Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschiedenenwitwenrente. Unterhaltsverpflichtung. letzter wirtschaftlicher Dauerzustand. Unterhaltsverzicht

 

Orientierungssatz

1. Die Angemessenheit des Unterhalts der geschiedenen Ehefrau richtet sich nach den Lebensverhältnissen zur Zeit der Scheidung (vgl BSG 1981-08-13 11 RA 48/80 = SozR 2200 § 1265 Nr 56).

2. Eine "Projektion" des angemessenen Unterhaltsbetrages zur Zeit des Todes des Versicherten kann entfallen, wenn die individuelle Einkommensentwicklung im wesentlichen der allgemeinen Entwicklung entsprochen hat (vgl BSG 1981-08-13 11 RA 48/80 = SozR 2200 § 1265 Nr 56).

3. Zur Frage der Unterhaltszahlung im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand.

4. Ein Verzicht auf nachehelichen Unterhalt steht der Geltendmachung des Anspruchs auf Rente nach § 42 AVG (= § 1265 RVO) entgegen (vgl BSG 1970-02-17 1 RA 121/69 = SozR Nr 54 zu § 1265 RVO).

5. Zur Frage, wann ein Unterhaltsverzicht vorliegt.

 

Normenkette

AVG § 42 S 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S 1 Fassung: 1957-02-23; EheG § 58 Fassung: 1946-02-20, § 59 Fassung: 1946-02-20; BGB § 397 Abs 1

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 07.10.1982; Aktenzeichen L 11 An 181/81)

SG Landshut (Entscheidung vom 26.05.1981; Aktenzeichen S 7 An 1/80)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin eine Hinterbliebenenrente nach § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) beanspruchen kann.

Die von der Klägerin 1923 mit Josef Sch. (Sch.) geschlossene Ehe wurde 1940 aus dessen Verschulden geschieden. Seit 1943 bis zu seinem Tode am 21. Februar 1979 war Sch. in zweiter Ehe mit der Beigeladenen verheiratet. Von 1965 an hatte er von der Beklagten Altersruhegeld, zuletzt in Höhe von monatlich 2.271,20 DM, bezogen. Die Klägerin erhielt zur Zeit seines Todes 303,20 DM Erwerbsunfähigkeitsrente.

Mit Bescheid vom 30. Mai 1979 gewährte die Beklagte der Beigeladenen Witwenrente von 1.366,-- DM monatlich. Den im März 1979 von der Klägerin gestellten Antrag auf Geschiedenenwitwenrente lehnte sie dagegen ab, da ein von Sch. angeblich für jeden Monat an die Klägerin gezahlter Betrag von 55,-- DM keinen ausreichenden Unterhalt darstelle; auch habe die Klägerin nicht auf eine Heraufsetzung der Unterhaltsleistung hingewirkt; darin liege ein Verzicht auf etwaige Mehransprüche (Bescheid vom 6. September 1979). Der Widerspruch und die Klage blieben erfolglos. Das Sozialgericht (SG) hielt den Mindestunterhalt für die erste und dritte Alternative des § 42 Satz 1 AVG nicht für erreicht; höhere Zahlungen als 55,-- DM seien wenig wahrscheinlich.

Auf die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte verpflichtet, der Klägerin ab April 1979 Geschiedenenwitwenrente zu gewähren (Urteil vom 7. Oktober 1982). Seiner Ansicht nach hat das SG übersehen, daß gemäß § 58 des Ehegesetzes (EheG) 1946 der schuldige Mann der geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren habe, soweit die Einkünfte der Frau nicht ausreichten. Zur Zeit der Scheidung habe nur Sch. ein Einkommen gehabt, das angesichts in der Klasse E entrichteter Rentenversicherungsbeiträge mit 300 bis 400 RM mehr als das Doppelte aller der Rentenversicherung unterliegenden Durchschnittsentgelte betragen habe. Für die Klägerin, die damals die Tochter betreut und nicht gearbeitet habe, sei ungeachtet ihrer zwischen 1950 und 1959 ausgeübten Erwerbstätigkeit ein Drittel bis ein Viertel davon als Unterhalt in Betracht gekommen. Da Sch. das Einkommensniveau gehalten habe - sein Altersruhegeld beruhe auf einer persönlichen Rentenbemessungsgrundlage von 191,04 vH -, brauche der zur Zeit der Scheidung angemessene Unterhalt nicht errechnet und auf die Zeit des Todes projiziert zu werden; auch da betrage der Anspruch der Klägerin ein Drittel bis ein Viertel des Altersruhegeldes, sei aber wegen des Anspruchs der Beigeladenen auf ein Viertel zu begrenzen, so daß nach Abzug der eigenen Rente ein Bedarf von etwa 260,-- DM im Monat und damit mehr als 25 % des Mindestbedarfs verbleibe. Auf die Geltendmachung eines höheren Unterhalts als die gezahlten 55,-- DM habe die Klägerin nicht verzichtet. Ein dahingehender rechtsgeschäftlicher Wille sei nach den Fallumständen nicht anzunehmen; der bloße Zeitablauf reiche hierfür nicht aus.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt die Beigeladene, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen, hilfsweise, das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zurückzuverweisen.

Zur Begründung rügt sie eine fehlerhafte Anwendung von § 42 AVG und § 58 EheG sowie Verstöße gegen die §§ 62, 103, 112 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das LSG habe weder geprüft, ob von der Klägerin auch vor 1950 eine Erwerbstätigkeit erwartet werden konnte noch ob sie durch deren Unterlassen eine Unterhaltsbedürftigkeit selbst herbeigeführt habe. Auch lasse das Urteil eine Prüfung nicht erkennen, wieweit der angemessene Unterhalt damals durch eigene Einkünfte gedeckt gewesen sei. Die erforderlichen Ermittlungen hätten offenkundig gemacht, daß die Klägerin seit Februar 1939 ihren Lebensunterhalt mit der Vermietung möblierter Zimmer bestritten habe. Trotz ausreichenden Einkünften daraus habe sie indes keine eigene Vorsorge für das Alter getroffen; die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs sei daher rechtsmißbräuchlich. Des weiteren habe das LSG mit der Entscheidung, der Anspruch sei nach der ersten Alternative von § 42 Satz 1 AVG gerechtfertigt, die Beigeladene überrascht. Mangels entsprechender Ankündigung sei ihr der Weg abgeschnitten worden, auf rechtserhebliche Tatsachen hinzuweisen und das Gericht zur Erhebung von Beweisen zu veranlassen, die eine andere Entscheidung ermöglicht hätten.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte stellt keine Sachanträge. Hinsichtlich der Verfahrensrügen schließt sie sich der Beigeladenen an.

Sämtliche Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beigeladenen ist nicht begründet; zutreffend hat das LSG entschieden, daß die Beklagte zur Gewährung von Hinterbliebenenrente nach § 42 AVG an die Klägerin verpflichtet ist (§ 45 Abs 4 AVG).

Gegen das Verfahren vor dem LSG kann die Beigeladene sich mit Erfolg nicht wenden. Soweit sie geltend macht, sie sei durch den auf die 1. Alternative des § 42 Satz 1 AVG gestützten Urteilsspruch überrascht worden (§§ 62, 112 Abs 2 SGG), da zwischen den Beteiligten bis zur Entscheidung allein streitig gewesen sei, ob die Voraussetzungen der 3. Alternative vorlägen, läßt sie bereits unberücksichtigt, daß bei einem Streit um eine Geschiedenenwitwenrente nach § 42 Satz 1 AVG die Beteiligten grundsätzlich immer mit der Überprüfung aller Alternativen dieser Vorschrift durch das Gericht rechnen müssen. Sich hierauf einzurichten, bestand vorliegend um so mehr Veranlassung, weil die Beklagte im angefochtenen Bescheid einen Anspruch der Klägerin auch wegen eines "Verzichts auf etwaige Mehransprüche" abgelehnt hat, was sich allein auf die 1. Alternative des Gesetzes beziehen kann. Ferner hat das SG in seinem Urteil die "für die 1. und 3. Alternative" geforderte Mindesthöhe an Unterhalt nicht für erreicht erachtet, und der Berichterstatter des LSG hat schließlich vor der mündlichen Verhandlung und Entscheidung schriftliche Anfragen an die Klägerin und die Beigeladene gerichtet, die Einkommens- und Unterhaltsverhältnisse zur Zeit der Scheidung und zur Zeit des Todes von Sch. betrafen, die nur für die 1. (bzw 2.) Alternative des § 42 Satz 1 AVG von Bedeutung sein konnten. Hiernach kann von einem "Überraschungsurteil" nicht die Rede sein, selbst wenn in der Verhandlung vor dem LSG die 1. Alternative des Gesetzes nicht erörtert worden wäre. Im weiteren hat die Beigeladene in der Revisionsschrift keine rechtserheblichen Tatsachen genannt, die, falls sie sie in der Berufung vorgetragen hätte, das LSG aufgrund von § 103 SGG zur Beweiserhebung veranlaßt und die Möglichkeit einer anderen Entscheidung eröffnet hätten. Der - neue - Sachvortrag läßt nämlich nicht erkennen, inwiefern die Klägerin, im Scheidungsverfahren oder später, für sich auf Unterhalt verzichtet haben soll; was von der Beigeladenen in diesem Zusammenhang vorgebracht wird, hat ausschließlich die Unterhaltsbeziehungen zwischen der Tochter und ihrem Vater Sch. zum Gegenstand.

Auch im übrigen hat das LSG seine Pflicht zur Sachaufklärung nicht verletzt.

Gemäß § 42 Satz 1 1. Alternative AVG wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit ihm - vor dem 1. Juli 1977 - geschieden ist, nach dessen Tode Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte; gemäß dem hierfür in Betracht kommenden § 58 EheG 1946 (dieses EheG enthielt für frühere Scheidungen keine Übergangsvorschriften) hat der schuldige Mann der geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit ihre Einkünfte aus Vermögen und Erwerbstätigkeit nicht ausreichen; die Angemessenheit des Unterhalts richtet sich nach den Lebensverhältnissen zur Zeit der Scheidung, also noch während der Ehe (stRspr, SozR Nrn 16 und 64 zu § 1265 Reichsversicherungsordnung -RVO-; SozR 2000 § 1265 Nr 56 mit Hinweisen auf den Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht). Um hinsichtlich eines angemessenen Unterhalts den Bogen spannen zu können von der Zeit der Scheidung bis zu der Zeit des Todes des Versicherten, dh bis zum Beginn des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor seinem Tode (SozR Nrn 8 und 22 zu § 1265 RVO), berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei dem Einkommen des Mannes die bei der Scheidung voraussehbaren Einkommensentwicklungen und die seitdem eingetretenen Veränderungen der allgemeinen Lohn- und Preisverhältnisse (SozR Nrn 16, 47 und 62 zu § 1265 RVO; SozR 2200 § 1265 Nrn 8, 15, 17). Hierzu muß aber, wie der erkennende Senat bereits in der Entscheidung vom 13. August 1981 in SozR 2200 aaO Nr 56 dargelegt hat, nicht unbedingt erst der zur Zeit der Scheidung angemessene Unterhaltsbetrag errechnet und dann auf die Zeit des Todes projiziert werden. Vielmehr kann eine solche Projektion entfallen, wenn die Einkommensentwicklung des Versicherten im wesentlichen der allgemeinen Entwicklung entsprochen hat, das spätere Einkommen mithin im großen und ganzen noch das eheliche Lebensniveau widerspiegelt. Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil handelt es sich um einen dementsprechenden Fall. Unwidersprochen hat das LSG ausgeführt, zur Zeit der Scheidung habe Sch. ein Einkommen aus unselbständiger Arbeit gehabt - die Klägerin sei nicht berufstätig gewesen und habe die 15jährige Tochter betreut -, das zwischen 300 und 400 Reichsmark monatlich betragen und damit etwa dem Doppelten der rentenversicherungspflichtigen Durchschnittsentgelte entsprochen habe; das im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode bezogene Altersruhegeld sei aus einer persönlichen Rentenbemessungsgrundlage von etwa 191 vH berechnet gewesen. Bei einer solchen Sachlage durfte das LSG der Bemessung des Unterhaltsanspruchs zur Zeit des Todes das Altersruhegeld in der zuletzt gezahlten Höhe von 2271,20 DM zugrunde legen (s hierzu auch SozR Nr 64 zu § 1265 RVO).

Da § 42 AVG es in Satz 1 1. Alternative auf die Unterhaltsverpflichtung zum Todeszeitpunkt des Versicherten abstellt, gehen die auf § 103 SGG gestützten Rügen der Beigeladenen sämtlich fehl, denn sie beziehen sich, soweit sie - was ein Einkommen der Klägerin aus Zimmervermietung angeht - nicht überhaupt auf neuem tatsächlichen und daher vom Senat nicht zu berücksichtigenden Vorbringen beruhen, auf Zeiten vor Beginn des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode. Für diesen maßgebenden Zeitraum kommt es jedoch allein auf die Unterhaltsverhältnisse an, wie sie sich zu dieser Zeit dargestellt haben; aus früheren Verhältnissen bleiben lediglich die Lebensverhältnisse zur Zeit der Scheidung maßgebend dafür, welcher Unterhalt dann angemessen ist (s hierzu BGH in FamRZ 81, 539, 541 = NJW 81, 609; FamRZ 82, 255, 257). Ob es von der Klägerin früher zu erwarten gewesen wäre, ihren Unterhaltsanspruch durch Erträgnisse ihr möglicher und zumutbarer Erwerbstätigkeit zu mindern, wie die Beigeladene behauptet, ist daher ebenso unwesentlich wie der Einwand, das LSG habe unrichtigerweise das Einkommen von Sch. zum Zeitpunkt der Scheidung als Bruttobetrag und das Altersruhegeld als Nettobetrag ermittelt. Ausschlaggebend ist allein, daß der Ansatz eines Viertels des Sch. gezahlten Altersruhegeldes als im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand angemessener Unterhalt (gemessen an den zur Zeit der Scheidung gegebenen Lebensverhältnissen der Ehegatten) selbst in Anbetracht der Tatsache, daß er damals außerdem seiner zweiten Frau, der Beigeladenen, gegenüber zum Unterhalt verpflichtet war, den Unterhaltsverhältnissen "z. Zt. des Todes" entsprach und sich in den von der Rechtsprechung gezogenen Grenzen hält (SozR Nr 16 zu § 1265 RVO; SozR 2200 § 1265 Nr 56). Der Abzug der eigenen Rente der Klägerin hiervon und die Feststellung, der verbleibende Betrag von etwa 260 DM im Monat umfasse mehr als 25 % des notwendigen Mindestbedarfs, sind rechtlich nicht zu beanstanden. Einkünfte der Klägerin aus Vermögen oder aus anderen Quellen als die Rente hat das LSG für den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand nicht festgestellt; hiergegen hat die Beigeladene sich mit Rügen nicht gewandt. Darauf, ob der eigene Unterhalt von Sch. durch eine Unterhaltszahlung an die Klägerin in Höhe von etwa 260 DM gefährdet gewesen sein könnte (§ 59 EheG 1946), ist das LSG nicht eingegangen. Der erkennende Senat braucht dies schon darum nicht nachzuholen, weil es an jeder Feststellung für eine solche Gefährdung sprechender Tatsachen fehlt; auch ergeben die Akten keinen dahingehenden Anhalt.

Bestand hiernach zur Zeit des Todes von Sch. ungeachtet dessen, ob und ggf in welchem Umfang tatsächlich Unterhalt gezahlt worden ist und ob eine solche Zahlung erzwungen werden konnte (GS in BSGE 20, 1, 5; SozR 2200 § 1265 Nr 14), iS des § 42 Satz 1 1. Alternative AVG ein Unterhaltsanspruch der Klägerin in der vom LSG angegebenen Höhe, so vermag sie sich hierauf auch zu berufen; daß das rechtsmißbräuchlich sei, weil die Klägerin es - bis 1950 - unterlassen habe, durch Rentenbeiträge für das Alter vorzusorgen, ist von der Beigeladenen zu weit hergeholt. Dem ist schon entgegenzuhalten, daß das LSG nichts festgestellt hat, was darauf schließen lassen könnte, die Klägerin sei bis 1950 überhaupt zur freiwilligen Beitragsentrichtung berechtigt gewesen. Im übrigen bestand zur Vorsorge auf diese Weise keine rechtliche Pflicht; daß gleichwohl die Klägerin ab 1950 bis zum Eintritt der Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit zu einer Vorsorge durch Beitragsentrichtung zur gesetzlichen Rentenversicherung bereit war, zeigt ihr Lebenslauf.

Ein Verzicht auf den Unterhaltsanspruch ist nicht feststellbar.

Daß ein Verzicht auf nachehelichen Unterhalt der Geltendmachung des Anspruchs auf Rente nach § 42 AVG entgegensteht, hat das BSG entschieden (SozR Nrn 33, 35, 54 zu § 1265 RVO). Hierbei ist es von § 72 Satz 1 EheG 1946 ausgegangen (gleichlautend seit 1. Juli 1977: § 1585c Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-), wonach die Ehegatten über die Unterhaltspflicht für die Zeit nach der Scheidung Vereinbarungen treffen und sonach auch einen Verzicht vereinbaren können, ohne daß dem der Einwand der Sittenwidrigkeit entgegenzuhalten wäre. Ein Unterhaltsverzicht stellt zivilrechtlich den Erlaß einer bestehenden Forderung dar (§ 397 Abs 1 BGB); ein Erlaß künftiger Forderungen bewirkt, daß sie gar nicht erst entstehen (BGH 40, 330). Im Unterhaltsrecht kann ein Erlaß (Verzicht) wie im Schuldrecht nur durch den Abschluß eines Vertrages zustandekommen; ein einseitiger Verzicht auf schuldrechtliche Ansprüche ist nicht vorgesehen (RGZ 72, 171; 110, 488). Obschon ein Erlaß gleichwohl auch im jahrelangen Unterlassen einer Geltendmachung der Forderung liegen kann, muß indes der Wille zu erlassen dabei gegeben sein; ein dahingehender Wille setzt die Kenntnis der Forderung, zumindest aber der Möglichkeit ihres Bestehens voraus. Erforderlich ist insofern jedenfalls ein unzweideutiges Verhalten, das vom Erklärungsempfänger als Aufgabe des Rechts verstanden werden kann; in keinem Falle ist ein Erlaß zu vermuten (RGZ 118, 66; 135, 265; Palandt, BGB, 41. Aufl, Anm 2 zu § 397; BGH in FamRZ 81, 763).

Hiernach kann für den maßgebenden letzten Zeitraum vor dem Tode von Sch. (vgl hierzu Urteil des 12. Senats vom 17. Mai 1972 - 12 RJ 118/71 -) ein Verzicht nicht angenommen werden. Das LSG hat alle hierfür möglicherweise bedeutsamen Umstände geprüft, jedoch keine Feststellungen getroffen, die einen dahingehenden rechtsgeschäftlichen Willen der Klägerin erkennen lassen, weder für die Zeit vor dem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand noch für dessen Beginn im Jahre 1965 oder für eine Zeit während seines Verlaufs. Auch dagegen hat die Beigeladene keine verfahrensrechtlichen Rügen erhoben. Den rechtlichen Schlüssen, die das LSG, ohne daß die Beigeladene sich dagegen gewandt hätte, aus dem Sachverhalt gezogen hat, vermag der Senat darum ohne Bedenken zu folgen.

Ist nach alledem die Rechtsauffassung des LSG nicht zu beanstanden, dann ist eine Erörterung der 3. Alternative von § 42 Satz 1 AVG nicht mehr erforderlich; die 2. Alternative stand nach der Sachlage von vornherein zur Prüfung nicht an. Der Klägerin steht sonach ab 1. April 1979 Geschiedenenwitwenrente zu, weshalb die Revision der Beigeladenen mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen war.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661107

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge