Leitsatz (amtlich)

Der Rehabilitationsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger (AVG §§ 13 ff = RVO §§ 1236 ff) unterfällt auch in der Ausgestaltung durch das RehaAnglG nicht der Eigentumsgarantie des GG Art 14.

 

Leitsatz (redaktionell)

Ausschluß des Anspruchs auf Rehabilitationsmaßnahmen gegenüber dem Rentenversicherungsträger (RVO § 1236 Abs 1a S 3, AVG § 13 Abs 1a S 3):

Der Ausschluß des Anspruchs auf Rehabilitationsmaßnahmen gegenüber dem Rentenversicherungsträger bei Versicherten, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen stehen (RVO § 1236 Abs 1a S 3, AVG § 13 Abs 1a S 3), ist nicht verfassungswidrig.

 

Orientierungssatz

Anspruch auf Rehabilitation - Beamte - Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen - Kannleistung - Ermessensleistung - Anspruch auf Ermessensausübung - Rentenanspruch

 

Normenkette

AVG § 13 Abs. 1a S. 3 Fassung: 1977-06-27; RVO § 1236 Abs. 1a S. 3 Fassung: 1977-06-27; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 14 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; RehaAnglG

 

Verfahrensgang

SG München (Entscheidung vom 16.05.1979; Aktenzeichen S 16 An 1100/78)

 

Tatbestand

Streitig ist eine medizinische Maßnahme zur Rehabilitation.

Die Klägerin ist seit dem 1. Februar 1972 als Professorin an der Fachhochschule M Beamtin des F B. Ihren Antrag auf medizinische Rehabilitationsmaßnahmen vom 9. Mai 1978 lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Klägerin gehöre nach § 13 Abs 1a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) in der ab 1. Juli 1977 geltenden Fassung als Beamtin nicht (mehr) zum anspruchsberechtigten Personenkreis (Bescheid vom 14. Juni 1978; Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1978).

Die mit Verfassungswidrigkeit vorgenannter Regelung begründete Klage hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 16. Mai 1979 abgewiesen. Das SG hat einen Verstoß gegen Art 3 Grundgesetz (GG) verneint, da den Beamten ein Anspruch auf Beihilfe zustehe. Härten, die durch die geringeren Leistungen der Beihilfe entstünden, rechtfertigten die Annahme eines Verfassungsverstoßes bei der typisierenden Neuregelung nicht. Zu dem komme als Ausgleich eine Änderung der Beihilfevorschriften in Betracht.

Die Klägerin hat die vom SG durch Beschluß zugelassene Revision eingelegt.

Sie beantragt,

das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide

aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den

beantragten Bescheid zu erlassen.

Sie hält die Art 3, 14, 20 und 28 GG für verletzt. Sie habe nach Erfüllung der großen Wartezeit von 180 Kalendermonaten davon ausgehen können, daß ihr Bedarf an Rehabilitationsmaßnahmen gesichert sei. Wegen ihres vorgerückten Alters sei sie nicht mehr in der Lage, sich durch Privatversicherung einen vergleichbaren Schutz zu schaffen. Der Gesetzgeber habe durch Übergangsregelungen und Härteklauseln den verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz gewähren müssen. Die Klägerin habe ihrer Übernahme in das Beamtenverhältnis im Vertrauen darauf zugestimmt, daß ihre sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche auf Rehabilitation erhalten blieben.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Gemäß § 13 Abs 1 Satz 1 AVG idF des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 kann die Beklagte unter bestimmten Voraussetzungen Leistungen zur Rehabilitation "Versicherten" gewähren. Nicht als "Versicherter" in diesem Sinne gilt nach § 13 Abs 1a Satz 3 AVG in der ab 1. Juli 1977 geltenden Fassung des Art 2 § 2 Nr 4b dd des 20. Rentenanpassungsgesetzes (RAG) vom 27. Juni 1977, wer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen steht. Das trifft auf die Klägerin nach den Feststellungen des SG zu.

Der Ausschluß von Versicherten mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen ist nicht verfassungswidrig, wie der Senat mit Urteil vom 31. Januar 1980 - 11 RA 6/79 - im Anschluß an eine Entscheidung des 1. Senats vom 12. Dezember 1979 - 1 RA 5/79 - bereits ausgeführt hat. Danach wird der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) nicht berührt, weil es sich nicht als willkürlich oder sachungerecht beanstanden läßt, wenn der Gesetzgeber zwischen Versicherten mit und ohne Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen unterscheidet. Denn der Anspruch auf Beihilfe bei Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation übersteigt jedenfalls das Maß des Unbedeutenden. Das rechtfertigt es, im Hinblick auf Art 3 Abs 1 GG diesen Anspruch zu berücksichtigen. Hierzu ist es insbesondere nicht erforderlich, daß dieser Anspruch den Leistungen der Versicherungsträger in finanziellem Umfang voll entspricht.

Eine gegen Art 3 Abs 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung besteht auch nicht im Verhältnis zu weiteren besonderen Gruppen, wie der Senat in der angeführten den Beteiligten bekannten Entscheidung näher ausgeführt hat. Die Klägerin sieht darüber hinaus zu Unrecht darin, daß der Bund mit den Rentenversicherungsträgern vereinbart habe, daß Beamte des Bundes wie bisher von den Rentenversicherungsträgern Maßnahmen der Rehabilitation erhielten - allerdings nunmehr auf Kosten des Bundes -, während für die Beamten der Länder eine entsprechende Vereinbarung nicht getroffen sei, einen weiteren Verstoß des § 13 Abs 1a Satz 3 AVG gegen den Gleichheitssatz. Wird eine solche Vereinbarung unterstellt, so würde sie daran nichts ändern, daß nach § 13 Abs 1a Satz 3 AVG allen Beamten gleichmäßig ein Anspruch auf Rehabilitation zu Lasten des Rentenversicherungsträgers nicht mehr zusteht. Die behauptete Vereinbarung würde lediglich zu einer unterschiedlichen Regelung des beamtenrechtlichen Beihilfeanspruchs führen, über den hier nicht zu befinden ist; überdies wären insoweit der föderative Aufbau der Bundesrepublik und die Zuständigkeit der verschiedenen Gesetzgeber zu berücksichtigen. hier nicht zu befinden ist; überdies wären insoweit der föderative Im übrigen zeigt die von der Klägerin angeführte Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage im Bundestag (stenografischer Bericht 149. Sitzung der 8. Wahlperiode am 27. April 1979 auf Seite 1191 D), daß Bund und Länder um eine einheitliche beamtenrechtliche Lösung bemüht sind.

Gegen den von der Klägerin als verletzte Vorschrift des Grundgesetzes weiterhin angeführten Art 14 Abs 1 GG verstößt § 13 Abs 1a Satz 3 AVG schon deshalb nicht, weil die Verpflichtung des Versicherungsträgers, bei einer Kannleistung der medizinischen Rehabilitation das Ermessen pflichtgemäß auszuüben, auf der Seite des Versicherten keine dem Eigentum vergleichbare Rechtsposition begründet, wie der Senat im Urteil vom 31. Januar 1980 (aaO) im Anschluß an die Entscheidung des 1. Senats bereits ausgeführt hat.

Dem steht nicht entgegen, daß in Zukunft die Entwicklung im Rehabilitationsrecht auf eine Erstarkung der Ermessensleistung zum Rechtsanspruch hinauszulaufen scheint.

Die mit der Rentenreform 1957 an die erste Stelle des Aufgabenkatalogs der Rentenversicherung gerückte Rehabilitation hat mit dem Rehabilitations-Angleichungsgesetz (RehaAnglG) eine weitere Stärkung erfahren. Der Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" wurde als Sollvorschrift ausgestaltet. Insbesondere erscheint der Ermessensspielraum der Rentenversicherungsträger eingeschränkt, wenn der Betreute, sofern er nicht Versicherter im Sinne des § 13 AVG wäre, einen Rechtsanspruch auf Rehabilitation gegen die Bundesanstalt für Arbeit hätte (vgl hierzu SozR 2200 § 1236 Nr 15).

Zukunftsweisend heißt es darüber hinaus im Bericht des federführenden Ausschusses des Deutschen Bundestages zum RehaAnglG, die Bundesregierung sei aufgefordert, die Angleichung weiter voranzutreiben; das gelte insbesondere für die Umgestaltung der in manchen Bereichen noch vorhandenen Ermessensleistungen in Leistungen mit Rechtsanspruch (BT-Drucks VII/2256 unter II).

Dies und die Fassung der §§ 9 RehaAnglG und 13 AVG zeigen jedoch deutlich, daß es zumindest vorerst für den Bereich der Rentenversicherung bei der schwächeren Form der Ermessensleistung bleiben sollte.

Dem steht nicht entgegen, daß der 8. Senat den Rehabilitationsanspruch einem Rentenanspruch als Zugriffsobjekt des Sozialhilfeträgers in Anwendung des § 1536 Reichsversicherungsordnung (RVO) gleichgeachtet hat, da die Kannvorschrift des § 1236 RVO iVm dem Gleichheitsgrundsatz und den Ermessensrichtlinien, die sich die Rentenversicherungsträger selbst gegeben haben, unter Berücksichtigung der zuvor geschilderten Entwicklung "weitgehend zu einer Mußvorschrift erstarkt" sei (BSG Urteil vom 28. Februar 1980 - 8a RK 13/79 -). Denn auch der 8. Senat geht davon aus, daß dem Rentenversicherungsträger ein Ermessensspielraum zusteht, der in der Regel eine Verurteilung zur Leistung ausschließt, so daß nur Raum für eine Verurteilung zur Neubescheidung bleibt. Ob in Fällen, in denen der Versicherungsträger (rechtsirrig) die gesetzlichen Voraussetzungen einer Ermessensausübung verneint und sein Ermessen deswegen nicht ausgeübt hat, die gerichtliche Prüfung auf die im Rechtsstreit vorgebrachten Ermessensgründe zu beschränken ist (so das angeführte Urteil des 8. Senats), oder ob auch in derartigen Fällen dem Versicherungsträger die Gelegenheit zur Ausübung seines Ermessens zu geben ist (so Urteil des Senats vom 31. Januar 1980 SozR 2200 § 1236 Nr 24), ist hier ohne Bedeutung. Entscheidend ist allein, daß der Gesetzgeber das Ermessen nicht, auch nicht nahezu, ausschließen wollte, und daß er damit dem Versicherten keine Position eingeräumt hat, die dem Schutz des Art 14 GG unterstehen könnte.

Die Klägerin kann schließlich auch nicht mit ihrem Vorbringen durchdringen, aus rechtsstaatlichen Gründen sei ihr Vertrauen darauf schutzwürdig, mit Erfüllung der großen Wartezeit von 180 Kalendermonaten auch ihren Bedarf an Rehabilitation gesichert zu haben, und der Gesetzgeber hätte deshalb Übergangsregelungen und Härteklauseln vorsehen müssen. Der Senat hat zwar einen derartigen Vertrauensschutz auch bei Ermessensleistungen in den Fällen unechter Rückwirkung in Betracht gezogen, wenn der Versicherte im Vertrauen auf eine Ermessensleistung bestimmte Aufwendungen getätigt hatte und danach die Ermessensleistung in Wegfall gekommen war; insoweit hat der Senat Übergangsregelungen für bereits tatsächlich getätigte Aufwendungen als erforderlich angesehen (vgl BSG SozR 2200 § 1305 Nr 2). Um einen solchen Fall handelt es sich hier indes nicht, da die Klägerin ihren Rehabilitationsantrag erst geraume Zeit nach Inkrafttreten der Vorschrift zum 1. Juli 1977 am 9. Mai 1978 gestellt hat.

Vertrauensschutz ist auch deshalb nicht geboten, weil sich der Berechtigte bei Ermessensleistungen von vornherein darauf einstellen muß, daß der Leistungsträger seinen Ermessensmaßstab jederzeit für die Zukunft ändern darf. Es ist dem Einzelnen grundsätzlich zuzumuten, auch den völligen Wegfall der Ermessensleistung für die Zukunft in Rechnung zu stellen. Das muß jedenfalls dort gelten, wo der Gesetzgeber davon ausgehen durfte, daß die Betroffenen bereits anderweitig ausreichend gesichert sind, wie das hier der Fall ist.

Die Revision ist daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BSGE, 149

Breith. 1981, 231

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