Leitsatz (amtlich)

1. Der Geltungsbereich einer im Bezirk eines Berufungsgerichts geltenden Vorschrift erstreckt sich nur dann über den Bezirk dieses Gerichts hinaus, wenn sie zumindest inhaltlich mit dem Recht in dem Bezirk wenigstens eines anderen Berufungsgericht übereinstimmt.

2. RVÜLG § 51 ist nicht revisibel.

3. Ist eine Rechtsnorm irrevisibel, so bedeutet dies nur, daß das Revisionsgericht nicht nachprüfen darf, ob sie besteht und ob sie vom Berufungsgericht auf den Sachverhalt richtig angewandt worden ist; das Revisionsgericht kann und muß aber nachprüfen, ob durch die Anwendung der irrevisiblen Norm revisibles Recht (zum Beispiel jüngeres revisibles Recht oder höherrangiges revisibles Recht) verletzt worden ist; sei es durch dessen Nichtanwendung oder durch dessen unrichtige Anwendung. 4. Weder RVÜLG BE § 51 Abs 1 S 1 Nr 2 noch RVÜLG § 51 Abs 1 S 2 verletzen die Grundrechte der GG Art 3, 14 2 Abs 1.

 

Normenkette

SGG § 162 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; GG Art. 3 Fassung: 1949-05-23, Art. 14 Fassung: 1949-05-23, Art. 2 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; RVÜblG BE § 51 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Fassung: 1952-07-10, S. 2 Fassung: 1952-07-10

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts ... vom 23. September 1955 wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Kläger, der am 28. Juni 1880 geboren wurde, stand von 1913 bis 30. Juni 1949 im Dienst der Post. Bis Mai 1945 war er Beamter der Deutschen Reichspost, ab Juli 1945 Verwaltungsangestellter des Magistrats ... Abteilung Post und Fernmeldewesen. In den Jahren 1945 bis 1949 wurden für ihn insgesamt 46 Monatsbeiträge an die Versicherungsanstalt ... (VAB) entrichtet. Am 5. Februar 1949 beantragte er, ihm wegen Erwerbsunfähigkeit Ruhegeld zu gewähren. Diesen Antrag lehnte die VAB durch Bescheid vom 27. Juni 1949 ab, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei. Einen weiteren Antrag auf Ruhegeld vom 29. August 1950 lehnte die VAB am 2. Juli 1951 zunächst auch ab, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei; auf den "Einspruch" des Klägers gewährte sie ihm aber mit Bescheid vom 2. April 1952 auf Grund des Berliner Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes (BSVAG) vom 3. Dezember 1950, GVOBl. S. 542, und der Vereinbarung zwischen dem Magistrat von ... und der VAB vom 12. August 1950 unter Anrechnung seiner Dienstzeit als Beamter seit 1. Januar 1939 auf die Wartezeit eine "Versichertenrente" in Höhe von 50,10 DM monatlich ab 1. September 1950, in Höhe von 65,10 DM ab 1. Januar 1951 und in Höhe von 82,60 DM ab 1. Oktober 1951, wobei sie hinzufügte, der Senator für Post und Fernmeldewesen rechne die Rente aus der Sozialversicherung auf die Versorgungsbezüge an.

Am 28. September 1952 schrieb der Kläger der VAB, nach ihrer - nicht bei den Akten befindlichen - Mitteilung vom 16. September 1952 falle seine Rente auf Grund des § 51 des Rentenversicherungsüberleitungsgesetzes ( RVÜG ) vom 10. Juli 1952, GVOBl. S. 588, mit Ablauf des Monats September 1952 weg, weil die Wartezeit allein durch die Anrechnung der seit 1. Januar 1939 ausgeübten Tätigkeit erfüllt sei; er wolle nun die Beiträge, die an seiner Wartezeit fehlen, nachentrichten, um sich dadurch die Weiterzahlung der Rente zu sichern; an Versorgungsbezügen habe er vom 1. Juli 1949 bis 30. September 1951 monatlich 254.- DM netto erhalten, seit 1. Oktober 1951 erhalte er 371,38 DM brutto. Die VAB verfügte trotzdem die Einstellung der Rentenzahlung mit Ende September 1952 und teilte der Senatsverwaltung für Post und Fernmeldewesen am 10. Oktober 1952 mit, sie werde von ihr mit den Rentenzahlungen an den Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 1951 bis 30. September 1952 in Höhe von 12 mal 82,60 DM = 991,20 DM belastet. Dem Kläger schrieb die VAB am 5. Dezember 1952 und am 21. Januar 1953, eine Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen sei nach Eintritt des Versicherungsfalles nicht mehr möglich. Die Beschwerde des Klägers gegen die Einstellung der Rentenzahlung wies der Beschwerdeausschuß am 20. März 1953 zurück. Der Bezirksberufungsausschuß des Sozialversicherungsamts ... dagegen gab der weiteren Beschwerde des Klägers am 31. Juli 1953 statt, indem er die Entscheidung des Beschwerdeausschusses und den Bescheid der VAB vom 10. Oktober 1952 aufhob, die VAB zur Weiterzahlung der Rente über den 30. September 1952 hinaus verurteilte und feststellte, daß der Rückzahlungsanspruch in Höhe von 991,20 DM "unbegründet" sei. Der Bezirksberufungsausschuß ging dabei davon aus, daß dahingestellt bleiben könne, ob der Kläger zur Nachzahlung freiwilliger Beiträge berechtigt sei oder nicht, wesentlich sei nur, daß die VAB nicht befugt gewesen sei, die Rente des Klägers wegfallen zu lassen; der Fall des § 51 Abs.1 Ziff.2 RVÜG habe nicht vorgelegen; der Kläger habe seine Wartezeit nicht "allein" durch Anrechnung der seit dem 1. Januar 1939 ausgeübten Tätigkeit, sondern "überwiegend" durch seine Pflichtbeiträge zur VAB erfüllt, da unstreitig für ihn 46 Monatsbeiträge auf Grund einer versicherungspflichtigen Tätigkeit entrichtet worden seien.

Auf die Berufung der Landesversicherungsanstalt ... hob das Landessozialgericht ... mit Urteil vom 23. September 1955 das Urteil des Bezirksberufungsausschusses vom 31. Juli 1953 auf und stellte die Entscheidung des Beschwerdeausschusses vom 19. März 1953 und die Anordnungen der Landesversicherungsanstalt ... vom 16. September, 10. Oktober und 5. Dezember 1952 wieder her. Die Revision wurde zugelassen. In der Begründung des Urteils führte das Landessozialgericht aus, es sei daran festzuhalten, daß für den Kläger nur 46 Monatsbeiträge nachgewiesen seien; die Behauptung, die der Kläger im Berufungsverfahren aufgestellt habe, es seien für ihn in den Jahren 1896 bis 1898, als er sich in der Landwirtschaft seiner Eltern betätigt habe, auch noch Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet worden, sei weder glaubhaft gemacht noch als richtig erwiesen; das Taschengeld, das er erhalten habe, sei kein Lohn gewesen; § 51 Abs.1 Ziff. 2 RVÜG sei von der VAB zu Recht angewandt worden, weil die Wartezeit im Falle des Klägers allein dadurch erfüllt gewesen sei, daß zu den 46 Beitragsmonaten aus der Zeit von 1945 bis 1949 auf Grund des § 55 Abs. 4 der Satzung der VAB auch noch die Zeit hinzugerechnet worden sei, die der Kläger als Beamter der Deutschen Reichspost nach dem 1. Januar 1939 zurückgelegt habe. § 51 RVÜG verstoße weder gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz (GG) noch gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG noch gegen sonstige Grundrechte; dies sei auch nicht deshalb der Fall, weil § 51 RVÜG den Wegfall der Rente rückwirkend ab 1. Oktober 1951 anordne. Die Rückforderung des überzahlten Betrages von 991,20 DM stelle keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar.

Gegen das am 3. November 1955 zugestellte Urteil legte der Kläger am 1. Dezember 1955 Revision ein. Er beantragte, unter Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts ... die Entscheidung des Beschwerdeausschusses vom 19. März 1953 und die Anordnungen der Landesversicherungsanstalt ... vom 16. September, 10. Oktober und 5. Dezember 1952 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die bis zum 1. Oktober 1952 gezahlten Beträge in Höhe von 82,60 DM monatlich über diesen Zeitpunkt hinaus weiter zu zahlen und den Rückzahlungsanspruch der Beklagten in Höhe von 991,20 DM für unbegründet zu erklären. In der Begründung vom 30. Januar 1956 - die Begründungsfrist war bis 3. Februar 1956 verlängert worden - machte er geltend, entgegen der Auffassung des Landessozialgerichts müsse angenommen werden, daß der Kläger mehr als 60 Beitragsmonate glaubhaft nachgewiesen habe; die Annahme des Landessozialgerichts, der Kläger sei von 1896 bis 1898 nicht versicherungspflichtig gewesen, weil sein Taschengeld nicht als Lohn gegolten habe, sei unzutreffend. Die Auslegung, die das Landessozialgericht dem § 51 RVÜG gegeben habe, sei nicht richtig; die Wartezeit sei im Falle des Klägers nicht "allein" durch Anrechnung der Beamtentätigkeit nach dem 1. Januar 1939 erfüllt worden, vielmehr darüber hinaus durch die Entrichtung von 46 Pflichtbeiträgen. § 51 RVÜG widerspreche den Art. 3, 14 und 2 des GG. Der Rückforderungsanspruch der Beklagten verstoße auch gegen Treu und Glauben.

Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen und erklärte dazu, sie mache sich die Begründung in dem Urteil des Landessozialgerichts ... zu eigen. In der mündlichen Verhandlung erklärte ihr Vertreter, die Zulassung der Revision durch das Landessozialgericht sei für das Bundessozialgericht nicht verbindlich, weil sie offensichtlich entgegen dem Gesetz erfolgt sei; der Rechtsstreit betreffe nämlich nur Berliner Landesrecht.

II.

Die Revision, die das Landessozialgericht zugelassen hat, ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Die Behauptung der Beklagten, die Zulassung der Revision durch das Landessozialgericht sei offensichtlich entgegen dem Gesetz erfolgt (vgl. Haueisen in "Die Sozialgerichtsbarkeit" 1955 S.1 ff.), denn es sei nur Berliner Landesrecht im Streit, ist schon deshalb nicht richtig, weil sich aus dem Urteil des Landessozialgerichts klar ergibt, daß es sich nicht nur um Berliner Landesrecht handelt. Die Revision ist deshalb zulässig, vgl. § 169 SGG.

Die Revision ist aber nicht begründet.

1.) Unbegründet ist zunächst die Rüge, das Landessozialgericht habe verkannt, daß außer den Beiträgen der Jahre 1945 bis 1949 an die VAB von 1896 bis 1898 für den Kläger auch noch Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet worden seien. Das Landessozialgericht hat in seinem Urteil ausführlich dargelegt, es sei zwar glaubhaft, daß der Kläger im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern tätig gewesen sei, es sei aber nicht glaubhaft gemacht, geschweige denn erwiesen, daß Beiträge für ihn entrichtet worden seien. Insoweit handelt es sich um tatsächliche Feststellungen, an die das Bundessozialgericht als Revisionsgericht gebunden ist, weil in Bezug auf sie zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht sind (§ 163 SGG).

2.) Soweit der Kläger rügt, das Landessozialgericht habe § 51 Abs.1 Satz 1 Ziff. 2 RVÜG unrichtig ausgelegt, ist festzustellen, daß § 51 RVÜG keine Vorschrift ist, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Landessozialgerichts ... hinaus erstreckt (vgl. § 162 Abs.2 SGG); der Geltungsbereich einer im Bezirk des Landessozialgerichts ... bestehenden landesrechtlichen Vorschrift erstreckt sich nur dann über den Bezirk dieses Gerichts hinaus, wenn sie zumindest inhaltlich mit dem Recht in dem Bezirk wenigstens eines anderen Landessozialgerichts übereinstimmt (vgl. BVerfG vom 11.5.1955, NJW 1955 S.945, BGHZ 4, 219 (220); 6, 49; 7, 299 und BVerwG in NJW 1955 S.438, 1609, 1695 und 1734). Das ist bei § 51 RVÜG nicht der Fall. Auf eine Verletzung des § 51 RVÜG kann deshalb die Revision nicht gestützt werden; diese Vorschrift ist irrevisibel.

3.) Ist eine Rechtsnorm irrevisibel, so bedeutet dies nur, daß das Revisionsgericht nicht nachprüfen darf, ob sie besteht und ob sie vom Berufungsgericht auf den Sachverhalt richtig angewandt worden ist. Das Revisionsgericht kann und muß aber nachprüfen, ob durch die Anwendung der irrevisiblen Norm eine revisible Norm verletzt ist, sei es durch deren Nichtanwendung oder durch deren unrichtigen Anwendung; hierbei handelt es sich nicht um eine Nachprüfung der irrevisiblen Norm, sondern um eine Nachprüfung einer revisiblen Norm (ebenso RG, Urteile vom 13.5.1908, JW 1908 S.443, vom 1.4.1911, RGZ Bd. 76 S.114, vom 15.2.1912, RGZ Bd.78 S.235, vom 14.1.1930, RGZ Bd. 127 S.95 und vom 10.7.1931, RGZ Bd. 134 S.6, 6; BVerwG, Urteil vom 26.5.1955, NJW 1955 S.1452 ff. letzter Absatz; BSG, Urteil vom 17.2.1956 - 6 RKa 14/55; Stein-Jonas, ZPO Komm. 18.Auflage § 562 Anm.2; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 6. Auflage S.662; Baumbach, ZPO Komm. 23. Aufl. § 562 Anm. 1). Dies ist z.B. der Fall, wenn älteres irrevisibles Recht durch jüngeres revisibles Recht ersetzt worden ist (vgl. RG Urteil vom 13.5.1908, JW 1908 S.443) oder wenn irrevisibles Recht im Widerspruch zu höherrangigem revisiblen Recht steht (vgl. RG, Urteil vom 10.7.1931, RGZ Bd.134 S.5, 6 und BVerwG a.a.O.). Daraus folgt, daß das Bundessozialgericht zwar nicht prüfen darf, ob § 51 RVÜG den Sachverhalt deckt, den das Landessozialgericht festgestellt hat, daß es aber prüfen muß, ob § 51 RVÜG so, wie der Kläger behauptet, Grundrechte verletzt; der Grundrechtsteil des Grundgesetzes gilt nämlich auch in West-Berlin (vgl. Beschluß des BVerfG vom 25.10.1951, BVerfGE Bd. I S.70 - NJW 1952 S.79). Soweit nun in § 51 Abs.1 Satz 1 Ziff.2 RVÜG bestimmt ist, daß Renten, die an Personen gewährt worden sind, von denen die Wartezeit allein durch Anrechnung der seit dem 1. Januar 1939 ausgeübten Tätigkeit nach § 55 Abs.4 der Satzungen der VAB erfüllt worden ist, mit Wirkung vom 1. Oktober 1951 wegfallen, ist zu untersuchen, ob diese Regelung mit den Artikeln 3, 14 und 2 Abs. 1 GG vereinbar ist oder ob dies, wie der Kläger behauptet, nicht der Fall ist.

a) Mit Recht weist das Landessozialgericht die Annahme zurück, die Vorschrift des § 51 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 RVÜG verletze den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG, weil sie nur für die dort genannten Personengruppen die Renten wegfallen lasse, entsprechende Renten für andere, z.B. Selbständige und Gewerbetreibende, jedoch unangetastet lasse und auch nicht berücksichtige, daß nach § 50 Abs. 1 Satz 1 RVÜG sogar noch bei Neubewilligungen von Renten an solche Personen die Tätigkeit nach dem 1. Januar 1939 auf die Wartezeit angerechnet werde, wenn der Versicherungsfall bis zum 31. Dezember 1952 eingetreten sei. Die Versicherung der Selbständigen und Gewerbetreibenden kann mit der Versicherung der Personengruppe, der ein Anspruch auf beamtenrechtliche Versorgung zusteht, nicht verglichen werden; eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ist deshalb, wie auch das Landessozialgericht eingehend ausführt, gar nicht möglich (vgl. dazu auch BVerfGE 4, 219 ff., 243).

b) Ebenso zutreffend ist vom Landessozialgericht auch dargelegt, daß die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG durch § 51 Abs.1 Satz 1 Ziff.2 RVÜG nicht verletzt wird. Die Personen, die von dieser Vorschrift betroffen werden, erhalten vom gleichen Tage an, von dem ihre Rente in Wegfall kommt, nach dem Gesetz vom 13. Dezember 1951 (GVOBl. S.1149), Versorgungsbezüge. Zwischen diesem Gesetz und dem RVÜG besteht ein untrennbarer Zusammenhang; die Vermögenslage der Betroffenen ist durch das RVÜG nicht verschlechtert worden.

Die Zuerkennung einer Versichertenrente nach dem BSVAG hat nicht bedeutet und auch gar nicht bedeuten können, daß das hierdurch begründete Recht auf Rente einer Änderung oder Aufhebung durch ein neues Gesetz für alle Zukunft entzogen sei. Das Bundessozialgericht hat schon in seinem Beschluß vom 9. November 1955, 1 RA 49/54, darauf hingewiesen, daß z.B. die "Neufeststellung" der Rente nach Grund- und Steigerungsbetrag, die § 56 BSVAG anordnet, ein "Recht" des Versicherten auch dann nicht verletzt, wenn die frühere "Tabellenrente" höher gewesen ist. Auf die umstrittene Frage, ob die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG auch vermögenswerte Rechte auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts deckt (vgl. Urteil des BVerfG vom 1.7.1953, NJW 1953 S.1137), kommt es hiernach nicht an, denn auch wenn dies der Fall ist, liegt eine Verletzung des Art. 14 GG hier nicht vor.

c) Darin, daß das RVÜG , das im GVOBl. für Berlin vom 24. Juli 1952, S. 588 ff., veröffentlich ist, den Wegfall der Renten rückwirkend vom 1. Oktober 1951 ab anordnet, ist eine Verletzung des Art.2 Abs.1 GG nicht zu erblicken. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit schließt die rückwirkende Inkraftsetzung eines Rechtssatzes jedenfalls dann nicht aus, wenn sie, wie das bei § 51 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 RVÜG der Fall ist, der endgültigen Ordnung einer zunächst nur vorläufigen Regelung - hier durch das BSVAG über die Satzung der VAB - dient und mit einer solchen Ordnung durchaus zu rechnen gewesen ist (vgl. dazu Werner Weber, Archiv für öffentliches Recht, Bd. 77 S.84, Ballerstedt, SJZ 1949 Sp.411 ff., Koester, Betriebsberater, 1952 S.93, Meyer-Cording, JZ 1952 S.161 und S. 418 ff. sowie Urteil des OVG Lüneburg vom 9.1.1952, NJW 1952 S.1230, Beschluß des OVG Hamburg vom 28.2.1952, JZ 1952 S.416, Beschluß des BVerfG vom 24.4.1953, NJW 1953 S.1017, Urteil des BGH vom 8.4.1954, Betriebsberater 1954 S.420). Rechtsstaatliche Bedenken bestehen im vorliegenden Fall umso weniger, als, wie bereits ausgeführt, die vermögensrechtliche Stellung der Betroffenen durch das Gesetz vom 3.Dezember 1951, dem das RVÜG vom 10. Juli 1952 Rechnung tragen will, nicht verschlechtert, sondern wesentlich verbessert worden ist, insofern nämlich, als es die Anerkennung der beamtenrechtlichen Versorgungsansprüche gebracht hat.

4.) Dem Anspruch der Beklagten auf Erstattung von 991,20 DM hält der Kläger entgegen, die Rückforderung dieses Betrages verstoße gegen Treu und Glauben. Hier ist jedoch zu beachten, daß § 51 Abs. 1 Satz 2 RVÜG ausdrücklich bestimmt, daß Rentenbeträge, die für Zeiten nach dem 30. September 1951 gezahlt sind, bei der Auszahlung der Versorgungsbezüge einzubehalten und an den Träger der Rentenversicherung der Angestellten abzuführen sind. Die Rückzahlung der überzahlten Renten ist mithin nicht etwa von einer Ermessensentscheidung des beklagten Versicherungsträgers abhängig gemacht; sie ist vielmehr vom Gesetz selbst unmittelbar angeordnet, und die Versorgungsbehörden sind kraft Gesetzes verpflichtet, die überzahlten Renten an die Beklagte abzuführen. Es kann deshalb nicht gefragt werden, ob die Beklagte Treu und Glauben zuwiderhandele, wenn sie den Betrag von 991,20 DM vereinnahme, zu prüfen ist vielmehr die Rechtsgültigkeit des § 51 Abs.1 Satz 2 RVÜG . Von einem Verstoß dieser Vorschrift gegen die Grundrechte der Art. 3, 14, 2 Abs. 1 GG kann aber auch hier keine Rede sein, denn ebenso wie der Wegfall der Renten vom 1. Oktober 1951 an steht auch der Abzug der überzahlten Renten an den Versorgungsbezügen in unmittelbarem Zusammenhang mit der rückwirkenden Anerkennung des Rechts auf Versorgungsbezüge durch das Gesetz vom 13. Dezember 1951 und der damit beabsichtigten Verhinderung des Doppelbezugs von Renten und Versorgungsbezügen. Auch die Behauptung des Klägers, die Rückforderung der überzahlten Renten sei mit dem Gedanken des § 818 Abs.3 BGB nicht vereinbar, ist nicht richtig; dem Gesetzgeber muß die Möglichkeit eingeräumt werden, jedenfalls zur Ordnung bestimmter Übergangsverhältnisse die Erstattung überzahlter Leistungen ohne Rücksicht auf den Wegfall der Bereicherung zu normieren (vgl. auch Haueisen, NJW 1954, S.977 ff. und - zu einer dem § 51 Abs. 1 Satz 2 RVÜG entsprechenden Bestimmung in § 290 LAG i.d.F. vom 12.7.1955, BGBl. I S.403 ff. - Presting, DÖV 1956 S.110 ff. unter III, sowie Urteil des BVerwG vom 10.11.1955, NJW 1956 S.394). Ebensowenig steht der Anwendung des § 51 Abs.1 Satz 2 RVÜG die "Rechtskraft" des Bewilligungsbescheides vom 2. April 1952 entgegen; die Bindung des Versicherungsträgers an seine Bescheide (vgl. § 77 SGG) schließt Änderungen der Rechtsgrundlage dieser Bescheide durch den Gesetzgeber und darauf beruhende Folgerungen für diese Bescheide nicht aus.

5.) Die Revision des Klägers erweist sich nach alldem in allen Punkten als unbegründet; sie ist deshalb nach § 170 Abs.1 Satz 1 SGG zurückzuweisen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (vgl. § 193 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2297052

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