Leitsatz (amtlich)

1. Unabhängig von der gemäß SGG § 73 Abs 2 erforderlichen Vollmacht des Beteiligten müssen Prozeßbevollmächtigte vor dem Bundessozialgericht, soweit es sich nicht um Rechtsanwälte oder Verwaltungsrechtsräte und diesen nach ASGG § 217 Abs 2 gleichgestellten Personen handelt, kraft Satzung oder Vollmacht einer der im SGG § 166 Abs 2 aufgeführten Organisationen zur Prozeßvertretung befugt sein.

2. Andere als die in den SGG §§ 166 und 217 bezeichneten Prozeßbevollmächtigten sind vor dem Bundessozialgericht nicht zugelassen, unbeschadet etwaiger persönlicher Erfahrung oder Sachkunde in Angelegenheiten der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung sowie der Kriegsopferversorgung.

 

Normenkette

SGG § 73 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 166 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 217 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

1.) Die Revision des Klägers wird als unzulässig verworfen.

2.) Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I. Der im Jahre 1899 geborene Kläger steht als Justizbeamter im bayerischen Staatsdienst. Er leistete vom 1. August bis 31. Dezember 1939 Wehrdienst (Wehrmeldeamt Reichenhall), wurde dann uk gestellt und ab 24. Juni 1944 abermals zur Wehrmacht einberufen. Während seiner Zugehörigkeit zu einer Marinekraftfahrabteilung war er überwiegend im Schreibstuben- und Registraturdienst beschäftigt, verrichtete zeitweise aber auch Truppen- und Wachdienst.

II. Mit der Behauptung, er habe sich gelegentlich des Kasernenwachdienstes - angeblich im Januar 1945 - ein chronisches Augenleiden zugezogen, das sich während der bis Juli 1945 dauernden Kriegsgefangenschaft noch verschlimmert habe, beantragte der Kläger am 22. Mai 1950 - also nahezu 5 Jahre nach seiner Entlassung - eine Rente nach dem bayerischen KB-Leistungsgesetz. Sein Antrag wurde vom Versorgungsamt ... laut Bescheid vom 12. April 1951 mit der Begründung abgelehnt, es sei nicht wahrscheinlich, daß die nach den ärztlichen Feststellungen bestehende beiderseitige Bindehautentzündung und Übersichtigkeit (Alterssichtigkeit) mit dem geleisteten Wehrdienst in ursächlichem Zusammenhang stehe.

Gegen diese Ablehnung legte der Kläger Berufung ein, die vom Oberversicherungsamt ... mit Entscheidung vom 4. Februar 1952 zurückgewiesen wurde, weil das Augenleiden des Klägers mit dem Wehrdienst nicht in Zusammenhang gebracht werden könne. Der vom Kläger hiergegen beim Bayerischen Landesversicherungsamt eingelegte Rekurs wurde durch das Bayerische Landessozialgericht in München, an das das Verfahren gemäß § 215 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Berufung übergegangen war, mit Urteil vom 7. September 1954 zurückgewiesen. Auch das Landessozialgericht kam zu dem Ergebnis, daß der Leidenszustand des Klägers nicht durch wehrdienstliche Umstände oder Einflüsse hervorgerufen sei und verneinte demzufolge den Anspruch auf Versorgungsleistungen.

III. Gegen dieses Urteil, das dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 21. September 1954 zugestellt wurde, legte der Kläger persönlich unter dem 14. Oktober 1954 Revision ein (1. Revision). Sein Schreiben, das an das Bayerische Landessozialgericht in München gerichtet und bei diesem am 16. Oktober 1954 eingegangen war, wurde von dort an das Bundessozialgericht weitergesandt und ist hier am 21. Oktober 1954 eingegangen; es enthielt weder einen Antrag noch eine Begründung. Ferner legte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers in der Berufungsinstanz, ... aus Bad Reichenhall, mit einem ebenfalls an das Bayerische Landessozialgericht in München gerichteten Schreiben vom 19. Oktober 1954, das dort am 20. Oktober 1954 eingelaufen war und nach Weitergabe am 23. Oktober 1954 beim Bundessozialgericht einging, Revision ein (2. Revision).

Mit Schriftsatz vom 5. November 1954 beantragte danach

das Urteil des Landessozialgerichts vom 7. September 1954 aufzuheben,

weil das Berufungsgericht seiner Entscheidung unzutreffende ärztliche Feststellungen zugrundegelegt habe.

Zugleich begehrte er,

dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,

weil weder der Kläger noch sein Prozeßbevollmächtigter zum Verhandlungstermin in der Berufungsinstanz geladen gewesen seien.

Von Seiten des Klägers wurde weiterhin der Antrag gestellt,

... auch für die Revisionsinstanz als Prozeßbevollmächtigten zuzulassen,

da er nach Vorbildung und Berufstätigkeit hierfür umfassende Erfahrung und Sachkunde besitze. Dazu wurde geltend gemacht, daß ... 1907 bis 1910 Staats- und Verwaltungswissenschaften studiert, 1928 bis 1933 hauptamtlich als Arzt an den Versorgungsämtern gearbeitet, seit 1919 in Kriegsbeschädigtenverbänden mitgewirkt und ebenfalls seit 1919 einschlägige Gutachten erstattet habe.

Im einzelnen wird für das Vorbringen des Klägers auf die Schriftsätze vom 5. November 1954 sowie 10. Februar, 12. April, 23. April und 3. Juli 1955 Bezug genommen.

IV. Der Beklagte beantragte,

die Revision des Klägers als unzulässig zu verwerfen.

Er machte geltend,

1. der Kläger sei nicht durch einen gesetzlich zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten,

2. die Revision des Klägers sei verspätet eingelegt.

Im einzelnen wird auf die Schriftsätze des Beklagten vom 1. Februar und vom 27. Juni 1955 Bezug genommen.

V. Die Revision ist unzulässig.

Vor dem Bundessozialgericht müssen sich die Beteiligten, soweit es sich nicht um Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Anstalten des öffentlichen Rechts handelt, durch Prozeßbevollmächtigte vertreten lassen (§ 166 Abs. 1 SGG). Dieser Vertretungszwang, der für das gesamte Verfahren vor dem Bundessozialgericht, also auch schon für die Einlegung der Revision gilt, hat zur Folge, daß der Beteiligte selbst keine rechtswirksame Prozeßhandlung vornehmen kann.

Allein aus diesem Grunde bereits ist die vom Kläger persönlich am 14. Oktober 1954 eingelegte (erste) Revision unwirksam, wenngleich sein Schriftsatz fristgerecht beim Bundessozialgericht einging. Der Umstand, daß die Revision des Klägers zunächst an das Landessozialgericht adressiert war, kann dabei außer Betracht bleiben, weil die Revisionsschrift innerhalb der Monatsfrist des § 164 Abs. 1 SGG an das Bundessozialgericht gelangt war.

Es war aber ferner festzustellen, daß der Schriftsatz des Klägers dem zwingenden Erfordernis des § 164 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht genügte, wonach die Revision einen "bestimmten Antrag" enthalten muß. Dieser Antrag, der Richtung und Ziel der rechtlichen Rügen erkennen lassen soll, muß innerhalb der Revisionsfrist selbst eingegangen sein. Er kann nicht später - auch nicht in der Revisionsbegründung - nachgeholt werden.

VI. Die mit Schriftsatz vom 19. Oktober 1954 eingelegte, von ... unterzeichnete (zweite) Revision war zwar am 20. Oktober 1954 an das Landessozialgericht, jedoch innerhalb der Monatsfrist des § 164 Abs. 1 Satz 1 SGG, die mit dem 21. Oktober 1954 ablief, nicht mehr an das Bundessozialgericht gelangt. Hier ging sie erst am 23. Oktober 1954 ein. Da das Sozialgerichtsgesetz für das Rechtsmittel der Revision die fristgemäße schriftliche Einlegung beim Bundessozialgericht selbst zwingend vorschreibt (Peters-Sautter-Wolff, Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 1 zu § 164; Hastler, Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 1 zu § 164), ist diese Revision somit verspätet. Für die Revision enthält das Sozialgerichtsgesetz keine dem § 91 SGG entsprechende Regelung, daß die Frist auch dann als gewahrt gilt, wenn das Rechtsmittel fristgemäß bei einer anderen gerichtlichen oder behördlichen Stelle oder bei einem Versicherungsträger angebracht wird.

VII. Diese (zweite) Revision war zudem nicht von einem vor dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozeßbevollmächtigten unterschrieben.

Im Verfahren vor dem Bundessozialgericht reicht es nicht aus, daß sich die Beteiligten durch eine prozeßfähige Person, der sie gemäß § 73 Abs. 2 SGG Vollmacht erteilt haben, vertreten lassen. Das Sozialgerichtsgesetz kennt auch keine "Weitergeltung" und keine "Fortdauer" einer solchen Vollmacht zur Prozeßvertretung aus früheren Instanzen für das Revisionsverfahren schlechthin.

Vor dem Bundessozialgericht muß der Vertreter, um rechtswirksame Prozeßhandlungen vornehmen zu können, zu denjenigen Personen gehören, die nach § 166 Abs. 2 und § 217 SGG als Prozeßbevollmächtigte zugelassen sind. Im Rahmen des Vertretungszwanges ist der Kreis der zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vom Gesetz unmittelbar bestimmt und erschöpfend festgelegt. Es bedarf keines besonderen Zulassungsaktes für den Einzelfall. Weder Einschränkungen noch Erweiterungen sind statthaft.

Deshalb vermögen auch die vom Kläger geltend gemachten besonderen Umstände fachlicher Vorbildung, vielseitiger Sachkunde und langjähriger Erfahrung auf sozialrechtlichem Gebiet keinen eigenen Zulassungsgrund für ... als Prozeßbevollmächtigten zu schaffen, wenn und soweit in seiner Person nicht auch die sonstigen Voraussetzungen und Bedingungen für die Zulassung als Prozeßbevollmächtigter vor dem Bundessozialgericht erfüllt werden. Dies ist jedoch nicht der Fall.

VIII. Unstreitig ist ... weder Rechtsanwalt (§ 166 Abs. 2 Satz 2 SGG) noch Verwaltungsrechtsrat (§ 217 Abs. 1 SGG) nach den für diese Berufsstände geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften.

Es wurde für ihn aber auch keinerlei Nachweis darüber erbracht, daß er auf Grund der vorgeschriebenen Prüfungen die Fähigkeit zum höheren Verwaltungsdienst besitzt und ihm das Auftreten vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit allgemein gestattet ist (§ 217 Abs. 2 SGG). Infolgedessen kann ... trotz seines mehrjährigen Studiums der Staats- und Verwaltungswissenschaften einem Verwaltungsrechtsrat auch nicht gleichgestellt werden.

IX. ... ist Mitglied des VdK und hat in dieser Organisation das Ehrenamt eines Kreisvorsitzenden bekleidet. Zu prüfen blieb daher, ob er aus dieser Stellung "kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozeßvertretung befugt" ist.

Der VdK zählt unzweifelhaft zu den Vereinigungen der Kriegsopfer im Sinne des § 166 Abs. 2 SGG. Nach seiner Satzung gliedert er sich in einzelne Landesverbände, zu denen auch der Landesverband Bayern gehört (§ 1 der Satzung des Landesverbands Bayern). Der Landesverband wiederum gliedert sich in Kreis- und Ortsverbände. Diese sind jedoch nach § 7 der Landesverbandssatzung Bayern nur organisatorische Teilgliederungen des Landesverbandes, der allein neben dem Hauptverband eingetragener Verein ist. Die Kreisverbände haben keine eigene Satzung, sondern ihre Verhältnisse werden durch die Landessatzung geregelt.

Die Satzung des Landesverbandes Bayern, zu welchem der Kreisverband Berchtesgaden-Reichenhall gehört, hat aber keine Bestimmungen darüber getroffen, ob und welche Personen zur Prozeßvertretung der Verbandsmitglieder befugt sind. Das Gleiche gilt von der Satzung des Hauptverbandes. Daher ist auch ... als ehrenamtlicher Kreisvorsitzender des Kreisverbandes Berchtesgaden-Reichenhall des VdK nicht "kraft Satzung zur Prozeßvertretung befugt".

Er ist es aber auch nicht "kraft Vollmacht". Die Worte "kraft Vollmacht" in § 166 Abs. 2 SGG beziehen sich nicht auf die in § 73 SGG geregelte Prozeßvollmacht, die regelmäßig für eine Prozeßvertretung erforderlich ist und die das Verhältnis des Beteiligten zum jeweiligen Prozeßvertreter betrifft. Diese Worte können sich in diesem Zusammenhang vielmehr nur auf das Verhältnis des Prozeßbevollmächtigten zu seinem Verbande beziehen. Der Verband muß den Vertreter zur Prozeßvertretung bevollmächtigt haben. In diesem Sinne haben auch Rechtsprechung und Rechtslehre die §§ 11 des Arbeitsgerichtsgesetzes von 1926 und des Arbeitsgerichtsgesetzes von 1953 ausgelegt, die insoweit einen dem § 166 Abs. 2 SGG entsprechenden Wortlaut haben und ebenfalls eine Vertretungsbefugnis seitens der benannten Verbände "kraft Satzung oder Vollmacht" fordern (RAG 10,218 AP 50/47, 52/242; Dersch-Volkmar, Arbeitsgerichtsgesetz 1955 § 11 Anm. 5 b; Dietz-Nikisch Arbeitsgerichtsgesetz 1954, § 11 Anm. 61).

Die Auswahl der als Prozeßbevollmächtigte zugelassenen Mitglieder und Angestellten hat der Gesetzgeber der Eigenverantwortung der in § 166 Abs. 2 SGG bezeichneten Vereinigungen überlassen, die er auch sonst an der Sozialgerichtsbarkeit beteiligt.

Der VdK hat die vom Gesetzgeber übertragene Auswahl nach Mitteilung seiner Hauptgeschäftsstelle vom 31. Januar 1955 dadurch getroffen, daß er sein satzungsgemäß berufenes Organ, für den Bereich des Landesverbands Bayern also der Landesverbandsvorstand, allgemein den Kreisgeschäftsführern, den Geschäftsführern und Sozialreferenten der Landesverbandsbezirke (nach § 12 der Satzung des Landesverbands Bayern sind dies Zusammenschlüsse von Kreisverbänden), sowie den Sozialreferenten der Abteilung Rechtsschutz des Landesverbands Bayern, soweit diese vom Landesverband angestellt und hauptamtlich tätig sind, die Ermächtigung zur Prozeßvertretung im Sinne des § 166 Abs. 2 SGG erteilt hat. Nur diese Personen sind also "kraft Vollmacht" des VdK zur Prozeßvertretung befugt. Nicht zu diesem Personenkreis gehören aber ehrenamtliche Mitglieder von Kreisvorständen des VdK, wie ... in Bad Reichenhall. Er ist auch nicht in der von der Hauptgeschäftsstelle des VdK mit Schreiben vom 5. Mai 1955 dem Bundessozialgericht übersandten Liste, welche die vom VdK zur Prozeßvertretung bevollmächtigten Mitglieder und Angestellten enthält, namentlich aufgeführt. Eine spezielle Vollmacht des VdK für das anhängige Revisionsverfahren hat ... nicht vorgelegt.

Demzufolge war festzustellen, daß der Kläger im Verfahren vor dem Bundessozialgericht nicht dem Gesetz entsprechend vertreten ist.

X. Auch die Revisionsschrift vom 19. Oktober 1954, die von ... gezeichnet ist, entbehrte schließlich des bestimmten Antrags, wie er im § 164 Abs. 2 Satz 1 SGG gefordert wird.

XI. Die vorstehend behandelten Mängel hätten indessen noch behoben werden können, falls dem im Schriftsatz des ... vom 5. November 1954 enthaltenen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattzugeben war.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellt im Verfahren vor dem Bundessozialgericht eine Prozeßhandlung dar, die dem Vertretungszwang des § 166 Abs. 1 SGG unterfällt. Da aber ... wie vorstehend unter VIII und IX dargelegt ist, nicht zu den nach Maßgabe der §§ 166 Abs. 2 und 217 SGG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten gehört, konnte er jene Prozeßhandlung nicht rechtswirksam vornehmen, und dem Antrag mußte der Erfolg versagt bleiben. Die zur Begründung hierzu vorgetragene Behauptung, daß zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht weder der Kläger noch sein Prozeßbevollmächtigter geladen gewesen seien, wird im übrigen durch die Postzustellungsurkunde vom 25. August 1954 widerlegt, nach deren Inhalt die Ladung dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers an diesem Tage zugestellt worden ist.

XII. Nach alledem mußte der Senat die Revision als unzulässig verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Es schien nicht veranlaßt, dem Kläger außergerichtliche Kosten des anderen Beteiligten aufzuerlegen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1803714

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