Entscheidungsstichwort (Thema)

Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Erst- und Basisuntersuchungen bei Neugeborenen in Krankenhäusern gehören zur kassenärztlichen Versorgung; auch auf sie erstreckt sich der Sicherstellungsauftrag in RVO § 368n Abs 1 S 1.

2. Den KK ist es verwehrt, mit den Krankenhäusern über die Vergütung der Erst- und Basisuntersuchungen bei Neugeborenen Verträge abzuschließen.

 

Normenkette

RVO § 368n Abs. 1 S. 1 Fassung: 1972-08-10, § 181 Fassung: 1970-12-21; BMV-Ä § 10a; RVO § 368 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1972-08-10

 

Tenor

Auf die Revisionen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 1973 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. August 1972 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die klagende Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) erstrebt die Feststellung, daß die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) nicht berechtigt sei, mit der beigeladenen Berliner Krankenhausgesellschaft die Vergütung von stationär durchgeführten Vorsorgeuntersuchungen von Neugeborenen - Neugeborenen-Erstuntersuchungen und Neugeborenen-Basisuntersuchungen - zu regeln.

Im Januar 1972 trafen die Beklagte und die beigeladenen Landesverbände der Betriebs- und der Innungskrankenkassen mit der Berliner Krankenhausgesellschaft eine "Vereinbarung ... über die Abgeltung der Kosten für Neugeborenen-Erstuntersuchungen (U 1) und Neugeborenen-Basisuntersuchungen (U 2) durch die Krankenhäuser im Lande Berlin". Darin wurden zugunsten der betreffenden Krankenhäuser und Entbindungsanstalten Vergütungen für die genannten Untersuchungen festgelegt, wenn sie von angestellten oder beamteten Ärzten dieser Anstalten im Rahmen ihrer Dienstaufgaben vorschriftsmäßig durchgeführt werden.

Die Klägerin hat vor dem Sozialgericht (SG) Klage erhoben mit dem Antrag festzustellen, daß die genannten Untersuchungen Gegenstand der von ihr sicherzustellenden kassenärztlichen Versorgung seien und die Beklagte daher nicht berechtigt sei, mit der Berliner Krankenhausgesellschaft Verträge über die Vergütung dieser Untersuchungen als stationäre Krankenhausleistungen abzuschließen. Das SG hat dem Klageantrag entsprochen. § 368 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Zweiten Krankenversicherungs-Änderungsgesetzes (2. KVÄG) vom 21. Dezember 1970 (BGBl I 1770) weise alle Früherkennungsmaßnahmen ausnahmslos in den Bereich der kassenärztlichen Versorgung (Urteil vom 30. August 1972). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Ausschließlichkeitsanspruch für Kassenärzte hinsichtlich aller - auch der stationär durchgeführten U1- und U2-Untersuchungen - überschreite die Grenzen des Sicherstellungsauftrags und stelle einen erheblichen Eingriff in die Struktur und Autonomie der Krankenhausträger dar. Dies sei jedoch - wie sich aus der Entstehungsgeschichte des 2. KVÄG ergebe - bei der Einführung der Früherkennungsmaßnahmen nicht beabsichtigt gewesen. Mit Ausnahme des in § 368 g Abs. 4 RVO geregelten Sonderfalles - Belegärzte - werde die Krankenhauspflege nicht von dem Sicherstellungsauftrag der KÄV erfaßt. Es bestehe nach der gesetzlichen Systematik vielmehr der Grundsatz, daß das Monopol der KÄV'en von ärztlichen Maßnahmen in Krankenhäusern überlagert werde. Dies gelte, wie die Gewährung von Mutterschaftshilfe zeige, nicht nur für die ärztliche Behandlung im engeren Sinne, sondern für sämtliche ärztliche Maßnahmen in Krankenhäusern. Die kassenärztliche Versorgung beschränke sich daher auf ambulante Maßnahmen, auch wenn der Wortlaut der §§ 368 ff RVO insoweit nicht eindeutig sei. Eine derartige Grenzziehung sei auch sinnvoll, weil die U1- und U2-Untersuchungen bei einer Krankenhausentbindung naturnotwendig stationär durchgeführt werden müßten und die Krankenhäuser dazu die besten Voraussetzungen besäßen. Trotz § 10 a Bundesmanteltarifvertrag/Ärzte (BMV-Ä), dessen Rechtmäßigkeit bezweifelt werde, seien die KÄV'en zur Sicherstellung dieser Untersuchungen aus arbeitsrechtlichen Gründen und wegen Fehlens einer Verpflichtung von Krankenhausärzten und Krankenhäusern zur Durchführung der Früherkennungsmaßnahmen nicht in der Lage.

Die Klägerin und die beigeladene Kassenärztliche Bundesvereinigung beantragen mit der zugelassenen Revision, das Urteil des SG wieder herzustellen. Durch die ausnahmslose Zuweisung der Früherkennungsmaßnahmen zum Bereich der kassenärztlichen Versorgung werde den Kassenärzten keine Monopolstellung eingeräumt; die Früherkennungsmaßnahmen seien allerdings ausschließlich der Regelungsbefugnis der Träger der kassenärztlichen Versorgung unterstellt. Diese Zuordnung, durch die allein der Wirkungsbereich der Früherkennungsrichtlinien und die vorgesehene Dokumentation gesichert seien, werde auch in die Rechte der Krankenhäuser nicht eingegriffen, da diese lediglich - wie § 368 n Abs. 2 Satz 1 RVO bereits vorsehe - nunmehr in Vertragsbeziehungen auch zu den KÄV'en treten müßten.

Die Beklagte, der beigeladene Bundesverband der Ortskrankenkassen und die beigeladene Krankenhausgesellschaft beantragen, die Revision zurückzuweisen. Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Die übrigen Beigeladenen haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts hat das SG zutreffend entschieden, daß die beklagte AOK nicht berechtigt ist, mit dem beigeladenen Krankenhausträger die Vergütung der im Krankenhaus vorgenommenen Früherkennungsmaßnahmen bei Neugeborenen zu regeln. Die Sicherstellung auch dieser ärztlichen Versorgung ist Aufgabe der klagenden KÄV. Diese Entscheidung konnte im Wege der Feststellungsklage (§ 55 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) getroffen werden, weil die Beklagte mit ihrer Vereinbarung zugleich die Weigerung zum Ausdruck bringt, die nach Einzelleistungen zu berechnende und an die Klägerin zu zahlende Gesamtvergütung im Hinblick auf die streitigen Untersuchungen entsprechend zu erhöhen.

Die Auffassung der Beklagten, die streitigen Vorsorgeuntersuchungen (Neugeborenen-Erstuntersuchungen unmittelbar nach der Geburt; Neugeborenen-Basisuntersuchungen vom 5. bis 10. Lebenstag - vgl. Richtlinien über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern bis zur Vollendung des 4. Lebensjahres - "Kinderrichtlinien" - vom 28. April 1971 in Beil. 14/71 zum Bundesanzeiger Nr. 111) seien, wenn die Entbindung in der Entbindungsanstalt oder im Krankenhaus erfolgt, untrennbarer Teil der im Rahmen der Mutterschaftshilfe zu erbringenden Pflege in einer Entbindungs- oder Krankenanstalt (§ 195 Nr. 4 RVO), läßt sich mit den für die Früherkennungsmaßnahmen maßgebenden gesetzlichen Regelungen nicht in Einklang bringen.

Bereits durch Aufnahme der Früherkennungsmaßnahmen in den Leistungskatalog des § 368 Abs. 2 Satz 2 RVO ist klargestellt, daß sie der gemeinsamen Regelungsbefugnis von Ärzten und Krankenkassen (§ 368 Abs. 1 RVO) unterstellt worden sind und nicht außerhalb dieses gemeinsamen Auftrags geregelt werden dürfen. Eine Ausklammerung der im Krankenhaus oder in einer Entbindungsanstalt durchzuführenden Neugeborenen-Untersuchungen wäre nur dann vertretbar, wenn Wortlaut und Sinn dieser Regelung zu Zweifeln und damit zu einer einschränkenden Auslegung Raum gäbe. Das ist nicht der Fall.

§ 368 Abs. 2 RVO umschreibt inhaltlich den Leistungsbereich der kassenärztlichen Versorgung, der als Grundbegriff des Kassenarztrechts in dieses durch § 368 Abs. 1 Satz 1 RVO eingeführt ist. In diesen nach Maßgabe des Ausbaus der kassenärztlichen Versorgung ständig fortgeschriebenen Katalog der Leistungen sind durch das 2. KÄVG die "Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten" eingefügt worden (§ 368 Abs. 2 Satz 2 idF des genannten Gesetzes). Zwar war die Einbeziehung der Krankheitsfrüherkennung in die kassenärztliche Versorgung im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens umstritten gewesen (vgl. die eingehende Darstellung bei Töns, die Ortskrankenkasse 1971, 424, 439 f). Nachdem jedoch gewährleistet schien, daß alle für Früherkennungsmaßnahmen geeigneten Ärzte und Einrichtungen - unbeschadet der Einbeziehung der Krankheitsfrüherkennung in die kassenärztliche Versorgung - an den genannten Maßnahmen teilhaben können, entschied sich der Gesetzgeber für die Eingliederung der Krankheitsfrüherkennung in die kassenärztliche Versorgung (vgl. Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu BT-Drucks. VI/1297, Abschn. I unter 2, Buchst. d, dd), S. 3, wo zur Aufnahme der Früherkennungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung bemerkt wird: "Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten gehören zur kassenärztlichen Versorgung; der Patient hat die freie Wahl unter den an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten").

Nur eine zwingende Schlußfolgerung bringt der genannte Schriftliche Bericht (aaO, Abschn. II zu Nr. 16, S. 4) zum Ausdruck mit der weiteren Bemerkung, daß mit der Einbeziehung der Früherkennungsmaßnahmen in die kassenärztliche Versorgung für diese Maßnahmen dieselben Vorschriften gelten, die auch sonst für die kassenärztliche Versorgung und deren Sicherstellung gelten. Zu Unrecht sieht die Beklagte in diesem Hinweis eine Stütze für ihre Auffassung, daß damit bei den Früherkennungsmaßnahmen die gleiche Unterscheidung zwischen ambulant und stationär erbrachten Leistungen wie bei der "ärztlichen Behandlung" (§ 368 Abs. 2 Satz 1 RVO) Platz greifen soll. Die ärztliche Behandlung gehört allerdings nur insoweit zur kassenärztlichen Versorgung, als sie nicht Teil der Krankenhauspflege ist. Das folgt aus dem Vorbehalt in § 368 g Abs. 4 RVO für die nicht durch Kassenärzte (Belegärzte) durchgeführte stationäre Behandlung in Krankenhäusern sowie daraus, daß § 368 Abs. 2 Satz 2 RVO nur die "Verordnung von Krankenhauspflege" zur kassenärztlichen Versorgung rechnet und damit die Krankenhauspflege selbst - und die mit ihr erbrachte ärztliche Behandlung - grundsätzlich von der kassenärztlichen Versorgung ausnimmt.

Was für die ärztliche Behandlung gilt, kann jedoch nicht auf die Früherkennungsmaßnahmen übertragen werden. Die Krankheitsfrüherkennungsmaßnahmen dienen "der Sicherung der Gesundheit" (so der genannte Schriftliche Bericht aaO, Abschn. I, unter 2, Buchst. d S. 2) und sind nicht wie die ärztliche Behandlung ein Teil der Krankenpflege (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO). In der Systematik des Gesetzes steht daher der Unterabschnitt Ia: "Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten" selbständig neben den Kapiteln II ("Krankenhilfe"), III ("Mutterschaftshilfe") und den weiteren des 2. Abschnitts des Zweiten Buches der RVO. Soweit Vorschriften der "Krankenhilfe" entsprechend für die Früherkennungsmaßnahmen gelten sollen, wird auf sie - wie bei dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 182 Abs. 2 RVO - ausdrücklich verwiesen (§ 181 Abs. 2 Satz 1 RVO). Die Früherkennungsmaßnahmen werden demnach von der Regelung über die ärztliche Behandlung nicht berührt.

Sie unterliegen vielmehr der gleichen Beurteilung wie die sonstigen in § 368 Abs. 2 Satz 2 RVO aufgeführten Teilbereiche der kassenärztlichen Versorgung. Soweit nämlich nicht das Gesetz - wie bei der ärztlichen Behandlung - Einschränkungen erkennen läßt, gehören die in § 368 Abs. 2 RVO aufgeführten Teilbereiche der kassenärztlichen Versorgung uneingeschränkt zu dieser. Dem steht nicht entgegen, daß der erkennende Senat in dem von der Beklagten mehrfach erwähnten "Optikerurteil" (BSG 36, 146) festgestellt hat, daß die Beschaffung von Brillen unter bestimmten Voraussetzungen keiner kassenärztlichen Verordnung bedarf; der Senat hat in dieser Entscheidung keine Zweifel daran gelassen, daß, wenn eine Brille verordnet wird, diese Verordnung zur kassenärztlichen Versorgung gehört. Ebensowenig steht die Auffassung, daß die in § 368 Abs. 2 RVO genannten Teilbereiche der kassenärztlichen Versorgung - mit der für die "ärztliche Behandlung" dargelegten Maßgabe - uneingeschränkt den für die kassenärztliche Versorgung geltenden Regelungen unterliegen, mit der Entscheidung des 3. Senats vom 9. August 1974 (BSG 38, 73) in Widerspruch, wonach die inhaltliche Festlegung des Leistungsbereichs der kassenärztlichen Versorgung in § 368 Abs. 2 RVO nichts darüber aussagt, wer an der kassenärztlichen Versorgung teilnimmt. Schließlich trifft auch nicht die Meinung des LSG zu, die "ärztliche Betreuung bei Mutterschaft", gehöre trotz ihrer Anführung in § 368 Abs. 2 Satz 2 RVO nur teilweise zur kassenärztlichen Versorgung. Zwar mögen, wie die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend angegeben haben, Fälle der kassenärztlichen "Betreuung" in einem Krankenhaus oder in einer Entbindungsanstalt kaum praktisch werden, weil ärztliche Maßnahmen regelmäßig der Behandlung oder der "Hilfe" im Sinne der §§ 195 Nr. 1, 196 Abs. 2 RVO zugerechnet werden. Es besteht aber kein Hinweis darauf, daß ärztliche Betreuungsmaßnahmen der Regelungsbefugnis nach § 368 Abs. 1 RVO entzogen seien, soweit sie im Krankenhaus erbracht werden.

Demnach gelten für die Früherkennungsmaßnahmen "dieselben Vorschriften, die auch sonst für die kassenärztliche Versorgung und deren Sicherstellung bestehen" (so der genannte Schriftliche Bericht). Das betrifft einmal den an die gemeinsame Selbstverwaltung von Ärzten, Zahnärzten und Krankenkassen gerichteten Auftrag zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung (§ 368 Abs. 1 Satz 1 RVO), soweit dies vertraglich zu geschehen hat. Mit Recht haben daher die Partner des BMV-Ä diesen im Hinblick auf die durchzuführenden Früherkennungsmaßnahmen - insbesondere in § 10 a - ergänzt (§ 368 g, insbesondere Abs. 2 Satz 2 RVO).

Als weitere Einrichtung der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen zur Durchführung der kassenärztlichen Versorgung hat der Gesetzgeber selbst den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen mit der Erstellung der für die Durchführung erforderlichen Richtlinien beauftragt (§ 181 Abs. 2 Satz 2, § 368 p Abs. 5 RVO, wobei § 181 Abs. 2 Satz 2 RVO - ähnlich wie bei der Mutterschaftshilfe in § 196 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbs. RVO, wo die deutlicher zum Ausdruck gebracht ist - nur als Hinweis auf die in § 368 p Abs. 5 RVO geregelte Richtlinienkompetenz zu verstehen ist). Auch aus dieser Einbeziehung eines Organs der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen in die Durchführung der Früherkennungsmaßnahmen wird deutlich, daß die Krankheitsfrüherkennung nur im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung erfolgen soll; denn die Richtlinien des genannten Ausschusses sind im allgemeinen nur für die an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Krankenkassen verbindlich.

Schließlich folgt aus der Einbeziehung der Früherkennungsmaßnahmen in die kassenärztliche Versorgung, daß die KÄV'en sicherzustellen haben, daß die kassenärztliche Versorgung auch insoweit den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht (§ 368 n Abs. 1 Satz 1 RVO). Zwar ist in der genannten Vorschrift der Sicherstellungsauftrag ausdrücklich nur auf die nach § 182 RVO den Krankenkassen obliegende ärztliche Versorgung bezogen. Da jedoch der Wille des Gesetzgebers, die Krankheitsfrüherkennung voll im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung durchzuführen, im übrigen seinen klaren Ausdruck im Gesetz gefunden hat, wird man in der Unterlassung, auch den Wortlaut des § 368 n Abs. 1 Satz 1 RVO der veränderten Rechtslage anzupassen, nur ein redaktionelles Versehen sehen und den an die KÄV'en gerichteten Auftrag zur vollziehenden Sicherstellung auch auf die Krankheitsfrüherkennung - wie auch auf die Mutterschaftsvorsorge - beziehen müssen (so mit Recht Töns aaO S. 440).

Dieser Sicherstellungsauftrag schließt nach geltendem Recht ein Tätigwerden anderer Verwaltungsorgane als der KÄV'en im Bereich der vollziehenden Durchführung der Früherkennungsmaßnahmen nach Maßgabe der gesetzlichen und vertraglichen Regelungen aus. Auch insoweit gilt für die Früherkennungsmaßnahmen das gleiche wie für die anderen Teilbereiche der kassenärztlichen Versorgung. Soweit Sicherstellungsmaßnahmen im einzelnen - insbesondere zum Vollzug des § 10 a BMV-Ä zu treffen sind, obliegen sie den KÄV'en; die Krankenkassen sind hieran nicht beteiligt (vgl. BSG 38, 73, 76). Diese können auch nicht, wie Töns (aaO S. 442) annimmt, die hier strittigen beiden ersten Früherkennungsuntersuchungen an Säuglingen auf einem Umweg, nämlich "als Teilleistung der Krankenhauspflege", in ihren Regelungsbereich ziehen. Abgesehen davon, daß eine solche Zweigleisigkeit im klaren Widerspruch zu dem an die KÄV'en gerichteten Sicherstellungsauftrag stünde, steht der dargelegten Auffassung entgegen, daß die genannten beiden Untersuchungen zwar häufig im Krankenhaus stattfinden, aber auch in diesem Fall nicht Teil der Krankenhauspflege, sondern selbständige, andersartige Leistungen sind.

Wie die KÄV'en bei den Neugeborenen-Untersuchungen in Entbindungs- und Krankenanstalten (vgl. § 10 a Abs. 2 und 3 des BMV-Ä) ihrem Sicherstellungsauftrag genügen und dabei insbesondere die gewissenhafte Beachtung der "Kinderrichtlinien" durchsetzen, braucht in diesem Zusammenhang nicht abschließend entschieden zu werden. Die genannten Bestimmungen enthalten nur eine generelle Ermächtigung der infrage kommenden Krankenhausärzte. Nachdem das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 11. Dezember 1974 - 4 AZR 158/74) entschieden hat, daß die in § 10 a Absätze 2 und 3 BMV-Ä genannten Ärzte gegen den Krankenhausträger einen Anspruch auf Nebentätigkeitsgenehmigung haben, sind jedenfalls dienstrechtliche Bedenken gegen die Annahme der Ermächtigung nicht berechtigt. Aber auch die Frage, wie in Konfliktsfällen die Durchführung der Untersuchungen unter Beachtung der Richtlinien erzwungen werden könnte, führt nicht zu unüberwindlichen Schwierigkeiten. Immerhin schließt die Regelung der einseitigen Ermächtigung nicht aus, die Honorierung der Ärzte von der Verpflichtung abhängig zu machen, richtliniengemäß zu handeln, und dies etwa in Form eines Verwaltungsakts auf Unterwerfung oder vertraglich auch für die Zukunft sicherzustellen. Die Mitwirkung der genannten Krankenhausärzte im Rahmen einer der KÄV - nicht nur dem Krankenhaus - gegenüber obliegenden Verpflichtung dient schließlich auch der in § 369 RVO den Partnern der KÄV übertragenen Aufgabe der Sammlung und Auswertung der bei der Durchführung von Maßnahmen der Früherkennung anfallenden Ergebnisse.

Da somit die KÄV aus der für die gesamte kassenärztliche Versorgung zu entrichtenden Gesamtvergütung (vgl. § 368 f Abs. 1 RVO) auch die nach § 10 a BMV-Ä an den Früherkennungsmaßnahmen beteiligten Krankenhausärzte zu honorieren hat, fehlte der beklagten Krankenkasse die Zuständigkeit, eine entsprechende Vergütungsregelung mit dem Krankenhausträger zu vereinbaren.

Mit Aufhebung des angefochtenen Urteils war daher die Berufung gegen das zutreffende Urteil des SG zurückzuweisen (§§ 170 Abs. 2 Satz 1. 193 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651216

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