Entscheidungsstichwort (Thema)

Verzinsung von Honoraransprüchen. Zulässigkeit der Berufung

 

Orientierungssatz

1. Geltend gemachte Zinsen auf Honoraransprüche sind Leistungen iS § 144 SGG, denn sie richten sich insoweit nach der Rechtsnatur der Honoraransprüche des Kassenarztes (vgl BSG vom 24.1.74 6 RKa 2/73 = SozR 1500 § 144 SGG Nr 1).

2. Es gibt keinen Rechtssatz, daß öffentlich-rechtliche Forderungen bei verspäteter Leistung zu verzinsen seien; vielmehr richtet sich die Verzinsung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen nach dem im Einzelfall geltenden Spezialrecht (vgl BSG vom 20.12.83 6 RKa 19/82 = BSGE 56, 116).

3. Honoraransprüche der Kassenärzte sind weder nach § 44 SGB 1 noch unmittelbar nach den Vorschriften des BGB über den Verzug des Schuldners zu verzinsen.

 

Normenkette

SGB 1 § 44 Fassung: 1975-12-11; SGG § 144 Abs 1 Nr 2; RVO § 368n Abs 5; BGB § 288

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 17.08.1983; Aktenzeichen L 7 Ka 940/82)

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 30.06.1982; Aktenzeichen S 5 Ka 94/81)

 

Tatbestand

Durch Bescheide des Prüfungsausschusses und des RVO-Beschwerdeausschusses wurde das Honorar der Kläger für die Quartale III/1973 bis III/1974, I/1975 bis III/1975 und I/1976 gekürzt. Im daraus entstandenen Rechtsstreit wurden die Kürzungsbescheide am 31. Januar 1979 teilweise in einem Vergleich und zu einem weiteren Teil durch Urteil des Sozialgerichts (SG) aufgehoben; die Berufung gegen das Urteil nahmen die Kläger am 13. Juli 1979 zurück. Sie erhielten die aufgrund des Urteils zu erbringenden Nachzahlungen am 31. Juli 1979 (12.076,01 DM) und am 7. November 1979 (49.554,19 DM). Mit Schreiben vom 21. September 1981 forderten sie die Beklagte auf, 4 % Zinsen für die jeweils fällig gewordenen Honorarforderungen in einer Gesamthöhe von 7.545,69 DM zu leisten. Die Beklagte lehnte dies ab. Dagegen erhoben die Kläger am 9. Dezember 1981 Klage mit dem Ziel, die Beklagte zur Zahlung von 9.629,82 DM zu verurteilen. Diese wandte ein, es habe an der erforderlichen Fälligkeit der Honorarforderungen gefehlt.

Das SG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen und ausgeführt, bei dem von den Klägern geltend gemachten Zinsanspruch handele es sich nicht um eine einmalige Leistung iS des § 144 Abs 1 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Im Sozialrecht gebe es, wie im Verwaltungsrecht, keinen allgemeinen Grundsatz, der zur Zahlung von Verzugszinsen verpflichte. Vielmehr richte sich die Verzinsung nach dem im Einzelfall einschlägigen Spezialrecht. Der Anspruch der Kläger ergebe sich auch nicht aus § 44 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I), denn das Kassenarztrecht gehöre nicht zu den Sozialleistungsbereichen im engeren Sinn.

Die Kläger haben Revision eingelegt und machen geltend, die Bestimmung des § 286 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) über den Verzugsschaden sei Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes, daß derjenige, der zu Unrecht nicht leistet oder nicht rechtzeitig leistet, dem Partner irgendwie einen Ausgleich schaffen muß. Grundlage des geltend gemachten Zinsanspruchs sei die nicht gleichmäßige Auszahlung der Vorschüsse, dh nach den gleichen Grundsätzen wie für alle anderen Ärzte. Fällig würden die Vorschüsse mit der Abgabe der Abrechnung für das vorhergehende Quartal an jedem 10. des ersten Monats des jeweiligen neuen Quartals. Der Honoraranspruch des Kassenarztes sei zivilrechtlicher Natur.

Die Kläger beantragen, unter Abänderung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt vom 30. Juni 1982 - S 5 Ka 94/81 -, einschließlich der Vorentscheidungen, die Beklagte kostenpflichtig und vorläufig vollstreckbar zu verurteilen, an die Kläger 9.629,82 DM zu zahlen sowie hilfsweise, die Sache an das Landgericht Frankfurt zu verweisen.

Die Beklagte und die Beigeladenen zu 1) bis 5) beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Mit Recht hat das LSG die Zulässigkeit der Berufung angenommen. Die Berufung ist nicht nach § 144 des SGG ausgeschlossen. Bei dem von den Klägern geltend gemachten Zinsanspruch handelt es sich nicht um eine einmalige, sondern um eine wiederkehrende Leistung für einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen (3 Monaten). Die geltend gemachten Zinsen sind Leistungen iS § 144 SGG, denn sie richten sich insoweit nach der Rechtsnatur der Honoraransprüche des Kassenarztes, für die der Senat diese Zuordnung entschieden hat (BSG SozR 1500 § 144 SGG Nr 1). Zutreffend hat das LSG dargelegt, daß der geltend gemachte Zinsanspruch von der Dauer der Zeit abhängt, in der die Hauptforderung nicht beglichen wird. Eine Geldschuld ist während des Verzugs mit 4 % für das Jahr zu verzinsen (§ 288 BGB, § 44 SGB I). Dem Zinsanspruch wohnt damit das Moment der zeitlichen Dauer inne, auf das es für die Zulässigkeit der Berufung entscheidend ankommt (BSGE 2, 135, 138).

Den Klägern steht der geltend gemachte Zinsanspruch nicht zu.

Wie der Senat entschieden hat, sind die Honoraransprüche der Kassenärzte nicht nach § 44 SGB I zu verzinsen; es gibt auch keinen Rechtssatz, daß öffentlich-rechtliche Forderungen bei verspäteter Leistung zu verzinsen seien; vielmehr richtet sich die Verzinsung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen nach dem im Einzelfall geltenden Spezialrecht (BSGE 56, 116, 117, 118 = SozR 1200 § 44 SGB I Nr 14 = KVRS A-2100/2). Die Reichsversicherungsordnung (RVO) enthielt in der hier streitigen Zeit keine Regelung über Zinsansprüche gegen Leistungsträger oder andere Körperschaften des öffentlichen Rechts. Allerdings mag es bedenklich sein, wenn durch die Vorschriften über Säumnis- und Zinszuschläge einseitig die Anspruchsberechtigten benachteiligt und die Leistungsträger bevorzugt wurden (Burdenski BlStSozArbR 1975, 365, 367). Diese Benachteiligung traf aber nur die Beitragszahler und jedenfalls nicht die Kassenärzte.

Eine unmittelbare Anwendung der Bestimmungen des BGB über den Verzug des Schuldners scheidet aus. Entgegen der Ansicht der Kläger ist der Honoraranspruch des Kassenarztes nicht zivilrechtlicher Natur. Der Kassenarzt, der im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung tätig wird, hat gegen den Patienten keinen privatrechtlichen Honoraranspruch. Rechtsgrundlage für die Vergütung seiner Tätigkeit ist vielmehr der Honorarverteilungsmaßstab (HVM). Gemäß § 368f Abs 1 Satz 2 RVO verteilt die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) die Gesamtvergütung unter die Kassenärzte. Deren Rechtsbeziehung zur KÄV beruht auf der Mitgliedschaft gemäß § 368k Abs 4 RVO. Nach § 368k Abs 3 RVO ist die KÄV eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, so daß auch die Rechtsbeziehungen zu den Mitgliedern öffentlich-rechtlicher Natur sind.

Der geltend gemachte Zinsanspruch der Kläger kann nicht auf die für ihre Rechtsbeziehung zur Beklagten in der streitigen Zeit gültigen Grundsätze der Honorarverteilung der KÄV Hessen gestützt werden. Darin ist keine Bestimmung enthalten, die ausdrücklich einen Zinsanspruch des Arztes einräumt. Den Bestimmungen über die Ermittlung und Prüfung der Honoraranforderungen, über die Verteilung der Gesamtvergütung und über die Zahlungen der KÄV ist keine Grundlage für den streitigen Anspruch zu entnehmen.

Nach Leitzahl 502 der Grundsätze sind die nach rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Berichtigung festgestellten Honorarforderungen der Ärzte gemäß § 368e Satz 2 und § 368n Abs 4 RVO vom Prüfungsausschuß im einzelnen zu überprüfen. Die Gesamtvergütung wird gemäß Leitzahl 702 nach Abzug bestimmter Vorwegzahlungen für die quotierte Bezahlung der geprüften Honorarforderungen der Ärzte verwendet. Der Arzt erhält monatlich Abschlagszahlungen in Höhe von etwa 25 vH der Honorargutschrift des zuletzt abgerechneten Vierteljahres (Leitzahl 901 Satz 1). Weiter heißt es in Leitzahl 901: "Auf Wunsch der Ärzte können im Einzelfall geringere Abschläge gezahlt werden. Bei Ärzten, die ihre Praxis neu beginnen, hat die Bezirksstelle die Höhe der Vorauszahlungen nach sorgfältiger Schätzung zu ermitteln; in gleicher Weise ist zu verfahren, wenn ein Arzt für ein oder mehrere Abrechnungsvierteljahre seine Abrechnung nicht eingereicht hat. Die Restzahlung erfolgt unmittelbar nach Fertigstellung der Abrechnung." Nach Leitzahl 902 erhält der Arzt von der Bezirksstelle einen Honorarbescheid über die Endabrechnung, "gegebenenfalls unter Beifügung besonderer Bescheide über Maßnahmen gemäß Leitzahlen... 502..."

Die Honoraransprüche, deren Verzinsung die Kläger begehren, waren nach diesen Bestimmungen nicht vor dem Abschluß des Vergleichs bzw der Rechtskraft des Urteils des SG vom 31. Januar 1979 fällig geworden. Schon aus diesem Grund konnte kein Zinsanspruch entstehen. Den Regelungen der Grundsätze über die Honorarverteilung ist zu entnehmen, daß die Honorarforderungen, soweit sie nicht in einer Endabrechnung festgestellt sind, jedenfalls nicht vor Abschluß des Prüfverfahrens fällig werden. Der Arzt erhält nach Leitzahl 901 zunächst nur Abschlagszahlungen, so daß sinngemäß die Fälligkeit des eigentlichen Honoraranspruchs herausgeschoben ist. Über diese Fälligkeit sagen auch die weiteren Regelungen der Leitzahl 901 nichts aus. Die darin erwähnte "Restzahlung" ist nicht das dem Arzt rechtmäßig zustehende Honorar. Vielmehr bezieht sich die Regelung, daß die Restzahlung unmittelbar nach Fertigstellung der Abrechnung erfolge, nur auf den vorangegangenen Satz; sie betrifft nur den Fall, in dem der Arzt seine Abrechnung nicht eingereicht hat, so daß die Höhe der Vorauszahlung zu schätzen war. Wenn stets unmittelbar nach Fertigstellung der Abrechnung durch den Arzt das ihm endgültig zustehende Honorar fällig würde, wären Abschlagszahlungen überflüssig.

Der Honorarbescheid über die Endabrechnung nach Leitzahl 902 der Grundsätze ergeht unter Berücksichtigung eines etwaigen Bescheides des Prüfungsausschusses nach Leitzahl 502. Dadurch wird erreicht, daß die KÄV einen objektiv geschuldeten Teil des Honorars in Höhe des gekürzten Betrages nicht oder mindestens vorläufig nicht zu zahlen hat. Die Beklagte ist auch nach der von ihr erstellten "Endabrechnung" dem Arzt nicht darüber hinaus zur Honorarzahlung verpflichtet. Dementsprechend ordnet die Bestimmung der Leitzahl 702 an, daß die KÄV die Gesamtvergütung nach Abzug der Vorwegzahlungen nur für die geprüften Honoraranforderungen verwenden darf.

Die Vorschrift der Leitzahl 702 steht mit den Regelungen der RVO in Einklang. Nach § 368e RVO darf der Arzt keine für den Heilerfolg nicht notwendigen und keine unwirtschaftlichen Leistungen bewirken oder verordnen. Die Überwachung der Wirtschaftlichkeit im einzelnen ist den Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen übertragen (§ 368n Abs 5 RVO). Den Ausschüssen gehören Vertreter der Ärzte und Krankenkassen in gleicher Zahl an (§ 368n Abs 5 Satz 2 RVO). Daraus wird deutlich, daß es sich bei den Ausschüssen um unabhängige Gremien handelt, die nicht von Weisungen der KÄV abhängen. Die KÄV kann ihre Aufgaben nicht an sich ziehen. Wie der Senat für den Ersatzkassenbereich entschieden hat (BSGE 56, 116, 119 = SozR 1200 § 44 SGB I Nr 14 = KVRS A-2100/2) erlangen die Kürzungsbescheide der Prüfungsinstanzen Bindungswirkung gegenüber der KÄV. Dies muß auch für die Entscheidung der RVO-Prüfungsinstanzen gelten. Wenn dem Arzt für unwirtschaftliche Leistungen kein Honorar zusteht und die Entscheidung über die Wirtschaftlichkeit der KÄV als Schuldner des Honorars entzogen ist, dann kann sie nicht verpflichtet sein, unabhängig von der Entscheidung der Prüfungsinstanzen den Honoraranspruch festzustellen und zu erfüllen.

Die Kläger machen auch einen Anspruch auf Verzinsung von Abschlagszahlungen geltend. Nach ihrer Meinung konnten sie höhere Abschläge verlangen. Sie machen geltend, die Beklagte habe ihnen jeweils nach den Honorarkürzungen für die folgenden Vierteljahre entsprechend geringere Abschlagszahlungen geleistet. Aus den Regelungen der Grundsätze der Honorarverteilung ergibt sich aber kein Anhaltspunkt dafür, daß höhere Abschlagszahlungen fällig waren. Abschläge sind nach Leitzahl 901 in Höhe von etwa 25 % der Honorargutschrift des zuletzt abgerechneten Vierteljahres zu leisten; sinngemäß kann sich die Höhe nicht nach dem Honoraranspruch richten.

Die Revision war aus diesen Gründen mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Dem Hilfsantrag der Kläger auf Verweisung der Sache an das Landgericht Frankfurt kann nicht entsprochen werden. Hält ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit den zu ihm beschrittenen Rechtsweg nicht für gegeben, so verweist es in dem Urteil, in dem es den Rechtsweg für unzulässig erklärt, zugleich auf Antrag des Klägers die Sache an das Gericht des ersten Rechtszugs, zu dem es den Rechtsweg für gegeben hält (§ 52 Abs 3 SGG). Für eine Unzulässigerklärung kann hier nur der Anspruch der Kläger aus § 839 BGB in Betracht kommen. Dieser Anspruch gehört aber nicht zum Streitgegenstand des anhängigen Verfahrens. Seine Geltendmachung würde eine im Revisionsverfahren nach § 168 SGG nicht zulässige Klageänderung voraussetzen. Mit der Geltendmachung dieses Anspruchs wird nämlich der Klagegrund geändert. Die Kläger haben ihren Anspruch auf Zahlung von 4 % Zinsen in der Klageschrift auf § 44 SGB I gestützt. Danach sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt der Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 % zu verzinsen. Der Anspruch auf § 44 SGB I setzt im Gegensatz zu demjenigen aus § 839 BGB kein Verschulden voraus; deshalb gehört zum Anspruch aus § 839 BGB ein anderer Tatsachenkomplex. Allerdings haben die Kläger ihren Anspruch bereits in der Berufungsschrift auch auf die Bestimmung des § 839 BGB gestützt. Damit haben sie einen neuen Klagegrund eingeführt. Die übrigen Beteiligten haben sich aber nicht auf eine Klageänderung eingelassen. Weder haben sie eingewilligt noch hat das Gericht sie für sachdienlich gehalten (§ 99 Abs 1 und 2 SGG). Das LSG hat nur auf die Möglichkeit eines Anspruchs nach § 839 BGB hingewiesen.

 

Fundstellen

AusR 1989, 17

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