Beteiligte

Landesversicherungsanstalt Hessen

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 15. Juni 1993 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrt die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU). Umstritten ist insbesondere, ob er Berufsschutz als besonders hoch qualifizierter Facharbeiter genießt.

Der 1946 geborene Kläger erlernte den Beruf des Drehers und war anschließend von 1964 bis zum 31. Juli 1988 als Bohrwerksdreher bei einer Werkzeugmaschinenfabrik beschäftigt; seit März 1987 war er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Rückenbeschwerden arbeitsunfähig krank. Nachdem weder eine Bandscheibenoperation noch ein Heilverfahren Besserung gebracht hatten, gewährte die Beklagte ihm durch Bescheid vom 22. Juli 1988 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) auf Zeit vom 20. November 1987 bis zum 30. Juni 1989. Den Antrag auf Weitergewährung der Rente lehnte sie durch Bescheid vom 26. Oktober 1989 ab. Widerspruch, Klage und auch die Berufung des Klägers, mit der er nur noch einen Anspruch auf Gewährung von BU-Rente geltend machte, sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 8. April 1991, Urteil des Sozialgerichts Kassel ≪SG≫ vom 11. Dezember 1991, Urteil des Hessischen Landessozialgericht ≪LSG≫ vom 15. Juni 1993).

Das Berufungsurteil ist auf folgende Erwägungen gestützt: Zur Beurteilung des qualitativen Wertes des „bisherigen Berufs”, von dem es abhänge, auf welche Tätigkeiten ein Versicherter noch verwiesen werden könne, habe die Rechtsprechung ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe nach verschiedenen Leitberufen untergliedere, nämlich dem des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion, des Facharbeiters, des angelernten und des ungelernten Arbeiters. Mit seinem „bisherigen Beruf” eines Bohrwerksdrehers sei der Kläger nach der Lohngruppe VIII des Lohntarifvertrages der Metall- und Elektroindustrie in Hessen (LTV) entlohnt worden; diese erstrecke sich auf besonders schwierige Facharbeiten, die hohe Anforderungen an Können und Wissen stellten und selbständiges Arbeiten voraussetzten. Damit sei er der Gruppe der Facharbeiter, nicht aber der höchsten Gruppe der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion zuzuordnen. Als Facharbeiter müsse er sich zumutbar auf Tätigkeiten als Kontrolleur, Prüfer, Maßprüfer, Qualitätskontrolleur, Teilekontrolleur und Montierer verweisen lassen. Diese Tätigkeiten seien in die Lohngruppe V des LTV, die eine Ausbildung in einem Anlernberuf oder ein Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen erfordere, eingeordnet und gehörten daher zum Bereich der oberen Angelernten, auf den sich ein Facharbeiter unabhängig von der Tarifgruppe, nach der er entlohnt werde, sozial zumutbar verweisen lassen müsse. Mit seinem Restleistungsvermögen, das noch vollschichtige leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen zulasse, könne der Kläger zwar nicht mehr seinen bisherigen Beruf, aber die genannten Verweisungstätigkeiten, für die eine Einarbeitungs- bzw Einweisungszeit von höchstens 3 Monaten erforderlich sei und die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang zur Verfügung ständen, ausüben. Ob der Kläger einen entsprechenden Arbeitsplatz finde, sei nicht Risiko der Beklagten.

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision trägt der Kläger vor: Das LSG habe den Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen sei, unzutreffend beschrieben und ihn zu Unrecht nicht der höchsten Gruppe des Mehrstufenschemas zugerechnet. Zu dieser Gruppe gehörten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht nur – wie das LSG annehme – die Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion, sondern auch die besonders hoch qualifizierten Facharbeiter, die keine Vorgesetztenfunktion ausübten. Das LSG hätte prüfen müssen, ob er nicht zu dieser Gruppe gehört habe. Dazu habe Veranlassung bestanden, weil er nach einer besonders hohen Vergütungsgruppe entlohnt worden sei und auch besonders qualifizierte Arbeiten verrichtet habe, die sich deutlich aus der Facharbeitergruppe herausgehoben hätten. Bei Zuordnung zur höchsten Gruppe des Mehrstufenschemas hätte er nicht mehr auf angelernte Tätigkeiten im oberen Bereich, sondern nur noch auf Facharbeitertätigkeiten verwiesen werden können. Tätigkeiten dieser Art, die er bei seinem Gesundheitszustand noch ausüben könne, gebe es jedoch nicht.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Hessischen LSG vom 15. Juni 1993 sowie das Urteil des SG Kassel vom 11. Dezember 1991 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Oktober 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 1991 zu verurteilen, ihm über den 30. Juni 1989 hinaus auf Dauer Rente wegen BU zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend und trägt vor: für die Einstufung in die Spitzenlohngruppe IX des LTV sei eine erheblich höhere Qualifikation erforderlich als für die Lohngruppe VIII, nach welcher der Kläger entlohnt worden sei. Während die Lohngruppe IX hochwertigste Facharbeiten umfasse, die überragendes Können, große Selbständigkeit, Dispositionsvermögen, umfassende Verantwortung und entsprechende theoretische Kenntnisse erforderten, betreffe die Lohngruppe VIII lediglich besonders schwierige Facharbeiten, die hohe Anforderungen an Können und Wissen stellten und selbständiges Arbeiten voraussetzten. Es sei daher nicht gerechtfertigt, diese beiden Tarifgruppen zusammen in die Spitzengruppe der Lohnskala einzuordnen. Vollends deutlich werde der Unterschied, wenn die nächstniedrigere Lohngruppe VII herangezogen werde, die schwierige Facharbeiten, deren Ausführung langjährige – in Ausnahmefällen durch Anlernung erworbene – Berufserfahrung voraussetze. Die Lohngruppe VIII beinhalte lediglich eine Steigerung der hier genannten Fähigkeiten, während die Lohngruppe IX darüber hinaus besondere Anforderungen in der Person des Arbeitnehmers, nämlich große Selbständigkeit, Dispositionsvermögen, umfassende Verantwortung und entsprechende theoretische Kenntnisse erfordere. Im Mehrstufenschema seien daher zweifellos nur die in Lohngruppe IX genannten Arbeiten als besonders hoch qualifizierte Facharbeiten einzuordnen.

Die Beteiligten haben sich gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Dessen Feststellungen reichen für die Beurteilung, ob der Kläger einen Anspruch auf BU-Rente hat, nicht aus. Es sind ergänzende Feststellungen zur Wertigkeit des „bisherigen Berufs” des Klägers und ggf zu einer zumutbaren Verweisungstätigkeit erforderlich.

Der Anspruch des Klägers auf BU-Rente richtet sich noch nach § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO), denn der Rentenantrag ist bereits im März 1989 – also bis zum 31. März 1992 – gestellt worden und bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – ≪SGB VI≫; vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29).

Berufsunfähig ist nach § 1246 Abs 2 RVO ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Ausgangspunkt für die Prüfung der BU ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der „bisherige Beruf”, den der Versicherte ausgeübt hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 107, 169). In der Regel ist dies die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 130, 164). Hiernach hat das LSG zutreffend angenommen, daß „bisheriger Beruf” des Klägers der von ihm erlernte und fortlaufend bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit versicherungspflichtig ausgeübte Beruf eines Bohrwerksdrehers sei. Diesen Beruf kann der Kläger nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG nicht mehr ausüben. Es ist zwar nicht ersichtlich, wie das LSG ohne eine genaue Ermittlung des Berufsbildes des Bohrwerksdrehers zu diesem Ergebnis kommen konnte. Mangels wirksamer Rügen ist der Senat jedoch an diese Feststellung gebunden (§ 163 SGG). Damit ist der Kläger aber noch nicht berufsunfähig. Es kommt vielmehr darauf an, ob seine Erwerbsfähigkeit noch für zumutbare Verweisungstätigkeiten ausreicht oder nicht.

Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit iS des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO beurteilt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters, des angelernten Arbeiters und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 138, 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl zB SozR 3-2200 § 1246 Nr 33). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere Gruppe, ein Angehöriger der höchsten Gruppe mit dem Leitbild des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters zB also auf Tätigkeiten der Gruppe mit dem Leitbild des Facharbeiters, verwiesen werden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 143 mwN; SozR 3-2200 § 1246 Nr 5).

Ob die Tätigkeit des Klägers als Bohrwerksdreher in die höchste oder lediglich – wie es das LSG angenommen hat – in die zweithöchste Gruppe des Mehrstufenschemas einzuordnen ist, kann aufgrund der Tatsachenfeststellungen des LSG nicht mit der erforderlichen Sicherheit beurteilt werden.

Der höchsten Gruppe sind zunächst Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion zuzuordnen. Das sind nach der ständigen Rechtsprechung des BSG Versicherte mit Leitungsfunktionen, deren Berufstätigkeit wegen ihrer besonderen qualitativen, insbesondere geistigen und persönlichen Anforderungen die der (einfachen) Facharbeiter deutlich überragt; sie müssen Weisungsbefugnis gegenüber mehreren anderen Facharbeitern haben und dürfen selbst nicht Weisungen eines anderen Beschäftigten im Arbeiterverhältnis unterliegen (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 44, 102, 145; SozR 3-2200 § 1246 Nr 39). Außerdem müssen sie sich – soweit eine tarifliche Einstufung erfolgt ist – wegen der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit, nicht etwa aufgrund des Lebensalters oder langjähriger Betriebszugehörigkeit, in der Spitzengruppe der Lohnskala befinden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 37, 79, 102). Dazu gehört der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht. Insoweit ist das Urteil auch nicht angegriffen worden.

Die oberste Gruppe des Mehrstufenschemas ist aber damit noch nicht ausgeschöpft. Den Facharbeitern mit Vorgesetztenfunktion sind die besonders hoch qualifizierten Facharbeiter gleichgestellt. Dazu gehören Versicherte, die – unabhängig von einer Leitungsfunktion – wesentlich höherwertige Arbeiten als ihre zur Gruppe der (einfachen) Facharbeiter gehörenden Arbeitskollegen verrichten und diese nicht nur im Hinblick auf die Höhe der Entlohnung, die sich an der Einstufung in die Spitzengruppe der Lohnskala zeigt, sondern aufgrund besonderer geistiger und persönlicher Anforderungen auch hinsichtlich der Wertigkeit ihrer Berufstätigkeit deutlich überragen (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 70 mit eingehender Darstellung der Entwicklung der einschlägigen Rechtsprechung des BSG; Nrn 77, 102; SozR 3-2200 § 1246 Nr 39). Diese Gruppe dürfte im Zuge der Umgestaltung der Produktionsvorgänge (Gruppenarbeit usw) insbesondere in größeren Betrieben immer mehr an Bedeutung gewinnen, während demgegenüber die Zahl der „klassischen” Vorarbeiter rückläufig zu sein scheint.

Zu den besonders hoch qualifizierten Facharbeitern zählen insbesondere Versicherte, die eine Tätigkeit ausgeübt haben, zu der sie sich zusätzlich zu einer abgeschlossenen, mehr als zweijährigen Ausbildung iS des § 25 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG; vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 21 mwN) durch eine längere planmäßige, spezielle Zusatzausbildung mit Prüfungsabschluß qualifiziert haben (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 37, 103, 144). Beispielhaft sind hier der Lokomotivführer, der einen Handwerksberuf erlernt sowie einen zusätzlichen 3½ Jahre dauernden Vorbereitungsdienst durchlaufen haben muß (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 144), und der Betriebsstudienhauer im Bergbau zu nennen, der zusätzlich zur Facharbeiterausbildung als Hauer über eine langjährige Erfahrung in diesem Beruf, umfangreiche bergmännische Fachkenntnisse und eine Refa-Ausbildung von insgesamt 11 Wochen verfügen muß (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 103). Ansonsten hat das BSG als weitere Kriterien für die Zugehörigkeit einer beruflichen Tätigkeit zu dieser Gruppe eine gewisse Selbständigkeit im Betriebsablauf (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 37, 79) und eine hohe Verantwortung als wesentlich angesehen.

Der Kläger beanstandet zu Recht, daß das LSG keine Erwägungen dazu angestellt hat, ob er ein besonders hoch qualifizierter Facharbeiter im Sinne des Mehrstufenschemas war. Das wäre der Fall, wenn er die Qualifikation eines Facharbeiters besaß und die darüber hinausgehenden Anforderungen für die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe erfüllte.

Das LSG hat dazu bindend (§ 163 SGG) festgestellt, der Kläger sei „gelernter Dreher” und als Bohrwerksdreher in der Lohngruppe VIII für Facharbeiter eingruppiert gewesen. Da es sich bei dem Beruf des Drehers um einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer vorgeschriebenen Ausbildungsdauer von mehr als 24 Monaten handelt (Erlaß des Bundesministers für Wirtschaft ≪BMWi≫ – II B5 -466710 – vom 1. März 1962, Berufsbild aufgehoben durch § 20 der VO über die Berufsausbildung in den industriellen Metallberufen vom 15. Januar 1987 ≪BGBl I 274≫, nunmehr geregelt in der VO über die Berufsausbildung zum Dreher/zur Dreherin vom 7. April 1989 – BGBl I 711) und auch der Beruf des Bohrwerksdrehers ein solcher anerkannter Ausbildungsberuf war (Berufsbild aufgehoben durch § 20 der VO vom 15. Januar 1987), ist davon auszugehen, daß das LSG damit festgestellt hat, der Kläger habe eine solche vorgeschriebene Ausbildung durchlaufen, mit der Gesellenprüfung abgeschlossen und dann eine entsprechend qualifizierte Tätigkeit verrichtet. Damit ist der Kläger nach der Rechtsprechung des BSG, mit der der erkennende Senat übereinstimmt, bereits Facharbeiter „a priori” (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 13, 21 mwN).

Ob der Kläger darüber hinaus wegen der qualitativen, insbesondere geistigen und persönlichen Anforderungen seiner bisherigen Tätigkeit als Bohrwerksdreher die anderen Facharbeiter seines Berufsbereichs deutlich überragte, vermag der erkennende Senat nicht zu beurteilen, weil insoweit hinreichend aussagekräftige Feststellungen des LSG fehlen. Es ist nicht zu erkennen, welche Arbeiten der Kläger im Rahmen seiner bisherigen konkreten Tätigkeit im einzelnen verrichtet hat (Tätigkeitsbeschreibung) und welche Qualifikation für deren Ausübung nötig war. Insbesondere ist nicht ersichtlich, ob etwa eine planmäßige Zusatzausbildung zur Facharbeiterausbildung als Dreher (oder Bohrwerksdreher), besondere Fachkenntnisse, berufliche Erfahrungen oder spezielle Fähigkeiten nötig waren, um dieser Tätigkeit nachzugehen, und welches Ausmaß an Selbständigkeit und Verantwortung hierfür erforderlich war. Das BSG kann diese Feststellungen als Revisionsgericht nicht selbst treffen (§ 163 SGG). Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur Nachholung der erforderlichen tatsächlichen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Bei der erneuten Behandlung der Sache wird das LSG nach Ermittlung dieser für die Wertigkeit des „bisherigen Berufs” des Klägers maßgeblichen Umstände – uU unter Hinzuziehung eines berufskundigen Sachverständigen – zu prüfen haben, ob die Qualität der vom Kläger konkret ausgeübten Tätigkeit als Bohrwerksdreher die der anderen Facharbeiter seines Berufsbereichs deutlich überragte. Dabei ist zum Vergleich von einem „Normalfacharbeiter” mit durchschnittlichen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten auszugehen.

Eine die Facharbeiterqualität übersteigende Wertigkeit des „bisherigen Berufs” des Klägers könnte sich zwar grundsätzlich auch aus den einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen und der Eingruppierung des Klägers durch den letzten Arbeitgeber ergeben (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 38 mwN). Die abstrakte tarifvertragliche Einordnung einer bestimmten Berufstätigkeit in eine Tarifgruppe, die hinsichtlich der Qualität der dort genannten Arbeiten durch einen bestimmten Leitberuf des Mehrstufenschemas geprägt ist, läßt in der Regel den Schluß zu, daß die Tätigkeit auch diesem Leitberuf entsprechend zu qualifizieren ist (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 14). Etwas anderes gilt nur dann, wenn für die Einstufung qualitätsfremde Merkmale bestimmend sind (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 101, 123; SozR 3-2200 § 1246 Nr 13).

Indes ist der hier nach den Feststellungen des LSG einschlägige LTV (vom 15. Januar 1982) für die Bestimmung der Wertigkeit des „bisherigen Berufs” des Klägers wenig geeignet. Zwar ist dieser Tarifvertrag nach Qualitätsstufen aufgebaut (vgl dazu BSGE 73, 159, 162 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 37), die Lohngruppen sind aber im wesentlichen nur nach allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen bestimmt. Der Beruf des Klägers ist in keiner der Lohngruppen ausdrücklich erwähnt; die Wertigkeit, welche die Tarifvertragsparteien diesem Beruf beigemessen haben, läßt sich demnach dort nicht unmittelbar ablesen. Allerdings bewerten die Tarifvertragsparteien ebenso sachgerecht die einzelnen (allgemeinen) Tätigkeitsmerkmale, die sie für die Eingruppierung von Arbeitnehmern festlegen (BSGE 70, 56 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 21). Insoweit wäre der Tarifvertrag aber nur dann hilfreich, wenn feststünde, daß der Versicherte bestimmte Tätigkeitsmerkmale einer Lohngruppe erfüllte und wenn diese Lohngruppe hinsichtlich der Wertigkeit der ihr zuzuordnenden Tätigkeiten hinreichend genau festzulegen wäre.

Aus den Merkmalen der Lohngruppe VIII des hier einschlägigen LTV, in die der Kläger von seinem Arbeitgeber eingruppiert worden war, läßt sich aber nicht entnehmen, ob die qualitativen Anforderungen dieser Lohngruppe bereits derart hoch sind, daß sie die der Lohngruppe VI so erheblich übertreffen, wie es für die Gruppe mit dem Leitberuf des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters erforderlich wäre. Einer solchen Qualifizierung steht zwar nicht entgegen, daß es sich nur um die zweithöchste Lohngruppe des LTV handelt, denn die „Spitzengruppe der Lohnskala”, in die ein besonders hoch qualifizierter Facharbeiter eingruppiert sein muß, ist nicht unbedingt allein auf die oberste Gruppe des einschlägigen Tarifvertrages beschränkt (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 37, 79). Auch ist als qualitätsrelevant zu beachten, daß die hier genannten „besonders schwierigen Facharbeiten, die hohe Anforderungen an Können und Wissen stellen und selbständiges Arbeiten voraussetzen”, offenbar nicht allein aufgrund längerer Berufserfahrung verrichtet werden können, sondern daß eine weitergehende Qualifikation erforderlich scheint. Es kommt hinzu, daß eine gewisse Fähigkeit zu selbständigem Arbeiten gefordert wird; diese Qualifikation wird von der Rechtsprechung des BSG als ein Indiz für die Zugehörigkeit zur Gruppe der besonders hoch qualifizierten Facharbeiter angesehen (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 79).

Diese Erwägungen reichen jedoch nicht aus, um die Qualität der in Lohngruppe VIII erfaßten Tätigkeiten hinreichend deutlich beurteilen zu können. Ob Arbeiten „schwierig” (vgl Lohngruppe VII), „besonders schwierig” (vgl Lohngruppe VIII) oder „hochwertigst” (vgl Lohngruppe IX) sind, kann – zumindest für den Bereich der beiden höchsten Lohngruppen – nicht in ausreichend bestimmter Weise voneinander abgegrenzt werden; ein sicheres Unterscheidungskriterium fehlt. Da diese Begriffe bei den Definitionen der hier zu untersuchenden Lohngruppen im Vordergrund stehen, ist zumindest die Qualifikation der Lohngruppe VIII nicht genau genug bestimmbar, um die Bestimmung der Wertigkeit einer darin eingeordneten konkreten beruflichen Tätigkeit zum Zwecke der Zuordnung in das Mehrstufenschema davon abhängig machen zu können.

Anders ist dies für die Lohngruppe IX zu beurteilen, in die der Kläger jedoch nicht eingruppiert war. Die Lohngruppe IX mit ihren vielfältigen, zT nicht mehr steigerungsfähigen zusätzlichen Qualitätsanforderungen an die Tätigkeit („hochwertigste Facharbeiten”) und die persönlichen Fähigkeiten des Arbeitnehmers („überragendes Können, große Selbständigkeit, Dispositionsvermögen, umfassende Verantwortung und entsprechende theoretische Kenntnisse”) dürfte wohl nur von Facharbeitern, welche die (einfachen) Facharbeiter der Lohngruppe VI ganz erheblich überragen, erreicht werden und damit vom Leitberuf des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters geprägt sein. In seinem Urteil vom 19. Januar 1979 (in SozR 2200 § 1246 Nr 27) hat der 4. Senat des BSG dementsprechend eine Lohngruppe mit einer fast gleichlautenden Definition in einem anderen Tarifvertrag als Beispiel für diese Gruppe des Mehrstufenschemas genannt.

Da nun aber der Kläger lediglich in die Lohngruppe VIII eingruppiert war, deren Stellung im Wertungssystem des LTV einmal im Verhältnis zur Lohngruppe VI und zum anderen zur Lohngruppe IX nicht so genau zu bestimmen ist und überdies die Eingruppierung durch den Arbeitgeber angesichts der Unbestimmtheit der Tätigkeitsmerkmale dieser Lohngruppe allenfalls im Zweifel als Hinweis auf die Wertigkeit des bisherigen Berufs des Klägers zu werten, nicht aber als widerlegungsbedürftiges Indiz anzusehen wäre, wird sich das LSG hier allein an den realen Merkmalen der bisher ausgeübten Tätigkeit zu orientieren haben.

Ist der Kläger aufgrund des Ergebnisses der anzustellenden Ermittlungen als besonders hoch qualifizierter Facharbeiter anzusehen, so kann er nur auf zumutbare Facharbeitertätigkeiten oder ihnen tariflich gleichgestellte Tätigkeiten (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 79 mwN), nicht jedoch auf die vom LSG aufgeführten angelernten Tätigkeiten – falls diese nicht Facharbeitertätigkeiten tarifvertraglich gleichgestellt sind – verwiesen werden. Entsprechende Ermittlungen hat das LSG bisher – von seinem Standpunkt aus zutreffend – noch nicht angestellt.

Ist der Kläger dagegen (nur) Facharbeiter, so sind ihm diese Verweisungstätigkeiten grundsätzlich zumutbar. Allerdings dürfte es sich hier angesichts der vom LSG eingeholten Auskunft der IG Metall, solche Tätigkeiten seien in der Metall- und Elektroindustrie kaum noch vorhanden, aufdrängen zu ermitteln, ob solche Tätigkeiten überhaupt noch in nennenswerter Zahl auf dem Arbeitsmarkt – und nicht nur zB als betriebsintern vergebene „Schonarbeitsplätze” (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 71, 86, 101, 110) – vorhanden sind. Die Vermutung, daß es für eine Verweisungstätigkeit Arbeitsplätze in ausreichender Zahl gibt, wenn diese von Tarifverträgen erfaßt werden (st Rspr des BSG, vgl etwa SozR 2200 § 1246 Nr 102), kann nicht für Tarifverträge gelten, in denen – wie hier – keine konkreten Berufe genannt sind.

Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI651666

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