Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragsbemessung. freiwillige Krankenversicherung. kein Verlustausgleich aus verschiedenen Einkunftsarten

 

Orientierungssatz

1. Bei der Ermittlung der für die Beitragseinstufung maßgeblichen Einnahmen zum Lebensunterhalt im Rahmen des § 180 Abs 4 RVO findet ein Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkunftsarten nicht statt.

2. Das Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit muß gegenüber dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung (Art 3 Abs 1 GG) der freiwillig Versicherten mit den Pflichtversicherten zurücktreten.

 

Normenkette

RVO § 180 Abs 4 Fassung: 1977-06-27; SGB 4 § 16 Fassung: 1976-12-23; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 17.10.1986; Aktenzeichen L 4 Kr 1578/86)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 26.03.1986; Aktenzeichen S 15 Kr 2396/85)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, in welche Versicherungsklasse der Kläger als freiwilliges Mitglied der beklagten Ersatzkasse im Jahre 1985 einzustufen war.

Der Kläger betreibt eine Rechtsanwaltspraxis, die im Jahre 1982 nach seinen Angaben in der Einkommensteuererklärung zu einem Verlust (Ausgabenüberschuß) von 30.221,78 DM bzw von 25.160,78 DM nach Anrechnung von Versicherungsbeiträgen führte. Mit Bescheid vom 1. März 1985 stufte ihn die Beklagte für das Jahr 1985 in die Versicherungsklasse 516 mit einem Monatsbeitrag von 484 DM ein, wobei sie entgegen dem Antrag des Klägers vom Dezember 1984 (in dem die Einnahmen zum Lebensunterhalt mit monatlich 1.814 DM beziffert wurden) auf monatliche Einnahmen zum Lebensunterhalt von 3.804 DM abstellte. Dieser Betrag errechnete sich aus den in der Einkommensteuererklärung für 1982 angegebenen Einkünften aus Vermietung (45.541 DM), Gewinnanteilen (80 DM) und vergüteter Körperschaftssteuer (38,92 DM). Den aus der Tätigkeit als Rechtsanwalt erwirtschafteten Verlust ließ die Beklagte unberücksichtigt. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 1985; Urteil des Sozialgerichts -SG- Karlsruhe vom 26. März 1986; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Baden-Württemberg vom 17. Oktober 1986).

Das LSG hat es - wie das SG und die Beklagte - nicht für zulässig gehalten, bei der Berechnung der für die Beitragsbemessung maßgeblichen Einnahmen zum Lebensunterhalt einen Verlustausgleich zwischen den einzelnen Einkunftsarten vorzunehmen mit der Folge, daß der Verlust aus der freiberuflichen Tätigkeit des Klägers die übrigen Einkünfte, insbesondere die aus Vermietung, gemindert hätte.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision macht der Kläger geltend, daß er nur die Einnahmenüberschüsse aus allen Einkunftsarten zum Lebensunterhalt verwenden könne. Er könne nicht die Überschüsse der positiven Einkünfte verbrauchen, die Ausgabenüberschüsse der negativen Einkünfte aber unberücksichtigt lassen. Die Summe aller Einnahmen könne nur darin bestehen, daß man die Einnahmen und Ausgaben aller Einkunftsarten berücksichtige. Auch das Steuerrecht gehe von einer solchen wirtschaftlichen Betrachtungsweise aus. Das Solidarprinzip könne nicht erfordern, daß bei einem selbständig bzw freiberuflich Tätigen positive Einkunftsarten berücksichtigt, negative dagegen nicht berücksichtigt werden. Dadurch, daß der freiwillig Versicherte selbst ohne steuerpflichtiges Einkommen einen verhältnismäßig hohen Beitrag zu entrichten habe, sei die Solidarität genügend berücksichtigt. § 17 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 4) schreibe vor, daß eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen sei. Das LSG habe nicht nur § 16 SGB 4, sondern auch § 17 SGB 4, zumindest dem Sinne des Gesetzgebers nach, verletzt.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des SG und des LSG aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 1. März 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 1985 zu verurteilen, ihn für das Jahr 1985 in die Versicherungsklasse 512 einzustufen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und vertritt weiterhin die Auffassung, daß eine Saldierung der negativen Einkünfte des Klägers aus seiner freiberuflichen Tätigkeit mit den positiven Einkünften aus Kapitalvermögen bzw Vermietung und Verpachtung eine ungerechtfertigte Begünstigung bei der Beitragsbemessung bedeuten und damit dem Solidarprinzip widersprechen würde.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Das LSG hat zu Recht entschieden, daß bei der Ermittlung der für die Beitragseinstufung maßgeblichen Einnahmen zum Lebensunterhalt eine Verrechnung der aus der Rechtsanwaltstätigkeit des Klägers resultierenden Verluste mit den positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten nicht zulässig ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (SozR 2200 § 180 Nrn 8, 12, 15, 16, 19, 20) ist die in § 16 SGB 4 enthaltene Definition des Gesamteinkommens nicht auf den in § 180 Abs 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) verwendeten Begriff "sonstiger Einnahmen zum Lebensunterhalt" zu übertragen. Für den in den Versicherungsbedingungen der Beklagten (Abschnitt D, Beiträge und Einstufung der Nichtversicherungspflichtigen Nr 1 d) enthaltenen - gleichbedeutenden - Begriff "monatliche Einnahmen zum Lebensunterhalt" kann nichts anderes gelten (vgl hierzu das Urteil des Senats vom 28. Februar 1984 -SozR 2200 Nr 16-). Die Nichtanwendbarkeit des § 16 SGB 4 im Rahmen des § 180 Abs 4 RVO hat der Senat dabei aus der Entstehungsgeschichte der Vorschriften und ihrem gleichzeitigen Inkrafttreten gefolgert (vgl hierzu im einzelnen das Urteil vom 28. April 1983 - 12 RK 60/81 = USK 83101-).

Daß im Rahmen des § 180 Abs 4 RVO das vom Versicherten erzielte Arbeitsentgelt nicht mit negativen Einkünften aus anderen Einkunftsarten auszugleichen ist, hat der Senat bereits in dem oa Urteil vom 28. Februar 1984 entschieden und damit begründet, daß mit der Neufassung des § 180 Abs 4 RVO auch eine Besserstellung der in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig Versicherten gegenüber den Pflichtversicherten verhindert werden sollte; bei letzteren sei stets das Bruttoarbeitsentgelt der Beitragsbemessung zugrunde zu legen, ohne daß - wie im Steuerrecht - ein Ausgleich mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten in Betracht komme. In einem weiteren Urteil vom 27. November 1984 (SozR 2200 § 180 Nr 20) hat der Senat - in Abgrenzung zu der Rechtsprechung des 3. Senats des Bundessozialgerichts, nach der die Legaldefinition des § 16 SGB 4 auch für die Bestimmung des "Gesamteinkommens" iS des § 205 RVO anzuwenden sei (SozR 2200 § 205 Nr 45; neuerdings das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil vom 6. August 1987 - 3 RK 25/86 -) - daran festgehalten, daß § 16 SGB 4 ein von § 180 Abs 4 RVO abweichendes System der Einkommensbestimmung enthält. Er ist dabei - ohne dies auf bestimmte Einkunftsarten zu beschränken - zu dem Ergebnis gekommen, daß im Rahmen des § 180 Abs 4 RVO ein Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkunftsarten nicht stattfindet.

In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der Senat somit bereits klargestellt, daß wegen der Eigenständigkeit der beitragsrechtlichen Einkommensbestimmung in § 180 Abs 4 RVO negative Einkünfte aus einer Einkunftsart bei einer anderen nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen sind. Insoweit muß das Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gegenüber dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung (Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes) der freiwillig Versicherten mit den Pflichtversicherten zurücktreten. Würde nämlich bei den freiwillig Versicherten ein Verlustausgleich unterhalb der "Nullgrenze" einzelner Einkunftsarten zugelassen, dann würde das eine ungerechtfertigte Schlechterstellung der Pflichtversicherten bedeuten, aber auch der freiwillig Versicherten mit Arbeitsentgelt (das wäre die große Masse der wegen Überschreitung der Versicherungspflichtgrenze freiwillig Weiterversicherten), bei denen ein Ausgleich negativer Einkünfte mit dem Arbeitsentgelt nicht zulässig ist und innerhalb des Arbeitsentgelts nicht einmal Werbungskosten abzugsfähig sind.

Das Urteil des LSG ist sonach zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663799

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