Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragszahnarzt. Vergütung. Gesamtvergütung. Erstattung. Erstattungsanspruch. Unwirtschaftlichkeit. Haftung. Risiko. Uneinbringlichkeit. Rückgriff

 

Leitsatz (amtlich)

Die Kassenzahnärztliche Vereinigung hat Vergütungen, die eine Krankenkasse für unwirtschaftliche Leistungen eines Vertragszahnarztes gezahlt hat, auch dann zu erstatten, wenn ihr selbst ein Rückgriff gegen den Vertragszahnarzt nicht mehr möglich ist (insoweit Aufgabe von BSGE 61, 19 = SozR 2200 § 368f Nr. 11 und BSGE 69, 158 = SozR 3-1300 § 113 Nr. 1).

 

Normenkette

SGB V § 75 Abs. 1; BMV-Z § 24

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.02.1994; Aktenzeichen L 11 Ka 83/93)

SG Münster (Urteil vom 13.05.1993; Aktenzeichen S 2 (12) Ka 57/90)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Februar 1994 und des Sozialgerichts Münster vom 13. Mai 1993 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat der Beklagten deren Aufwendungen für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Gegen die beigeladene Zahnärztin, die seit 1987 nicht mehr praktiziert und ihren Lebensunterhalt mit Sozialhilfe bestreitet, bestehen aus der Zeit ihrer kassenzahnärztlichen Tätigkeit rechtsverbindlich festgestellte Honorarrückforderungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise in Höhe von 23.675,15 DM. Da der Betrag von ihr nicht beigetrieben werden konnte, trat die klagende Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) den Rückzahlungsanspruch unter Berufung auf § 24 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) an die betroffenen Krankenkassen zur unmittelbaren Einziehung ab. Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse widersprach der Abtretung, weil § 24 Satz 2 BMV-Z nur für Schadenersatzansprüche gelte, während in Fällen der Honorarrückforderung die KZÄV für die Erfüllung der ihrem Mitglied obliegenden Zahlungsverpflichtung selbst einzustehen habe und sich ihrer Haftung nicht durch Abtretung der uneinbringlichen Forderung entziehen könne. Nachdem eine Einigung nicht zu erzielen war, behielt die Beklagte den auf sie entfallenden Erstattungsbetrag von 14.078,51 DM im Wege der Aufrechnung von der an die Klägerin zu zahlenden Gesamtvergütung für ein späteres Quartal ein.

Die Klage auf Auszahlung des einbehaltenen Betrages hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat im Urteil vom 16. Februar 1994 ausgeführt, der Beklagten stehe gegen die Klägerin kein zur Aufrechnung geeigneter Erstattungsanspruch zu, weil § 24 BMV-Z in Fällen der vorliegenden Art. einen Rückgriff gegen die KZÄV ausschließe. Die Erstreckung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf Honorarrückforderungen wegen unwirtschaftlicher Behandlung entspreche einer gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), an der trotz gewichtiger Einwände aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes festzuhatten sei.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 24 BMV-Z. Die Vorschrift beziehe sich nach ihrem Wortlaut und Standort eindeutig nur auf Fälle des Schadenregresses und nicht auch auf die Begleichung anderer gegen den Zahnarzt gerichteter Erstattungsansprüche. Die vom Berufungsgericht angeführten Entscheidungen des BSG seien zu anderen Sachverhalten ergangen, so daß von einer gefestigten Rechtsprechung im Sinne der Auffassung der Klägerin nicht gesprochen werden könne.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Februar 1994 und des Sozialgerichts Münster vom 13. Mai 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend und die vom LSG gegen die Rechtsprechung des BSG geäußerten Bedenken nicht für gerechtfertigt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und zur Abweisung der Klage.

Der Senat entscheidet in der Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen und der Kassenzahnärzte. Bei dem gegen die Krankenkasse gerichteten Anspruch der KZÄV auf Zahlung der (restlichen) Gesamtvergütung, der den Gegenstand des Prozesses bildet, geht es nicht um innerzahnärztliche Streitigkeiten, sondern um die Außenrechtsbeziehungen der KZÄV. Es handelt sich somit um eine Angelegenheit des Kassenzahnarztrechts iS des § 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ (BSG SozR 3-5555 § 15 Nr. 1 S 2 f). Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang – mit Recht – auf die unrichtige Besetzung des Sozialgerichts verweist, rügt sie einen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, der nicht in der Berufungsinstanz fortgewirkt hat und deshalb für die Revision unbeachtlich ist.

Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf restliche Gesamtvergütung in Höhe von 14.078,51 DM besteht nicht (mehr), weil er durch Aufrechnung erloschen ist. Der Auffassung der Vorinstanzen und der Klägerin, die zur Aufrechnung gestellte Erstattungsforderung habe der Beklagten nicht zugestanden, kann sich der Senat nicht anschließen.

Nach den Feststellungen des LSG hat die Beklagte an die Klägerin Vergütungen für unwirtschaftliche Leistungen der Beigeladenen in Höhe von 14.078,51 DM ohne Rechtsgrund gezahlt. Daraus resultiert ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch der Beklagten in entsprechender Höhe, der zwar seine Ursache im Verhalten der Beigeladenen hat, sich aber gegen die Klägerin als Empfängerin der Gesamtvergütung richtet. Dieser Erstattungsanspruch ist nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Klägerin ihren eigenen Honorarrückzahlungsanspruch gegen die Beigeladene wegen deren Einkommens- und Vermögenslosigkeit nicht mehr realisieren kann. Da das Gesetz keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen zwischen Kassenzahnarzt und Krankenkasse vorgesehen, vielmehr in § 75 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB V≫ (früher: § 368n Abs. 1 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) die Gewährleistung einer den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entsprechenden kassenzahnärztlichen Versorgung den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen auferlegt hat, folgt daraus deren grundsätzliche Haftung für die Rückerstattung rechtsgrundlos empfangener Vergütungen. Auf einen Wegfall der Bereicherung kann sich die Klägerin deshalb nicht berufen (vgl. zu alledem BSGE 61, 19, 21 ff = SozR 2200 § 368f Nr. 11; BSGE 69, 158, 160 = SozR 3-1300 § 113 Nr. 1; BSG USK 87200).

Die teilweise im Schrifttum gegen die zitierte Rechtsprechung erhobenen Einwände (Schneider. Handbuch des Kassenarztrechts, 1994, RdNrn 329 f, 998 f; in der Tendenz auch Hess, Kasseler Komm, § 75 SGB V RdNr. 13; Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, 5. Aufl, § 75 SGB V RdNr. C 75-21) überzeugen nicht. Es mag zutreffen, daß sich eine umfassende Haftung der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen für sämtliche Schäden, die den Krankenkassen durch pflichtwidriges Verhalten einzelner Vertragszahnärzte zugefügt werden, aus der Gewährleistungspflicht nicht herleiten läßt (offengelassen in BSGE 61, 19, 23 = SozR 2200 § 368f Nr. 11). Unberührt davon bleibt aber die durch die Stellung der KZÄV als Gläubigerin der Gesamtvergütung begründete Verpflichtung, den Krankenkassen Vergütungen, die infolge fehlerhafter Abrechnung oder unwirtschaftlicher Leistungserbringung durch einen Vertragszahnarzt zu hoch berechnet wurden, zu erstatten. Die Gesamtvergütung wird nach § 85 Abs. 1 SGB V (früher: § 368f Abs. 1 Satz 1 RVO) von der Krankenkasse mit befreiender Wirkung an die KZÄV entrichtet. Diese erlangt die entsprechenden Zahlungen nicht als Vertreterin der in ihr zusammengeschlossenen Vertragszahnärzte, sondern aus eigenem Recht. Zwar verteilt sie die Gesamtvergütung anschließend unter die Mitglieder. Sie verfolgt damit aber einen eigenen Leistungszweck, der nicht darin besteht, eine Verbindlichkeit der Krankenkasse gegenüber dem jeweiligen Vertragszahnarzt zu erfüllen (BSG USK 87200 S 964). Aus dieser Gestaltung der Vergütungsbeziehungen in Verbindung mit der Gewährleistungsverpflichtung der KZÄV folgt, daß sie sich gegenüber dem Anspruch auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Vergütungen nicht auf Entreicherung berufen kann, sondern die rechtsgrundlose Vermögensverschiebung unabhängig davon auszugleichen hat, ob sie selber die eingetretene Überzahlung hätte vermeiden oder den nicht zustehenden Betrag rechtzeitig hätte zurückfordern können. Das kann dazu führen, daß die KZÄV, wenn sie ihren eigenen Honorarrückzahlungsanspruch gegen den Kassenzahnarzt nicht durchsetzen kann, den Erstattungsanspruch der Kasse aus dem Honoraraufkommen ihrer übrigen Mitglieder befriedigen muß, die Kassenzahnärzte also insoweit eine Haftungsgemeinschaft bilden. Diese Haftung ergibt sich aber zwangsläufig als Folge der aufgezeigten Rechtsstrukturen (so ausdrücklich bereits BSG aaO im Zusammenhang mit der Rückforderung von Vergütungen, die für tatsächlich nicht erbrachte Leistungen gezahlt wurden).

Bei der dargestellten Rechtslage träfe die Klägerin nur dann keine Einstandspflicht, wenn die Partner des BMV-Z oder der regionalen Gesamtverträge ausdrücklich eine andere Verteilung des Haftungsrisikos vereinbart hätten. Das LSG hat eine solche abweichende Regelung in § 24 BMV-Z gesehen. Nach dessen Satz 1 habe die KZÄV der betroffenen Krankenkasse den durch schuldhafte Nichterfüllung kassenzahnärztlicher Pflichten entstandenen und durch die Prüfungseinrichtungen festgestellten Schaden (nur) in dem Umfang zu ersetzen, in dem ihr ein Rückgriff gegen den Kassenzahnarzt durch Aufrechnung gegen Honorarforderungen möglich sei. Das gelte nach der Rechtsprechung des BSG auch für einen durch unwirtschaftliche Behandlungsweise verursachten Schaden.

In zwei Urteilen des erkennenden Senats vom 21. November 1986 (BSGE 61, 19 = SozR 2200 § 368f Nr. 11) und vom 1. August 1991 (BSGE 69, 158 = SozR 3-1300 § 113 Nr. 1) ist diese Rechtsauffassung in der Tat vertreten worden, wobei sie im zuletzt genannten Urteil für die Entscheidung selbst tragend war, während sie im Urteil vom 21. November 1986 dem Berufungsgericht, an das die Sache zurückverwiesen wurde, für den Fall eines bestimmten Ermittlungsergebnisses als zu beachtende Rechtsansicht aufgegeben worden ist. In beiden Urteilen hat der Senat § 24 BMV-Z dahin ausgelegt, daß die Vorschrift eine abschließende Sonderregelung für die Abwicklung sämtlicher Erstattungsforderungen treffe, die sich aus rechtsverbindlichen Entscheidungen von Prüfungseinrichtungen ergeben. Damit seien auch Entscheidungen über die Kürzung des Honorars wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise erfaßt. Stehe in derartigen Fällen ein laufender Honoraranspruch des Zahnarztes, gegen den aufgerechnet werden könne, nicht mehr zur Verfügung, könne sich die KZÄV gemäß § 24 Satz 2 Halbsatz 2 BMV-Z von ihrer Erstattungspflicht dadurch befreien, daß sie den Anspruch auf den Schadensbetrag an die Krankenkasse zur unmittelbaren Einziehung abtrete.

An dieser Rechtsprechung hält der Senat nach nochmaliger Prüfung nicht mehr fest.

Wortlaut. Standort und Sinnzusammenhang des § 24 BMV-Z lassen eine Auslegung, die Erstattungsansprüche wegen unwirtschaftlicher Behandlung in den Anwendungsbereich der Regelung einbezieht, nicht zu. Schon die Verwendung der Begriffe Schadenersatz bzw Regreß in der Überschrift und im Text der Vorschrift steht einem solchen Verständnis entgegen; denn beide Begriffe werden üblicherweise im Zusammenhang mit Honorarkürzungen wegen Unwirtschaftlichkeit nicht gebraucht, weil es dort nicht um Schadenersatz im Sinne der herkömmlichen juristischen Terminologie, sondern um die Erstattung unrechtmäßig empfangener Vergütungen geht. § 24 Satz 1 BMV-Z erfaßt im übrigen aber nach seinem klaren Wortlaut auch nicht Schadensfälle schlechthin, sondern nur Schäden, die dadurch entstanden sind, daß „der Kassenzahnarzt oder eine Person, für die er haftet, bei der Erfüllung der kassenzahnärztlichen Pflichten die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat”. Gemeint sind somit allein die in der unmittelbar vorangehenden Bestimmung des § 23 Abs. 1 Satz 2 BMV-Z angesprochenen „sonstigen Schäden”, die ein Kassenzahnarzt im Rahmen seiner Tätigkeit schuldhaft verursacht. Die Feststellung der Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Kassenzahnarztes erfolgt gerade unabhängig von jedem Schuldvorwurf und setzt keine Sorgfaltspflichtverletzung voraus, so daß die Erstreckung des Geltungsbereichs der Vorschrift auf Erstattungsforderungen der Krankenkassen aufgrund von Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlung bei Beachtung des Wortlauts und des Regelungszusammenhangs ausgeschlossen ist. Eine erweiternde, auch Fälle einer nicht schuldhaften Schadensverursachung erfassende Interpretation hat unabhängig von sonstigen Bedenken auch deshalb auszuscheiden, weil es sich bei § 24 BMV-Z um eine Ausnahmevorschrift handelt, welche die im Regelfall bestehende Gewährleistungspflicht der KZÄV für einen Sonderbereich einschränkt. Von daher muß die Regelung eng ausgelegt werden. Hätten die Vertragspartner das Risiko der Uneinbringlichkeit auch in den hier in Rede stehenden Fällen den Krankenkassen auferlegen wollen, hätte dies eindeutig geregelt werden müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 120

Breith. 1996, 363

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