Leitsatz (amtlich)

Eine vor dem 2. Weltkrieg nach österreichischem Recht mögliche Scheidung von Tisch und Bett, die nicht die völlige Auflösung der Ehe herbeigeführt hat, bestimmt nicht die "Dauer der Ehe" iS von AVG § 45 Abs 4.

 

Normenkette

RVO § 1268 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23; AVG § 45 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. April 1968 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat der Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten im gesamten Verfahren zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Verhältnis die Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des im August 1961 verstorbenen Vermessungsrates F ... (Versicherter) von der Beklagten auf die Klägerin und die Beigeladene aufzuteilen ist.

Der 1901 geborene Versicherte war seit dem 3. März 1926 in erster Ehe mit der Beigeladenen verheiratet. Diese in Österreich geschlossene Ehe wurde durch eine Entscheidung des Bezirksgerichts Wien vom 16. Mai 1933 nach damaligem österreichischen Recht von Tisch und Bett geschieden, nachdem sich die Ehepartner zuvor in einem notariellen Scheidungsübereinkommen über die wirtschaftlichen Folgen der Scheidung geeinigt hatten. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet vom 6. Juli 1938 - EheG 1938 - (RGBl I S. 807) am 1. August 1938 wurde die Ehe der Parteien durch Beschluß des Amtsgerichts Wien I vom 7. August 1941 nach § 115 Abs. 1 EheG 1938 im Sinne dieses Gesetzes für geschieden erklärt. Im Dezember 1949 heiratete der Versicherte die Klägerin; diese zweite Ehe bestand bis zu seinem Tode im August 1961.

Nach dem Tode des Versicherten gewährte die Beklagte der Klägerin (der zweiten Frau des Versicherten) zunächst die volle Witwenrente gemäß § 41 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Auf Antrag der Beigeladenen (der ersten Frau) gewährte sie auch ihr ab 1. September 1963 eine Hinterbliebenenrente nach § 42 AVG; als Dauer der ersten Ehe (§ 45 Abs. 4 Satz 1 AVG) legte die Beklagte die Zeit vom 3. März 1926 bis zum 7. August 1941 zugrunde. Bei der Neufeststellung der Witwenrente nach § 45 Abs. 4 Satz 2 AVG ermäßigte die Beklagte die Rente der Klägerin ab 1. Mai 1964 auf den Betrag, der der Dauer der Ehe der Klägerin mit dem Versicherten im Verhältnis zur Gesamtdauer beider Ehen entsprach (Bescheid vom 19. März 1964). Gegen diesen Neufeststellungsbescheid erhob die Klägerin Klage; sie verlangt eine höhere Rente, weil die Ehe der Beigeladenen nur bis Mai 1933 (Scheidung von Tisch und Bett) gedauert habe. Das Sozialgericht (SG) München holte ein Sachverständigengutachten des Instituts für Rechtsvergleichung der Universität München vom 26. April 1965 über die Rechtswirkungen einer 1933 in Österreich ausgesprochenen Scheidung von Tisch und Bett ein und lud die geschiedene erste Ehefrau des Versicherten zu dem Verfahren bei. Mit Urteil vom 13. Dezember 1965 wies es sodann die Klage ab. Die Berufung der Klägerin wurde vom Bayerischen Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 9. April 1968). Das LSG hielt die Berechnung der Witwenrente in dem angefochtenen Bescheid für rechtmäßig. Erst die 1941 vom Amtsgericht Wien auf Grund der Vorschriften des EheG 1938 ausgesprochene Scheidung habe die erste Ehe des Versicherten in vollem Umfang beendet. Die Scheidung "von Tisch und Bett" nach österreichischem Recht im Jahre 1933 habe zwar vermögensrechtlich die gleichen Wirkungen gehabt wie eine Scheidung dem Bande nach; bei Erteilung eines Dispenses sei auch für jeden der Ehepartner eine neue Eheschließung möglich gewesen. Die Ehe habe aber bis 1941 "dem Bande nach" weiterbestanden; eine dem deutschen Recht entsprechende Scheidung habe bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen. Die Bezugnahme der Sozialversicherungsgesetze auf eherechtliche Begriffe (hier: "Dauer der Ehe") könne nur im Sinne des deutschen Eherechts verstanden werden, nicht aber im Sinne eines dem deutschen Eherecht nicht rechtsähnlichen ausländischen Rechts; andernfalls wäre eine klare Bestimmung der Ehedauer bei der Vielfalt des ausländischen Scheidungsrechts praktisch unmöglich.

Die Klägerin legte frist- und formgerecht die vom LSG zugelassene Revision ein; sie beantragte,

die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben sowie den angefochtenen Bescheid der Beklagten abzuändern und diese zu verurteilen, die Witwenrente der Klägerin auf der Grundlage einer Ehedauer des Versicherten und der Beigeladenen in der Zeit vom 3. März 1926 bis zum 16. Mai 1933 festzustellen.

Sie rügte, das LSG habe den Begriff "Dauer der Ehe" in § 45 Abs. 4 Satz 1 AVG verkannt; daß schon die Scheidung von Tisch und Bett die Ehe im Sinne dieser Vorschrift beendet habe, ergebe sich bereits daraus, daß die von Tisch und Bett Geschiedenen nach österreichischem Recht auf Grund eines Dispenses eine neue Ehe hätten eingehen können. Eine solche Möglichkeit setze aber eine endgültige Auflösung der ersten Ehe voraus. Die Unterhaltsersatzfunktion der Geschiedenenwitwenrente bestätige diese Auffassung. Die unterhaltsrechtlichen Folgen der Scheidung von Tisch und Bett seien nämlich endgültig gewesen und durch die spätere Scheidung nach deutschem Recht nicht berührt worden.

Die Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene ließ sich im Revisionsverfahren nicht vertreten; sie erklärte sich jedoch - wie auch die übrigen Beteiligten - mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Ziff. 1, 164 SGG); sie ist jedoch nicht begründet.

Nach § 45 Abs. 4 Satz 1 AVG erhalten mehrere Berechtigte im Sinne der §§ 41 bis 43 AVG jeweils nur den Teil der für jeden von ihnen zu berechnenden vollen Rente, der im Verhältnis zu den anderen Rentenberechtigten der Dauer der Ehe des jeweiligen Hinterbliebenen mit dem Versicherten entspricht. Im vorliegenden Falle ist zwar die Dauer der Ehe der Klägerin mit dem Versicherten unstreitig, aber die Beendigung der Ehe der Beigeladenen mit dem Versicherten streitig. Da die Ehe der Beigeladenen mit dem Versicherten sowohl 1933 nach früherem österreichischem Recht von Tisch und Bett geschieden als auch nach dem EheG 1938 im Jahre 1941 für geschieden erklärt worden ist, kommt es für die Anwendung des § 45 Abs. 4 Satz 1 AVG darauf an, welche Scheidung die "Dauer der Ehe" bestimmt.

Soweit das deutsche Sozialversicherungsrecht für die Entstehung und den Umfang eines Rentenanspruchs ehe- und familienrechtliche Ereignisse voraussetzt, sind damit grundsätzlich die nach deutschem Recht maßgeblichen Begriffe gemeint. Das innerstaatliche Recht kann nur einheitlich verstanden werden, weil die einzelnen Rechtsgebiete aufeinander abgestimmt sind. Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Einheit der staatlichen Rechtsordnung kann nur dort in Betracht kommen, wo das Gesetz selbst ausdrücklich oder den Umständen nach erkennen läßt, daß ein allgemein gebräuchlicher Rechtsbegriff anders als üblich zu verstehen ist (vgl. dazu die Entscheidung des BGH in FamRZ 1967, 452 ff, wo der Begriff der "Scheidung" im Sinne des Art. 17 EGBGB ausnahmsweise weit ausgelegt worden ist). Diese Auffassung zeigt auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die zur Wahrung klarer statusrechtlicher Verhältnisse familienrechtliche Begriffe stets streng ausgelegt hat (vgl. z. B. BSG 10, 1, 3; 21, 10, 12; 27, 96, 98; SozR Nr. 18 zu § 38 BVG; BSG 29, 32, 34/35 für die in Sozialversicherungsgesetzen enthaltenen Begriffe der "Wiederverheiratung", der "Witwe" oder des "ehelichen Kindes"). Ebenso ist auch vom deutschen Familienrecht auszugehen, wenn es auf den für die "Dauer der Ehe" maßgeblichen Begriff der "Scheidung" ankommt; das Gesetz gibt keinen Anhalt dafür, diesen Begriff in einem von der deutschen Rechtsordnung abweichenden Sinne aufzufassen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob - wie das LSG meint - im Einzelfall auch eine ausländische, in ihren Rechtswirkungen jedoch dem deutschen Recht entsprechende Scheidung die Ehe beenden und damit ihre Dauer bestimmen kann. Eine solche Rechtswirkung hat jedenfalls die nach früherem österreichischen Recht bewirkte Scheidung von Tisch und Bett nach Ansicht des LSG nicht gehabt. Nach dem 1933 in Österreich geltenden Recht des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches stellte die Scheidung von Tisch und Bett keine völlige Auflösung der Ehe dar; diese blieb vielmehr dem Bande nach bestehen. In wirtschaftlicher Hinsicht traten allerdings bereits Rechtsfolgen ein, die durch die spätere Scheidung der Ehe auch dem Bande nach nicht mehr berührt worden sind. An die Auslegung des österreichischen Rechts durch das LSG ist der Senat gebunden, da die Revision nicht auf die unrichtige Anwendung ausländischen Rechts gestützt werden kann (§ 162 Abs. 2 SGG). Hat aber die Ehe der Beigeladenen mit dem Versicherten nach 1933 dem Bande nach fortbestanden, so fehlt damit das wesentliche Merkmal der deutschen Ehescheidung, die eine völlige Auflösung der früheren Ehe zur Folge hat (vgl. § 46 EheG 1938, § 41 EheG 1946). Die vor dem zweiten Weltkrieg in Österreich mögliche Scheidung von Tisch und Bett stellt somit kein der deutschen Ehescheidung vergleichbares Rechtsinstitut dar; sie ist daher für die Dauer einer Ehe nach deutschem Recht unbeachtlich. Die Beigeladene war deshalb bis zu der 1941 nach deutschem Recht ausgesprochenen Scheidungserklärung weiterhin die Ehefrau des Versicherten. Diese Auslegung des Begriffs "Dauer der Ehe" vertreten auch die deutschen Rentenversicherungsträger (vgl. Hofmann in "Die Rentenversicherung" 1964, 1; Schramm in "Mitteilungen der LVA Rheinprovinz" 1967, 500, 504; Schmidt in "Mitteilungen der LVA Berlin" 1968, Beilage zu Nr. 8 S. 4; Balfanz in "Mitteilungen der LVA Berlin" 1969, 189, 194).

Die Einwände der Klägerin in ihrer Revisionsbegründung gegen die hier vertretene Rechtsauffassung überzeugen nicht. Das gilt einmal von dem Hinweis, sowohl die Beigeladene als auch der Versicherte hätten nach der Scheidung von Tisch und Bett auf Grund eines Dispenses eine neue Ehe eingehen können, was eine völlige Auflösung der ersten Ehe voraussetze. Welche Rechtswirkungen einer solchen Dispensehe gegenüber der von Tisch und Bett geschiedenen ersten Ehe nach österreichischem Recht zugekommen wären, ist vom LSG nicht festgestellt worden. Das ist auch schon deshalb nicht notwendig gewesen, weil keiner der hier von Tisch und Bett Geschiedenen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat. Auch der weitere Hinweis der Klägerin auf die "endgültigen" wirtschaftlichen, insbesondere unterhaltsrechtlichen Folgen einer Scheidung von Tisch und Bett und ihre daran anknüpfende Bezugnahme auf die Unterhaltsersatzfunktion einer Hinterbliebenenrente nach § 42 AVG können angesichts der statusrechtlichen Verhältnisse nach dem deutschen Familienrecht eine andere Entscheidung nicht rechtfertigen.

Nach alledem ist die Witwenrente der Klägerin im Verhältnis zur Hinterbliebenenrente der Beigeladenen nach der beiderseitigen Ehedauer von der Beklagten zutreffend festgesetzt worden; die Vorinstanzen haben die Klage gegen den angefochtenen Bescheid deshalb mit Recht abgewiesen; auch die Revision der Klägerin muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669639

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