Leitsatz (amtlich)

Ein Blindenführhund ist kein Hilfsmittel iS der gesetzlichen KV.

 

Leitsatz (redaktionell)

Aufgabenbereiche der gesetzlichen Krankenversicherung - Begriff "Hilfsmittel" iS des RVO § 182b (Blindenführhund):

Der Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung erstreckt sich im Rahmen der Krankenpflege (RVO § 182 Abs 1 Nr 1) auf die mit diagnostischen und therapeutischen Mitteln durchzuführende Krankheitsbekämpfung; insoweit besteht eine umfassende Zuständigkeit, ohne daß die dafür in Betracht kommenden Leistungen im Gesetz abschließend aufgeführt sind.

 

Orientierungssatz

Im Unterschied zum Sozialhilferecht - aber auch zu dem Recht der UV und der KOV - sind Hilfsmittel iS des RVO § 182b nur solche Gegenstände, die bei der Behinderung selbst, also in dem Bereich ausgefallener oder gestörter Körperfunktionen helfend einsetzen: Es sind nicht Hilfsmittel gemeint, die im beruflichen, gesellschaftlichen oder privaten Bereich einsetzen, also vorwiegend darauf abzielen, die Folgeerscheinungen von Behinderungen zu mildern.

Der Blindenführhund ist ein Mittel, das die Folgen der Behinderung auszugleichen geeignet ist; er vermittelt aber keine der Körperfunktion des Sehens auch nur vergleichbaren Eindrücke. Er wirkt über die Funktionen des Hörens und Tastens und tritt somit gerade nicht an die Stelle eines Teiles der Körperfunktion Sehen. Der Hund erfüllt vielmehr Aufgaben, wie sie sonst eine Begleitperson im jeweiligen Bereich - beruflich, gesellschaftlich oder privat - übernehmen müßte. Für solche Bedürfnisse, so dringend sie auch sein mögen - ist aber keine Leistungspflicht der KV zu begründen.

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c Fassung: 1974-08-07, § 182b Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 16.12.1976; Aktenzeichen L 16 Kr 39/76)

SG Münster (Entscheidung vom 17.02.1976; Aktenzeichen S 14 Kr 110/75)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 1976 aufgehoben. Die Berufungen des Klägers und des Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 17. Februar 1976 werden zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger - Sozialhilfeträger - beschaffte dem erblindeten Beigeladenen im Jahre 1967 einen Blindenführhund. Er gewährte ihm seitdem laufend einen Pauschbetrag für Futterkosten und zahlte die Prämie für eine Hundehaftpflichtversicherung. Er ist der Auffassung, seit Inkrafttreten des § 182 b der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Rehabilitationsangleichungsgesetzes (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) sei die beklagte Krankenkasse, bei der der Beigeladene als Rentner Pflichtmitglied ist, verpflichtet, die laufenden Aufwendungen zu tragen.

Das Sozialgericht (SG) hat die auf § 1531 RVO gestützte Ersatzklage abgewiesen. Die Futterkosten und die Kosten der Haftpflichtversicherung seien nicht unter den Begriff der Instandsetzung nach § 182 b Satz 2 RVO zu fassen, sondern stellten eine Art Betriebskosten dar, die der Blinde selbst aufzubringen habe. Auf die Berufungen des Klägers und des Beigeladenen hat das Landessozialgericht (LSG) der Klage stattgegeben, als es die Beklagte verurteilt hat, die ab 1. Oktober 1974 übernommenen Kosten des Klägers in Höhe des aus § 14 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in der jeweiligen Fassung sich ergebenden Betrages zu erstatten. Hinsichtlich der Kosten der Haftpflichtversicherung hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG den Antrag zurückgenommen. Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt: Die Ausstattung des Versicherten mit einem Blindenführhund, auf den er nach § 182 b Satz 1 RVO Anspruch habe, sei erst dann gewährleistet, wenn auch dessen Unterhalt gesichert sei. Daher komme es nicht darauf an, daß die Anspruchsvoraussetzungen des Satzes 2 dieser Vorschrift - Änderung, Instandsetzung, Ersatzbeschaffung - nicht vorlägen.

Die Beklagte hat die zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Auffassung, es sei zwar unbestritten, daß ein Blindenführhund ein Hilfsmittel im Sinne des § 182 b RVO sei. Aus der Verpflichtung des Empfängers eines Hilfsmittels, dieses pfleglich zu behandeln und betriebsbereit zu halten, folge aber die Verpflichtung des Beigeladenen, für die Nahrung des Hundes selber aufzukommen. Das werde gerade auch dadurch verdeutlicht, daß abweichend von dieser grundsätzlich geltenden Regelung für den Bereich der Kriegsopferversorgung eine besondere Vorschrift (§ 14 BVG) für erforderlich gehalten worden sei. Auf jeden Fall sei der in § 14 BVG festgelegte Betrag zu hoch.

Er beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und (sinngemäß) die Berufungen des Klägers und des Beigeladenen zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Kläger und der Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Nach § 182 b Satz 1 RVO hat der Versicherte Anspruch auf Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder eine körperliche Behinderung auszugleichen. Dieser Anspruch umfaßt - nach Satz 2 dieser Vorschrift - auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie die Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel. Die Frage, ob der Anspruch auf Ausstattung mit einem Blindenführhund als Hauptanspruch auch die Futterkosten als eine Art Nebenanspruch umfaßt, braucht nicht entschieden zu werden, denn dem Beigeladenen steht der Hauptanspruch gegen die beklagte Kasse nicht zu. Ein Blindenführhund ist weder ein Körperersatzstück noch ein orthopädisches noch ein anderes Hilfsmittel im Sinne des § 182 b RVO.

Daß ein Blindenführhund kein Körperersatzstück und auch kein orthopädisches Hilfsmittel ist, ergibt sich unmittelbar aus diesen Begriffen. Denn der Hund ersetzt keinen Körperteil, und die Blindheit ist kein Mangel, der auf orthopädischem Gebiet liegt. Es handelt sich aber auch nicht um ein "anderes Hilfsmittel".

Schon aus diesem Begriff - dem Begriff des Hilfsmittels allgemein - ergeben sich Zweifel. Denn nach allgemeinem Sprachgebrauch ist hierunter eine "tote" Sache zu verstehen, die technisch funktioniert und notfalls (§ 182 b Satz 2 RVO) instandgesetzt werden kann. Zu den Hilfsmitteln gehören hiernach nicht Lebewesen, die zwar Hilfe leisten können, nicht aber funktionieren, sondern reagieren. § 13 Abs 1 BVG führt daher Blindenführhunde neben den "anderen Hilfsmitteln" ausdrücklich auf.

Die sich aus dem Wortlaut ergebenden Bedenken wären allerdings allein kein Hinderungsgrund, Blindenführhunde als Hilfsmittel anzuerkennen. Es ist möglich, den Rechtsbegriff Hilfsmittel auch auf Gegenstände auszudehnen, die nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht als Hilfsmittel angesehen werden. Voraussetzung ist aber, daß diese Gegenstände geeignet sind, den Zweck zu erfüllen, den das Gesetz erkennbar verfolgt.

Blindenführhunde sind nicht geeignet, den Zweck zu erfüllen, den § 182 b RVO erkennbar verfolgt. Das zeigt sich sowohl an den Zielen, die diese Vorschrift im einzelnen aufführt, als auch an dem Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung im System der sozialen Sicherheit.

Die Ziele, die § 182 b RVO anstrebt, werden mit den Funktionen umschrieben, die von den Hilfsmitteln erwartet werden: Vorbeugung gegen drohende Behinderung, Sicherung einer Heilbehandlung, oder - was hier allein in Betracht kommt - Ausgleich einer körperlichen Behinderung. Diese Aufzählung macht deutlich, daß die Kasse grundsätzlich keine Hilfsmittel schuldet, die dazu bestimmt sind, nachteilige Folgeerscheinungen einer körperlichen Behinderung zu mildern. Zwar richtet sich der Zweck der Hilfsmittel nicht nur darauf, unmittelbar am Körper ausgleichend zu wirken. Das war schon in der Zeit vor Inkrafttreten des § 182 b RVO nicht zu verlangen, als nach dem Wortlaut des § 187 Nr 3 RVO - idF vor dem RehaAnglG - "Hilfsmittel gegen Verunstaltung und Verkrüppelung" zugebilligt werden konnten. Die Hilfsmittel im Sinne des § 182 b RVO - auch bereits im Sinne des § 187 Nr 3 RVO idF vor dem RehaAnglG - erfüllen ihren Zweck vorwiegend dann, wenn sie dazu dienen, ausgefallene oder beeinträchtigte körperliche Funktionen ganz oder teilweise zu ersetzen (vgl BSG 37, 138, insbes. S. 141). Diese Funktionsstörungen sind keine Folgen von Körperbehinderungen, sondern sind die Körperbehinderungen selbst, deren Ausgleich § 182 b RVO erstrebt.

Daß die Unterscheidung zwischen körperlichen Behinderungen - im Sinne von Funktionsstörungen - und sonstigen Behinderungsfolgen bei Anwendung des § 182 b RVO geboten ist, zeigt der Vergleich mit den für andere Sozialleistungsträger geltenden Vorschriften über die Ausstattung mit Hilfsmitteln: Eine § 182 b RVO entsprechende Einschränkung der Zweckbestimmung von Hilfsmitteln auf den Ausgleich körperlicher Behinderungen haben weder die Berufsgenossenschaften (§ 557 Abs 1 Nr 4 RVO) noch die Träger der Rentenversicherung der Kriegsopferversorgung (§ 13 BVG) noch die Sozialhilfeträger (§ 40 Abs 1 Nr 2 Bundessozialhilfegesetz - BSHG -) zu beachten. Das hat seinen Grund darin, daß diese Sozialleistungsträger, wenn sie im Falle von Behinderungen zur Hilfe zuständig sind, Aufgaben zu erfüllen haben, die über den Zuständigkeitsbereich der sozialen Krankenversicherung hinausgehen. Die Rentenversicherung hat insbesondere die Folgen der Behinderung auf beruflichem Gebiet zu mildern (§ 1237 a RVO). Die Unfallversicherung und die Kriegsopferversorgung haben angesichts ihrer Aufgabe, die Folgen von Körperbehinderungen möglichst weitgehend zu entschädigen, auf allen Lebensgebieten tätig zu werden, in denen sich Folgen der Verletzung zeigen. Hinsichtlich der Unfallversicherung macht das der Wortlaut des § 1 der Verordnung zu § 564 RVO über die orthopädische Versorgung Unfallverletzter vom 18. Juli 1973 (BGBl I 871) dadurch deutlich, daß die Unfallversicherungsträger verpflichtet werden, Hilfsmittel zu liefern, die geeignet sind, auch die Folgen der Verletzung zu erleichtern und die durch den Arbeitsunfall geschaffene Lage der Verletzten zu verbessern. Auch die Sozialhilfe hat besonders im Zusammenhang mit der Eingliederungshilfe für Behinderte nicht nur für das körperliche, sondern auch für das geistige und seelische Wohl Maßnahmen zu treffen (§ 39 Abs 1 BSHG).

Der Aufgabenbereich der Krankenversicherung ist hingegen dadurch gekennzeichnet, daß nur in Bezug auf die Krankenpflege - im Sinne der mit diagnostischen und therapeutischen Mitteln durchzuführenden Krankheitsbekämpfung - eine umfassende Zuständigkeit gegeben ist (§ 182 Abs 1 Nr 1 RVO). Insoweit führt das Gesetz keinen abschließenden Katalog der Kassenleistungen auf. Die Kasse schuldet grundsätzlich alle für die Krankheitsbekämpfung notwendigen (§ 182 Abs 2 RVO) Maßnahmen. Andere Aufgaben, so bedeutsam ihre Erfüllung auch sein mag, obliegen der Kasse nur, wenn und soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Das ist auch bei der Hilfe für Behinderte zu beachten, soweit diese Hilfe über die Maßnahmen zur Krankenpflege hinausgeht.

Bestätigt werden diese Grundsätze durch die allgemeinen Vorschriften des RehaAnglG und durch das Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1) vom 11. Dezember 1975 (BGBl I 3015). Die Zuständigkeit der Krankenversicherung als Rehabilitationsträger beschränkt sich nach §§ 6, 10 RehaAnglG auf "medizinische Leistungen" (vgl Peters, Handbuch der Krankenversicherungen, 17. Aufl, Stand Mai 1977, Anm zu § 6 RehaAnglG in Anm V zu § 179 RVO, S. 17/220-22/23-). Nach § 10 Nr 4 RehaAnglG haben die Rehabilitationsträger zwar die Ausstattung mit Hilfsmitteln durchzuführen, ohne daß diese - wie nach § 182 b RVO - auf den Ausgleich einer körperlichen Behinderung beschränkt sein müßten. Aus § 6 Abs 1 RehaAnglG, wonach sich die Zuständigkeit des Rehabilitationsträgers nach den für ihn geltenden Vorschriften richtet, ergibt sich aber, daß § 182 b RVO damit nicht in einem weiteren über seinen Wortlaut hinausgehenden Sinn verstanden werden kann. Nach § 10 SGB 1 haben Behinderte nicht nur einen Anspruch auf Hilfe, die sich bei der Behinderung selbst ausgleichend auswirkt, sondern auch auf Hilfe, die notwendig ist, um die Folgen der Behinderung zu mildern. Aus § 12 Satz 2 SGB 1 folgt aber, daß nicht jeder Sozialleistungsträger, wenn er für Hilfe zugunsten Behinderter zuständig ist, in gleichem Umfang verpflichtet wird. Die Leistungsansprüche im einzelnen ergeben sich aus den für die Sozialleistungsträger jeweils geltenden besonderen Zuständigkeitsvorschriften, hier des § 182 b RVO, der die Leistungspflicht der Krankenkassen hinsichtlich der Ausstattung Behinderter mit Hilfsmitteln wesentlich enger formuliert als die Leistungspflicht der anderen Sozialleistungsträger. Auch die nach § 2 Abs 2 SGB 1 gebotene weite Auslegung der Anspruchsgrundlagen zugunsten der Hilfeberechtigten führt angesichts des klaren Wortlauts des § 182 b RVO nicht zu einem anderen Ergebnis.

Bei der von der Kasse geschuldeten Hilfe für Behinderte ist daher sowohl von der Zielsetzung wie auch von der Art der Maßnahmen her gesehen der eingeschränkte Aufgabenkreis der Krankenversicherung zu berücksichtigen. Die Kasse schuldet nur Hilfe, die unmittelbar auf die Behinderung selbst gerichtet ist. Damit sind Maßnahmen ausgeschlossen, die nicht bei der Behinderung selbst, sondern bei deren Folgen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder privatem Gebiet ansetzen. Die Art der Maßnahmen ist dadurch beschränkt, daß nur Hilfsmittel und nicht auch sonstige Maßnahmen, etwa pflegerischer Art, geschuldet werden.

Die hier vertretene Auffassung von der beschränkten Zielsetzung der Krankenversicherung bei der Versorgung mit Hilfsmitteln steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats. In seinem Urteil vom 15. Dezember 1971 (BSG 33, 263, 266 f) hat der Senat zwar ausgeführt, Zweck der Hilfsmittel könne auch sein, die Teilnahme des Versicherten am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Mit diesen Ausführungen ist aber lediglich die Auffassung begründet worden, daß entgegen dem durch die Entwicklung der Rentnerkrankenversicherung überholten Wortlaut des § 187 Nr 3 RVO (idF vor dem RehaAnglG) Hilfsmittel nicht dazu dienen müssen, "die Arbeitsfähigkeit" herzustellen oder zu erhalten. Daß die Hilfsmittel dem Zweck der Krankenversicherung entsprechend geeignet sein müssen, unmittelbar auf die Verbesserung einer Körperfunktion einzuwirken, war in dem damals zu entscheidenden Fall - Hörgerät für hörbehinderten Rentner - nicht ausdrücklich zu erörtern. In seinen Urteilen vom 15. November 1973 (SozR Nr 3 zu § 187 RVO - Badeprothese -) und vom 22. Februar 1974 (BSG 37, 138, 141 - elektrische Schreibmaschine -) hat der Senat aber - gegenüber möglichen Mißverständnissen - deutlich gemacht, daß Hilfsmittel, die in erster Linie zum Ausgleich von Benachteiligungen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder privatem Gebiet benötigt werden, nicht Gegenstand der Leistungspflicht der Krankenkassen sein können. In seinem Urteil vom 28. September 1976 (BSG 42, 229 - Eigenanteil des Versicherten für orthopädische Schuhe -) hat der Senat schließlich in Abgrenzung des Aufgabenbereichs der Krankenversicherung von dem der Eigenverantwortung unterliegenden Bereich klargestellt, daß Hilfsmittel auch dann, wenn sie dem Ausgleich von körperlichen Mängeln dienen, nicht notwendigerweise in vollem Umfang von der Krankenkasse geschuldet werden. In dem Umfang, in dem ein Hilfsmittel zugleich anderen Zwecken dient - etwa Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist - besteht keine Leistungspflicht der Kasse. In der Reihe der Entscheidungen, die verdeutlichen, daß die Leistungspflicht der Krankenkasse davon abhängig ist, daß der in Betracht kommende Gegenstand medizinischen Zwecken dient, steht auch das Urteil des 5. Senats vom 30. April 1975 (BSG 39, 275). Der 5. Senat hat hier einen Arthrodesenstuhl als Hilfsmittel im krankenversicherungsrechtlichen Sinne angesehen, weil er nach seiner Konstruktion und Zweckbestimmung einem Hüftgelenkserkrankten erst das Sitzen ermöglicht und daher ähnlich wie eine Prothese wirke, die einem Beinamputierten erst das Gehen ermöglicht.

In dem Urteil vom 28. September 1976 (BSG 42, 229, 231) hat der Senat bereits (mit Hinweis auf BSG 42, 16) ausgeführt, daß die Krankenkassen - von ausdrücklich geregelten Fällen abgesehen (zB Haushaltshilfe bei Krankenhauspflege des haushaltsführenden Versicherten - § 185 b RVO) - weder für die nachteiligen Folgen von Krankheiten noch für die nachteiligen Folgen von Behinderungen einzustehen haben. Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß ein Hilfsmittel im Sinne des § 40 Abs 1 Nr 2 BSHG nur dann zugleich Hilfsmittel im Sinne des § 182 b RVO ist, wenn es geeignet ist, die in der Behinderung selbst liegenden Nachteile, nämlich die körperlichen Funktionsstörungen, auszugleichen. Bezieht sich das Hilfsmittel hingegen auf den Ausgleich lediglich der Folgen von Funktionsstörungen - mögen diese im beruflichen, gesellschaftlichen oder privaten Bereich liegen - so ist die Krankenversicherung nicht zuständig.

Die Wirkungsweise des Blindenführhundes zeigt, daß er zwar geeignet ist, bei den Folgen der Behinderung Blindheit ausgleichend zu wirken, daß seine Hilfe aber nicht bei der Behinderung selbst einsetzt. Der Auffassung der Spitzenverbände der Krankenversicherungsträger, der Unfallversicherungsträger und der Rentenversicherungsträger in ihrem Rundschreiben vom 10. Juni 1975 (DOK 1975, 649, 652) wird nicht gefolgt.

Die körperliche Behinderung Blindheit kann nicht gemildert werden, wie dies bei nur geminderter Funktionsfähigkeit - etwa der Sehschwäche mit Hilfe einer Brille - geschieht. Da die Sehfähigkeit weggefallen ist, könnte ein Hilfsmittel nur im Sinne des teilweisen Ersetzens dieser Fähigkeit wirken, wie dies bei anderen völlig ausgefallenen Funktionen - etwa dem Verlust der Gehfähigkeit mit Hilfe von Prothesen - möglich ist. Ein Blindenführhund ist aber nicht geeignet, die Funktionen oder bestimmte Funktionsbereiche des Auges zu ersetzen. Das zeigt schon die "Funktionsweise" des Hundes (vgl dazu Brüll, Der Blindenführhund, Zeitschrift für Hundeforschung, Neue Folge, Bd XIX): Seine Hilfeleistung vollzieht sich auf dem Wege über die regelmäßig nicht gestörten Funktionen des Hörens und Tastens des Blinden. Der Kontakt mit dem Hund ermöglicht es dem Blinden, aufgrund der instinktiven oder eingeübten Reaktionen des Hundes auf bestimmte einzelne Gegebenheiten, insbesondere Gefahren und Hindernisse, zu schließen. Der Hund verschafft aber dem Blinden keinen dem Sehen vergleichbaren Ersatz. Er vermittelt weder eine Art Bild noch eine sonstige Vorstellung von der jeweiligen Umgebung.

Der Blinde kann sich mit Hilfe eines Hundes in seiner Umgebung zurechtfinden und auch bestimmte Ziele relativ gefahrlos erreichen. Damit tritt aber der Hund nicht an die Stelle eines Teiles der Körperfunktion Sehen. Der Hund erfüllt vielmehr einen Teil der Aufgaben, die sonst eine Begleitperson im jeweiligen Bereich - beruflich, gesellschaftlich oder privat - übernehmen müßte. Für solche Aufgaben, so dringend sie auch sein mögen - vgl § 14 BVG (Beihilfe für fremde Führung) -, ist aber keine Leistungspflicht der Krankenversicherung zu begründen.

Da somit der Blindenführhund kein in den Bereich der medizinischen Leistungen der Krankenversicherung einzuordnendes Hilfsmittel im Sinne des § 182 b RVO ist, war das im Ergebnis zutreffende Urteil des SG wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1650722

BSGE, 133

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