Leitsatz (amtlich)

1. Für eine Existenzgrundlage iS des GAL § 1 Abs 3 kommt es nicht darauf an, ob das Unternehmen nach heutigen Vorstellungen für die bäuerliche Familie ein standesgemäßes Einkommen erbringt; vielmehr ist von den im Jahre 1957 gegebenen Verhältnissen (Betriebsgrößen) auszugehen.

2. Die Alterskassen haben die ihnen in GAL § 1 Abs 4 S 1 übertragene Festsetzung von Mindesthöhen des Einheitswertes oder Arbeitsbedarfs, bei deren Erreichen eine Existenzgrundlage insbesondere gegeben ist, allein nach dem Kriterium der Existenzgrundlage zu treffen; der ihnen vom Gesetzgeber erteilte Festsetzungsauftrag ist jedenfalls heute inhaltlich ausreichend bestimmt, um rechtsstaatlichen Anforderungen zu genügen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen Alterskasse kann auch für einen Pächter eines nur 8,5 ha großen landwirtschaftlichen Unternehmens gegeben sein, da diese Größenordnung bereits eine Existenzgrundlage des GAL bildet.

 

Normenkette

GG Art. 80 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1949-05-23; GAL § 1 Abs. 3 Fassung: 1965-09-14, Abs. 4 S. 1 Fassung: 1972-07-26, Abs. 5 Fassung: 1965-09-14

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 5. Dezember 1975 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger, der seit 1964 als Müllwerker in Hamburg beschäftigt ist, bewirtschaftet außerdem seit August 1973 als Pächter in seiner Wohngemeinde in Schleswig-Holstein 2 ha Acker- und 6,67 ha Grünland. Nach der Auffassung der Beklagten bildet dieser Betrieb eine Existenzgrundlage iS des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL). Hierfür hat die Beklagte durch Beschluß vom 18. Dezember 1965 gemäß § 1 Abs 4 GAL Mindesthöhen des Einheitswertes festgesetzt; für Betriebe mit Hektarsätzen von 1201,- bis 1400,- DM - dazu gehört der Betrieb des Klägers bei einem durchschnittlichen Hektarsatz der Gemeinde von 1351,- DM - hat sie eine solche von 4400,- DM bestimmt. Die Beklagte hat infolgedessen mit Bescheiden vom 17. und 18. Januar 1974 den Kläger ab August 1973 als Mitglied in Anspruch genommen und zur Entrichtung von Beiträgen veranlagt.

Die Klage auf Aufhebung der Bescheide hatte im ersten Rechtszug Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat eine Existenzgrundlage verneint. Die Beklagte habe bei der Festsetzung der Mindesthöhe die Grenzen ihres Ermessens überschritten; in Schleswig-Holstein werfe (nach Bekundung eines landwirtschaftlichen Sachverständigen) ein landwirtschaftlicher Betrieb bei guten Bodenverhältnissen erst von etwa 35 ha an ein standesgemäßes Einkommen ab.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger sei beitragspflichtig, weil der Einheitswert seines Unternehmens mit 11.713,17 DM die Mindesthöhe einer Existenzgrundlage überschreite. Der Beschluß der Beklagten über die Mindesthöhen verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Hierfür sei es unerheblich, ob in Schleswig-Holstein die Durchschnittsgröße der landwirtschaftlichen Betriebe 35 ha betrage und es kaum ein Dutzend Höfe der Mindestgröße gebe. Zwar solle das Kriterium der Existenzgrundlage nach dem Willen des Gesetzgebers zumindest einer der Gesichtspunkte sein, an dem die Mindesthöhen auszurichten seien; die Regelung des § 1 Abs 4 Satz 1 GAL zeige jedoch die Bereitschaft, Divergenzen zwischen einer vermuteten Existenzgrundlage und der Realität in Kauf zu nehmen. Daneben habe sich das Ermessen der Beklagten an der Zielsetzung des GAL zu orientieren; die Interessen der potentiell Betroffenen und das öffentliche Interesse an einer strukturell gesunden Landwirtschaft seien mitzuberücksichtigen. Diesem Spannungsverhältnis hätten die Alterskassen bei ihren Beschlüssen im Wege des Kompromisses Rechnung zu tragen; das habe die Beklagte getan.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision beantragt der Kläger,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Bescheide vom 17. und 18. Januar 1974 sowie den Widerspruchsbescheid aufzuheben.

Er hält den Beschluß der Beklagten vom 18. Dezember 1965 für rechtswidrig, weil er den wirtschaftlichen Verhältnissen in seinem Falle nicht entspreche. Zudem ergebe sich aus diesem Beschluß nur eine widerlegliche Vermutung. Die Beklagte sei daher nicht einer Prüfung der besonderen örtlichen Gegebenheiten enthoben gewesen; sie habe berücksichtigen müssen, in welchem Verhältnis seine sonstige Erwerbstätigkeit zu seinen Verdienstmöglichkeiten in der Landwirtschaft stehe. Er sei nur Gelegenheitslandwirt; aus seiner Beschäftigung verdiene er jährlich 36.000,- DM, aus der Landwirtschaft 9.000,- DM.

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Zwar ist die Revisionsbegründung erst am 24. März 1976 und damit nach Ablauf der mit dem 22. März 1976 endenden Frist beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers war jedoch ohne sein Verschulden an einer Wahrung der Frist verhindert, weil ihm die Gerichtsakten erst nach Fristablauf zur Einsicht zur Verfügung gestanden haben; dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher stattzugeben (§ 67 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

In der Sache konnte die Revision keinen Erfolg haben. Dem LSG ist darin zuzustimmen, daß die angefochtenen Bescheide nicht rechtswidrig sind.

Der Kläger ist beitragspflichtig (§ 14 Abs 1 GAL) und Mitglied der Beklagten als der für ihn zuständigen Alterskasse (§ 17 Abs 1 GAL), weil er landwirtschaftlicher Unternehmer iS von § 1 GAL ist. Nach Abs 3 dieser Vorschrift sind landwirtschaftliche Unternehmer ua alle Unternehmer der Landwirtschaft, deren Unternehmen, unabhängig vom jeweiligen Unternehmer, eine auf Bodenbewirtschaftung beruhende Existenzgrundlage bildet. Diese Voraussetzung ist nach § 1 Abs 4 Satz 1 GAL insbesondere dann gegeben, wenn der Einheitswert oder der Arbeitsbedarf des Unternehmens eine von der Alterskasse im Einvernehmen mit dem Gesamtverband der Landwirtschaftlichen Alterskassen nach billigem Ermessen aufgrund der örtlichen oder bezirklichen Gegebenheiten festzusetzende Mindesthöhe erreicht. Die nach dem Beschluß der Beklagten vom 18. Dezember 1965 hier maßgebende Mindesthöhe von 4400,- DM wird durch den Einheitswert des Unternehmens des Klägers eindeutig überschritten; der Mindesthöhenbeschluß vom 1. Oktober 1974 scheidet als Maßstab aus, weil er erst nach den angefochtenen Verwaltungsakten ergangen ist. Damit steht die Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 GAL fest; die Ansicht des Klägers, § 1 Abs 4 Satz 1 GAL begründe nur eine widerlegliche Vermutung, ist weder mit dem eindeutigen Wortlaut noch mit dem Sinn des Gesetzes zu vereinbaren (vgl SozR Nr 1 zu § 1 GAL 1965); unerheblich ist auch, ob die Landwirtschaft die Haupteinnahmequelle des Klägers darstellt (vgl BSGE 16, 279) und für welche Zeit der Kläger das Land gepachtet hat.

Im Ergebnis zu Recht hat das LSG auch entschieden, daß der Mindesthöhenbeschluß der Beklagten nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Der Beschluß wird in seinem Inhalt durch den der Beklagten vom Gesetzgeber in § 1 Abs 4 Satz 1 GAL erteilten Auftrag gedeckt. Danach haben die Alterskassen aufgrund der örtlichen und bezirklichen Gegebenheiten Mindesthöhen des Einheitswertes oder des Arbeitsbedarfs festzusetzen, bei deren Erreichen eine Existenzgrundlage unwiderlegbar vermutet wird. Ihre Beschlüsse sollen damit den Begriff der Existenzgrundlage konkretisieren. Ob ein Unternehmen eine solche bildet, kann im Einzelfall zweifelhaft sein; es dient darum nur der Rechtssicherheit und der Praktikabilität, wenn diese Frage für die überwiegende Zahl aller Fälle nach klaren und einheitlichen Maßstäben beurteilt wird. Ein weitergehender Sinn kann § 1 Abs 4 Satz 1 GAL nicht zugeschrieben werden. Die Alterskassen dürfen darum entgegen der Auffassung des LSG nicht darauf abzielen, aus sozial- oder strukturpolitischen Gründen mit ihren Beschlüssen auch Betriebe ohne Existenzgrundlage zu erfassen und sie auf diese Weise in die landwirtschaftliche Alterssicherung einzubeziehen. Dem steht nicht entgegen, daß sie die Mindesthöhen "nach billigem Ermessen" festzusetzen haben. Das besagt nur, daß ihnen bei der Beurteilung und Feststellung, welchen Einheitswert oder Arbeitsbedarf eine Existenzgrundlage nach den örtlichen und bezirklichen Gegebenheiten mindestens erfordert, ein Entscheidungsspielraum zusteht; die Möglichkeit einer Orientierung nach einem anderen Kriterium als dem der Existenzgrundlage ergibt sich daraus nicht.

Auch wenn damit die Existenzgrundlage das alleinige Kriterium für die Mindesthöhenbeschlüsse ist, stellt sich gleichwohl die Frage, ob damit der den Alterskassen erteilte Auftrag inhaltlich ausreichend bestimmt ist, um rechtswirksam zu sein. Da § 1 Abs 4 Satz 1 GAL nicht den Erlaß von Rechtsverordnungen vorsieht, ist die in ihm enthaltene Ermächtigung nicht an Art 80 des Grundgesetzes (GG) zu messen (BVerfGE 12, 319 (325); 33, 125 (157)). Dennoch müssen an die inhaltliche Bestimmtheit eines Auftrages oder einer Ermächtigung zum Erlaß einer Satzung ähnliche Anforderungen wie in Art 80 GG gestellt werden, wenn - wie das hier der Fall ist - die Satzung praktisch den Mitgliederkreis einer Körperschaft des öffentlichen Rechts festlegt (vgl BVerfGE 33, 125 (158)). Anforderungen dieser Art wird § 1 Abs 4 Satz 1 GAL indessen gerecht.

Das GAL hat zwar den Begriff der Existenzgrundlage nicht definiert, und es ist nicht zu verkennen, daß sich mit diesem Begriff durchaus unterschiedliche Vorstellungen verbinden können. Auch hat die Bundesregierung von der ihr in § 1 Abs 5 GAL erteilten Ermächtigung zum Erlaß von Vorschriften über die Festsetzung von Mindesthöhen keinen Gebrauch gemacht. Jedoch lassen sich schon aus der Entstehung des GAL, seinem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang des Gesetzes hinreichende Anhaltspunkte für die damit verbundene Vorstellung des Gesetzgebers gewinnen. Der Gesetzgeber ist nicht von den heutigen Verhältnissen, sondern von Verhältnissen des Jahres 1957 ausgegangen. Er hat in die landwirtschaftliche Alterssicherung im Grundsatz alle damals hauptberuflich in der Landwirtschaft tätigen Unternehmer einbeziehen wollen. Außerdem sollten Leistungen nach dem GAL ehemalige Landwirte erhalten, sofern ihr Betrieb in der vergangenen Zeit (bis 25 Jahre zurück, vgl § 33 GAL 1965) eine Existenzgrundlage gebildet hatte. Der Gesetzgeber hat dabei sowohl im Beitragsrecht als auch im Leistungsrecht den gleichen Begriff verwendet. Das zeigt, daß er an die Existenzgrundlage wesentlich bescheidenere Maßstäbe angelegt hat, als dies der Sachverständige vor dem SG und im Anschluß daran die Vorinstanzen getan haben. Es kommt hierfür nicht darauf an, ob ein Unternehmen nach heutigen Vorstellungen für die bäuerliche Familie ein standesgemäßes Einkommen abwirft (vgl BSGE 16, 279), vielmehr ist von den im Jahre 1957 gegebenen Betriebsgrößen auszugehen. Von solchen Betriebsgrößen ist der Gesetzgeber auch in der Folge ausgegangen. Das ergibt sich insbesondere aus den Vorschriften über die Landabgaberente (§§ 41 ff GAL). Die Landabgaberente würde ihren Zweck verfehlen, würde sie zur Auflösung strukturell gesunder Betriebe führen. § 41 Abs 1 Buchst e GAL geht offensichtlich davon aus, daß selbst Unternehmen, deren Einheitswert oder Arbeitsbedarf nahezu das Fünffache der nach § 1 Abs 4 GAL festgesetzten Mindesthöhe erreichen, noch hinter den heute für wünschenswert gehaltenen Größen zurückbleiben. Die Vorschriften über die Landabgaberente wie überhaupt die zahlreichen Änderungen des GAL seit 1961 zeigen im übrigen, daß dem Gesetzgeber der Inhalt der Mindesthöhenbeschlüsse der Alterskassen bekannt ist. Diese Beschlüsse beruhen, zumal sie des Einvernehmens des Gesamtverbandes der Alterskassen bedürfen, auf einer für das gesamte Bundesgebiet im wesentlichen einheitlichen Beurteilung der Größe einer Existenzgrundlage. An dieser Praxis sind die Gesetzesänderungen seit 1961 ausgerichtet worden. Das ist auch bei der Schaffung des Gesetzes über die Krankenversicherung de Landwirte (KVLG) geschehen. Der Gesetzgeber hat hiernach die Art und Weise, wie die Alterskassen von dem in § 1 Abs 4 Satz 1 GAL erteilten Auftrag Gebrauch gemacht haben, offensichtlich gebilligt. Selbst wenn dieser Auftrag ursprünglich im Inhalt noch zu unbestimmt gewesen wäre, hat er somit zumindestens im Laufe der Zeit die erforderliche Bestimmtheit erhalten. Bedenken gegen die Wirksamkeit von § 1 Abs 4 Satz 1 GAL können deshalb nicht, jedenfalls nicht mehr durchgreifen.

Dafür, daß sich der Mindesthöhenbeschluß der Beklagten vom 18. Dezember 1965, soweit er hier in Betracht kommt, nicht an dem so zu verstehenden Begriff der Existenzgrundlage orientiert hätte, sondern von einem anderen, dh hier einem engeren Begriff ausgegangen wäre, sind Anhaltspunkte vom LSG nicht festgestellt worden.

Nach alledem war die Revision mit der sich aus § 193 SGG ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 SGG).

 

Fundstellen

BSGE, 215

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