Leitsatz (redaktionell)

Die Vollstreckung eines Todesurteils an einem ehemaligen General der Waffen-SS und Polizei im Februar 1946 durch ein niederländisches Sondergericht stellt, wenn auch nach deutschem Recht im damaligen Zeitpunkt wegen der begangenen Straftaten eine Verurteilung zum Tode hätte ausgesprochen werden können, kein offensichtliches Unrecht iS des BVG § 5 Abs 1 Buchst d dar.

 

Orientierungssatz

Zum Begriff "offensichtliches Unrecht" iS des BVG § 5 Abs 1 Buchst d (hier: Hinrichtung wegen Beihilfe zum Mord an vielen Juden - Sühnegefangene - Geiselnahme - Geiseltötung - Repressalien).

 

Normenkette

BVG § 5 Abs. 1 Buchst. d Fassung: 1953-08-07

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 29. Juni 1966 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin zu 1.) und die Kläger zu 2.) bis 6.) sind die Witwe und die Kinder des 1895 geborenen Generals der Waffen-SS und Polizei H-A R. (R.). Dieser war seit Mai 1940 Höherer SS und Polizeiführer und Generalkommissar für das Sicherheitswesen in den besetzten Niederlanden. Er wurde, nachdem er am 6. Februar 1945 das Kommando über eine Kampfgruppe unter Feldmarschall N. übernommen hatte, am 6. März 1945 bei einem Attentat der niederländischen Widerstandsbewegung schwer verwundet, geriet im Mai 1945 bei Eutin in die Hände der Engländer und wurde im Februar 1946 von der Gewahrsamsmacht an Holland ausgeliefert. Dort wurde er beschuldigt, als Höherer SS- und Polizeiführer und Generalkommissar für das Sicherheitswesen während der Besetzung der Niederlande wesentlich bei der Verfolgung jüdischer Bevölkerungsteile und ihrer Deportation in Vernichtungslager, bei der Erfassung holländischer Arbeitskräfte und ihrem Einsatz zur Zwangsarbeit in Deutschland, bei Beschlagnahmen und Enteignung von Privateigentum in Holland sowie bei kollektiven Strafmaßnahmen wie Kontributionen, Verhaftungen und Erschießungen von Holländern beteiligt gewesen zu sein. Ein holländisches Sondergericht in Den Haag verurteilte ihn am 4. Mai 1948 zum Tode. In dem Rechtsmittelverfahren, das keine tatsächlichen Feststellungen mehr zuließ, sondern sich auf eine rechtliche Überprüfung beschränkte, wurde durch Urteil des Sonderkassationshofes (Bijzondere Raad van Cassatie) vom 12. Januar 1949 das Todesurteil bestätigt. Darin ist ausgeführt, R. habe sich ua bei den Verfolgungsmaßnahmen gegen die Juden eines fortgesetzten Kriegsverbrechens und eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Sinne des § 6 unter b und c der Charta des Abkommens von London vom 8. August 1945 (veröffentlicht durch Erlaß vom 4. Januar 1946 - Staatsanzeiger Nr. G 5) schuldig gemacht, wobei als Maximalstrafe in Übereinstimmung mit den (am meisten übereinstimmenden) Strafbestimmungen des niederländischen Gesetzes die Todesstrafe wegen fortgesetzten Verbrechens des Verübenlassens und der Anstiftung zum Menschenraub habe festgesetzt werden können. Für die Erschießungen (Aktion "Silbertanne") sei die wegen fortgesetzten Verbrechens des Verübenlassens und der Anstiftung zum Mord unter Mißbrauch von Gewalt während des derzeitigen Krieges angedrohte Strafe gerechtfertigt gewesen. Das Todesurteil wurde am 25. März 1949 durch Erschießen vollzogen.

Im August 1949 stellte die Klägerin zu 1.) - für sich und die Kläger zu 2.) bis 6.) - Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenrente. Dieser Antrag wurde mit dem nur an die Klägerin zu 1.) gerichteten Bescheid vom 1. August 1958 ua mit der Begründung abgelehnt, daß das Todesurteil und seine Vollstreckung keinen schädigenden Vorgang darstellten, der infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen oder ehemals deutsch besetzten Gebietes zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sei. Der Widerspruch der Kläger war erfolglos. Das Sozialgericht (SG) verband das von dem Kläger zu 2.) getrennt eingeleitete Klageverfahren mit dem Verfahren der anderen Kläger zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und lud die Bundesrepublik Deutschland bei. Es zog einen überwiegend in niederländischer Sprache verfaßten Prozeßbericht "Het Proces Rauter" bei und ließ Teile dieses Buches übersetzen. Die Beigeladene hat ausgeführt, das Todesurteil, das auf Art. 27 a des holländischen Besluit Buitengewoon Strafrechts (BBS) vom 10. Juli 1947 beruhe, das seinerseits auf das Kontrollratsgesetz Nr. 10 zurückgehe, verletze den Rechtsgrundsatz, daß Strafgesetze nicht rückwirkend angewendet werden dürften. Es seien wesentliche Verfahrensgrundsätze verletzt worden; das Urteil sei auch nach Art. 6 Abs. 11 des Ersten Teils des Überleitungsvertrages von 1955 für die deutschen Gerichte nicht bindend. Die Verurteilung des R. beruhe darauf, daß er eine führende Persönlichkeit der Besatzungsmacht gewesen sei, die zur Verantwortung habe herangezogen werden müssen, weil Himmler und der Reichskommissar Dr. Seyss-Inquart nicht mehr gelebt hätten. Es habe hier R. der Schuldausschließungsgrund des § 52 des Strafgesetzbuches (StGB) - Nötigungsstand - zur Seite gestanden. Nach deutschem Recht würde jedenfalls niemals die Todesstrafe ausgesprochen worden sein. Deshalb sei die Gewährung von Versorgung an die Hinterbliebenen gerechtfertigt. Das SG hat mit Urteil vom 18. April 1961 die Klage abgewiesen. Die Kläger haben im Berufungsverfahren zur Beurteilung der gegen die Juden getroffenen Maßnahmen und zu der Erschießung von Holländern als Repressalien im wesentlichen ausgeführt, die Angehörigen der SS und der Polizeiverbände hätten sich gemäß Erlaß des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei vom 9. April 1940 in besonderem Einsatz befunden; auf sie seien daher sinngemäß die Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches (MStGB), insbesondere § 47 MStGB, und der Militärstrafgerichtsordnung anwendbar und die Zuständigkeit der SS- und Polizeigerichte begründet gewesen. R. habe in der Judenfrage als Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes für die besetzten niederländischen Gebiete kein Weisungs- und Befehlsrecht gehabt. Führung und Initiative hätten bei der Reichsregierung, beim Reichskommissar Seyss-Inquart persönlich und bei dessen Generalkommissar Sch. sowie bei dem von dem Reichskommissar als Judenkommissar ernennten Dr. B. gelegen. R. sei als Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF) auch dadurch ausgeschaltet gewesen, daß H. in seiner reichspolizeilichen Funktion als Reichskommissar für die Lösung der Judenfrage zu seinem Sub-Kommissar für die Judenfrage in den Niederlanden den Befehlshaber der Sicherheitspolizei Dr. H. bestellt habe. R. habe als oberstes Polizei-Exekutivorgan der Niederlande nur im Rahmen der ihm erteilten Weisungen die zur Durchführung der Aktionen notwendigen Anordnungen mit rein verwaltungsmäßigem Charakter gegeben. Er habe an den Judenkonferenzen nur in seiner Funktion als Generalkommissar teilgenommen, die wichtigsten dort gefaßten Entschlüsse und Entscheidungen stenographiert, veröffentlicht und in Berichten an Himmler weiter gegeben. Die Veröffentlichung und die Bereitstellung von Polizeikräften hätte er nicht verweigern können, da dies eine grobe Amtspflichtverletzung gewesen wäre. Im übrigen habe er nicht gewußt und auch nicht annehmen können, daß die Reichsregierung mit ihren Aktionen einen verbrecherischen Zweck verfolgt habe. Bei den unter dem Stichwort "Silbertanne" durchgeführten Aktionen, die zu der Erschießung von Holländern geführt hätten, habe es sich um völkerrechtlich gerechtfertigte Repressalien für vorangegangene Morde gehandelt, wofür die Zeugen D., ..., ..., ..., H. und Schr. benannt würden. Diese Maßnahmen seien erst ergriffen worden, nachdem die kriminalpolizeilichen Bekämpfungsmethoden, Geiselmaßnahmen und Kontributionen erfolglos geblieben und in besonderen Erlassen des R. wiederholt auf die Inaussichtnahme von Repressalien hingewiesen worden sein. Im Laufe des Sorters 1943 seien, auf Befehl Hitlers Pläne für die Bekämpfung des verstärkt aufgetretenen Mordterrors ausgearbeitet worden. Dabei habe die Auffassung Hitlers, förmliche Geiselerschießungen durch die Besatzungsmacht könnten allzu viele Märtyrer schaffen, eine entscheidende Rolle gespielt. Unter dem Begriff "Silbertanne" hätten gemäß den Besprechungen mit dem Reichskommissar Seyss-Inquart getarnte Repressalakte innerhalb von 24 Stunden nach einem Mordanschlag der holländischen Untergrundbewegung in einer für diese Gruppe als Repressalie erkennbaren Weise durchgeführt werden sollen. Aus vorhandenen Geisellisten oder in Zusammenarbeit mit örtlichen deutschfreundlichen holländischen oder deutschen Verwaltungsinstanzen seien die Adressen von regelmäßig drei als Opfern vorgesehenen Holländern ausgesucht worden, wobei man darauf geachtet habe, daß es sich um Personen handelte, die in unmittelbarer Umgebung des jeweiligen Attentatsortes gewohnt hätten und von denen bekannt gewesen sei, daß sie mit Widerständlern in Verbindung gestanden hätten oder zu ihnen gehörten. Diese so ausgewählten Opfer seien von den holländischen - in Zivil aufgetretenen - SS-Angehörigen zumeist in ihrer Wohnung aufgesucht und niedergeschossen worden. Das vor den holländischen Gerichten gegen R. durchgeführte Verfahren habe an wesentlichen Mängeln gelitten. Die Anklageschrift sei nicht klar und bestimmt gewesen und R. nicht ausreichend lange belassen worden. Ein deutscher Verteidiger (anstelle oder neben dem holländischen Verteidiger) sei ihm nicht zugebilligt worden. Ferner seien zahlreiche Entlastungszeugen nicht gehört worden, R. hätte - von dem Schuldausschließungsgrund des § 47 MStGB abgesehen - allenfalls wegen Beihilfe verurteilt werden dürfen, nicht aber nach einem erst nach der Begehung der vorgeworfenen Handlungen geschaffenen Gesetz. Ein deutsches Gericht hätte ihn nicht zum Tode oder zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt.

Die Kläger haben ferner beantragt, ein völkerrechtliches Gutachten über die Frage der Zulässigkeit der Geiselerschießungen und der Maßnahmen im Rahmen der sog. Silbertannenaktion einzuholen. Dem Landessozialgericht (LSG) hat eine deutsche Übersetzung der beiden niederländischen Urteile Vorgelegen. Die Kläger haben Lichtpausen von Notizen des R. (aus Juni 1948), die Einwendungen des R. gegen das Urteil vom 4. Mai 1948 betreffen, vorgelegt.

Der Beklagte hat ua ausgeführt, die Auslieferung des R. an die holländischen Behörden als Folge der bedingungslosen Kapitulation und das Todesurteil des holländischen Gerichts mit nachfolgender Vollstreckung könnten sachlich und verfahrensrechtlich nicht als Willkür- und Gewaltakte bezeichnet und deshalb auch, nicht als eine besondere Gefahr im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. d des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) angesehen werden. Die Deportation der Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht und auf den Gesundheitszustand der Betroffenen habe zur Folge haben müssen, daß viele schon die Strapazen des Transports nicht überstellen würden. Darüber sei sich R. im klaren gewesen und habe deshalb zumindest im Sinne eines bedingten Vorsatzes diesen Tatbestand in seinen Willen aufgenommen. Im Hinblick auf seine hohe Stellung sei im übrigen unglaubwürdig, daß er von der den Juden zugedachten "Endlösung" nichts gewußt habe.

Mit Urteil vom 29. Juni 1966 hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, Versorgung könne nach den Vorschriften der für die Zeit bis zum 30. September 1950 geltenden Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 i.V.m. Nr. 1, 2 und 3 der Sozialversicherungsanordnung (SVA) 11 und - für die Seit ab 1. Oktober 1950 - nach den §§ 38, 1, 5 BVG nur gewährt werden, wenn R. an den Folgen einer Schädigung gestorben wäre. Wenn R. im Mai 1945 wegen seiner Zugehörigkeit zu einem militärischen Verband in die Gewalt des Feindes geraten und deshalb Gefangener geworden sei, so sei sein Tod doch nicht die Folge der Kriegsgefangenschaft (§ 1 Abs. 2 Buchst. b BVG). R. sei nicht wegen seines militärischen Einsatzes verurteilt worden, sondern wegen ihm zur Last gelegter Handlungen, die er als Generalkommissar für das Sicherheitswesen und als Höherer SS- und Polizeiführer in den besetzten Niederlanden begangen habe. Er wäre auch dann zum Tode verurteilt worden, wenn er ausschließlich als Zivilist tätig gewesen und an die Niederlande ausgeliefert worden wäre. Deshalb seien sein militärischer Einsatz im Kriege und die Gefangenschaft nicht wesentliche Bedingung, für die Hinrichtung. Der Tod des R. könne nur dann als Folge eines schädigenden Vorgangs im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG angesehen werden, wenn er infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen oder ehemals deutsch besetzten Gebietes zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sei. Dies sei nicht der Fall, wenn es sich um Maßnahmen handele, die ihrer Art nach auch von deutschen Behörden hätten ergriffen werden können. Daraus, daß R. von der Gewahrsamsmacht an die Niederlande ausgeliefert worden sei, obwohl nach deutschem Recht ein Deutscher nicht hätte ausgeliefert werden dürfen, könne zugunsten der Kläger nichts hergeleitet werden, weil die Besatzungsmächte im Jahre 1946 die oberste Gewalt in Deutschland ausgeübt hätten und sich an die deutschen Gesetze nicht hätten zu halten brauchen. Die von den Besatzungsmächten gegen sog. Kriegsverbrecher gefällten Strafurteile seien zwar gemäß Art. 6 Abs. 11 des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Besatzungsmächten abgeschlossenen "Überleitungsvertrages" vom 30. März 1955 (BGBl II 405) nicht als für die Bundesrepublik verbindlich anerkannt worden. Die der Nichtanerkennung zugrunde liegenden Erwägungen träfen auch auf Kriegsverbrecherurteile zu, die im Ausland von anderen als den drei Besatzungsmächten gefällt worden seien. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) falle eine von einem Gericht der Besatzungsmacht oder einem entsprechenden ausländischen Gericht verhängte Strafe aber nur dann unter den Begriff der schädigenden Vorgänge im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG, wenn sie dem Unrechtsgehalt der Straftat unverkennbar nicht entsprochen habe und unter Würdigung aller Umstände ein offensichtliches Unrecht darstelle. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn ein deutsches Gericht nach deutschem Gesetz in einem geordneten Prozeßverfahren nicht auf die von den ausländischen Gerichten ausgesprochene Todesstrafe hätte erkennen dürfen. Die gegen R. erlassenen holländischen Strafurteile seien kein offensichtliches Unrecht gewesen. Die Todesstrafe sei am 25. März 1949 vollzogen worden, also zu einer Zeit, als - vor Inkrafttreten des Grundgesetzes (GG) am 24. Mai 1949 (Art. 102 GG) - auch nach deutschen Recht die Todesstrafe noch zulässig gewesen sei. Den Behauptungen der Kläger über verfahrensrechtliche Verstöße habe nicht weiter nachgegangen werden müssen, weil auch bei Vermeidung dieser Mängel das Urteil wahrscheinlich nicht anders ausgefallen wäre. Die auf den freien Geständnissen und auf den während seiner Amtszeit verfertigten Berichten des S. beruhenden Teilfeststellungen hätten in jedem Fall das ergangene Urteil gerechtfertigt. Es komme auch nur darauf an, ob die Todesstrafe nach dem deutschen Recht zulässig gewesen sei (BSG Urteil vom 13. Februar 1964 - 8 RV 1133/61 -). Bei der hiernach vorzunehmenden Prüfung, ob ein Todesurteil nach deutschen Rechtsnormen nicht ausgeschlossen gewesen sei, hätten die Einzelanklagen, die Verbrechen gegen die Freiheit und gegen Vermögen zum Gegenstand gehabt hätten, auszuscheiden, weil diese Straftaten, nämlich Menschenraub und Verschleppung (Verhaftung und Deportation von Juden, Fremdarbeitern und Studenten) auch bei Tatmehrheit keine höhere als eine zeitige Zuchthausstrafe zugelassen hätten (§§ 254, 234 a StGB), und weil die Eigentumsdelikte (Wegnahme von Hausrat und Bekleidung, Beschlagnahme von Rundfunkgeräten) nach deutschem Recht nur mit einer zeitigen Freiheitsstrafe (§§ 243, 249, 250 StGB), in Ausnahmefällen (§ 251 StGB) mit lebenslangem Zuchthaus geahndet würden. Die Todesstrafe habe das deutsche Strafgesetzbuch bis zum Jahre 1949 nur bei Mord vorgesehen (§ 211 StGB).

Wegen der Deportation der Juden aus Holland nach dem Osten hätte R. wegen Beihilfe zum Tode verurteilt werden können, wenn er zu deren Ermordung in den Konzentrationslagern wenigstens wissentlich Hilfe geleistet hätte (§ 49 StGB). Es könne zwar nicht zweifelhaft sein, daß S. bei Massenverhaftungen der Juden in Holland, ihrer Zusammenziehung in Konzentrationslagern und ihrem Abschub über die holländische Grenze aktiv und in intensiver Weise mitgewirkt habe. Daß er sich in die Behandlung der Judenangelegenheiten stark eingemischt habe, ergebe die im Prozeß verlesene schriftliche Erklärung des früheren Befehlshabers der Sicherheitspolizei in Holland Dr. H.. Seine persönliche Mitwirkung, besonders auch hinsichtlich des Abtransports der Juden, sei seinen Schreiben an den Reichsführer SS Himmler vom 10. September 1942, 24. September 1942 und vom 9. Oktober oder 7. Oktober 1942 zu entnehmen (die in dem Urteil des LSG auszugsweise wiedergegeben sind). Für seine innere Einstellung zu dem ganzen Komplex sei seine von dem Zeugen van E. stenographierte Rede vom 22. März 1943 vor einer Versammlung der SS bezeichnend, in der es heiße: "Vor allem ein SS-Mann muß schonungslos und mitleidlos durchgehen .... Es soll in Europa kein Jude mehr übrig bleiben .... Ich will gern mit meiner Seele im Himmel büßen, was ich hier gegen die Juden verbrochen habe". R. habe im Prozeß auch keinen Zweifel daran gelassen, daß ihm die Entfernung der Juden aus den Niederlanden angelegen gewesen sei, und zugegeben, daß ihm die Existenz der Judenlager Mauthausen und Sachsenhausen bekannt gewesen sei. Daß er darüber hinaus auch von der Existenz des Lagers Auschwitz gewußt habe, lasse sich aus dem geheimen Schreiben vom 5. Mai 1943 (Dr. H.?) entnehmen, in dem zum Ausdruck gekommen sei, daß in den Monaten Mai und Juni eine Höchstzahl von Juden aus dem Westen benötigt werde, "da in Auschwitz ein neues Bunawerk aufgebaut" werde. R. habe jedoch nachdrücklich bestritten, davon gewußt zu haben, daß beabsichtigt gewesen sei, die deportierten Juden zu töten. Diese Einlassung sei ihm auch im Prozeß nicht widerlegt worden, wenngleich ein erheblicher Verdacht, daß R. von den Vernichtungslagern gewußt habe, bestehen bleibe. Es könne allerdings, worauf der Beklagte mit Recht hingewiesen habe, nicht übersehen werden, daß sich die Deportierung auch auf Kinder sowie Kranke und auch alte Menschen bezogen habe, hinsichtlich derer mit der Möglichkeit zu rechnen gewesen sei, daß sie die Strapazen des Transports nicht überstehen würden. R. wäre an dem Tod dieser Betroffenen bereits schuldig gewesen, wenn er den Tod auf diese Weise zwar nur für möglich gehalten habe, jedoch für den Fall, daß Deportierte bei dem Transport starben, damit einverstanden gewesen sei. Daß dies der Fall gewesen sei, sei ihm aber ebenfalls nicht nachzuweisen.

Nach den Angaben des R. seien Aktionen unter dem Stichwort "Silbertanne" in 23 oder 24 Fällen durchgeführt worden. Diese Aktionen seien im Benehmen mit der deutschen Sicherheitspolizei - es sei vereinbart worden, daß diese für den erforderlichen Transport sowie für Kleidung und etwaige falsche Ausweise sorgen würde - von Kommandos der holländischen "Germanischen SS" nach Anschlägen durch gerührt worden, die von holländischer Seite gegen mit den Deutschen sympathisierende Holländer verübt worden seien. Diese Vorgänge, bei denen Menschen vorsätzlich getötet worden seien, seien durch die von R. erlassenen Bekanntmachungen, seine Berichte an Himmler, zu Protokoll gegebenen Erklärungen, vor allem aber auch durch die eigenen Einlassungen des R., der die Aktionen zugegeben habe, belegt. Die repressiven Erschießungen in Zwolle (November 1944), Amersfoort (Oktober 1942), Haarlem (Januar/Februar 1943), Amsterdam (Februar 1944) und Rotterdam (Juli 1944) müßten jedoch außer Betracht bleiben, da der Sachverhalt insoweit nicht hinreichend geklärt sei, um hier Mord feststellen zu können. Es verblieben hingegen im wesentlichen noch folgende Fälle:

1.) Soest: Hier seien am 11. Januar 1944 durch Widerstandsleute ein Waffen-SS-Mann oder zwei angeschossen bzw. ein Waffen-SS-Mann erschossen worden. Dafür seien im Januar 1944 in Soest vom SD 24 Personen festgenommen und dabei zwei "auf der Flucht" erschossen worden. Am 15. Januar seien nochmals drei Personen verhaftet und erschossen worden.

2.) Leiden: Nach einem Anschlag auf den Direktor des Arbeitsamts am 3. Januar 1944 in Leiden sei eine größere Anzahl Leidener Einwohner verhaftet, drei oder vier von ihnen, darunter ein Dr. F., "auf der Flucht" erschossen worden.

3.) Groningen: Wegen eines im Januar 1944 vom Rad heruntergeschossenen holländischen Polizeileutnants seien am gleichen Tage 50 Personen aus Groningen und Umgebung festgenommen, dabei fünf von ihnen "auf der Flucht und bei Widerstandsleistung" erschossen worden.

4.) Am 25. September 1943 seien in Ruinervold (Provinz Drenthe) der mit den Deutschen sympathisierende Bauer O. erschossen und seine Frau schwer verletzt worden. Zur Vergeltung seien im gleichen Monat nachts der Chirurg R. in M., der Leiter der Christlichen Volksschule in S. sowie ein "Garagist" in Dedemsvaart durch ein Kommando erschossen worden.

In den Fällen Soest, Groningen, Leiden, M., S. und Dedemsvaart sei der Tatbestand des Mordes nach § 211 StGB idF des Gesetzes vom 4. September 1941 (RGBl I 549) erfüllt. Hiernach werde der Mörder, d.h. wer aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam einen Menschen töte, mit dem Tode bestraft. "Heimtückisch" bedeute dabei ein bewußt den offenen Kampf scheuendes, falsch (verschlagen oder listig) auf Täuschung berechnetes Verhalten, wodurch die Verteidigung des Angegriffenen vereitelt oder erschwert werde. Heimtückisch sei ferner die bewußte Ausnutzung der Arglosigkeit und Wehrlosigkeit des Opfers. In diesen Fällen seien Menschen "auf der Flucht" erschossen worden. Das habe aber in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes nichts anderes als das von vornherein geplante Erschießen von Menschen bedeutet. Fluchtversuch sei in diesen Fällen zur Bemäntelung einer von vornherein beabsichtigten Tötung nur vorgeschützt worden. Daß in den genannten Fällen so gehandelt worden sei, ergebe sich aus der eigenen Erklärung des R. im Prozeß, "auf der Flucht erschossen" sei immer eine der - gesteuerten - Aktionen gewesen, die später unter dem besonderen Deckwort "Silbertanne" durchgeführt worden seien. In dem Urteil des LSG ist weiter im Einzelnen ausgeführt, daß in allen vorgenannten Fällen die Tötung der Opfer heimtückisch erfolgt sei und R. bei der Durchführung mitgewirkt habe, R. habe in den vorgenannten Fällen nicht nur wissentlich. Hilfe geleistet (§ 49 StGB), sondern er sei als Mittäter anzusehen. Er sei kraft seiner umfassenden Stellung als Befehlshaber der gesamten Polizei in den besetzten Niederlanden nach Macht und Einfluß und auch willensmäßig die beherrschende Gestalt gewesen, die letztlich den gesamten Geschehensablauf mitbestimmt habe. R. habe auch hinsichtlich der inneren Tatseite den Tatbestand des § 211 StGB als Mittäter erfüllt.

Die Handlungen wären allerdings trotzdem nicht rechtswidrig gewesen, wenn sie auf Grund des Völkerrechts zulässig gewesen seien. Das sei jedoch nicht der Fall. Die R. zur Last gelegten Fälle der Erschießung von Menschen seien Repressivmaßnahmen oder - völkerrechtlich - Repressalien gewesen. Repressalien könnten eine vom Völkerrecht gebilligte Antwort auf Völkerrechtsdelikte sein. In Holland sei die Widerstandsbewegung seit dem Jahre 1943 sehr aktiv geworden; die Zahl der Sabotageakte und der Attentate habe schließlich ein ganz außerordentliches Ausmaß angenommen. Diese Handlungen seien in hinterhältiger Weise von Personen durchgeführt worden, die den Begriff eines "Kriegführenden" im Sinne des Art. 1 der Haager Landkriegsordnung (LKO) nicht erfüllt hätten, deshalb seien die Handlungen völkerrechtswidrig gewesen. Nach der Kapitulation der niederländischen Streitkräfte am 15. Juli 1940 sei die deutsche Besatzungsmacht nach Art. 43 der Anlage zu dem Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 18. Oktober 1907 (Haager-Lendkriegsordnung -LKO-) verpflichtet gewesen, die erforderlichen Vorkehrungen zur Herstellung und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu treffen. Die holländische Bevölkerung habe der Besatzungsmacht zwar keine Treue, jedoch Gehorsam geschuldet. Die hiernach gerechtfertigte Befugnis, Repressalien durchzuführen, habe R. als dem für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verantwortlichen Generalkommissar und Höheren SS- und Polizeiführer in den Niederlanden zugestanden. Nach den in der Völkerrechtslehre herausgestellten Grundsätzen seien Repressalien jedoch nur dann gestattet, wenn der Repressalienzweck nicht auf andere Weise erreicht werden könne. Die Auswahl der Mittel müsse in erster Linie der Intensität der Rechtsverletzung, der Stärke des Angriffs angepaßt sein. Die Repressalien dürften zwar nach Art und Maß über die dem Berechtigten zugefügte Verletzung hinausgehen, aber nicht außer Verhältnis zu der vorangegangenen Rechtsverletzung stehen, gegen die sie sich wende. Würden diese Grenzen des Repressalienrechts nicht beachtet, liege ein Repressalienexzeß vor, für den der Täter verantwortlich sei.

Durch Art. 34 des IV. Genfer Abkommens vom 12. August 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten sei zwar dem Repressalienrecht nunmehr insofern eine Grenze gesetzt worden, als seitdem das Festnehmen von Geiseln kriegsvölkerrechtlich untersagt sei. Bis dahin habe aber die deutsche Völkerrechtslehre für den Kriegsfall das Recht der Geiselnahme aus der Bevölkerung des gegnerischen Staates bei völkerrechtswidrigen Akten des Gegners bejaht. Bei besonders schweren Völkerrechtsverletzungen hätten die Geiseln auch, getötet werden können. In Übereinstimmung mit dieser Rechtsauffassung sei auch noch in den Nürnberger Prozessen die Zulässigkeit der Tötung von Personen als Repressalie anerkannt worden, so zB in dem Urteil gegen die Südost-Generale vom 9. Februar 1948. Für die Rechtmäßigkeit von Repressivtötungen sei ohne Belang gewesen, ob sie sich gegen Personen richteten, die schon vor dem völkerrechtswidrigen Akt der Gegenseite in Haft gewesen (eigentliche Geiseln) oder aber gegen solche, die, wie hier, erst nachher ad hoc herangezogen worden seien (Sühnegefangene). Voraussetzung der Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen sei allerdings gewesen, daß sie im voraus öffentlich angedroht worden seien, außerdem sei die öffentliche Bekanntmachung der durchgeführten Repressalmaßnahmen (Notifikation) erforderlich gewesen. Die erstgenannte Voraussetzung sei hier insofern immerhin hinlänglich erfüllt gewesen, als die Besatzungsmacht, wie R. im Prozeß unwiderlegt erklärt habe, immer wieder gewarnt habe. Auch dem Erfordernis der Notifikation sei Genüge getan worden, obgleich bei den in Rede stehenden Fällen nicht festgestellt worden sei, daß eine ausdrückliche Bekanntgabe der Erschießungen erfolgt sei. Eine solche sei auch nicht erforderlich gewesen. Wie R. immer wieder erklärt habe, seien nur solche Personen als Opfer der Erschießungen ausgesucht worden, die in der Widerstandsbewegung hervorstechend, vor allein als "Drahtzieher", tätig gewesen seien. Daß sich dieser Umstand in einer engen, organisierten und verschworenen Gemeinschaft nicht herumgesprochen habe, würde jeder Lebenserfahrung zuwiderlaufen. Eine Notifikation sei auch deshalb nicht erforderlich gewesen, weil sie sich gegen einen Personenkreis gerichtet habe, der für die einzelnen illegalen Handlungen der Widerständler "solidarisch mitverantwortlich" gewesen sei. Eine ausdrückliche Bekanntmachung wäre unter diesen Umständen eine reine Formalität gewesen, die keinen Einfluß auf die Hechtmäßigkeit der Repressalie gehabt hätte. Deshalb hätte es auch der Vernehmung der hierzu von den Klägern genannten Zeugen nicht bedurft. Hier sei jedoch das Prinzip der Proportionalität nicht eingehalten worden, denn es seien im Falle Soest 2, im Falle Leiden 3 oder 4, im Falle Groningen 5 Personen für einen Deutschen bzw. mit den Deutschen zusammenarbeitenden Holländer erschossen worden. Der Wert eines Menschenlebens gebiete aber, bei der Tötung von Menschen im Wege der Repressalie das Proportionalitätsprinzip in einem strengen Sinn anzuwenden, d.h. in solchen Fällen nur das Verhältnis 1:1 anzuerkennen (vgl. Schütze, Die Repressalie unter besonderer Berücksichtigung der Kriegsverbrecherprozesse S. 15, richtig: S. 95). Seien hiernach die Tötungen schon ihrem Umfang nach rechtlich nicht zu billigen, so seien sie vor allem auch deswegen völkerrechtlich unerlaubt gewesen, weil sie nicht in Wege der Exekution, sondern in der verwerflichen Form des Mordes erfolgt seien. Als Verbrechen besonderer und perfider Art stehe der Mord so außerhalb der Rechts- und Lebensordnung aller Kulturvölker, daß er auch durch Völkerrecht niemals gerechtfertigt werden könnte. Ein solcher Rechtssatz sei zwar in den Normen des Völkerrechts nicht ausdrücklich festgelegt worden, er sei aber so evidenter Art, daß er als eine mit der sozial-menschlichen Wirklichkeit gegebene natürliche Regelung angesehen werden müsse. Völkerrechtliche Regeln und Normen auch des Kriegsrechts, die sich unmittelbar an den Einzelnen richteten, müßten im übrigen auch von den inländischen Behörden und Gerichten befolgt werden, gleichgültig, was das nationale Recht vorschreibe. Eine Verletzung völkerrechtlicher, dem Einzelnen auferlegter Pflichten sei auch, das Kriegsverbrechen. Die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahmen, durch die der Tatbestand des Mordes erfüllt sei, sei auch durch den Grundsatz der Gegenseitigkeit, des "zu quoque", nicht ausgeschlossen. Auf keinen Fall insbesondere dürfe dieser Grundsatz zur Straflosigkeit von nach staatlichem Recht strafbaren Unmenschlichkeitsverbrechen führen (Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht S. 416; BGHSt 15, 215). Nach der in allen Kulturnationen geltenden Rechtsüberzeugung, daß das Recht des Menschen auf das Leben in erhöhtem Maße geschützt worden müsse, seien Tötungen ohne gerichtliches Urteil überhaupt nur zulässig, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergäben (BGHSt aaO, BGH in NJW 1961, 375). Die in Frage stehenden Tötungen seien auch nicht aus einem völkerrechtlichen Notstand gerechtfertigt gewesen. Die Widerstandsbewegung sei zwar für die deutsche Besatzungsmacht eine Quelle ständiger Beunruhigung gewesen. Sie habe jedoch keineswegs eine auf andere Weise nicht zu beseitigende militärische Notlage, keine Gefahr dargestellt, die die Existenz der Truppe, ihre Einsatzfähigkeit oder Schlagkraft ernstlich gefährdet hätte. Die Tötungen seien auch nicht unter dem Gesichtspunkt des strafrechtlichen Notstandes oder eines übergesetzlichen Notstandes gerechtfertigt gewesen, der als Rechtfertigungsgrund in Betracht käme, wenn die Verletzung des minderwertigeren Gutes das einzige Mittel zur Rettung eines höherwertigen Rechtsgutes sei. Zwar sei durch die Anschläge eine stets latent vorhandene gegenwärtige Dauergefahr entstanden; jedoch habe es sich bei dem Leben der durch die Anschläge Bedrohten und dem Leben der bei den Vergeltungsaktionen getöteten Personen nicht um Güter von verschiedenem Wert, sondern um rechtlich und sozialethisch gleichwertige Güter gehandelt. R. habe zu seiner Verteidigung geltend gemacht, etwa drei bis vier Wochen vor der ersten Aktion "Silbertanne" sei bei ihm über den Reichsführer SS ein Befehl Hitlers eingetroffen, mit dem angedroht worden sei, daß mit Rücksicht auf die zunehmenden politischen Morde gegen germanische Nationalsozialisten in den nordischen Ländern deren Nationalsozialisten der politische Gegenmord im Verhältnis 1 : 3 freigestellt werde, und daß die deutsche Sicherheitspolizei weitgehend Unterstützung zu leisten habe. Durch einen Befehl Himmlers sei das Verhältnis auf erhöht worden, im Frühjahr 1944 habe ein weiterer 1 : 6 erhöht worden, im Frühjahr 1944 habe ein weiterer Führerbefehl das Verhältnis auf 1: 10 festgesetzt. Daß R. hiernach auf Befehl gehandelt habe, entschuldige ihn aber allein noch nicht; denn ein staatlich angeordnetes Verbrechen befreie die Beteiligten nicht von strafrechtlicher Schuld. Auf § 47 MStGB habe er sich nicht berufen können. Der erwähnte Führerbefehl, der sich auf den Gegenmord bezogen und den R. aus dem Gedächtnis wiedergegeben habe, ebenso wie die hierauf beruhenden Befehle Himmlers, seien keine "Befehle in Dienstsachen" im Sinne des § 47 MStGB gewesen. Sie hätten keine Anweisung enthalten, sich in bestimmter Weise zu verhalten, sondern nur in allgemeiner Art den Gegenmord freigestellt, ohne eine konkrete Anweisung zu erteilen, was R. zu veranlassen habe. Ihm sei es über lassen worden, in Bezug auf die zu treffenden Maßnahmen eigene Entschlüsse zu fassen, R. habe sich auch nicht auf den Schuldausschließungsgrund des § 52 StGB berufen können. Dazu wäre erforderlich gewesen, daß ihm die Handlung durch die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben abgenötigt worden sei. Davon könne hier keine Rede sein. Selbst wenn es sich bei den erteilten Befehlen um solche in Dienstsachen gehandelt hätte, wäre das Handeln des R. doch nicht entschuldigt gewesen, denn R. sei sich - wie das LSG näher ausgeführt hat - des Unrechtsgehalts der Befehle bewußt gewesen.

Sollten die unmittelbar Tötenden (Tatmittler), wie hier anzunehmen sei, zwar vorsätzlich, aber möglicherweise nur als Gehilfen gehandelt haben, so sei ... mittelbarer Töter gewesen. Unerheblich sei, ob ein deutsches Gericht möglicherweise nicht auf die Todesstrafe als Regelstrafe (§ 211 Abs. 1 StGB aF), sondern nur auf lebenslanges Zuchthaus erkannt hätte, weil es einen besonderen Ausnahmefall des § 211 Abs. 3 StGB aF angenommen hätte, oder ob deutsche Stellen möglicherweise die Todesstrafe im Wege des Gnadenerweises in eine Freiheitsstrafe hätten umwandeln können (BSG 16, 182). Nach alledem könne die Verurteilung des R. zum Tode und die Vollstreckung des Urteils am 25. März 1949 einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 4 Buchst. bSVD Nr. 27 und § 38 BVG nicht rechtfertigen.

Mit der zugelassenen Revision haben die Kläger verfahrensrechtlich Verletzung der §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und - sachlich-rechtlich - des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG, der §§ 44, 49, 211 StGB aF und des § 47 Abs. 1 Nr. 2 MStGB gerügt. Zu Unrecht habe das LSG angenommen, daß das Verhältnis der Erschießungen zu den Opfern der Attentate im Verhältnis von 1 : 3 einen Repressalienexzeß darstelle. In zahlreichen Fällen hätten 1944 und 1945 die Alliierten in ihren Ankündigungen, Geiseln auf Grund von Attentaten zu erschießen, das Verhältnis von 1 : 10, 1 : 25, 1 : 50 und sogar 1 : 200 zugrunde gelegt. Das LSG habe auch nicht beachtet, daß bereits vor der ersten Repressalie Mordaktionen der holländischen Widerstandsbewegung stattgefunden hätten, die von deutscher Seite nicht beantwortet worden seien. Es hätte berücksichtigen müssen, daß R. unwiderlegt behauptet habe, es seien während der Besatzungszeit 85 Mitglieder der holländischen Nationalsozialisten ermordet worden, denen etwa 45 Opfer der Aktion Silbertanne gegenübergestanden hätten. Die angeordneten Repressalien im Verhältnis von 1 : 3 hätten in einem angemessenen Verhältnis zu dem Umfang der von der holländischen Illegalität verübten Mordtaten und jedenfalls nicht außerhalb eines jeden Verhältnisses gestanden. Das LSG hätte da es nicht über Spezialkenntnisse auf dem Gebiete des Völkerrechts verfügt habe, das Gutachten eines anerkannten Völkerrechtslehrers, insbesondere zur Frage der Angemessenheit der Repressalmaßnahmen und dazu, ob die Repressalien allein wegen der Art und Weise ihres Vollzuges völkerrechtswidrig gewesen seien, einholen müssen. § 211 StGB aF sei durch falsche Auslegung des Begriffs der Heimtücke verletzt, weil die Opfer der Repressalien mindestens nicht arglos gewesen seien, denn bei der holländischen Widerstandsbewegung und den ihr nahestehenden Personen habe es sich um eine verschworene Gemeinschaft gehandelt. Das LSG hätte davon ausgehen müssen, daß jedes Mitglied dieser Gemeinschaft im voraus Kenntnis von einem in seiner räumlichen Umgebung geplanten Terroranschlag gehabt habe. Deshalb und weil die Widerstandsbewegung gewarnt worden sei, habe jedes ihrer Mitglieder damit rechnen müssen, niedergeschossen zu werden, wenn es in unmittelbarer Nähe des Tatortes gewohnt oder sich dort aufgehalten habe. Dies gelte auch für die erste Repressalie. Zu Unrecht sei einem Beweisantrag über die erfolgten Verwarnungen unter Verletzung des § 103 SGG nicht stattgegeben worden. Im übrigen hätten die Opfer der ersten Silbertannenaktion nicht mit ausreichender Sicherheit ermittelt werden können, auch habe sich nicht feststellen lassen, ob sie arglos gewesen seien. Spätere Opfer hätten, da sie mit einer Gegenaktion hätten rechnen müssen, nicht arglos sein können. Rechtsirrtümlich sei auch die Auffassung des LSG, daß selbst ohne Verletzung des Grundsatzes der Proportionalität die Aktionen durch die Art und Weise des Vorgehens der Einsatzkommandos völkerrechtswidrige Aktie gewesen wären. Es sei rechtsdogmatisch unzulässig, einen grundsätzlich völkerrechtsmäßigen Akt nur wegen der Art seines Vollzuges zu einem rechtswidrigen zu stempeln. Überdies habe sich die Intensität der Repressalien nach der Intensität der völkerrechtswidrigen Maßnahmen der Gegenseite zu richten. In Holland habe die Erschießung von "Todeskandidaten" und Sicherheitsgeiseln keine nennenswerte Wirkung auf die Tätigkeit des holländischen Widerstandes gehabt. Deshalb hätten Maßnahmen getroffen werden müssen, die der holländischen Widerstandsbewegung handgreiflich die Brutalität ihres Vorgehens vor Augen geführt und ihre Angehörigen mit der Gefahr konfrontiert hätten, unmittelbar nach einem vom holländischen Widerstand verübten Anschlag getötet zu werden, um sie hierdurch von weiteren völkerrechtswidrigen Handlungen abzuhalten. Auch zu diesem Fragenkreis und dem Schuldausschließungsgrund des "tu quoque" hätte ein Völkerrechtsspezialist gehört werden müssen. Das LSG habe auch nicht hinreichend geprüft, ob R. etwa angenommen habe, daß die Repressalien sowohl nach Umfang, Inhalt und Form durch das Völkerrecht gestattet seien, und inwieweit ihn hierbei ein Verschulden treffe. R. scheine sich vor den holländischen Gerichten auch damit verteidigt zu haben, daß er im Hinblick auf die gröbliche Mißachtung der Gesetze durch die Gegenseite der Verpflichtung enthoben gewesen sei, sich an sie zu halten, und daß ihm insbesondere, um die potentiellen neuen Opfer der Widerstandsbewegung zu schützen, nichts anderes übrig geblieben sei, als zu den Repressalien zu greifen. Mit dieser Einlassung habe sich das LSG nicht hinreichend auseinandergesetzt. Das LSG habe auch zu Unrecht aus der Äußerung des R. "die ganzen Repressivmaßnahmen seien ihm mehr als unangenehm gewesen", abgeleitet, daß er sich der Rechtswidrigkeit seines Tuns bewußt gewesen sei. In Wirklichkeit habe er damit als Offizier des ersten Weltkrieges nur seinen Abscheu gegen eine derartige "Kriegführung" zum Ausdruck gebracht. Selbst wenn ein vermeidbarer Verbotsirrtum Vorgelegen habe, wäre die von einem deutschen Gericht zu verhängende Strafe nur gering gewesen. Zu Unrecht habe das LSG bei der Anwendung des & 47 HStGB das Vorliegen eines Befehls in Dienstsachen verneint. Die Auslegung der dem H. erteilten Befehle durch das LSG, daß sie hinreichend Raum für eigene Entschließungen belassen hätten, sei willkürlich (§ 128 SGG). Das LSG hätte nicht auf die von R. als einem Laien gebrauchte Ausdrucksweise abstellen und nicht ohne weiteres annehmen dürfen, daß ihm das Verhältnis 1:3 "freigestellt" worden sei. Bei zutreffender Auslegung der Anordnung unter Berücksichtigung auch des hohen militärischen Ranges des Befehlsempfängers (R.) und des Anlasses der befohlenen Maßnahmen ergebe sich, daß der Befehl die klare Anordnung enthalten habe, Anschläge auf die gleiche Art und Weise zu beantworten. Es hätte zumindest der genaue Wortlaut der Befehle Hitlers und Himmlers, etwa durch Anfrage bei dem Bundesarchiv, Zentralnachweisstelle in Kornelimünster, ermittelt werden müssen (§ 103 SGG), zumal es nach Auffassung des LSG gerade auf den Wortlaut der Befehle selbst, nicht auf die umschreibende Angabe des R. angekommen sei. Eine Bestrafung des R. als Gehilfe nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 MStGB scheide aus, weil er nicht habe erkennen können, daß die Repressalienbefehle Hitlers und Himmlers eine Handlung betrafen, die die Begehung eines Mordes bezweckt hätte. Er habe die Anordnungen auch nur weitergeleitet, weil er sie als rechtmäßige Akte zur Eindämmung der völkerrechtswidrigen meuchelmörderischen holländischen Tätigkeit angesehen habe. Eine etwa gegen R. von deutschen Gerichten wegen der Durchführung der Befehle in Kenntnis ihres verbrecherischen Zwecks verhängte Strafe hätte gemäß den §§ 49 Abs. 2, 44 Abs. 1 und 2 StGB i.V.m. § 47 Abs. 1 Nr. 2 MStGB nach den Grundsätzen über die Bestrafung des Versuches mit Sicherheit drei Jahre Zuchthaus nicht überschritten.

Im übrigen haben die Kläger sich auf das Urteil des SG Duisburg vom 15. Juni 1967 - 22 V 82/64 - bezogen, das Ausführungen über die Berechtigung der Aktion Silbertanne als Repressalie enthält. Diese Akten wurden beigezogen.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung der angefochtenen Urteile des LSG und des SG Lüneburg vom 18. April 1961 sowie der Bescheide vom 1. August 1958, 3. November 1958 und 15. Januar 1959 den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger ab 1. August 1949 Hinterbliebenenrente zu zahlen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er hat sich im Ergebnis den Ausführungen des Urteils des LSG angeschlossen und noch ausgeführt, daß es auf das Verhältnis der im Hahnen der Aktion Silbertanne getöteten Niederländer (etwa 45) zu der Zahl der Opfer auf der Seite der holländischen Nationalsozialisten (85) nicht ankomme. Die Opfer der ersten Silbertannenaktion seien schon deshalb arglos gewesen, weil die allgemeinen Anordnungen, Repressalien zu ergreifen, nicht genügt hätten, um die Arglosigkeit der späteren Opfer zu beseitigen. Keinesfalls sei vor der ersten Silbertannenaktion angedroht worden, daß nicht unmittelbar Beteiligte heimtückisch gemordet werden sollten. Die Opfer seien arglos gewesen, weil sie sich zumindest zur Zeit der Ausführung der Tat keines Angriffs versehen hätten. Das gelte auch für die folgenden Aktionen. Das LSG habe ein völkerrechtliches Gutachten nicht einzuholen brauchen, denn es habe in weitem Umfange auf die von Völkerrechtlern vertretenen Auffassungen zurückgegriffen. Es habe auch bei der Auslegung der Einlassung des über den Inhalt des ihm erteilten Befehls nicht § 128 SGG verletzt. Ebensowenig lasse sich eine unrichtige Anwendung der 49 Abs. 2, 44 Abs. 1 und 2 StGB feststellen, da die Beihilfe nach den für die Bestrafung des Versuches aufgestellten Grundsätzen habe ermäßigt werden "können", nicht müssen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und deshalb zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG). Sachlich ist sie nicht begründet.

Das LSG hat die Hinterbliebenenansprüche der Kläger für die Zeit bis zum 5. September 1950 gemäß § 4 Buchst. b und § 7 der SVD Nr. 27 i.V.m. der SVA Nr. 11 (Art. I 1 Buchst. e, 2 Buchst. a, II und III) und für die Zeit ab 1. Oktober 1950 nach den §§ 38, 1, 5 BVG abgelehnt, weil der Tod des R. keine Schädigung im Sinne des Versorgungsrechts darstelle, insbesondere nicht auf die Kriegsgefangenschaft (§ 1 Abs. 2 Buchst. b BVG) oder auf schädigende Vorgänge zurückzuführen sei, die infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen oder ehemals deutsch besetzten Gebietes zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sind (§ 1 Abs. 2 Buchst. a, § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG). Soweit das LSG festgestellt hat, daß nicht die Auslieferung des R. an die holländischen Behörden durch die englische Besatzungsmacht und auch nicht die - unterstellte - Kriegsgefangenschaft als wesentliche Bedingung seiner Verurteilung und Hinrichtung angesehen werden können, sondern daß wesentlich hierfür nur das - zutreffend oder unzutreffend - beurteilte Verhalten des R. vor Beginn der Kriegsgefangenschaft gewesen ist, bestehen gegen die Rechtsauffassung des LSG keine Bedenken. Dasselbe gilt von den Grundsätzen, nach denen das LSG die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG beurteilt hat. Die auf Grund der Kapitulation Deutschlands im Jahre 1945 ermöglichte Aburteilung des R. durch holländische Gerichte und die Vollstreckung des Todesurteils sind nur dann schädigende Vorgänge im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG, wenn ein deutsches Gericht nicht auf die Todesstrafe hätte erkennen dürfen und die tatsächlich verhängte Strafe, weil sie nach deutschem Recht dem Unrechtsgehalt der Tat nicht entspricht, ein offensichtliches Unrecht darstellt. Ist der Verurteilte jedoch des Mordes schuldig gewesen und hat er einen Straftatbestand erfüllt, für den das deutsche Strafgesetz (§ 211 StGB) in der damals geltenden Fassung vom 4. September 1941 (RGBl I 549) die Todesstrafe als gerechte Sühne vorgesehen hat, so stellt die Vollstreckung dieses Urteils kein offensichtliches Unrecht dar. Unerheblich ist in diesem Falle auch, ob ein deutsches Gericht im Einzelfalle möglicherweise nicht auf die Todesstrafe als Regelstrafe (§ 211 Abs. 1 StGB aF), sondern auf lebenslängliches Zuchthaus erkannt hätte, oder daß deutsche Stellen möglicherweise im Wege des Gnadenerweises die Todesstrafe ln eine Freiheitsstrafe umgewandelt hätten (BSG 16, 182, 184, 185; 17, 225). Es ist auch nicht entscheidend, unter welchem, rechtlichen Gesichtspunkt und nach welcher - inländischen oder ausländischen - Strafvorschrift auf die Todesstrafe erkannt worden ist, sondern es kommt allein darauf an, welche rechtliche Beurteilung das Verhalten des Verurteilten nach deutschem Recht durch deutsche Gerichte hätte finden müssen und welche Strafe auf Grund des vorliegenden Sachverhalts zulässig gewesen wäre (vgl. BSG Urteil vom 13. Februar 1964 - 8 RV 1133/61 -).

Das LSG hat in den hier zur Erörterung stehenden vier Fällen (Soest, Leiden, Groningen und Ruinervold) einen Repressalienexzeß angenommen, durch den der objektive und subjektive Tatbestand des Mordes, begangen in Mittäterschaft oder mittelbarer Täterschaft, verwirklicht worden sei. Unter Verletzung des Prinzips der Proportionalität seien im Anschluß an die Attentate in Soest 5, in Leiden 3 oder 4, in Groningen 5 und im Falle Ruinervold 3 Personen für ein Opfer der Attentate - Deutsche oder mit ihnen zusammenarbeitende Holländer - erschossen worden. Die Tötungen seien aber vor allem deswegen völkerrechtlich unerlaubt gewesen, weil sie nicht im Wege der Exekution, sondern - ohne gerichtliches Urteil - in der verwerflichen Form des Mordes, nämlich heimtückisch, erfolgt seien.

Der Senat hatte Bedenken, sich ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts der Beurteilung des LSG anzuschließen, daß R. wegen seiner Verantwortlichkeit für die in Frage stehenden Aktionen "Silbertanne" nach § 211 StGB zum Tode hätte verurteilt werden können und aus diesem Grunde der Versorgungsanspruch der Kläger mit Recht abgelehnt worden sei. Bei der Durchführung der Befehle des R. handelte es sich nicht um Maßnahmen, die den in dem Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 18. Oktober 1907 (RGBl 1910, 107) - LKO - geregelten Kriegshandlungen zugeordnet werden könnten. Dieses Abkommen betrifft nur die für die bewaffnete Macht im Kriege geltenden Rechte und Pflichten (Art. 1 und 3 der Anlage zur LKO). Hier war nicht die Truppe aufgeboten und die Tötungen erfolgten nicht auf Befehl eines militärischen Befehlshabers, sondern auf Anordnung des R. in seiner Eigenschaft als der für die innere Ordnung in den Niederlanden verantwortliche Höhere SS- und Polizeiführer und Generalkommissar für das Sicherheitswesen. Die Maßnahmen des R. stellten keine auf Grund der Gebräuche des Landkrieges im Sinne der LKO völkerrechtlich legitimen Kampfhandlungen dar. Denn darunter versteht die LKO nur die Durchführung solcher - rechtmäßiger - Kriegshandlungen, die grundsätzlich in den Entscheidungsbereich der Militärmacht fallen (BGHSt, Urteil vom 15. August 1969 - 1 StR 197/68 -, JZ 1969, 706). Art. 23 Abs. 1 Buchst. b des Anhangs zu dem Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 verbietet im übrigen auch der bewaffneten Macht "die meuchlerische Tötung oder Verwundung von Angehörigen des feindlichen Volkes oder Heeres". Freischärler, die nicht beim Kampf betroffen oder auf der Flucht ergriffen wurden, durften ebensowenig wie Personen, die einer Widerstandsorganisation angehörten oder mit ihr in Verbindung standen, ohne gerichtliches Verfahren getötet werden (EGHSt aaO S. 707).

Nach Art. 50 LKO darf keine Strafe in Geld oder anderer Art über eine ganze Bevölkerung wegen der Handlungen einzelner verhängt werden, für welche die Bevölkerung nicht als "mitverantwortlich" angesehen werden kann. Mit diesem Verbot der Kollektivstrafe wird aber - in Übereinstimmung mit den Ergebnissen des von der Haager Konferenz von 1899 eingesetzten Redaktionskomitees - nicht das Recht der völkerrechtlichen Repressalie einschränkend geregelt, sondern lediglich zum Ausdruck gebracht, daß das Verbot der Kollektivstrafe nur soweit wirksam sei, als die verhängte Sanktion nicht aus anderen Gründen, insbesondere als Repressalie zulässig sei (Schütze, Die Repressalie unter besonderer Berücksichtigung der Kriegsverbrecherprozesse S. 54, 55, 72 bis 77; Strupp-Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, 2. Aufl. Bd. II S. 252; Stichwort: Kollektivstrafe; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht S. 222). Diese Auslegung des Art. 50 LKO war jedenfalls in Deutschland auch hinsichtlich der Tötung von Geiseln anerkannt (Schütze aaO S. 77; Jescheck aaO S. 335 und Note 10). Erst auf Grund des Art. 33 Abs. 1, 3 des IV. Genfer Abkommens zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949 (BGBl 1954 II 917) ist jetzt die Tötung von Geiseln - nach Art. 34 auch ihre Festnahme - absolut verboten. Die im vorliegenden Falle auf der Seite der Widerstandsbewegung getöteten Holländer waren nicht Geiseln im strengen Sinne des Wortes; sie waren nicht im Hinblick auf einen drohenden völkerrechtswidrigen Akt des Gegners als Sicherungsgeiseln in Haft genommen worden, damit hierdurch ein völkerrechtlich einwandfreies Verhalten der Zivilbevölkerung erzwungen werde. Sie waren vielmehr als Sühnegefangene (Sühnegeiseln, Bußgefangene, reprisal prisoners) nach Begehung der Attentate ad hoc verhaftet und erschossen worden. In der Völkerrechtstheorie und in der Praxis der Staaten wurden in der Vergangenheit jedoch Maßnahmen gegen Sühnegefangene nicht etwa aus dem Bereich rechtmäßiger Repressalien ausgeschieden (vgl. Schütze aaO S. 86, 90; Jescheck aaO S. 222, 334; Strupp-Schlochauer aaO Bd. II S. 252). Auch das erste Generalsurteil des Amerikanischen Militärgerichtshofs in Nürnberg vom 9. Februar 1948 (Prozeß der Südost-Generale oder Geiselprozeß) unterscheidet zwar zwischen Geiseln und Sühnegefangenen, hält aber in beiden Fällen die Festnahme von Angehörigen der Zivilbevölkerung wie auch als letzten Ausweg die Erschießung der verhafteten Personen für zulässig, wenn die Täter nicht ermittelt werden können (vgl. Schütze aaO S. 87, 88, 90; Jescheck aaO S. 334). In der Staatspraxis hatte sich die Geiselnahme und Geiseltötung zum feststehenden - barbarischen - Kriegsbrauch entwickelt und, die nationalen Heeresinstruktionen hatten die Geiselnahme durchweg für zulässig erklärt (Schütze aaO S. 79 bis 86; Strupp-Schlochauer aaO Bd. I S. 636; Jescheck aaO S. 222 unter Hinweis auf Art. 358 d der amerikanischen Rules of Land Warfare (idF von 1940) und Art. 461 des britischen Manual of Military Law (idF von 1929), Chapter XIV "The Laws und Usages of War").

Das LSG hat festgestellt, daß nur solche Personen als Opfer der Erschießungen ausgesucht und "auf der Flucht erschossen" worden sind, die in der Widerstandsbewegung hervorstechend, vor allem als "Drahtzieher" tätig gewesen seien. Seine Auffassung, der Wert des Menschenlebens gebiete, bei der Tötung im Wege der Repressalie das Proportionalitätsprinzip in einem strengen Sinne anzuwenden, d.h. in solchen Fällen nur das Verhältnis von 1: 1 anzuerkennen, kann sich für die hier in Betracht kommende Zeit nicht auf einen anerkannten Grundsatz des Völkerrechts stützen. Es hat sich vielmehr die Auffassung durchgesetzt, daß Repressalien, die als solche nicht den Charakter einer Bestrafung oder der Befriedigung des Rachebedürfnisses haben, dennoch nach Art, Umfang und Intensität über die Rechtsverletzung hinausgehen können; sie dürfen nur nicht "außerhalb" jedes Verhältnisses zu ihr stehen (Berber, Lehrbuch des Völkerrechts Bd. 3 S. 90 und Bd. 2 S. 235, 236). Da sie als letztes und äußerstes Beugemittel dazu bestimmt sind, weitere Unrechtshandlungen für die Zukunft zu verhindern, muß die Auswahl der Mittel in erster Linie der Intensität der Rechtsverletzung, der Stärke des Angriffs angepaßt sein (Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 S. 429, 434). Wenn somit auch jedes Übermaß als Repressalienexzeß rechtswidrig ist, so ist doch nirgends festgelegt, nach welchen Maßstäben sich - im übrigen - die Proportionalität der Repressalie zu richten hat (Jescheck aaO S. 223 und Note 15 ebenda).

Bis zum Anwachsen der Partisanentätigkeit im 2. Weltkrieg ist das Verhältnis von 1 : 3 oder auch 1 : 5 sogar noch erheblich überschritten worden (1 : 10). Dieses Verhältnis wurde dann unter offensichtlicher Verletzung des Repressalienrechts im 2. Weltkrieg von Deutschland überhaupt nicht mehr beachtet (Strupp-Schlochauer aaO Bd. I S. 636). Aber auch alliierte Befehlshaber haben gegen Ende des 2. Weltkrieges Erschießungen von Geiseln im Verhältnis von 10 : 1, 25: 1 und mehr öffentlich angedroht (vgl. Schütze aaO S. 94, Jescheck aaO S. 225 Note 15) und im Einzelfall im Verhältnis von 1 : 4 auch durchgeführt (Jescheck aaO S. 222 Note 12). Ohne genaue Würdigung der örtlichen und zeitlichen Verhältnisse, insbesondere der Zahl und der Bedeutung der im Jahre 1943 und im Januar 1944 von der holländischen Widerstandsbewegung durchgeführten Attentate und der von R. behaupteten umfangreichen Waffenlieferungen aus dem Ausland an die Widerstandsbewegung läßt sich jedenfalls nicht begründen, welche Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Angriffe unbedingt notwendig waren. Die starre Relation von 1 : 1 kann deshalb nicht zum Ausgangspunkt der Prüfung gemacht werden, ob die von R. befohlenen Repressalien die Grenze des völkerrechtlich Erlaubten überschritten haben, wenngleich das Verhältnis von 1 : 3 und in zwei Fällen sogar von 1 : 5 dieser Grenze nahegekommen sein mag oder sie überschritten haben könnte.

Das LSG hat die Tötungen vor allem aber auch deswegen für völkerrechtswidrig gehalten, weil sie nicht im Wege der Exekution, sondern in der verwerflichen Form des Mordes ohne gerichtliches Verfahren durchgeführt worden seien. In dem bereits erwähnten ersten Generalsurteil ist zwar zum Ausdruck gebracht worden, daß vor der Vollstreckung rechtlichen Voraussetzungen der Erschießung von Geiseln oder Sühnegefangenen in einer kriegsgerichtlichen Entscheidung geprüft und festgestellt werden müßten (vgl. S. 91; Jescheck aaO S. 334). Jescheck bemerkt hierzu (S. 335), daß, soweit ersichtlich, dies bisher (bis 1952) weder in der Literatur vertreten noch in der Praxis befolgt worden sei; die Anwendung von Repressalien werde als Akt der militärischen Kommandogewalt angesehen (ebenso im Ergebnis Schütze aaO S. 93; Berber aaO Bd. 2. S. 235; einschränkend Strupp-Schlochauer aaO III S. 105: Die Frage sei "umstritten"). Es kann aber dahinstehen, ob dem durch völkerrechtswidrige Handlungen verletzten Rechtssubjekt (hier dem Deutschen Reich) als Besatzungsmacht sachlich und verfahrensrechtlich dieselben Rechte als Beugemaßnahmen zustanden wie der Militärgewalt im Operationsgebiet, wenn sich, wie hier, die rechtswidrigen Handlungen ausschließlich oder überwiegend gegen die innere Ordnung, die Zivilverwaltung und die Besatzungsmacht gerichtet haben. Denn selbst, wenn diese Frage verneint werden müßte, stünde damit noch nicht fest, ob der Täter sich über die Voraussetzungen einer völkerrechtlich zulässigen Repressalie in einem Irrtum befunden hat und inwieweit eine etwaige irrige Vorstellung ihm als Schuld angerechnet werden konnte. Zu dieser Frage enthält das Urteil des LSG keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen. Im übrigen ist es auch schwer miteinander in Einklang zu bringen, wenn das LSG auf der einen Seite eine Notifikation (als Erfordernis der Repressalie), d.h. eine Unterrichtung der Öffentlichkeit von dem Vollzug der Maßnahme, als eine "reine Formalität" für entbehrlich gehalten hat, weil die Maßnahme sich erkennbar gegen die "solidarisch" mitverantwortlichen Angehörigen der Widerstandsbewegung gerichtet hätten, es andererseits aber die an sich für zulässig gehaltene Tötung von Sühnegefangenen als (heimtückischen) Mord gewertet hat. Nach den dargelegten, von der Auffassung des LSG abweichenden rechtlichen Gesichtspunkten, bedürfte es noch weiterer Feststellungen und einer erneuten Würdigung des sich dann ergebenden Sachverhalts, im insbesondere auch zu klären, ob die Tötungen in erster Linie der Rache, also einem Gegenterror, dienen sollten und damit nicht als Repressalien gerechtfertigt waren. Nach Auffassung des Senats war es jedoch nicht erforderlich, die Sache deswegen an das LSG zurückzuverweisen, denn der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Versorgung muß schon aus anderen Gründen abgelehnt werden.

R. hätte nämlich auf Grund seiner Mitwirkung an der Deportation von 110 000 Juden aus Holland bedenkenfrei unter dem strafrechtlichen Gesichtspunkt der Beihilfe zum Mord auch nach deutschem Recht für den Tod der Juden verantwortlich gemacht werden können, die - insbesondere als Kinder, Kranke und alte Menschen - mit Sicherheit den Strapazen des Transports in östliche Gebiete nicht gewachsen sein konnten oder dort in den Lagern auf Grund des unnachsichtlichen Arbeitseinsatzes, der keine Rücksicht auf das Alter nahm und eine sehr hohe Sterblichkeit der Deportierten zur Folge hatte (vgl. Dokumente über Methoden der Judenverfolgung im Ausland, Central Office United Restitution Organization S. 39 und 81 Fußnote) bereits vor der "Endlösung" der Judenfrage, d.h. der planmäßigen Ermordung, umkommen mußten. Das LSG hat festgestellt, es könne nicht zweifelhaft sein, daß R. bei Massenverhaftungen der Juden in Holland, ihrer Zusammenfassung in Konzentrationslagern und ihrem Abschub über die holländische Grenze aktiv und in intensiver Weise mitgewirkt habe. Es hat den Erklärungen des Dr. H... des Befehlshabers der Sicherheitspolizei in Holland, entnommen, daß R. sich in die Behandlung der Judenangelegenheiten stark eingemischt habe. Es hat festgestellt, R. habe im Prozeß keinen Zweifel daran gelassen, daß ihm die Entfernung der Juden aus den Niederlanden angelegen gewesen sei. Es hat seine persönliche Mitwirkung bei den gegen die Juden gerichteten Aktionen, besonders auch hinsichtlich des Abtransports, den Schreiben des R. an Himmler vom 10. September 1942, 24. September 1942 und 9. (oder 7.) Oktober 1942 und seine innere Einstellung zur "Judenfrage" der von ihm am 22. März 1943 vor einer Anzahl deutscher und holländischer SS-Führer gehaltenen, stenographisch aufgenommenen Rede entnommen; dem Senat ist dabei bekannt, daß von R. im Prozeß die inhaltlich genaue Wiedergabe dieser Rede in allgemeiner Form bestritten worden, ist (Het Proces Räuter S. 43, 49). Das LSG hat damit zB auch auf die Erklärungen des R. in dem Schreiben vom 24. September 1942 Bezug genommen, in dem ausgeführt ist, am 15. Oktober (1942) werde das Judentum in Holland für "vogelfrei" erklärt, er werde versuchen, anstatt zwei Zügen je Woche drei zu erhalten und hoffe, daß bis Weihnachten dann im ganzen 50 000 Juden, also die Hälfte, aus Holland entfernt sein würden; am 7. oder 9. Oktober 1942 berichtet er Himmler, er habe in den letzten Tagen 13 000 Juden in Holland "zusammengefangen", der "sogenannte" Judenkommissar des Reichskommissars habe sich mitleidvoll darüber gekränkt, daß eine Woche lang 3000 Juden auf dem Fußboden hätten schlafen müssen; das habe ihm wieder die Möglichkeit geboten, vorzustoßen, um bei dieser Gelegenheit endlich zu erreichen, daß der Parteibeamte des Reichskommissars, der immer noch nebenher als Judenkommissar mitlaufe, abgebaut werde. Der Reichskommissar habe ihm heute zugestimmt, daß die ganze Liquidierung der Judenfrage nunmehr ausschließliche Angelegenheit der Polizei werde, und er sei mit der Entwicklung recht zufrieden. In der ebenfalls von dem LSG berücksichtigten und seinen Feststellungen zugrunde gelegten Rede vom 22. März 1945 hat R. erklärt: "Mein Bestreben ist es, die Juden so schnell wie möglich wegzubekommen. Dies ist keine schöne Aufgabe, es ist schmutzige Arbeit. Aber es ist eine Maßnahme, die geschichtlich gesehen von großer Bedeutung sein wird. Es ist nicht zu ermessen, was es heißt, 120 000 Juden, die nach 100 Jahren vielleicht eine Million stark gewesen waren, aus einem Volkskörper herausgemerzt zu haben. Und bei all diesen Maßnahmen der germanischen SS gibt es kein persönliches Mitleid, denn hinter uns stehen die germanischen Völker. Was wir am Volkskörper gut tun, geschieht unerbittlich, und da gibt es keine Weichheit und keine Schwäche. Wer das nicht versteht oder voll Mitleid oder humanistische Duselei ist, ist nicht geeignet, in dieser Zeit zu führen. Vor allem ein SS-Mann muß schonungslos und mitleidlos durchgehen. Anschließend weist R. in dieser Rede daraufhin, der Führer habe immer wieder zu verstehen gegeben, daß, wenn der amerikanische Plutokratismus den Krieg entfesseln und sich auf Europa stürzen werde, "dies das Ende des europäischen Judentums bedeuten würde". Und so werde es auch geschehen. Es solle in Europa kein Jude mehr übrig bleiben. Er wolle gerne mit seiner Seele im Himmel büßen für das, was er hier gegen die Juden "verbrochen" habe. Wer die Bedeutung des Judentums als Volk und als Rasse erkannt habe, könne nicht anders handeln. Der Inhalt dieser Rede und die von dem LSG ausdrücklich erwähnten Berichte an Himmler, ebenso aber auch die zynische und gefühllose Ausdrucksweise, offenbaren eine Gesinnung, die in blindem Haß und aus fanatischem Eifer gegen das Judentum bereit ist, sich über alle Bindungen der Menschlichkeit, der Moral und des Rechts hinwegzusetzen und mitleidlos an der "Ausmerzung" der Juden mitzuwirken. Das LSG ist gleichwohl zu dem Ergebnis gekommen, die Einlassung des R., er habe nichts davon gewußt, daß beabsichtigt gewesen sei, die deportierten Juden zu töten, sei ihm im Prozeß nicht widerlegt worden. Dem stehe auch nicht entgegen, daß R. von der Existenz nicht nur der Judenlager Mauthausen und Sachsenhausen, sondern auch des Lagers Auschwitz gewußt habe, wo nach den ihm mitgeteilten Informationen ein Bunawerk habe aufgebaut werden sollen, in dem vor allem in den Monaten Mai und Juni (1943) eine Höchstzahl von Juden aus dem Westen benötigt werde. Das LSG hat weiter ausgeführt, es könne allerdings nicht übersehen werden, daß sich die Deportierung auch auf Kinder sowie Kranke und auch alte Menschen bezogen habe: es habe mit der Möglichkeit gerechnet werden müssen, daß sie die Strapazen des Transports nicht überstehen würden. Hätte R. für den Fall, daß Deportierte bei dem Transport starben, einen solchen Tod für möglich gehalten, und wäre er damit einverstanden gewesen, wäre er an ihrem Tod als Täter mit bedingtem Vorsatz schuldig gewesen. Daß dies bei ihm der Fall gewesen sei, sei ihm ebenfalls nicht nachzuweisen; eine Begründung hierfür hat das LSG nicht gegeben.

Der Senat ist der Auffassung, daß diese ohne nähere Begründung und ohne jeden Bezug zu den eigenen tatsächlichen Feststellungen geäußerte Auffassung des LSG lediglich auf einer Annahme beruht, die mit dem von ihm selbst festgestellten Sachverhalt über die ohne Rücksicht auf Alter und Gesundheitszustand der Betroffenen als Verfolgungsmaßnahme durchgeführten Massendeportationen in keiner Weise in Einklang zu bringen ist. Dieser Sachverhalt reicht aber in objektiver und subjektiver Hinsicht aus, um das angefochtene Urteil im Ergebnis zu bestätigen. R. selbst hat in der Rede vom 22. März 1943 die Zahl der in Holland lebenden Juden mit 120 000 beziffert. In dem Urteil des Sonderkassationshofes vom 12. Januar 1949 ist die Zahl der Opfer - nach den Unterlagen des niederländischen Roten Kreuzes - mit ungefähr 110 000 abtransportierten Juden angegeben worden, von denen nur ungefähr 6 000 zurückgekehrt seien. Daß aber die schwachen, kranken und alten Juden die Strapazen des übereilten Massentransports ohne Ausnahme überstehen würden, und daß nicht eine große Anzahl von ihnen den Anstrengungen des Arbeitseinsatzes später erliegen mußten, lag außerhalb jedes 'wirklichkeitsnahen Vorstellungsvermögens, so daß nicht davon ausgegangen werden kann, R. habe mit dem Tod einer großen Anzahl von Juden etwa nicht gerechnet. Es war für jeden, der - wie auch R. - die Hetze gegen die Juden und die Methoden der Judenverfolgung in und außerhalb von Deutschland erlebt hatte, mit Sicherheit vorauszusehen und deshalb auch dem R. bewußt, daß viele von denen, die den Transport noch überstehen würden, später einem qualvollen Tod auf Grund der ihnen - etwa im Arbeitseinsatz - auferlegten Entbehrungen, der körperlichen und geistigen Erschöpfung und einer demütigenden schikanösen Behandlung ausgeliefert sein würden. Dies war gerade den Angehörigen der SS und insbesondere deren Führern, die mit den Judendeportationen befaßt waren, bekannt. Im gesamten deutschen Machtbereich waren die Juden erniedrigt worden und verfemt. Auch in Holland waren sie erniedrigt worden und verfemt. Auch in Holland waren sie nach den eigenen Worten des R. für "vogelfrei" erklärt worden, um sie in Judenlager "einzuziehen". Dabei war für jeden Einsichtigen klar, daß diese Quälereien, Bedrängnisse und Peinigungen in den dem allgemeinen Blickfeld entzogenen Gebieten nur größer werden konnten und die dorthin verschleppten Juden willkürlichen Eingriffen jeder Art noch schutzloser als in Deutschland (oder Holland) ausgeliefert sein würden (vgl. BGHSt 360, 361). Auch R. konnte nicht im Zweifel darüber sein, daß die aus ihrer alten Umgebung roh und grausam herausgerissenen und sich selbst hilflos überlassenen Juden ungünstigsten Lebensbedingungen ausgesetzt sein würden, daß sie teilweise einer Arbeit überhaupt nicht zugeführt werden konnten oder bei dem Versuch, sie dennoch zu verrichten, zugrunde gehen mußten, daß die Zwangsverschickung dieses für jeden erkennbar zur Arbeit nicht geeigneten Teils der jüdischen Bevölkerung zum Zwecke des Arbeitseinsatzes nur ein Vorwand für andere Absichten war, und daß, wie es in dem von der Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht der Universität Hamburg herausgegebenen Werk "Praktische Fragen des Entschädigungsrechts - Judenverfolgung im Ausland -" heißt: "die Deportation ... in vielen Fällen, vor allem gegen Ende des Krieges, den direkten Weg in den Tod" bedeutete (aaO S. 75). Auch ohne statistisch erfaßte Einzeluntersuchungen muß deshalb davon ausgegangen werden, daß viele von den nach den Feststellungen des niederländischen Urteils umgekommenen ca. 104 000 Juden bereits unmittelbar an den angegebenen "unvermeidlichen" Folgen der Deportation oder des Arbeitseinsatzes gestorben sind, und daß R. diese Vorstellung auch in seinen Willen aufgenommen und gebilligt hat. Die Tötung als bewußte und gewollte Folge dieser jedes Rechtsschutzes entbehrenden Behandlung war grausam und erfüllte damit den Tatbestand des Mordes im Sinne des § 211 StGB idF des Gesetzes vom 4. September 1941 (RGBl I 549). Daß der Todeserfolg vielfach erst nach einer längeren Leidenszeit eingetreten sein mag, steht dem Begriff der vorsätzlich grausamen Tötung nicht entgegen. Grausam tötet, wer dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung (die keine allgemeine Tätereigenschaft zu sein braucht) besondere Schmerzen oder Qualen zufügt (BGHSt 3, 180, 264). Wegen Beihilfe zum Mord konnte R. auch dann bestraft werden, wenn er in seiner Person das Tatbestandsmerkmal der grausamen Tötung nicht selbst verwirklicht hat; es genügt, daß er die in dieser Art und Weise ausgeführte Handlung tätig gefördert hat und fördern wollte (BGHSt 2, 251, 252, 255). Auch als Teilnehmer (Gehilfe) konnte ihn auf Grund des § 211 StGB und des § 49 Abs. 2 StGB idE der Strafrechts-Angleichungsverordnung vom 29. Mai 1943 (EGBl I 341) die Todesstrafe treffen, weil die wegen Beihilfe zum Mord verwirkte Strafe nicht nach den über die Bestrafung des Versuchs aufgestellten Grundsätzen ermäßigt werden mußte, sondern nur nach diesen Grundsätzen gemindert werden konnte (vgl. BSG in SozR Nr. 41 zu § 5 BVG). Daß die Zwangsverschickung der Juden auch noch lange nach dem Inkrafttreten der Verordnung vom 29. Mai 1943 fortgesetzt worden ist, ergibt sich aus dem Brief des R. an Himmler vom 2. März 1944.

Die Kläger haben auf die Zuständigkeit der Judenkommissare Dr. H. und Dr. B. hingewiesen, den unmittelbaren Einfluß des R. auf die Zwangsverschickung der Juden bestritten und ausgeführt, seine Tätigkeit habe sich auf polizeiliche Exekutivmaßnahmen und Weitergabe der ohne seine Mitwirkung gefaßten Konferenzbeschlüsse an Himmler beschränkt. Es kann unterstellt werden, daß es zu Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen Dr. H., Dr. B., S. und R. gekommen ist. Daraus kann aber nicht entnommen werden, daß R. keinen Einfluß auf die Durchführung der Deportation ausgeübt hätte. Dies wird schon durch den Inhalt und die Tonart der Berichte, die R. an Himmler gesandt hat, widerlegt. Diese Berichte sind ohne jede Distanz zu der Zwangsdeportation verfaßt; sie verraten, daß R. die Durchführung der Maßnahmen weitgehend als das Ergebnis eigenen Handelns aufgefaßt wissen wollte. Im übrigen beweist auch der Inhalt der den Feststellungen des LSG zugrunde gelegten Rede vom 22. März 1943 nicht nur die wirkliche mit den Befehlsgebern völlig übereinstimmende Gesinnung des R., sondern auch den Eifer, mit dem er die Durchführung der gegen die Juden ergriffenen Maßnahmen betrieben hat. Aus dem Bericht an Himmler vom 7. Oktober 1942 ergibt sich darüber hinaus, daß er nach Kräften sogar bemüht war, den Einfluß des vom Reichskommissar bestellten "Judenkommissars" zurückzudrängen, und zwar mit dem gewollten Erfolg, daß die "Liquidierung der Judenfrage" nunmehr "ausschließliche Angelegenheit der Polizei" wurde.

Bei dieser Sachlage ist es unerheblich, ob dem Sondergerichtshof in Den Haag Verfahrensfehler unterlaufen sind; denn allein schon aus den Berichten des R., deren Echtheit nicht zweifelhaft ist, ergibt sich hinreichend dessen objektiver und subjektiver Tatbeitrag an der Zwangsverschickung der Juden sowie dem Tod zahlreicher dieser Deportierten und damit auch die Berechtigung zur Verhängung der Todesstrafe (vgl. auch BSG 17, 225). Im übrigen hat der Sonderkassationshof in dem Urteil vom 12. Januar 1949 insbesondere das Vorbringen des R. zurückgewiesen, daß die Anklageschrift unzureichend gewesen und ihm diese nicht lange genug belassen worden sei. In diesem Urteil ist auch ausgeführt, daß R. - im ersten Rechtszug - erklärt habe., auf die Vernehmung weiterer Zeugen zu verzichten. Er hat zwar keinen deutschen Verteidiger erhalten, ihm stand aber ein holländischer Verteidiger zur Seite und die Hilfe eines Dolmetschers zur Verfügung.

R. konnte sich au seiner Verteidigung auch nicht mit Erfolg auf den Rechtfertigungsgrund des § 47 MStGB aF berufen. Nach § 47 Abs. 1 MStGB war der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich, wenn durch die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt wurde. Es traf jedoch den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers,

1.) wenn er den erteilten Befehl überschritten hatte oder

2.) wenn ihm bekannt gewesen war, daß der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein allgemeines oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte.

Als Angehöriger eines Polizeiverbandes unterstand R. bei besonderem Einsatz der durch Verordnung vom 17. Oktober 1939 (RGBl I 2107) bestimmten Sondergerichtsbarkeit (§ 1 Nr. 6 dieser Verordnung); für diese Sondergerichtsbarkeit fanden nach § 3 Abs. 1 der Verordnung die Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches und der Militärgerichtsordnung sinngemäß Anwendung. Die in der Rechtsprechung des BGHSt angenommene weite Auslegung des Begriffs "besonderer Einsatz" gestattet es, auch die gegen Juden getroffenen Maßnahmen hiervon nicht auszunehmen (BGHSt 239, 241), zumal das Gebiet des besonderen Einsatzes für die Angehörigen der Polizeiverbände durch Erlasse des damaligen Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei vom 9. April 1940 und 8. August 1942 (vgl. Sommer DJ 1944, 51, 56) während des Krieges für unbeschränkt erklärt worden war (BGH aaO S. 240). War somit an sich § 47 MStGB auf R. anwendbar, so hatte er doch das in § 47 HStGB vorausgesetzte sichere Wissen (BGH 5, 239) von dem verbrecherischen Zweck der ihm erteilten Befehle, denn diese griffen in den Kernbereich des Rechts ein, der nach allgemeiner Rechtsüberzeugung von keinem Gesetz und keiner obrigkeitlichen Anordnung verletzt werden darf und als Inbegriff bestimmter unantastbarer Grundsätze des menschlichen Verhaltens gilt und deshalb rechtsverbindlich bleibt (BGHSt 2, 234, 237). § 47 HStGB schützt den gehorchenden Untergebenen nur, soweit die Autorität des Befehls das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit seiner Durchführung rechtfertigen kann. Der offensichtlich verbrecherische Befehl entbehrt dieser Vertrauensgrundlage. R. hat sich selbst in Kenntnis des Verbrecherischen des Befehls bewußt über alle Schranken hinweggesetzt. Dies ergibt eich besonders deutlich aus seiner Rede vom 22. März 1943, in der er erklärt hat, er wolle gerne mit seiner Seele im Himmel büßen für das, was er hier gegen die Juden "verbrochen" habe. Dieser Sachverhalt schließt zwar nicht aus, daß R., obgleich er wußte, daß der Ihm erteilte Befehl eine Handlung betraf, die ein Verbrechen bezweckte, dennoch glaubte, den Befehl ausführen zu müssen, weil er aus falsch verstandener Gehorsams- oder Treuepflicht auch verbrecherische Befehle für verbindlich hielt. Ein solcher Irrtum würde aber einen von der Rechtsordnung nicht anerkannten Rechtfertigungsgrund betreffen. Er wäre ein Verbotsirrtum, der nach den Grundsätzen zu behandeln wäre, die die Rechtsprechung zum Verbotsirrtum entwickelt hat (BGHSt 22, 223, 225; 2, 194, 197, 209). Der Untergebene ist verantwortlich und kann dann wegen Beihilfe zu vorsätzlicher Begehung der Tat verurteilt werden, wenn er bei der ihm zuzumutenden Anspannung des Gewissens das Unrecht der Befehlsausführung hätte erkennen können und müssen (BGHSt 2, 209). Dabei wird dem blind Gehorchenden in der Regel gerade zum Vorwurf gemacht werden können, daß er "blind", also ohne sein Gewissen zu prüfen, gehorcht hat (BGHSt 22, 226). So liegt der Fall auch hier. Die Ungeheuerlichkeit der R. angesonnenen Mitwirkung zu einem Verbrechen hätte sein Gewissen ansprechen und aufwühlen müssen und zwar auch dann, wenn er in strengstem Gehorsam erzogen worden sein sollte und durch die Tätigkeit in der SS sein persönliches sittliches Verantwortungsgefühl - was unterstellt werden kann - getrübt war. R. konnte sich auch nicht auf Nötigungsstand (§ 52 StGB) berufen. Er hat niemals behauptet, daß Gewalt oder Drohung ihn in einer konkreten Zwangslage vor die Entscheidung gestellt hätte, sich den Deportationsbefehlen gegenüber nicht willfährig zu verhalten und daß er aus einem Gewissenskonflikt heraus etwa versucht hätte, den Befehlen ausweichen, um einer ihm für den Fall der Nichterfüllung drohenden Gefahr für Leib oder Leben zu entgehen. R. konnte insoweit schon deshalb nicht genötigt werden, weil er mit den Maßnahmen, die seiner Gesinnung entsprachen, einverstanden war. Für das, was er veranlaßt hat, hat er im übrigen die volle Verantwortung übernommen. Abgesehen hiervon ist, wer sich auf Nötigungsstand berufen will, nur entschuldigt, wenn er sich nach Kräften gewissenhaft bemüht hat, der Gefahr oder einer vermeintlichen Gefahr auf eine die Straftat vermeidende Weise zu entgehen, ohne einen Ausweg zu finden. Je schwerer die ab genötigte Straftat ist, umso strengere Anforderungen sind an diese Prüfung zu stellen (BGHSt 18, 311). Es ist zwar keinesfalls anzunehmen, daß es R. hätte gelingen können, die Befehlshaber von ihrem Vorhaben abzubringen. Er hat aber auch nichts unternommen, um sich von seiner persönlichen Verantwortung für die strafbaren Handlungen zu befreien. Es besteht auch kein Anhalt dafür, daß er als hoher Offizier - vor Februar 1945 - den Versuch unternommen hätte, einem Heeresverband zugeteilt zu werden, um dadurch einer Verstrickung in die Deportationsmaßnahmen zu entgehen. Bei seiner hohen Stellung und dem Bildungsgrad als Offizier und ehemaligem Diplom-Ingenieur sind viele Möglichkeiten denkbar, die er hätte wahrnehmen können, um zu verhindern, daß er "bei der Verbannung der Juden persönliche Schuld auf sich nahm. Mindestens war ihm ein solcher ernsthafter Versuch zuzumuten.

Da nach alledem auch nach deutschem Recht wegen Beihilfe zum Mord an vielen Juden hätte verurteilt werden können, stellt das - voll streckte - niederländische Todesurteil kein offensichtliches Unrecht i.S. des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG dar; deshalb ist der Versorgungsanspruch der Hinterbliebenen unbegründet. Die Revision der Kläger gegen das Urteil des LSG, das, wenn auch mit anderer Begründung, zu dem gleichen Ergebnis gekommen ist, war somit als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2944743

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