Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 17.02.1987)

SG Mannheim (Urteil vom 06.03.1986)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Februar 1987 und das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 6. März 1986 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat dem Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten für das Berufungs- und Revisionsverfahren zu erstatten.

Im übrigen haben die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin das dem Beigeladenen zustehende Kindergeld zu zahlen ist, insbesondere ob die Abtretung im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen liegt.

Der Beigeladene bezieht Kindergeld für mehrere Kinder. Die Höhe des Kindergeldes betrug bis zur Entscheidung durch das Landessozialgericht (LSG) 610,– DM monatlich. Der Beigeladene steht in einem Arbeitsverhältnis, in dem er ein zur Deckung des Lebensbedarfes der Familie ausreichendes Arbeitseinkommen erzielt; ergänzende Sozialhilfe erhält er nur für die Wohnungsmiete. Im Herbst 1983 und im Frühjahr 1984 hat er wiederholt die Stromrechnung der Stadtwerke Mannheim nicht bezahlt. Deshalb hat die Klägerin im Wege der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§ 72 des Bundessozialhilfegesetzes -BSHG-) ab 1984 für den Beigeladenen die von ihm aufzubringenden jeweiligen Energiekostenpauschalen bezahlt und sich von ihm deshalb die „Forderungsabtretungserklärung” vom 24. Mai 1984 erteilen lassen.

Hierin heißt es:

„Ich trete hiermit gemäß § 398 BGB iVm § 53 SGB I an die Stadt Mannheim … mir zustehendes Arbeitsentgelt, im Falle der Arbeitslosigkeit mir zustehendes Arbeitslosengeld bzw Arbeitslosenhilfe oder im Krankheitsfall mir zustehendes Krankengeld oder Kindergeld in voller Höhe … ab.”

Die Klägerin hat die Beklagte mit Schreiben vom 29. Mai 1984 um Überweisung des Kindergeldes in Höhe von insgesamt 610,– DM monatlich gebeten. Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 20. Juni 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 1984 festgestellt, daß die Abtretungserklärung des Kindergeldberechtigten vom 24. Mai 1984 unwirksam ist, weil sie im Hinblick auf die Zielsetzung des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) nicht im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen liege.

Das Sozialgericht (SG) Mannheim hat die Beklagte mit Urteil vom 6. März 1986 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, das Kindergeld an die Klägerin zu zahlen. Das LSG hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Abtretung des Kindergeldanspruches des Beigeladenen in Höhe der auf den jeweiligen Monat entfallenden Energieversorgungspauschale der Stadt Mannheim in dessen wohlverstandenen Interesse liege: Die Klägerin habe eine Feststellungsklage iS des § 55 Abs 1 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhoben, die zulässigerweise nur auf die Feststellung eines einzelnen Rechtes – dem Vorliegen des wohlverstandenen Interesses des Beigeladenen an der Abtretung des Kindergeldanspruches – gerichtet gewesen sei. Dieses Begehren sei jedoch nur in Höhe der jeweils von den Stadtwerken Mannheim berechneten Energiekostenpauschale begründet.

Gegen dieses Urteil richtet sich die – vom erkennenden Senat zugelassene – Revision der Beklagten, die zur Begründung ihres Rechtsmittels vorträgt, das LSG habe den Begriff des wohlverstandenen Interesses unzutreffend abgegrenzt. Dieses könne nur beurteilt werden, wenn Art, Inhalt und Höhe der Forderung ohne weiteres aus der Abtretungserklärung erkennbar seien und gesichert sei, daß der mit der Abtretung erstrebte Zweck auch erreicht wird. In dem zur Entscheidung stehenden Fall ergebe sich die Zweckerreichung allenfalls aus mündlichen Nebenabreden zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen, die die Beklagte jedoch nicht zu berücksichtigen habe. Die Abtretung des Kindergeldes zur Deckung der Stromlieferungspauschale liege auch deshalb nicht im Interesse des Beigeladenen, weil die Stadtwerke Mannheim bisher auf die Sperrung der Stromzufuhr nicht verzichtet hätten. Schließlich sei auch die Beklagte durch die Abtretung unbillig beschwert, weil die vom LSG für rechtens erachtete variable Teilabtretung des Kindergeldes einen höheren Verwaltungsaufwand der Beklagten zur Folge habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 17. Februar 1987, soweit es der Berufung der Beklagten nicht stattgegeben hat, und das Urteil des SG Mannheim vom 6. März 1986 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden, nachdem die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Die Beteiligten und die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß das zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen getätigte Abtretungsgeschäft nicht unter § 53 Abs 2 Nr 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) fällt, weil nicht bereits fälliges Kindergeld abgetreten worden, sondern eine Vorausabtretung des erst in Zukunft fällig werdenden laufenden Kindergeldes erfolgt ist. Diese gehört zu den Übertragungsgeschäften iS des § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I.

Die Klage ist statthaft. Das LSG hat das Klagebegehren als Feststellungsklage iS des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG verstanden, obwohl die Klägerin in erster Instanz nach der nicht zweifelhaften Fassung der von ihr mit der Klage verfolgten und auch vom SG entsprechend ausgelegten Anträgen nicht die gerichtliche Feststellung des wohlverstandenen Interesses des Beigeladenen an der Abtretung, sondern bereits die Verurteilung zur Auszahlung des abgetretenen Kindergeldes an sich beantragt hat und das SG auch ein entsprechendes Urteil, mithin ein kombiniertes Aufhebungs- und Leistungsurteil erlassen hat.

Über dieses Begehren hatte auch das LSG zu entscheiden; es war nicht befugt, auf die Berufung der Beklagten und ohne Anschlußberufung der Klägerin und eine Änderung der Klage im Berufungsverfahren die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zu behandeln.

Es kann dahingestellt bleiben, ob – wie der erkennende Senat entschieden hat (SozR 1200 § 53 Nr 2) – in den Fällen des § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage – gerichtet auf die Verurteilung zur Feststellung des wohlverstandenen Interesses des Berechtigten an der Übertragung – am nächsten liegt und ausreicht. Denn jedenfalls umfaßt die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage auf Auszahlung des abgetretenen Kindergeldes an die Zessionarin auch die auf Feststellung des wohlverstandenen Interesses durch die Beklagte gerichtete Verpflichtungsklage, auch wenn das im Wortlaut des Klageantrags nicht zum Ausdruck kommt.

Die Beklagte hat das wohlverstandene Interesse des Beigeladenen an der Abtretung zutreffend verneint. Ihre Entscheidung ist ein privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt (zu diesem Begriff vgl Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl, Band I, Allgemeiner Teil, S 64 ff; Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 4. Aufl, RdNr 20f zu § 35; Stellkens/Bonk/Leonhard, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl, RdNrn 106 ff zu § 35), weil sie in ihrer Funktion als Träger der öffentlichen Gewalt mit ihrer Entscheidung, ob das privatrechtliche Abtretungsgeschäft dem öffentlich-rechtlich schutzwürdigen wohlverstandenen Interesse des Betroffenen dient, die Wirksamkeit des Abtretungsgeschäftes bestimmt.

Die angefochtenen Bescheide entsprechen im Ergebnis der Sach- und Rechtslage. Die Beklagte geht zwar für die Inhaltsbestimmung des „wohlverstandenen Interesses” zu Unrecht davon aus, daß die Abtretung des Kindergeldes an die Klägerin allein schon deshalb nicht im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen liegt, weil bei der Beklagten zusätzliche Verwaltungsarbeit anfallen kann. Dieser Umstand berührt allein die Interessensphäre der Beklagten, die in § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I nicht geschützt wird. Jede Abtretung führt wegen des Auseinanderfallens des Anspruchsinhabers und des Leistungsempfängers zu zusätzlicher Verwaltungsarbeit, die jedoch dem Leistungsträger gerade im Interesse des Leistungsberechtigten zugemutet worden ist.

Die Beklagte verkennt auch, daß die Abtretung des Kindergeldes zur Deckung der Aufwendungen, die die Klägerin nach den unangefochtenen Tatsachenfeststellungen des LSG im Rahmen der Gewährung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten entstanden sind, grundsätzlich im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen liegt. Der erkennende Senat (aaO) hat deshalb bereits entschieden, daß die Abtretung des Kindergeldes zum Zwecke der Deckung laufender Miet- und Energiekosten für die Benutzung der Familienwohnung jedenfalls dann im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt, wenn dadurch – wie hier – die Energiezufuhr gesichert wird. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob unter der Sicherung der Energiezufuhr nur deren drohende Sperrung zu verstehen ist, oder schon die Verhinderung der Verschuldung des Leistungsempfängers als Energiebezieher ausreicht. Es spielt auch keine Rolle, ob – wie hier – die Deckung der Kostenpauschale über den Umweg der Einschaltung des Sozialamtes als Fürsorgeträger iS des BSHG oder direkt erfolgt (vgl erkennender Senat aaO). Maßgebend für die Beurteilung des wohlverstandenen Interesses ist nicht die Person des Abtretungsgläubigers, sondern der Abtretungszweck und das Ausmaß der Sicherheit, mit der dieser Zweck auch erreicht werden kann.

Die Bejahung des wohlverstandenen Interesses erfordert aber nicht nur, daß der Zweck, zu dem die Abtretung erfolgt, im Interesse des Abtretenden/Leistungsberechtigten liegt, sondern auch, daß die Abtretung rechtmäßig ist. Das ist nicht der Fall, wenn das Abtretungsgeschäft unwirksam ist, insbesondere weil es gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-) oder gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) verstößt. In dem zur Entscheidung stehenden Fall kann jedoch dahingestellt bleiben, ob derartige Verstöße vorliegen, insbesondere, ob es sich bei einer derartigen Abtretung bereits um eine Globalzession des zukünftigen Einkommens des Beigeladenen ohne zeitliche Beschränkung handelt und das Abtretungsgeschäft schon aus diesem Grunde gemäß § 138 BGB nichtig ist. Ebenso kann offenbleiben, ob, wie für das Zivilrecht allgemein anerkannt ist, eine erhebliche Übersicherung schon gegen die guten Sitten verstößt (vgl dazu Palandt/Heinrichs, BGB, 46. Aufl, Anm 5g zu § 138 mwN). Auch wenn Abtretung in diesem Umfang noch nicht wegen eines Verstoßes gegen § 138 BGB nichtig ist, entspricht es jedenfalls nicht dem wohlverstandenen Interesse des Berechtigten iS des § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I, wenn er zur Sicherung einer zur Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse begründeten Schuld Sozialleistungsansprüche abtritt, die die zu sichernde Forderung erheblich übersteigen. Eine „Übersicherung” liegt grundsätzlich nicht im wohlverstandenen Interesse des Abtretenden (erkennender Senat aa0). Bei der Inhaltsbestimmung des wohlverstandenen Interesses ist nicht nur isoliert der durch die Abtretung eines Sozialleistungsanspruches – hier des Anspruches auf das Kindergeld – bewirkte Übergang dieser Forderung auf den Zessionar zu berücksichtigen, sondern die Gesamtsicherung der Forderung durch alle abgetretenen Ansprüche. Erst wenn die Gesamtschau ergibt, daß keine Übersicherung vorliegt, hat der Leistungsträger bei Vorliegen aller anderen Voraussetzungen das wohlverstandene Interesse an der Abtretung zu bejahen. Schon hieraus folgt, daß die Beklagte das wohlverstandene Interesse des Beigeladenen nicht allein in bezug auf die abgetretene Sozialleistung zu prüfen, sondern zu berücksichtigen hat, inwieweit die durch Abtretung zu sichernde Schuld insgesamt durch abgetretene Ansprüche gesichert ist. Besteht ein erhebliches Mißverhältnis zwischen dem Umfang der Forderung und der zur Sicherung der Befriedigung abgetretenen Ansprüche, so ist das wohlverstandene Interesse für den abgetretenen Sozialleistungsanspruch nicht gegeben.

Nach den unangefochtenen Tatsachenfeststellungen des LSG hat sich die Klägerin jedenfalls eine Übersicherung verschafft. Obwohl die – unterschiedlich hohe – Energiekostenpauschale im Durchschnitt bereits durch das Kindergeld gedeckt war, hat sie sich nämlich nicht nur das Kindergeld, sondern auch noch das gesamte Arbeitseinkommen des Beigeladenen – hilfsweise die sozialrechtlichen Ersatzleistungen im Falle der Arbeitslosigkeit oder Krankheit – abtreten lassen. Mithin hat die Abtretung insgesamt zu einer erheblichen Übersicherung der Klägerin geführt, die nicht im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen liegt. Durch die Abtretung – wäre sie wirksam – hätte sich der Beigeladene mittellos gemacht. Schon deshalb entsprechen die angefochtenen Bescheide der Sach- und Rechtslage.

Unter diesen Umständen hatte der Senat auch nicht mehr zu prüfen, ob das LSG überhaupt befugt war, seinerseits die Feststellung des wohlverstandenen Interesses zu bejahen, statt die Beklagte zur Erteilung eines entsprechenden Bescheides zu verpflichten oder sie gar – sofern die Abtretung im übrigen wirksam war – antragsgemäß zur Leistung zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172675

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge