Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindererziehungszeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das FANG enthält in § 28b I i. V. mit den bundesrechtlichen Vorschriften über Kindererziehungszeiten eine gegenüber §§ 15, 22 FRG spezielle Regelung, die abschließend bestimmt, bei welchen Versicherungsfällen und in welcher Weise fremdrentenrechtliche Tatbestände der Kindererziehung zu berücksichtigen sind.

2. Vor dem 1. 1. 1986 in einem Vertreibungsgebiet oder der DDR zurückgelegte Zeiten der Kindererziehung können bei der Rentenberechnung nicht nach §§ 15, 22 FRG berücksichtigt werden, auch wenn sie im Herkunftsland einer Beitragszeit gleichgestellt waren.

 

Normenkette

FANG § 28b

 

Gründe

I. Streitig ist nur noch, ob die Zeit einer Freistellung zur Pflege eines Kindes mit Unterstützungsbezug in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vom 20. August 1976 bis 23. Juni 1977 als Beitragszeit nach dem Fremdrentengesetz (FRG) rentensteigernd zu berücksichtigen ist.

Die 1944 geborene Klägerin, die im April 1986 in die Bundesrepublik übergesiedelt ist, hatte in der Deutsche Demokratische Republik (DDR) am 13. August 1969 eine Tochter und am 24. Juni 1976 einen Sohn geboren. Nach Eintragungen in dem 1969 ausgestellten "Ausweis II für Arbeit und Sozialversicherung" der Deutsche Demokratische Republik (DDR) war die Klägerin u.a. in den Jahren 1976 und 1977 als Lehrerin beim Rat des Kreises D. beschäftigt (Direktorin der polytechnischen Oberschule in T.). Für 1976 sind 179 Tage und für 1977 159 Tage als sozialversicherungspflichtig bescheinigt. Im Abschnitt "Heilbehandlung" ist eine Arbeitsunfähigkeit, "zur Pflege des Kindes" vom 27. Juni 1976 bis 28. Juni 1977 angegeben. In der Rubrik "genehmigungspflichtige Heil- und Hilfsmittel" ist die Zahlung von "Mütterunterstützung nach § 3 der Verordnung (VO) vom 27. Mai 1976 für die Zeit vom 8. Dezember 1976 bis 23. Juni 1977" vermerkt.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 1986 erkannte die Beklagte auf Antrag vom 9. Mai 1986 einen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit an. Dabei wurde aufgrund der Geburt des zweiten Kindes lediglich eine Ausfallzeit vom 13. Mai bis 19. August 1976 (entsprechend den bundesdeutschen Mutterschutzfristen) berücksichtigt und ausgeführt, daß die unbezahlte Freistellung im Anschluß an den Wochenurlaub vom 20. August 1976 bis 23. Juni 1977 weder Beitragszeit i.S. von § 15 FRG noch Ausfallzeit i.S. von § 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) sei; Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 könnten nur bei Versicherungsfällen nach dem 30. Dezember 1985 berücksichtigt werden. Im Falle der Klägerin sei der Versicherungsfall vor diesem Zeitpunkt eingetreten (31. Oktober 1982).

Nachdem die Beklagte während des Klageverfahrens Erwerbsunfähigkeit auf Dauer ab 31. März 1984 anerkannt hatte, hat das Sozialgericht (SG) Detmold die Beklagte verurteilt, die Zeit vom 20. August 1976 bis 23. Juni 1977 als Beitragszeit nach § 15 FRG anzuerkennen und der Leistungsgruppe 2 der Anlage 1B zum FRG zuzuordnen (Urteil vom 24. Juni 1988). Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, die streitige Zeit des Bezuges von Mütterunterstützung in der Deutsche Demokratische Republik (DDR) stehe einer Beitragszeit i.S. von § 15 FRG - hier i.V.m. § 17 Abs. 1 Buchstabe (Buchst.) a) FRG - gleich. Sie erfülle alle Voraussetzungen, die hierzu von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aufgestellt worden seien. Zwar seien Beiträge zur Rentenversicherung der Deutsche Demokratische Republik (DDR) nicht entrichtet worden. Jedoch seien nach dem zur streitigen Zeit maßgeblichen DDR-Recht die Zeiten des Bezugs von Mütterunterstützung nach § 3 der VO vom 27. Mai 1976 mit Zeiten, für die Beiträge entrichtet worden seien, versicherungsrechtlich gleichgestellt gewesen. Daß ihre Anrechnung an bestimmte Voraussetzungen im Versicherungsverlauf geknüpft gewesen sei oder daß sie für die Rente geringer bewertet würden als echte Beitragszeiten, sei nicht erkennbar. Auch fehlten Anhaltspunkte dafür, daß in der Deutsche Demokratische Republik (DDR) nach gegenwärtig geltendem Recht eine solche Gleichstellung nicht mehr) vorgesehen wäre; insbesondere habe die Beklagte hierzu nichts vorgetragen. Schließlich sei auch die Anrechnung der Kindererziehungszeit mit der Struktur des bundesdeutschen Rentenrechts nicht schlechthin und offenkundig unvereinbar. Die Kammer schließe sich insoweit der Auffassung des 5a-Senats im Urteil vom 8. April 1987 (BSGE 61, 267 = SozR 5050 § 15 Nr. 33) an, wonach das Eingliederungsprinzip als Schranke der Entschädigung nach § 15 FRG nur die prinzipielle Vereinbarkeit mit dem Rentensystem der Bundesrepublik, nicht dagegen eine Übereinstimmung in zeitlicher Hinsicht verlange. Es sei insoweit unerheblich, daß die Kindererziehung nach bundesdeutschem Recht nur bei Versicherungsfällen nach dem 30. Dezember 1985 berücksichtigt werde, hingegen der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit bei der Klägerin am 31. März 1984 eingetreten sei. Insoweit gebiete das Entschädigungsprinzip, die von der Klägerin in der Deutsche Demokratische Republik (DDR) erzielte Rechtsposition auch bei der Berechnung ihrer bundesdeutschen Rente zu berücksichtigen.

Die Bewertung erfolge gemäß § 22 Abs. 1 FRG nach Maßgabe der Anlage 1B. Danach sei die Zuordnung der Leistungsgruppe 2 gerechtfertigt, weil diese Gruppe von der Beklagten vor und nach der streitigen Zeit anerkannt worden sei. Nach allem könne dahingestellt bleiben, ob die Beklagte die Zeit vom 27. Juni 1976 bis 28. Juni 1977 nicht schon durchgehend als Ausfallzeit wegen Arbeitsunfähigkeit hätte berücksichtigen oder ob sie im Hinblick auf die von der Klägerin angegebenen Komplikationen bei der Geburt und einen deswegen erforderlichen Krankenhausaufenthalt nach der Geburt nicht auch nach § 1 Abs. 2, 4 der VO vom 27. Mai 1976 für Zeiten vor dem 8. Dezember 1976 (Beginn der Zahlung von Mütterunterstützung) eine Ausfallzeit wegen Arbeitsunfähigkeit hätte anerkennen müssen.

Die Beklagte rügt mit der Sprungrevision eine Verletzung materiellen Rechts sowie des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Klägerin habe für die Geburt ihres zweiten Kindes - wie sich aus § 14 FRG ergebe - Anspruch lediglich auf Anrechnung einer Ausfallzeit entsprechend den bundesdeutschen Mutterschutzfristen. Deshalb sei zu Recht nur die Zeit vom 13. Mai bis 19. August 1976 nach § 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) berücksichtigt worden. Aus der Eintragung im Sozialversicherungsausweis II, in dem eine Arbeitsunfähigkeit vom 27. Juni 1976 bis 28. Juni 1977 "zur Pflege des Kindes" bescheinigt sei, könne eine entsprechende Ausfallzeit nicht abgeleitet werden, weil das bundesdeutsche Recht - anders als das DDR-Recht - eine Arbeitsunfähigkeit wegen Freigabe zur Pflege erkrankter Kinder nicht kenne. Auch eine stationäre Behandlung der Klägerin selbst sei in ihrem Sozialversicherungsausweis nicht bescheinigt, so daß über den 19. August 1976 hinaus eine Ausfallzeit nicht anzurechnen sei. Die Zeit vom 20. August 1976 bis 23. Juni 1977 könne aber auch nicht nach § 15 FRG berücksichtigt werden, weil nach DDR-Recht sowohl der Wochenurlaub mit Wochengeldbezug (25. Juni 1976 bis 7. Dezember 1976) als auch die anschließende bezahlte "Freistellung mit Mütterunterstützung" (vom 8. Dezember 1976 bis 23. Juni 1977) als beitragslose DDR-Versicherungszeiten nicht die Voraussetzungen erfüllten, die nach der Rechtsprechung des BSG für die Gleichstellung mit einer bundesdeutschen Beitragszeit zu fordern seien (Großer Senat - GS - in BSGE 62, 255; Urteil des 1. Senats vom 18. Februar 1981, BSG SozR 5050 § 15 Nr. 21). Nach diesen Maßstäben scheitere die Berücksichtigung einer Fremdbeitragszeit i.S. von § 15 FRG nicht nur am Fehlen einer vollwertigen DDR-Gleichstellungsregelung, sondern auch am Fehlen der Eingliederungsfähigkeit in das Bundesrecht. Diese sei nur zu bejahen, wenn vergleichbare innerstaatliche Tatbestände zur fraglichen Zeit eine bundesdeutsche Versicherungszeit begründet hätten. An dieser zeitgleichen Vereinbarkeit fehle es bei fremden Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986, weil das Bundesrecht solche Versicherungszeiten erst nachträglich mit Wirkung ab 1. Januar 1986 eingeführt habe (§ 28a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) i.d.F. des Art. 2 Nr. 8 des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes - Hinterbliebenenrenten -u. Erziehungszeiten-Gesetz (HEZG) - vom 11. Juli 1985, BGBl I S. 1450). DDR-Zuwanderern stehe daher zwar bei Versicherungsfällen nach dem 30. Dezember 1985 unmittelbar nach Bundesrecht eine einjährige besondere Versicherungszeit für Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 zu, nicht aber eine Fremdbeitragszeit nach § 15 FRG für eine im Herkunftsgebiet gleichgestellte Kindererziehungszeit. Denn in den Jahren 1976/1977 (zeitgleich mit der hier streitigen - Kindererziehung) sei ein solcher Tatbestand im Bundesrecht ohne Bedeutung gewesen. Auch jetzt sei die Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 nach Bundesrecht keine echte oder fiktive Beitragszeit i.S. von § 27 Abs. 1 Buchstabe (Buchst.) a) AVG, sondern eine besondere Versicherungszeit i.S. von § 27 Abs. 1 Buchstabe (Buchst.) c) AVG, die leistungsrechtlich ein geringeres Gewicht habe, weil mit ihr z.B. nicht die Anrechnungsvoraussetzungen von Ersatzzeiten, Ausfallzeiten und Zurechnungszeiten erfüllt werden könnten. Angesichts dessen sei die Eingliederungs- und Entschädigungsfähigkeit fremder Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986 zu verneinen. Im übrigen könnten, selbst wenn eine Beitragszeit nach § 15 FRG zu berücksichtigen wäre, dieser nicht die Werte der Leistungsgruppe 2 der Anlage 1B zum FRG zugeordnet werden. Die dort den Beitrags- und Beschäftigungszeiten nach bestimmten Produktionsbereichen, Berufen und Tätigkeitsmerkmalen im Arbeitsprozeß zugeordneten Entgelte könnten weder auf Kindererziehungszeiten noch auf Zeiten des Grundwehrdienstes übertragen werden. Im Hinblick auf die durch das FRG bewirkte Eingliederung in das Rechtssystem der Bundesrepublik sei statt dessen eine entsprechende Anwendung des § 32 Abs. 6a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) (wie beim Wehrdienst § 32 Abs. 6 AVG) angemessen. Kindererziehungszeiten wären danach lediglich mit dem dort genannten Monatswert 6,25 auszuweisen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 24. Juni 1988 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

II.

Die Sprungrevision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben. Die allein streitige Zeit vom 20. August 1976 bis 23. Juni 1977 kann nicht als Beitragszeit iS von § 15 FRG bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden.

Zutreffend hat die Beklagte für Zeiten der Schwangerschaft und Geburt des zweiten Kindes der Klägerin in der Deutsche Demokratische Republik (DDR) am 24. Juni 1976 lediglich die Zeit vom 13. 5. bis 19. August 1976 als Ausfallzeit bei der Rentenberechnung berücksichtigt. Das entspricht § 14 FRG iVm § 35 Abs 1 AVG, wonach im Recht der Bundesrepublik bei der Ermittlung der Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre als Ausfallzeiten iS von § 35 Abs 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) gemäß § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) ua Zeiten berücksichtigt werden, in denen eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch Schwangerschaft, Wochenbett oder Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz (MuSchG) unterbrochen worden ist. Die vorgenannte Zeit entspricht den bundesdeutschen Mutterschutzfristen (sechs Wochen vor der Geburt, § 3 Abs 2 MuSchG, und acht Wochen nach der Geburt, § 6 Abs 1 MuSchG). Daß die Klägerin in der anschließenden Zeit nach ärztlichem Zeugnis nicht oder nicht voll leistungsfähig iS von § 6 Abs 2 Mutterschutzgesetz (MuSchG) oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig iS von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) gewesen wäre, ist weder den Feststellungen des SG noch dem eigenen Vorbringen der Klägerin zu entnehmen. Auch kann - wie die Beklagte zu Recht vorgetragen hat - der Eintragung im Sozialversicherungsausweis II der Klägerin, in der eine Arbeitsunfähigkeit vom 27. Juni 1976 bis 28. Juni 1977 "zur Pflege des Kindes" bescheinigt ist, ein solcher Tatbestand nicht entnommen werden. Denn § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AVG, auf den § 14 FRG verweist, kennt eine Ausfallzeit nur für den Fall, daß der Beschäftigte wegen eigener Krankheit arbeitsunfähig ist, nicht aber, daß er - wie nach DDR-Recht - zur Pflege erkrankter Kinder freigestellt wird. Auch für eine ggf längerdauernde stationäre Behandlung haben sich aus dem Sozialversicherungsausweis keine Hinweise ergeben, so daß der Klägerin über den 19. August 1976 hinaus (Ablauf der Achtwochenfrist) keine Ausfallzeit wegen Arbeitsunfähigkeit angerechnet werden kann.

Entgegen der Annahme des SG ist die streitige Zeit vom 20. August 1976 bis 23. Juni 1977 auch nicht als Beitragszeit iS von § 15 FRG bei der Berechnung der Rente der Klägerin rentensteigernd zu berücksichtigen. Dabei kann der Senat offenlassen, ob diese Zeit - wovon das SG ausgegangen ist - einer DDR-Beitragszeit versicherungsrechtlich gleichgestellt gewesen ist oder ob es - wie die Beklagte geltend macht - jedenfalls nach dem zur Zeit der Entscheidung geltenden DDR-Recht an der - zusätzlich - für erforderlich gehaltenen leistungsrechtlichen Gleichstellung gefehlt hat. Auch wenn der Senat davon ausgeht, daß die streitige Zeit den vom GrS des BSG aufgestellten Gleichstellungsanforderungen an eine echte DDR-Beitragszeit in vollem Umfang genügt hätte, fehlt es jedenfalls an der erforderlichen Vereinbarkeit der in der Deutsche Demokratische Republik (DDR) erlangten Rechtsposition mit den Grundstrukturen des innerstaatlichen Rentenrechts.

Wie der GrS in seinen Beschlüssen vom 4. Juni 1986 (BSGE 60, 100 = SozR 5050 § 15 Nr 32) und vom 25. November 1987 (BSGE 62, 255 = SozR 5050 § 15 Nr 35) zur Einschränkung des Entschädigungsgedankens durch das Eingliederungsprinzip im einzelnen dargelegt hat, ist der Entschädigung von im Herkunftsland erworbenen Rentenansprüchen und -anwartschaften eine rechtliche Grenze jedenfalls dort gesetzt, wo deren Anrechnung mit der Struktur des innerstaatlichen Rentenrechts schlechthin und offenkundig unvereinbar wäre und, gemessen am Rentenrecht der Bundesrepublik, zu einer systemfremden, nicht hinnehmbaren Begünstigung führen würde. Das ist bezüglich der streitigen Zeit der Fall. Ihre Anrechnung nach § 15 FRG widerspricht dem System des bundesdeutschen Rentenrechts. Dafür spricht bereits, daß ein dem DDR-Recht vergleichbarer Rentenversicherungsschutz für - beitragslose - Zeiten der Kindererziehung (Kinderpflege) in den ersten 12 Monaten nach der Geburt eines Kindes im bundesdeutschen Rentenrecht erstmals durch das am 1. Januar 1986 in Kraft getretene Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz (HEZG) vom 11. Juli 1985 (BGBl I 1450) eingeführt worden ist. Dabei handelt es sich um eine strukturelle Leistungsverbesserung, die grundsätzlich nur neue, dh ab Inkrafttreten des Hinterbliebenenrenten -u. Erziehungszeiten-Gesetz (HEZG) eintretende Versicherungsfälle erfaßt. Für Versicherungsfälle vor dem 31. Dezember 1985 sah und sieht das bundesdeutsche Rentenversicherungsrecht einen Nachteilsausgleich für Zeiten vor und nach der Geburt eines Kindes nur in der Art und den Grenzen des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) vor. Lediglich bei neuen Versicherungsfällen wird der Nachteil beim Aufbau einer Rentenanwartschaft, der durch die Beanspruchung durch Kindererziehung bzw -pflege typischerweise - infolge der eingeschränkten Möglichkeit, versicherungspflichtig beschäftigt oder tätig zu sein - bewirkt wird, auf zwei unterschiedlichen Wegen ausgeglichen: Nur die Zeiten der Kindererziehung ab 1. Januar 1986 werden für künftige Versicherungsfälle der Pflichtversicherung nach § 2a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) unterstellt und damit zu - beitragslosen - Beitragszeiten iS von § 27 Abs 1 Buchst a) AVG, für die Beiträge in bestimmter Höhe als entrichtet gelten (§ 112 Abs 3 Buchst g und Abs 6 idF des HEZG); hingegen werden Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986, die aufgrund der Übergangsregelung des Art 2 § 6c Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) nur bei Versicherungsfällen nach dem 30. Dezember 1985 berücksichtigt werden, als Versicherungszeiten eigener Art iS von § 27 Abs 1 Buchst c) Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) auf die Wartezeit angerechnet (§ 28a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) idF des HEZG). Sämtliche Erziehungszeiten - also sowohl die bis 1985 zurückgelegten sog "Kindererziehungszeiten" als auch die ab 1986 zurückgelegten "Versicherungszeiten wegen Kindererziehung" - haben zwar eine rentenbegründende und rentensteigernde Wirkung; sie sind auf die für die Rente erforderliche Wartezeit anzurechnen und zählen bei den für die Höhe einer Rente maßgeblichen Versicherungsjahren mit, wobei sie pro Jahr mit höchstens 75 vH des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten bewertet werden. Jedoch haben die Erziehungszeiten bis 1985 eine gegenüber den Beitragszeiten ab 1986 geringere leistungsrechtliche Wirkung. So können sie zB nicht die Anrechnungsvoraussetzungen von Ersatzzeiten, Ausfallzeiten und Zurechnungszeiten erfüllen. Schon angesichts dieses im Vergleich zu echten Beitragszeiten geringeren Status der Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986, der sie eher in die Nähe von Ersatzzeiten rückt, ist es fraglich, ob entsprechende fremdrentenrechtliche Tatbestände der Kindererziehung - gemessen am Bundesrecht - als Beitragszeiten eingliederungsfähig sind.

Daß die Eingliederungsfähigkeit zu verneinen ist und kein Raum für die Berücksichtigung einer Beitragszeit nach § 15 FRG bleibt, ergibt sich speziell für die Kindererziehung in einem Vertreibungsgebiet oder der Deutsche Demokratische Republik (DDR) unmittelbar aus dem FRG selbst. Dort ist durch § 28b FRG (eingefügt mit Wirkung ab 1. Januar 1986 durch das HEZG, jetzt Abs 1 idF durch Art 5 des Kindererziehungsleistungs-Gesetzes -KLG- vom 12. Juli 1987, BGBl I 1585) eine spezielle Regelung für die vom FRG erfaßten Personen getroffen worden, die ein Kind nicht im Geltungsbereich des Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) oder im jeweiligen Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze erzogen haben (vgl § 28a AVG). Danach stehen bei den in § 1 FRG genannten Personen sowie bei Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Deutsche Demokratische Republik (DDR) hatten, für die Versicherung und die Anrechnung von Versicherungszeiten wegen Kindererziehung die Erziehung und der gewöhnliche Aufenthalt im jeweiligen Herkunftsgebiet der Erziehung und dem gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes gleich (Satz 1). Diese Vorschrift, die für alle Zeiten der Kindererziehung gilt, soll sicherstellen, daß derartige Zeiten auch bei den unter das FRG fallenden Personen angerechnet werden (vgl die Stellungnahme des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung in BT-Drucks 10/2677, zu Art 12 S 49/50). Das beruht auf dem das FRG tragenden Prinzip der Eingliederung, wonach alle in die Bundesrepublik Deutschland - insbesondere auch aus der Deutsche Demokratische Republik (DDR) - zugewanderten Personen wegen des Verlustes ihres im Herkunftsgebiet erworbenen Versicherungsschutzes rentenrechtlich grundsätzlich so gestellt werden, als hätten sie ihn hier erworben (vgl dazu auch BSGE 63, 282, 287 mwN). Damit soll aber zugleich erreicht werden, daß die Erziehung eines Kindes im Herkunftsgebiet genauso - also nicht schlechter, aber auch nicht besser - behandelt wird wie die Erziehung eines Kindes im Inland (BT-Drucks aaO, 50). Folgerichtig werden diese Zeiten nicht nach dem FRG bewertet - die Anwendung des § 22 FRG ist nach § 28b Abs 1 Satz 3 FRG ausdrücklich ausgeschlossen -, sondern nach den Vorschriften, die für die Erziehung im Inland gelten (vgl BT-Drucks aaO, 50), hier also nach § 32a Abs 5 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) höchstens mit dem Wert 6,25. Das schließt zwar nicht aus, daß Kindererziehungszeiten im Vertreibungsgebiet bzw in der Deutsche Demokratische Republik (DDR) mit bewerteten Beitragszeiten - hier: bewerteten Fremdbeitragszeiten - zusammentreffen können, jedoch darf die bewertete Fremdbeitragszeit nicht auf dem gleichen Tatbestand wie die Kindererziehungszeit, dh auf der Beanspruchung durch Kindererziehung bzw -pflege, beruhen; denn dann wäre das dem § 32a Abs 5 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) zugrundeliegende Prinzip, Tatbestände der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 mit höchstens 6,25 zu berücksichtigen, für vergleichbare Tatbestände des Fremdrentenrechts unterlaufen. Nur wenn während der Kindererziehung Beiträge aus einem anderen Rechtsgrund entrichtet worden sind, zB aufgrund fortgesetzter versicherungspflichtiger Beschäftigung oder Tätigkeit, werden diese gemäß § 15 FRG mit ihrem nach dem FRG anzusetzenden Wert (§ 22 FRG) berücksichtigt und ggf - falls sie unter dem Wert 6,25 liegen - auf diesen Wert angehoben. Aus diesem Zusammenhang folgt aber zugleich, daß eine Kindererziehungszeit vor dem 1. Januar 1986, auch wenn sie nach dem Recht des Herkunftslandes als Beitragszeit gilt, nicht unabhängig von § 28b Abs 1 FRG und den durch § 14 FRG in Bezug genommenen bundesrechtlichen Vorschriften über Kindererziehung nach § 15 FRG auf Versicherungsfälle vor dem 31. Dezember 1985 angerechnet werden kann. § 28b FRG entfaltet insoweit eine Sperrwirkung gegenüber uU weitergehenden Rechten nach § 15 FRG, um eine systemwidrige Besserstellung gegenüber inländischer Erziehung zu vermeiden. Fremdrentenrechtliche Tatbestände der Kindererziehung können deshalb nach Art 2 § 6c Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) erst bei Versicherungsfällen nach dem 30. Dezember 1985 angerechnet werden, also im Falle der Klägerin, bei der der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit auf Dauer am 31. März 1984 eingetreten ist, erst dann, wenn bei ihr ein neuer Versicherungsfall eintritt (sei es der des Alters oder aber einer erneuten Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, falls sie ihre Erwerbsfähigkeit zwischenzeitlich wiedererlangen würde). Anderenfalls würde die Erziehung eines Kindes im Herkunftsgebiet systemwidrig besser behandelt als die zeitgleiche Erziehung eines Kindes im Inland. Das widerspricht aber ersichtlich dem Regelungskonzept des HEZG, wie es im Zusammenhang der §§ 14, 28b FRG iVm §§ 2a, 27, 28a, 32, 32a und 112 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) sowie Art 2 § 6c Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) deutlich wird.

Danach enthält das FRG - was die hier streitigen Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986 betrifft - in § 28b Abs 1 FRG iVm den bundesrechtlichen Vorschriften über Kindererziehung eine - gegenüber § 15 FRG - spezielle Regelung, die abschließend bestimmt, unter welchen Voraussetzungen, in welchem zeitlichen Umfang, mit welchem Wert und für welche Versicherungsfälle fremdrentenrechtliche Tatbestände der Kindererziehung zu einer Anrechnung auf die bundesdeutsche Rente führen können. Daneben kann eine fremdrentenrechtliche Versicherungszeit aufgrund desselben Sachverhalts (der Kindererziehung bzw der Freistellung zur Pflege des Kindes), auch wenn sie nach dortigem Recht einer echten Beitragszeit gleichgestellt sein sollte, nicht als Fremdbeitragszeit nach §§ 15, 22 FRG anerkannt und bewertet und dementsprechend (unabhängig vom Eintritt des Versicherungsfalles) berücksichtigt werden. Das gilt - weil die Sperrwirkung des § 28b FRG jedenfalls mit dem Inkrafttreten dieser Vorschrift am 1. Januar 1986 eingesetzt hat - in allen Fällen, in denen eine Leistung nach dem FRG - wie im Falle der Klägerin - erstmals nach dem Inkrafttreten des Hinterbliebenenrenten -u. Erziehungszeiten-Gesetz (HEZG) am 1. Januar 1986 festgestellt wird. Ob etwas anderes in Fällen des Leistungsbeginns vor dem 1. Januar 1986 gilt, wenn der Kindererziehung vergleichbare Sachverhalte im fremden Recht den Beitragszeiten vollinhaltlich gleichgestellt waren, braucht vorliegend ebensowenig entschieden zu werden wie die Frage, ob letzteres für die hier streitigen Zeiten nach DDR-Recht tatsächlich zutrifft.

 

Fundstellen

BSGE, 171

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