Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen, unter denen einem Bergmann, der auf Anordnung der BG oder der Bergbehörde seine Untertagetätigkeit wegen der Gefahr einer Verschlimmerung seiner Silikose aufgeben mußte, Verletztengeld bzw Übergangsleistungen nach 3. BKVO § 5 (7. BKVO § 3) zu gewähren ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Arbeitsunfähig iS der Krankenversicherung ist ein Versicherter, der nach seinem Gesundheitszustand nicht oder nur mit der Gefahr, in absehbarer naher Zeit seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit oder einer ähnlich gearteten Tätigkeit nachzugehen; die Gefahr einer Verschlimmerung in diesem Sinne ist grundsätzlich nur dann anzunehmen , wenn die weitere Erwerbstätigkeit voraussichtlich innerhalb weniger Monate zu einer Verschlimmerung des Gesundheitszustandes führen würde.

2. Die Tatsache, daß die Berufsgenossenschaft - Aufforderung nach BKVO 3 § 5 (BKVO § 3) - oder das Oberbergamt - Anordnung aufgrund der Bergverordnung - eine weitere Untertagetätigkeit untersagt, um eine Verschlimmerung der Berufskrankheit zu verhindern, begründet für sich allein keinen Anspruch auf Verletztengeld; sofern keine Arbeitsunfähigkeit iS der Krankenversicherung vorliegt, kommt in derartigen Fällen die Übergangsleistung nach BKVO 3 § 5 (BKVO § 3) in Betracht.

 

Normenkette

RVO § 560 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 562 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30; BKVO 3 § 5 Fassung: 1936-12-16; BKVO 7 § 3 Fassung: 1968-06-20

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. April 1969 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Streitig ist, ob die Beklagte als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung dem Kläger ab 20. Juli 1965 Verletztengeld (§ 560 Reichsversicherungsordnung - RVO -) zu zahlen hat.

Der am 9. Mai 1910 geborene Kläger erhält von der Beklagten seit dem Jahre 1956 wegen einer Staublungenerkrankung (Berufskrankheit nach Nr. 27 a der Anlage zur Fünften Berufskrankheiten-Verordnung - BKVO -) Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Diese wurde zunächst nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H., ab 3. November 1960 nach einer MdE um 40 v.H. und wird seit dem 28. Dezember 1964 nach einer MdE um 50 v.H. gezahlt. Die Rentenerhöhung ab 28. Dezember 1964 beruht auf einem Gutachten des Facharztes für innere Krankheiten Dr. J vom 19. Januar 1965. Dieser hatte eine Verschlimmerung der Berufskrankheit festgestellt, die Lungenverdichtungen, insbesondere die schwieligen Veränderungen in den seitlichen oberen Lungenhälften, hatten zugenommen, und es bestand eine Kurzatmigkeit in Ruhe.

Das Gutachten von Dr. J vom 19. Januar 1965 leitete die Beklagte der Zeche des Klägers zu. Darauf wurde aufgrund der Bergverordnung für die Steinkohlenbergwerke im Verwaltungsbezirk des Oberbergamts D vom 18. Dezember 1964 (BVOSt) die Weiterbeschäftigung des Klägers als Schachtsteiger im Untertagebetrieb untersagt, um eine weitere Verschlimmerung der Berufskrankheit zu verhindern. Nach seinen Angaben ist der Kläger am 20. März 1965 das letzte Mal eingefahren und hatte dann seinen Tarifurlaub vom 21. März bis zum 19. April 1965 genommen, als er am 20. März 1965 von der Zeche erfuhr, daß er nicht mehr einfahren dürfe. Am 20. April 1965 suchte er den praktischen Arzt Dr. K auf, der ihn wegen Silikose arbeitsunfähig krank schrieb. Dr. K richtete ein Formularschreiben an die Beklagte, in dem es u.a. heißt:

1)

Wiedererkrankung mit Arbeitsunfähigkeit.

Der Obengenannte ist am 20.4.65 an der anerkannten Berufskrankheit erkrankt. Er ist arbeitsunfähig als Schachtsteiger. Krankheitsbezeichnung: Silikose. Verschlimmerung besteht in (objektiver Befund): G. hat Grubenverbot, er darf seine Tätigkeit als Schachtsteiger nicht mehr ausführen.

Die Beklagte ließ darauf den Kläger am 10. Mai 1965 erneut von dem Facharzt für innere Krankheiten Dr. J untersuchen, der zu folgender Beurteilung kam:

Die heutige Untersuchung hat keine Verschlimmerung der Berufskrankheit des G. ergeben. Gegenüber Januar 1965 haben die Lungenverdichtungen keine weitere Zunahme erfahren. Auch Schichtaufnahmen zeigen weder zusätzliche Verdichtungen noch Zerfallserscheinungen. Klinisch ist wie bei dem Vorgutachten eine normale Blutsenkung und ein gutes Allgemeinbefinden hervorzuheben. Katarrhalische Erscheinungen über den Lungen liegen nicht vor. Der Herz- und Kreislaufbefund entspricht dem Vorgutachten. Bei gleichbleibendem röntgenologischen Befund ist eine Zunahme der Beeinträchtigung der Lungen- und Herzfunktion durch die Berufskrankheit nicht anzunehmen. Ich halte die bisherige 50%ige Rente weiterhin für ausreichend. Arbeitsunfähigkeit infolge der Berufsunfähigkeit liegt nicht vor. G. dürfte im Rahmen seiner 50%igen Rente noch für Übertagetätigkeiten tauglich sein.

Der behandelnde Arzt Dr. K erklärte in einem Schreiben vom 19. Juni 1965: "Ich schließe mich dem Gutachten des Facharztes Dr. J dahingehend an, daß ich eine 50%ige Rente auch weiterhin für ausreichend halte. Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung liegt selbstverständlich weiterhin vor, da Herr G. auch nach Ansicht des Facharztes Dr. J nicht mehr arbeitsfähig ist für seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Grubensteiger, sondern nur noch für eine Übertagetätigkeit."

Auf der Rückseite dieses Schreibens befindet sich folgender Vermerk: "Auf telefonische Rückfrage teilt Dr. K mit, daß der Versicherte einen Antrag auf Gewährung der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit gestellt habe. Da eine solche Rente jedoch noch nicht gewährt werde, sehe er sich nach den Vorschriften der Krankenkasse außerstande, den Versicherten arbeitsfähig zu schreiben, da dieser seine alte Tätigkeit nicht mehr aufnehmen könne. Er verwies mich an Herrn R, den Leiter der Knappschafts-Zahlstelle in C. Dieser erklärte mir, daß die Auffassung des Dr. K den Grundsätzen der Krankenkasse entspreche."

Die Beklagte fragte mit Schreiben vom 12. August 1965 bei dem Kläger an, ob er noch eine Tätigkeit verrichten wolle oder einen Antrag auf Gewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bei der Knappschaft gestellt habe.

Der Kläger antwortete mit Schreiben vom 18. August 1965: "Auf Ihr Schreiben vom 13.8.1965 teile ich Ihnen mit, daß ich zur Zeit wegen Arbeitsunfähigkeit noch am Krankfeiern bin.

Eine Tätigkeit werde ich nicht mehr aufnehmen. Zwecks Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente habe ich einen Antrag bei der Ruhrknappschaft gestellt."

Mit Bescheid vom 3. Februar 1966 lehnte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Verletztengeld ab. Der Gesundheitszustand des Klägers sei unverändert geblieben, auch eine vermehrte Behandlungsbedürftigkeit liege nicht vor. Von den Gutachtern werde lediglich ein Arbeitsplatzwechsel für erforderlich gehalten. Aus dem Grubenverbot nach der BVOSt könne keine Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung hergeleitet werden. Eine Wiedererkrankung an Unfallfolgen im Sinne des § 562 Abs. 2 RVO könne schon deshalb nicht vorliegen, weil sich der Zustand des Klägers vor und nach der Arbeitsaufgabe gar nicht unterscheide. Selbst wenn man aber eine Wiedererkrankung annehme, bestehe der Krankheitszustand für immer und sei nicht behebbar, er beschränke sich daher nicht auf die Zeit des Ausfeierns. Außerdem habe der Kläger zu erkennen gegeben, daß er eine Tätigkeit auch an anderen zumutbaren Arbeitsplätzen nicht mehr aufnehmen wolle, er stehe also dem allgemeinen Arbeitsmarkt gar nicht mehr zur Verfügung.

Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben, das mit Urteil vom 9. September 1966 den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 3. Februar 1966 aufhob und die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger ab 20. Juli 1965 Verletztengeld zu gewähren und über die Dauer und Höhe des Verletztengeldes einen Bescheid zu erteilen. Bis zum 19. Juli 1965 hatte der Kläger nach den Feststellungen des SG noch Arbeitsentgelt von seinem früheren Arbeitgeber erhalten. Seit dem 1. April 1965 erhält er Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit. Die gegen das Urteil des SG von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 29. April 1969 zurückgewiesen. Grundlage für den erhobenen Anspruch auf Verletztengeld sei § 562 Abs. 2 RVO. Der Kläger habe schon einmal vom 1. Oktober 1956 bis zum 25. Oktober 1956 wegen seiner Silikose arbeitsunfähig krankgefeiert, was die Beklagte durch die Zuerkennung der Unfallvollrente für diesen Zeitraum berücksichtigt habe. Daher liege eine Wiedererkrankung im Sinne des § 562 Abs. 2 RVO mit der Folge vor, daß der Kläger das begehrte Verletztengeld erhalten müsse. Da das Verletztengeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung praktisch dem Krankengeld aus der Krankenversicherung entspreche, seien die für den Krankengeldanspruch entwickelten Rechtsgrundsätze anzuwenden. Der Kläger sei krank gewesen, denn es habe ein regelwidriger Körperzustand bestanden der ärztlicher Behandlung bedurft habe, und er sei durch diesen Krankheitszustand auch als Schachtsteiger arbeitsunfähig gewesen. Nicht das Grubenverbot habe die Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung bedingt, sondern die sich verschlimmernde Silikose, die beim Kläger seit vielen Jahren vorhanden sei. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.

Mit der von der Beklagten eingelegten Revision macht diese geltend, der behandelnde Arzt habe seine dem Kläger am 20. April 1965 bescheinigte Arbeitsunfähigkeit damit begründet, daß dieser seine bisherige Tätigkeit als Grubensteiger nicht mehr ausüben könne und nur noch für Übertagetätigkeiten einsatzfähig sei. Hieraus habe das LSG zu Unrecht gefolgert, daß damit eine "Wiedererkrankung an Unfallfolgen" im Sinne des § 562 Abs. 2 RVO vorliege. Das Unvermögen des Klägers, seine bisherige Tätigkeit als Grubensteiger auszuüben, habe auf bergbehördlichen Vorschriften beruht, krankenversicherungsrechtliche Gesichtspunkte seien für diese Feststellung nicht ausschlaggebend gewesen. Beschäftigungen in staubgefährdeten Betriebsteilen seien bereits bei fraglichen bis sicheren Staubveränderungen der Lungen verboten. Es würden also sowohl Fälle erfaßt, bei denen bloße Staubeinlagerungen ohne Krankheitswert feststellbar seien, aber auch solche, bei denen eine Quarzstauberkrankung anzuerkennen sei. Das Verbot habe den Sinn, die Entstehung oder Verschlimmerung von Berufskrankheiten zu verhindern. Eine Aussage über das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung werde damit nicht getroffen. Das Beschäftigungsverbot stimme mit seinem vorbeugenden Charakter mit der Zielsetzung des § 3 BKVO überein. In den Fällen des § 3 BKVO habe der Versicherungsträger mit Übergangsleistungen und Maßnahmen der Berufshilfe zu helfen. Selbst wenn also, was hier nicht der Fall sei, die Voraussetzungen einer Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung vorliegen würden, müßten die Vorschriften der BKVO, da sie ein spezielles Anliegen verfolgten, Vorrang haben. Auch der Grundsatz der zeitlichen Beschränkung, der bei den nach § 3 BKVO zu erbringenden Leistungen zu beachten sei, würde bei einer Zubilligung des Verletztengeldes durchbrochen, da dann unter Umständen Verletztengeld uneingeschränkt bis zum Zeitpunkt der Erwerbsunfähigkeit im Sinne der Rentenversicherung gezahlt werden müßte und sich daher über Jahre erstrecken könnte. Die Frage, ob der Kläger am 20. April 1965 arbeitsunfähig geworden ist, könne nur danach beurteilt werden, ob er aufgrund seines Körperzustandes noch in der Lage gewesen sei, seine vor dem 20. April 1965 ausgeübte Tätigkeit zu verrichten. Da nach den ärztlichen Feststellungen im körperlichen Zustand des Klägers zu diesem Zeitpunkt keine Veränderungen eingetreten waren, hätte er, wäre das Grubenverbot nicht ausgesprochen worden, seine bisherige Tätigkeit durchaus weiter ausüben können.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 3. Februar 1966 wiederherzustellen;

hilfsweise,

die Streitsache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise,

sie als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger hält die Urteile der Vorinstanzen für richtig.

II

Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wird. Zur Entscheidung des Rechtsstreits sind noch weitere Feststellungen erforderlich, die das Revisionsgericht nicht treffen kann.

Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Verletztengeld hat. Verletztengeld erhält ein Versicherter, solange er infolge des Arbeitsunfalls arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung ist und soweit er Arbeitsentgelt nicht erhält (§ 560 Abs. 1 Satz 1 RVO). Arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung ist ein Versicherter, der nach seinem Gesundheitszustand nicht oder doch nur mit der Gefahr, in absehbarer naher Zeit seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit oder einer ähnlich gearteten Tätigkeit nachzugehen (RVA AN 1917, 642). Da man wohl davon ausgehen kann, daß der Kläger nach seinem Gesundheitszustand in der Lage wäre, seine bisherige Tätigkeit weiter auszuüben, könnte im vorliegenden Fall Arbeitsunfähigkeit nur dann angenommen werden, wenn er seine bisherige Tätigkeit nur mit Gefahr alsbaldiger, innerhalb weniger Monate eintretender Verschlimmerung der Silikose weiter verrichten könnte. Hierbei kommt es nur auf eine Verschlimmerung an, die voraussichtlich dadurch eintreten würde, daß es bei dem Kläger von dem Zeitpunkt an, in welchem er seine Untertagetätigkeit aufgegeben hat, zu weiteren Staubeinlagerungen gekommen wäre, wenn er seine Tätigkeit nicht aufgegeben hätte. Dagegen ist eine Verschlimmerung, die infolge einer Weiterentwicklung der bereits vorhandenen Staubeinlagerungen eintreten würde, in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Würde eine Verschlimmerung in dem hier in Betracht kommenden Sinne nicht innerhalb weniger Monate eintreten, könnte keine Arbeitsunfähigkeit angenommen werden. Ist nach diesen Grundsätzen Arbeitsunfähigkeit anzunehmen, so kann der Kläger nach § 562 Abs. 2 RVO Anspruch auf Verletztengeld neben der Verletztenrente haben. Der Senat neigt zu der Auffassung, daß das Verletztengeld dann, wie sich mittelbar aus § 580 Abs. 1 RVO mit genügender Deutlichkeit ergibt, allenfalls bis zu 78 Wochen zu zahlen wäre.

Im vorliegenden Fall war der Verletzte zunächst vom 14. Mai bis zum 12. Juni 1956 wegen Silikose arbeitsunfähig; erst später, vom 13. Juni 1956 an, wurde ihm Verletztenrente gezahlt. Der Umstand, daß ihm im Jahre 1956 Verletzten- oder Krankengeld nach dem Beginn der Silikose tatsächlich nicht gewährt wurde, weil sein Gehalt weitergezahlt wurde, steht der Anwendung des § 562 Abs. 2 RVO ebensowenig entgegen wie der Umstand, daß der Beginn der Silikose und die Zeit der ersten Arbeitsunfähigkeit noch unter der Herrschaft des alten Rechts lagen.

Wenn der Kläger unter der Herrschaft der durch das UVNG geänderten Vorschriften der RVO nunmehr wiederholt arbeitsunfähig krank wird, richtet sich sein Anspruch auf Verletztengeld trotzdem nach § 562 Abs. 2 RVO.

Der Umstand, daß die Beklagte oder - was dem grundsätzlich gleich zu bewerten ist - hier die Bergbehörde angeordnet hat, der Kläger müsse die Untertagetätigkeit aufgeben, hat für die Frage, ob Verletztengeld zu gewähren ist, keine Bedeutung. Insoweit sind die in der knappschaftlichen Rentenversicherung geltenden Grundsätze, nach welchen in solchen Fällen verminderte bergmännische Berufsfähigkeit oder Berufsunfähigkeit anzunehmen ist, nicht anzuwenden. Denn anders als in dem Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung ist für diesen Fall im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung eine besondere Leistung, nämlich die Übergangsleistung nach § 5 der 3. BKVO (§ 3 der 7. BKVO) vorgesehen. Diese Vorschriften sind spezielle Vorschriften, die die Gewährung anderer vorübergehender Leistungen - nicht dagegen Rentenleistungen - ausschließen. Allerdings werden von dieser speziellen Regelung nur die Fälle erfaßt, in denen Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung nicht vorliegt; in den Fällen, in denen Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung vorliegt, ist Verletztengeld zu gewähren, dagegen keine Übergangsleistungen im Sinne dieser Vorschriften. Für die Annahme, daß in § 5 der 3. BKVO nur die Fälle geregelt sind, in denen der Versicherte nicht krank im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung ist, spricht vor allem, daß in dieser Vorschrift ausdrücklich die Gewährung von Krankenpflege vorgeschrieben ist. Eine solche Vorschrift wäre aber für die Fälle, in denen Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung vorliegt, überflüssig.

§ 5 der 3. BKVO enthält zwar im Gegensatz zu § 3 der 7. BKVO nur eine Soll- und keine Mußvorschrift. Diese Unterscheidung hat jedoch in der Praxis keine entscheidende Bedeutung. Eine Behörde, die nach einer Rechtsvorschrift unter bestimmten Voraussetzungen etwas tun "soll", muß dies tun, wenn sie nicht dartun kann, welcher besondere Umstand ein Abweichen von der Regel rechtfertigt. Die Gerichte können nachprüfen, ob ein solcher Umstand ein atypischer im Sinne des Gesetzes ist. In typischen Fällen ist daher das "Soll" einer Rechtsvorschrift dem "Muß" gleich zu bewerten (vgl. BVerwG in ZBR 1967, 147).

Das LSG wird zu prüfen haben, ob der Kläger seit dem Zeitpunkt, in welchem er die Untertagetätigkeit aufgegeben hat - ohne Rücksicht auf die Anordnung der Bergbehörde - im Sinne des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung arbeitsunfähig ist. Da er durch seinen Gesundheitszustand wohl kaum gehindert ist, seine bisherige Untertagetätigkeit weiter zu verrichten, wird das LSG vor allem zu prüfen haben, ob die Gefahr einer alsbaldigen Verschlimmerung der Krankheit oder ob lediglich die Gefahr einer in einem späteren Zeitpunkt eintretenden Verschlimmerung anzunehmen ist. Ist weder das eine noch das andere feststellbar, so steht dem Kläger ein Anspruch auf Verletztengeld nicht zu, weil nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast die Nichterweisbarkeit der Voraussetzungen eines Anspruchs zu Lasten dessen geht, der diesen Anspruch geltend macht, d.h. hier zu Lasten des Klägers. Dann aber könnte ihm ein Anspruch auf Übergangsleistungen nach § 5 der 3. BKVO zustehen.

 

Fundstellen

BSGE, 134

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