Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungsort

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Vorschriften des BGB über den Leistungsort (§§ 269 f) sind auf die Entrichtung von Beiträgen zur Sozialversicherung entsprechend anwendbar, soweit für diese keine abweichenden, den Anforderungen des § 31 SGB 1 genügenden Regelungen bestehen.

2. Als Tag der Entrichtung von Pflichtbeiträgen gilt bei Übersendung eines Verrechnungsschecks der Tag der Absendung des Schecks. Der Erlaß des RAM vom 18.6.1940 (AN 1940 II, 196), der ua Bestimmungen über den Tag der Entrichtung von Zahlungen enthielt, ist spätestens mit dem Inkrafttreten des SGB 4 (1.7.1977) außer Kraft getreten.

 

Orientierungssatz

Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz des öffentlichen Haushaltsrechts, daß Leistungsort stets der Sitz der Behörde ist.

 

Normenkette

BGB § 269; SGB 1 § 31; SGB 4 § 23 Abs 1; RAMErl 1940-06-18; SGB 4 § 24 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 25.04.1985; Aktenzeichen L 16 Kr 160/84)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 20.09.1984; Aktenzeichen S 17 Kr 54/84)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erhebung von Säumniszuschlägen gemäß § 24 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften über die Sozialversicherung - (SGB 4). Sie sind unterschiedlicher Auffassung darüber, ob es zur fristgerechten Entrichtung von Beiträgen genügt, daß ein Scheck über die Beitragssumme innerhalb einer Woche nach Fälligkeit der Beiträge (Schonfrist) an die Einzugsstelle abgesandt wird oder ob der Scheck innerhalb dieser Frist auch bei der Einzugsstelle eingegangen sein muß.

Die von den Klägerinnen als Arbeitgeberinnen an die Beklagte zu zahlenden Beiträge für ihre Beschäftigten waren jeweils am 15. des Folgemonats fällig, die Beiträge für den Monat März 1983 also am 15. April 1983. Die Klägerinnen sandten innerhalb einer Woche danach einen Verrechnungsscheck über die Beitragssumme mit der Post an die Beklagte ab. Der Scheck ging jedoch erst am 27. April 1983 bei der Beklagten ein. Die Beklagte setzte daraufhin einen Säumniszuschlag von 71,80 DM fest, der auch von den Klägerinnen beglichen wurde.

Im Januar 1984 beantragten die Klägerinnen Erstattung des Säumniszuschlages. Sie beriefen sich auf ein Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. Januar 1980 (- L 4 Kr 56/79 - BB 80, 731), wonach bei einer Beitragsentrichtung durch Scheck eine Absendung des Schecks innerhalb der Frist des § 24 Abs 1 SGB 4 genügt.

Die Beklagte lehnte den Erstattungsantrag ab und setzte zugleich einen weiteren Säumniszuschlag in Höhe von 81,20 DM fest, weil die Beiträge für November 1983 ebenfalls nicht in der Schonfrist des § 24 Abs 1 SGB 4 entrichtet worden seien (Bescheid vom 9. Februar 1984). Auch in diesem Fall hatten die Klägerinnen einen Verrechnungsscheck über die Beitragssumme noch innerhalb der genannten Frist (die für Beiträge für den Monat November mit dem 22. Dezember 1983 ablief) abgesandt; der Scheck war jedoch erst am 27. Dezember 1983 bei der Beklagten eingegangen.

Der Widerspruch der Klägerinnen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 1984). Ihrer Klage hat das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen stattgegeben (Urteil vom 20. September 1984). Auf die Berufung der Beklagten ist sie jedoch durch das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) abgewiesen worden; dabei hat das LSG seine Entscheidung auf den für November 1983 erhobenen Säumniszuschlag beschränkt (Urteil vom 25. April 1985).

Das LSG ist der Auffassung, daß der aufgrund von § 397a der Reichsversicherungsordnung (RVO) alter Fassung (aF) ergangene Erlaß des Reichsministers für Arbeit (RAM) vom 18. Juni 1940 (AN 1940 II, 196) weiterhin geltendes Recht sei. Danach sei nicht der Zeitpunkt der Absendung eines Schecks, sondern der des Eingangs bei der Kasse maßgeblich. Aber selbst wenn man die Fortgeltung des Erlasses verneine, ergebe sich aus der langjährigen Anwendung dieses Erlasses, daß der Gesetzgeber mit dem Ausdruck "entrichten" in § 24 SGB 4 nichts anderes gemeint haben könne, als was bisher Praxis gewesen sei. Dieses Ergebnis sei auch sinnvoll und sachgerecht. Es trage den Besonderheiten des öffentlichen Haushaltsrechts Rechnung und verhindere, daß den Leistungsträgern die Beiträge über Gebühr lange vorenthalten würden. Die Beklagte habe bei der Erhebung der Säumniszuschläge auch ihr Ermessen sachgerecht ausgeübt. Sie habe sich nämlich, wie den angefochtenen Bescheiden zu entnehmen sei, bei ihrer Ermessensausübung davon leiten lassen, daß die Klägerinnen bewußt und gewollt wiederholt die Verrechnungsschecks über die Beitragssummen erst gegen Ende der Schonfrist abgesandt hätten.

Mit der Revision machen die Klägerinnen geltend, daß der genannte Erlaß spätestens seit Inkrafttreten des SGB 4 hinfällig geworden sei. Mangels anderer Anhaltspunkte sei deshalb von den Regeln der §§ 269 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und der dazu ergangenen Rechtsprechung auszugehen. Danach genüge es zur Fristwahrung, wenn ein Scheck über die geschuldete Summe fristgerecht zur Post gegeben werde.

Die Klägerinnen beantragen, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf das angefochtene Urteil.

Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerinnen ist begründet. Die Beklagte war nicht berechtigt, wegen verspäteter Zahlung der Beiträge für November 1983 einen Säumniszuschlag zu erheben. Allein über dessen Rechtmäßigkeit hatte der Senat zu entscheiden, nachdem das LSG seine Entscheidung entsprechend beschränkt hatte.

Die Beklagte darf Säumniszuschläge nur im Rahmen von § 24 SGB 4 erheben. Dort ist in Abs 1 bestimmt, daß der Versicherungsträger einen Säumniszuschlag erheben kann für Beiträge, "die der Zahlungspflichtige eine Woche nach Fälligkeit noch nicht entrichtet hat".

Die Fälligkeit der Beiträge wird gemäß § 23 Abs 1 SGB 4 durch die Satzung bestimmt; dabei darf jedoch für Beiträge, die, wie hier, nach dem Arbeitsentgelt bemessen sind, kein späterer Fälligkeitszeitpunkt als der 15. desjenigen Monats bestimmt werden, der dem Monat folgt, in dem die Beschäftigung, mit der das Arbeitsentgelt erzielt wurde, ausgeübt worden ist. Die Beklagte hat in ihrer Satzung den im Gesetz vorgesehenen spätesten Fälligkeitszeitpunkt (15. des Folgemonats) als für sie maßgeblich bestimmt. Die Beiträge für den Monat November 1983 waren deshalb am 15. Dezember 1983 fällig und bei Vermeidung eines Säumniszuschlages bis spätestens 22. Dezember 1983 zu entrichten. Bis dahin hatten die Klägerinnen auch einen Scheck über die fälligen Beiträge zur Post gegeben; dieser ist jedoch erst am 27. Dezember 1983 bei der Beklagten eingegangen.

Für die Frage, ob bei einer Beitragsentrichtung durch Scheck die rechtzeitige Absendung des Schecks genügt oder ob der Scheck bis zum Ablauf der Frist des § 24 Abs 1 SGB 4 (eine Woche nach Fälligkeit der Beiträge) bei der Einzugsstelle auch eingegangen sein muß, kommt es darauf an, welcher Ort als "Leistungsort" anzusehen ist, der Wohnort bzw der Ort der gewerblichen Niederlassung des Schuldners oder der Sitz der Einzugsstelle.

Nach § 269 BGB ist Leistungsort der Wohnsitz des Schuldners bzw der Ort seiner gewerblichen Niederlassung, sofern nichts anderes bestimmt ist oder sich aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, ergibt. Muß hiernach ein Schuldner eine Leistung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erbringen, so hat er in der Regel die Leistungsfrist eingehalten, wenn er bis zu deren Ablauf am Leistungsort alle seinerseits für die Leistung erforderlichen Handlungen vorgenommen hat (BGHZ 44, 178, 179). Bei Zahlung einer Geldschuld durch Übersendung eines - vom Gläubiger angenommenen - Schecks kommt es daher grundsätzlich nur auf den Zeitpunkt der Absendung des Schecks an (RGZ 78, 137, 142), regelmäßig also auf den Tag des Poststempels des Briefes, der den Scheck enthält. Ein fristgerechter Eingang des Schecks beim Gläubiger oder gar eine fristgerechte Gutschrift des Scheckbetrages auf seinem Konto ist nicht erforderlich, da für die Rechtzeitigkeit einer Leistung allein die Leistungshandlung und nicht der Leistungserfolg entscheidend ist (BGHZ aaO; vgl ferner Palandt, BGB, 47. Aufl, § 270 Anm 2 mwN).

§ 270 BGB regelt, wer bei Geldschulden das Risiko und die Kosten der Übermittlung trägt, und zwar in dem Sinne, daß beides im Zweifel zu Lasten des Schuldners geht. Leistungsort bleibt aber auch bei Geldschulden der Wohnsitz des Schuldners bzw der Ort seiner gewerblichen Niederlassung; § 270 BGB belastet ihn lediglich mit dem Risiko des Verlustes, nicht mit dem der Verzögerung der Geldsendung.

Diese Regeln sind im Grundsatz auch für die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen maßgeblich. Die §§ 269 f BGB gelten zwar unmittelbar nur für das Zivilrecht und dürfen deshalb nicht ohne weiteres auf öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse angewandt werden. Sie sind jedoch zugleich Ausdruck allgemeiner Rechtsüberzeugungen, was die Abgrenzung der Rechte und Pflichten bei der Erbringung von Leistungen, insbesondere den Leistungsort bei der Zahlung von Geldschulden, betrifft. Als solche dienen sie vor allem dem Schutze des Schuldners. Höhere Anforderungen können an ihn deshalb auch im Beitragsrecht der Sozialversicherung nicht gestellt werden, wenn und soweit nicht eine dem § 31 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) genügende Vorschrift den Leistungsort abweichend regelt. Nach § 31 SGB 1 dürfen nämlich Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zuläßt. Dieser "Vorbehalt des Gesetzes" gilt für alle im SGB geregelten Sozialleistungsbereiche (vgl die Überschrift des Dritten Abschnitts vor § 30 SGB 1). Soweit die Sozialleistungen aus Beiträgen finanziert werden, wie in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung, gilt der Gesetzesvorbehalt auch für das dem jeweiligen Leistungsbereich zugeordnete Beitragsrecht, zumal das gesamte Beitragsrecht durch die Auferlegung von Lasten geprägt ist und der Gesetzesvorbehalt den Bürger vor allem davor schützen soll, daß ihm solche Lasten von der Verwaltung ohne eine gesetzliche Grundlage auferlegt werden. Demgemäß schreibt § 31 SGB 1 vor, daß die Verwaltung "Pflichten" für den Bürger nicht ohne gesetzliche Grundlage begründen, feststellen, ändern oder aufheben darf (vgl das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 22. Oktober 1987 - 12 RK 49/86 -).

Säumniszuschläge zu Beiträgen können somit nur dann erhoben werden, wenn nach den gesetzlichen Vorschriften über die Entrichtung der Beiträge eine Säumnis des Beitragsschuldners vorliegt, er insbesondere entweder nach den allgemeinen Vorschriften des BGB oder nach besonderen Regelungen des Sozialversicherungsrechts die Zahlungsfrist nicht gewahrt hat. Weder das eine noch das andere trifft für die Klägerinnen zu.

Daß die Klägerinnen durch die rechtzeitige Absendung eines Schecks mit den Beiträgen für November 1983 ihre Verpflichtungen nach den allgemeinen Vorschriften des BGB erfüllt haben, ist schon dargelegt worden. Darüber hinaus haben für sie keine weitergehenden Pflichten aufgrund von besonderen Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts bestanden.

Das gilt namentlich für den Erlaß des RAM vom 18. Juni 1940 betr Säumniszuschläge nach § 397a RVO (AN 1940 II, 196). Nach dessen Nr 3 Buchst a gilt als Tag, an dem eine Zahlung entrichtet worden ist, bei Übersendung von Zahlungsmitteln an die Krankenkasse der Tag des Eingangs. Es ist bereits zweifelhaft, ob die Ermächtigungsgrundlage in § 397a Satz 3 RVO aF ("Das Nähere bestimmt der Reichsarbeitsminister") für eine abweichende Bestimmung des Leistungsorts ausreichte oder ob sie sich nicht vielmehr nur auf Modalitäten und Vereinfachungen bei der Erhebung von Säumniszuschlägen im Falle eines zuvor festgestellten Zahlungsverzuges bezog. Diese Frage kann indes dahingestellt bleiben, weil der genannte Erlaß mit dem Inkrafttreten des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) seine Gültigkeit verloren hat (aA Bay LSG aa0; Schwerdtfeger in SGB-SozVers-Gesamtkomm, § 24 SGB 4 Anm 9 mwN).

Der Rechtszustand vor Inkrafttreten des AFG war insoweit uneinheitlich und unübersichtlich. Säumniszuschläge gab es zwar in allen Versicherungszweigen; ihre Erhebung lag aber in der Krankenversicherung und in der Rentenversicherung im Ermessen der Einzugsstelle (§ 397a RVO idF vom 12. Dezember 1939, § 1400 Abs 3 RVO idF vom 23. Februar 1957), während sie für rückständige Arbeitslosenversicherungsbeiträge grundsätzlich erhoben werden mußten (§ 160 Abs 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung). Daneben konnten Zinsen gefordert werden, diese jedoch nur in der Rentenversicherung (§ 1400 Abs 3 RVO aF). In den Materialien zum AFG wurde als Ziel vor allem eine Vereinheitlichung des Rechts hervorgehoben (BT-Drucks V/2291, S 100 zu § 239). Der Gesetzgeber hat sich dann allerdings nicht auf eine solche Rechtsvereinheitlichung beschränkt, sondern hat außerdem die bisherige Ermächtigung in § 397a Satz 3 RVO aF bei der Neufassung der Vorschrift (durch § 246 Abs 1 Nr 2 des AFG vom 25. Juni 1969) gestrichen. Dies spricht dafür, daß nunmehr nur noch der Inhalt des Gesetzes selbst maßgeblich sein sollte. Zwar führt der Wegfall einer Ermächtigung nicht ohne weiteres dazu, daß die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Rechtsnormen wirkungslos werden (vgl BSGE 1, 164, 168). Wenn der Gesetzgeber jedoch einen Rechtsbereich inhaltlich neu regelt und dabei eine bisher bestehende Ermächtigung an die Exekutive, Einzelheiten (Näheres) zu bestimmen, streicht, so kann im Zweifel angenommen werden, daß er mit den neuen Vorschriften eine abschließende Regelung beabsichtigt hat.

Selbst wenn aber insoweit noch Bedenken bestehen sollten, so ist der genannte Erlaß des RAM jedenfalls mit Inkrafttreten des SGB 4 (1. Juli 1977) außer Kraft getreten (vgl auch Kautza BB 81, 371, 373). Das SGB 4 regelt im Zweiten Titel des Zweiten Abschnitts (§§ 20 ff) das Beitragsrecht der Sozialversicherung, soweit es nach Auffassung des Gesetzgebers einer eigenständigen Regelung bedurfte, wobei zu beachten war, daß gemäß § 31 SGB 1 die Gewährung von Rechten und die Auferlegung von Pflichten eine gesetzliche Grundlage erfordert. Wenn der Gesetzgeber dennoch in den §§ 20 ff SGB 4 über den Leistungsort nichts bestimmt hat, so läßt dies nach Ansicht des Senats nur den Schluß zu, daß dann insoweit die allgemeinen Grundsätze gelten sollen, wie sie im BGB ihren Niederschlag gefunden haben.

Das LSG meint allerdings, weil § 24 SGB 4 den Leistungsort beim "Entrichten" von Beiträgen nicht ausdrücklich regele, müsse auf die bisherige Verwaltungspraxis zurückgegriffen werden. Diese Auffassung scheitert indes an § 31 SGB 1. Die Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für die Erhebung von Säumniszuschlägen würde ihren Sinn verlieren, wenn in einer so wichtigen Frage wie der, ob Leistungsort bei der Beitragsentrichtung der Wohnsitz des Schuldners oder aber der Sitz des Sozialversicherungsträgers ist, auf eine bereits außer Kraft getretene Bestimmung (den früheren Erlaß des RAM) und eine auf ihr beruhende Praxis zurückgegriffen werden könnte.

Eine ausdrückliche Regelung über den Zeitpunkt der Entrichtung von Beiträgen und damit für die Frage, ob Säumniszuschläge in Betracht kommen, gibt es nur für die freiwillige Versicherung. § 6 Nr 3 der Rentenversicherungs-Beitragsentrichtungsverordnung vom 21. Juni 1976 idF vom 6. März 1985 (BGBl I 1976, 1667 und 1985, 541) trifft für die Entrichtung von Beiträgen in den Fällen des § 5 der Verordnung (Dauerüberweisungsauftrag, Einzelüberweisung, Einzahlung auf ein Konto des Rentenversicherungsträgers) genaue Bestimmungen, an welchem Tage der Beitrag als entrichtet "gilt" (s dazu BSG SozR 2200 § 1407 Nr 6; SozR 5363 § 6 Nr 2). Diese Regelung enthält aber, da sie nur die Entrichtung freiwilliger Beiträge betrifft, keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Bestimmung des Zeitpunkts der Entrichtung von Pflichtbeiträgen. Im übrigen weicht die insoweit getroffene Regelung wiederum von den Bestimmungen des genannten RAM-Erlasses ab und verdeutlicht damit einmal mehr, daß es einen allgemeinen, an diesem Erlaß orientierten Begriff des Entrichtens von Beiträgen nicht gibt.

Ein solcher läßt sich auch nicht aus dem Haushaltsrecht herleiten. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz des öffentlichen Haushaltsrechts, daß Leistungsort stets der Sitz der Behörde ist. Zwar enthielt Art 92 des Einführungsgesetzes zum BGB und später das Gesetz über Zahlungen aus öffentlichen Kassen vom 21. Dezember 1938 (RGBl I 1899) Bestimmungen über Auszahlungen (vgl hierzu BGH LM Nr 1 zu § 2 Gesetz über Zahlung aus öffentlichen Kassen; s ferner Tappermann NJW 73, 2095 f). Diese Regelungen lassen sich aber nicht ohne weiteres auf Einzahlungen übertragen. Im übrigen blieben nach dem genannten Gesetz die Vorschriften über den Leistungsort unberührt (§ 1 Abs 4).

Auch § 34 der Bundeshaushaltsordnung vom 19. August 1969 (BGBl I 1284) gibt keine eigene Definition des Leistungsorts. Die Behörde wird dort lediglich verpflichtet, "Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben". Nicht geregelt wird indes in dieser Vorschrift, was unter der rechtzeitigen Erhebung von Einnahmen (hier in Gestalt von Beiträgen) zu verstehen ist.

Ebensowenig kann hier § 224 der Abgabenordnung analog herangezogen werden. Er enthält in Abs 2 Vorschriften über Zahlungen an Finanzbehörden (ua durch Übersendung von Zahlungsmitteln oder durch Überweisung), die aber nicht ohne weiteres als Ausdruck allgemeiner Grundsätze angesehen und deshalb ohne eine entsprechende - bisher nicht ergangene - Anordnung des Gesetzgebers nicht auf das Sozialversicherungsrecht übertragen werden können.

Da nach allem eine besondere gesetzliche Vorschrift fehlt, die den Leistungsort für die Entrichtung von Pflichtbeiträgen regelt, ist insoweit von dem in § 269 BGB enthaltenen allgemeinen Grundsatz auszugehen, der allerdings unter dem Vorbehalt steht, daß sich nicht aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Sozialversicherungsverhältnisses ein anderer Leistungsort als der Wohnsitz bzw die gewerbliche Niederlassung des Schuldners ergibt. Im Hinblick auf § 31 SGB 1 könnte dies nur angenommen werden, wenn sich für die Entrichtung von Pflichtbeiträgen eindeutig eine übereinstimmende, von § 269 BGB abweichende Auffassung über den Leistungsort feststellen ließe. Das ist indessen nicht der Fall; denn insoweit gibt es, wie schon dargelegt, weder allgemeine Grundsätze des öffentlichen Rechts noch eine gefestigte, einheitliche Auffassung des Sozialversicherungsrechts. Daran ändert auch der erwähnte Erlaß des RAM vom 18. Juli 1940 und die darauf beruhende Praxis nichts; denn daß es sich insoweit um den Niederschlag von Grundsätzen handelt, die gewissermaßen zur "Natur" des Beitragsrechts im Rahmen der Pflichtversicherung gehören, kann nicht angenommen werden.

Schließlich ergeben sich auch aus dem Wesen einer Versicherung keine von § 269 BGB abweichenden Grundsätze. Für die Privatversicherung bestimmt § 36 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom 30. Mai 1908 (RGBl I 263) vielmehr ausdrücklich, daß Leistungsort für die Entrichtung der Prämie - wie nach § 269 BGB - der jeweilige Wohnsitz des Versicherungsnehmers bzw dessen gewerbliche Niederlassung ist.

Sollte hiernach eine entsprechende Anwendung des § 269 BGB bei der Entrichtung von Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung, die der Senat nach geltendem Recht für geboten hält, in der Verwaltungspraxis zu erheblichen Mißständen führen, müßte der Gesetzgeber dem entgegentreten. Das gilt vor allem dann, wenn die in § 24 Abs 1 SGB 4 vorgesehene einwöchige Schonfrist nach Fälligkeit der Beiträge (an der der Gesetzgeber trotz Einwänden des Bundesrates festgehalten hat, vgl dazu v. Maydell in Gemeinschaftskomm zum SGB 4, § 24 Rz 4), entgegen ihrem eigentlichen Zweck, kurze "versehentliche" Überschreitungen der Beitragsfälligkeit nicht sogleich mit Säumniszuschlägen zu ahnden (vgl BT-Drucks 7/4122, S 50), von einzelnen Beitragsschuldnern systematisch dazu ausgenutzt würde, um den Versicherungsträgern die ihnen zustehenden Beiträge über deren Fälligkeit hinaus vorzuenthalten. Bei Verwendung von Schecks als Zahlungsmittel könnten dadurch Zahlungsverzögerungen nicht nur von einer Woche, sondern, wie der vorliegende Fall zeigt, von fast zwei Wochen eintreten. Daß dies auf die Dauer im Interesse der Versichertengemeinschaft und auch der pünktlichen Beitragszahler nicht hingenommen werden könnte, liegt auf der Hand. Andererseits kann es nicht Aufgabe der Rechtsprechung sein, hier gewissermaßen vorbeugend durch eine von § 269 BGB abweichende Bestimmung des Leistungsorts (etwa durch Rückgriff auf den genannten früheren Erlaß des RAM) die Möglichkeit längerer, dh über eine Woche hinausgehender Zahlungsverzögerungen von vornherein auszuschließen. Insoweit Abhilfe zu schaffen, muß vielmehr dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.

Auf die Revision der Klägerinnen war deshalb das Urteil des LSG aufzuheben und das des SG wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 1

NJW 1988, 2501

ZIP 1988, 737

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge