angestellte entweder eine gehobene technische Qualifikation oder die Wahrnehmung leitender Funktionen zu fordern. Diese Merkmale erfüllen die Kundendiensttechniker, wie dem Urteil des LSG noch entnommen werden kann, nicht.

Dagegen reichen die Ausführungen des LSG dazu nicht mehr aus, daß auch auf der dritten Stufe, auf der nach der Verkehrsanschauung zu fragen ist, keine Entscheidung möglich sei. Unter der Verkehrsanschauung ist die Ansicht der beteiligten Berufskreise und der interessierten Öffentlichkeit zu verstehen, wobei es auf den gesamten Geltungsbereich des AVG und der RVO ankommt (vgl BSGE 47, 106, 107/108). Für die Bildung der Verkehrsanschauung sind die bundesweit geschlossenen Tarifverträge von entscheidender Bedeutung, wenn sie auf einer langdauernden beständigen Tarifpraxis beruhen und eine bundesweite Übereinstimmung erkennen lassen (BSG SozR 2400 § 3 Nr 5). Dieses bedeutet jedoch lediglich, daß, wenn eine solche tarifliche Zuordnung zu den Angestellten besteht, in der Regel ("sofern dem nicht etwa im Einzelfall gleichwertigen Erkenntnisquellen entgegenstehenden" BSG SozR 2400 § 3 Nr 5) auch hier von ihr auszugehen ist. Besteht jedoch eine solche Tarifpraxis nicht, so kann das zwar ein gewisses Indiz für das Nichtbestehen einer Verkehrsanschauung sein. Da das Fehlen einer Tarifpraxis zur Einordnung als Arbeiter oder Angestellter aber auch andere Gründe als das Nichtbestehen einer einheitlichen Verkehrsanschauung haben kann, sind bei Fehlen einer Tarifpraxis weitere Feststellungen zum Bestehen oder Nichtbestehen einer Verkehrsanschauung erforderlich. Dieses hat das LSG nicht hinreichend beachtet. Es hat zwar zutreffend erwähnt, daß eine beständige Tarifpraxis "vornehmliches Indiz" für eine Verkehrsanschauung sei, dann aber das Bestehen einer Verkehrsanschauung allein anhand einzelner, ihm vorgelegter Tarifverträge abgelehnt, weil sich darin kein einheitliches Berufsbild des Kundendiensttechnikers zeige. Das reicht zur Ablehnung einer möglicherweise nur im tariflich nicht geregelten Bereich bestehenden, aber gleichwohl beachtlichen Verkehrsauffassung nicht aus. Gleiches gilt für die weiteren Ausführungen des LSG, wonach die Bezeichnung "Kundendiensttechniker" nicht für einen im wesentlichen gleichen Aufgabenbereich verwendet wird und die Stellenbeschreibungen der Firmen C. und R. X. untereinander und von derjenigen der Klägerin abweichen. Auch das schließt nicht aus, daß jedenfalls für den Aufgabenbereich, den die beigeladenen Kundendiensttechniker tatsächlich wahrnehmen, eine Verkehrsanschauung besteht. Dabei kommt es in erster Linie weder auf die Bezeichnung "Kundendiensttechniker" noch auf die Stellenbeschreibung an. Vielmehr ist entscheidend, welche Aufgaben den beigeladenen Arbeitnehmern tatsächlich übertragen sind und von ihnen auch ausgeführt werden.

Wie der Senat schon in BSGE 47, 106, 108/109 dargelegt hat, kann das Revisionsgericht zwar die Feststellungen zum Bestehen oder Nichtbestehen einer Verkehrsanschauung selbst treffen. Dazu ist aber erforderlich, daß die tatsächlichen Umstände des betreffenden Beschäftigungsverhältnisses geklärt sind, deren Kenntnis für die Fragestellung nach dem Bestehen einer Verkehrsauffassung unerläßlich ist. Zu diesen tatsächlichen Umständen des Beschäftigungsverhältnisses gehören insbesondere Art und Inhalt der vertraglich übernommenen und auch tatsächlich ausgeübten Beschäftigung, die notwendige Ausbildung und eine etwa erfolgte Weiterbildung, die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die Stellung des Arbeitnehmers in der Betriebsorganisation des Arbeitgebers sowie die Entlohnung. An Feststellungen hierzu fehlt es im angefochtenen Urteil weitgehend.

Im Tatbestand des Urteils ist als unstreitig lediglich festgestellt, daß die (Rechtsvorgängerin der) Klägerin Kopiersysteme verkauft und vermietet und die beigeladenen Arbeitnehmer bei ihr als Kundendiensttechniker beschäftigt sind. Eine - wenn auch kurz gefaßte - Darstellung des Gesamtbildes der Beschäftigung fehlt hingegen. Sie kann durch eine ausführliche Darstellung des Beteiligtenvorbringens nicht ersetzt werden, weil daraus nicht ersichtlich ist, von welchem Gesamtbild das LSG ausgegangen ist. Die erforderlichen Feststellungen zum Gesamtbild sind auch in den Entscheidungsgründen des Urteils nicht getroffen. Diese enthalten lediglich zu einigen Einzelheiten Feststellungen, die jedoch ein Gesamtbild nicht ergeben. Aus diesem Grunde mußte das Urteil aufgehoben werden, damit die erforderlichen Feststellungen getroffen werden. Dabei werden die wesentlichen Einzeltatsachen, die das Gesamtbild ergeben, in einem neuen Urteil anzugeben sein. Sofern das LSG sie nicht anhand unstreitigen Vorbringens der Beteiligten oder der vom SG erhobenen Beweise treffen kann, wird es entsprechende eigene Ermittlungen anstellen müssen. Dazu bietet sich insbesondere eine Anhörung der beteiligten Beschäftigten und solcher Bediensteten der Klägerin an, die mit der Organisation der Klägerin sowie dem Arbeitsgebiet und der Tätigkeit der Kundendiensttechniker vertraut sind. Die Angaben werden, insbesondere soweit den Aussagenden an einem bestimmten Ausgang des Rechtsstreits gelegen ist, kritisch zu würdigen sein.

Wenn das Gesamtbild der Beschäftigung festgestellt ist, wird das LSG zunächst selbst zu ermitteln haben, ob für die Einordnung der Beschäftigten als Angestellte oder Arbeiter eine bundeseinheitliche Verkehrsanschauung besteht. Hierzu bietet sich an, die entsprechende Frage mit einer zusammengefaßten Darstellung der Beschäftigung an die (verhältnismäßig kleine Zahl von) Firmen zu richten, die Kopiersysteme verkaufen und vermieten, wenigstens aber an die größeren dieser Firmen. Zur interessierten Öffentlichkeit, deren Ansicht ebenfalls von Bedeutung ist, gehören zumindest Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände.

Ergibt sich auch auf der Ebene der Verkehrsanschauung keine Lösung, so kommt es auf der nächsten Stufe darauf an, ob die Beschäftigung der beigeladenen Kundendiensttechniker nach ihrem Gesamtbild überwiegend durch körperliche oder durch geistige Arbeit geprägt ist. Diese Abgrenzung bereitet hier aus zwei Gründen besondere Schwierigkeiten: Einmal hat die zunehmende Technisierung den Einsatz von Körperkraft nach Zeitdauer und Schwere zurückgedrängt; dafür haben die dem (körperlichen) Arbeitsvorgang vorausgehenden, ihn begleitenden und überprüfenden Überlegungen, die vielfach technische Spezialkenntnisse und Erfahrungen voraussetzen, an Bedeutung gewonnen. Zum anderen streben manche Unternehmen wie anscheinend auch die Klägerin eine umfassende und einheitliche Betreuung ihrer Kunden an, die handwerkliche, kaufmännische und beratende Tätigkeiten umfaßt und keine strenge Trennung von der Art mehr vornimmt, daß für die einzelnen Bereiche jeweils verschiedene Beschäftigte allein zuständig sind.

Das geltende Recht verlangt, daß auch angesichts dieser Entwicklungen noch zwischen Angestellten und Arbeitern unterschieden wird, obwohl vor allem materiell-rechtlich unterschiedliche Regelungen für beide Gruppen zunehmend nicht mehr als sachgerecht angesehen werden und die Unterscheidung in neueren tariflichen Regelungen zum Teil aufgeben wird. Sie ist hier danach zu treffen, ob die Arbeit, die der betreffende Beschäftigte zu verrichten, und das Ergebnis, das er zu erzielen hat, im wesentlichen durch körperliche Arbeit erreicht wird. Ist dieses der Fall (etwa soweit es um den Aufbau, den Umbau, den Abbau, die Wartung und die Reparatur von Geräten geht) und sind technische Überlegungen bei der Vorbereitung, Durchführung und Überprüfung lediglich Hilfsmittel zur Herbeiführung des Arbeitsergebnisses sowie kaufmännische und beratende Tätigkeiten nur untergeordneter und begleitender Natur, so ist der Betreffende Arbeiter. Dabei gehört es heute allgemein zu den Aufgaben qualifizierter Facharbeiter, daß sie bei der Installation und dem Betrieb technisch hochentwickelter Geräte den Benutzer mit der Funktionsweise vertraut machen, bei Störungen in uU zeitaufwendiger Arbeit Fehler suchen, das Gerät nach einer Fehlerbeseitigung durch Probelauf auf ein einwandfreies Funktionieren überprüfen, mit dem Benutzer über die Ursachen der Mängel und deren künftige Vermeidung sprechen und die heute mit Lieferungen und Reparaturen üblicherweise verbundenen schriftlichen Arbeiten erledigen (Ausfüllen von Lieferscheinen und Stundenlohnzetteln sowie Erstellen von Mängelberichten). Bei den Kundendiensttechnikern können grundsätzlich keine anderen Maßstäbe angelegt werden. Demgegenüber wird das Gesamtbild von geistiger Arbeit bestimmt, wenn das geschuldete und erzielte Arbeitsergebnis hauptsächlich in der Behandlung und Lösung technischer Probleme (ohne anschließende handwerkliche Umsetzung) oder in der Wahrnehmung kaufmännischer, beratender oder leitender Tätigkeiten liegt und körperliche Arbeiten dabei nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Das Urteil des LSG läßt nicht zuverlässig erkennen, ob es von diesen Grundsätzen ausgegangen ist. Vor allem aber fehlen weitgehend nähere tatsächliche Feststellungen zum Aufgabenbereich und der Arbeitsweise der Kundendiensttechniker. Hierzu wird das LSG einzelne Tatsachen feststellen und diese unter Angabe seiner jeweiligen Erkenntnisquellen benennen, die einzelnen Arbeitsvorgänge dem Bereich körperlicher oder geistiger Tätigkeit zuordnen und bei Feststellung sowohl körperlicher als auch geistiger Tätigkeiten diese in ihrem Verhältnis zueinander gewichten müssen, so daß sich ein auf konkreten Angaben beruhendes und nachprüfbares Gesamtbild ergibt. Dieses mag bei Kundendiensttechnikern mit einem vielschichtigen Aufgabengebiet und wechselnden Einsätzen auf Schwierigkeiten stoßen und mit letzter Genauigkeit sogar ausgeschlossen sein. Im Vergleich zu den bisherigen pauschalen Ausführungen des LSG auf den Seiten 11/12 seines Urteils ist jedoch ein erheblich höherer Konkretisierungsgrad der tatsächlichen Feststellungen erforderlich und nach Ansicht des Senats auch erreichbar.

Erst wenn sich auch hiernach wiederum kein deutliches Überwiegen des einen oder des anderen Bereichs ergeben sollte, kann auf die übereinstimmende Auffassung der Vertragspartner abgestellt werden.

In einer das Verfahren abschließenden Entscheidung wird das LSG auch darüber zu befinden haben, inwieweit die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten des Verfahrens - einschließlich des Revisionsverfahrens - zu erstatten haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663300

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