Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragsnachentrichtung nach Beitragserstattung wegen Heirat

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Auslegung des WGSVG § 8 Abs 1 S 2 (Stichtagsregelung vom 1967-01-01).

 

Normenkette

WGSVG § 8 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 Fassung: 1970-12-22

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 26. Juli 1974 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die 1912 geborene Klägerin ist Verfolgte im sinne des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Sie hatte sich ihre zur Rentenversicherung entrichteten Beiträge wegen Heirat erstatten lassen. Seit dem 1. August 1968 bezieht sie Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, und zwar ursprünglich in Höhe von 348,70 DM monatlich. In dem Bewilligungsbescheid vom 9. Juni 1969 ist als Eintritt des Versicherungsfalles der 29. Juli 1968 angegeben. Der Rentenberechnung waren gemäß Art. X des Zweiten Gesetzes zur Änderung des BEG (BEG-Schlußgesetz) vom 14. September 1965 (BGBl I 1315) nachentrichtete Beiträge für den Monat August 1955 und für die Zeit vom 1. Januar 1950 bis 31. März 1952 sowie eine Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) vom 1. Oktober 1935 bis 31. Dezember 1949 zugrunde gelegt worden.

Aufgrund des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) idF des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVÄndG) vom 22. Dezember 1970 (BGBl I 1846) erließ die Beklagte, nachdem ein entsprechender Antrag im März 1971 gestellt war, einen Bescheid über die Berechtigung zur Nachentrichtung vom 7. Februar 1972. Darin wird festgestellt, daß die Klägerin nach § 8 WGSVG Beiträge für die Zeit vom 1. Juli 1928 bis 31. Juli 1935, vom 1. bis 30. September 1935 und vom 1. April 1952 bis 31. Januar 1971 und nach § 10 WGSVG Beiträge für die Zeiten vom 1. Januar 1933 bis 31. Juli 1935, vom 1. bis 30. September 1935 und vom 1. April 1952 bis 31. Januar 1971 nachentrichten kann. Der Bescheid enthält den Zusatz, daß eine Nachentrichtung nach § 10 WGSVG für die Zeit vom 1. August 1968 bis 31. Januar 1971 nur für den späteren Versicherungsfall des Alters oder Todes anrechenbar ist, und daß auch die etwa nach § 8 WGSVG nachentrichteten Beiträge sämtliche erst bei diesen späteren Versicherungsfällen berücksichtigt werden können.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie vertrat die Ansicht, Beiträge, die sie nach § 8 WGSVG nachentrichten würde, müßten auch auf die laufende Rente angerechnet werden. Die Widerspruchsstelle wies den Widerspruch durch Bescheid vom 19.21. April 1972 zurück. Sie führte im wesentlichen aus, ein Nachentrichtungsrecht nach § 8 WGSVG könne nur dann in vollem Umfang und mit Wirkung auf den zur Zeit der Nachentrichtung bereits eingetretenen Versicherungsfall ausgeübt werden, wenn dieser bereits vor dem 1. Januar 1967 eingetreten sei.

Daraufhin erhob die Klägerin Klage. Das Sozialgericht (SG) Berlin entnahm ihrem Vorbringen den Antrag,

den Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 1972 und den Widerspruchsbescheid der Widerspruchsstelle der Beklagten vom 21. April 1972 im Hinblick auf die Beschränkung der nach § 8 WGSVG nachzuentrichtenden Beiträge auf den späteren Versicherungsfall des Alters aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Nachentrichtung insoweit auch für den bereits eingetretenen Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit zuzulassen.

Diese Klage wies das SG durch urteil vom 18. Juni 1973 ab. Es führte aus, aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 2 WGSVG ergebe sich klar, daß der Gesetzgeber im Hinblick auf die von ihm eingeräumten Nachentrichtungsmöglichkeiten eine zeitliche Abgrenzung vorgenommen habe. Er unterscheide, ob der Versicherungsfall vor oder nach dem 1. Januar 1967 eingetreten sei. Bei einem Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1967 werde der berechtigte Personenkreis so gestellt, als ob die nachentrichteten Beiträge bereits früher entrichtet worden seien. Bei Versicherungsfällen nach dem 1. Januar 1967 sei für die Nachentrichtung die allgemeine Vorschrift des § 141 Abs. 1 AVG maßgebend, nach der freiwillige Beiträge nach Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalles für Zeiten davor nicht mehr entrichtet werden könnten.

Hiergegen legte die Klägerin Berufung ein.

Von ihr inzwischen eingezahlte Beiträge wurden für die Zeit vom 1. Januar 1933 bis zum 31. Juli 1935, für den Monat September 1935 sowie für den Monat Februar 1955 nach § 10 WGSVG und für die Zeit vom 1. Januar 1931 bis September 1932 nach § 8 WGSVG verbucht.

Durch Bescheid vom 21. März 1974 berechnete die Beklagte sodann die Rente für Zeiten vom 1. April 1971, d.h. vom Ersten des Monats an, der auf die Bereiterklärung zur Nachentrichtung folgte (Art. 4 § 2 Abs. 2 WGSVÄndG, § 142 AVG), neu auf monatlich 528,-- DM statt zuletzt 391,30 DM, und zwar unter weiterer Anrechnung der nachentrichteten Beiträge, jedoch ohne die nach § 8 WGSVG nachentrichteten Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1931 bis 30. September 1932.

Durch Urteil vom 26. Juli 1974 wies das Landessozialgericht (LSG) Berlin die Berufung der Klägerin zurück.

Das LSG, das ohne mündliche Verhandlung entschied, nahm an, die Klägerin habe sinngemäß beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juni 1973 aufzuheben, den Bescheid vom 7. Februar 1972 abzuändern sowie den Widerspruchsbescheid vom 19./21. April 1972 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Wirkung der gemäß § 8 WGSVG zugelassenen Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit von Januar 1931 bis September 1932 auch auf den bereits eingetretenen Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit auszudehnen.

Dieses Begehren hielt das LSG für unbegründet. Die Auffassung des SG über die Rechtslage entspreche dem Sinn und Zweck der Neuregelung einschließlich ihrer Entstehungsgeschichte. Die von der Klägerin erstmals in der Berufungsinstanz aufgestellte Behauptung, sie sei bereits vor dem 1. Januar 1967 erwerbsunfähig geworden, rechtfertige keine andere Beurteilung. Hierbei könne unerörtert bleiben, ob die im Rentenbescheid vom 9. Juni 1969 getroffene Feststellung über den Eintritt des Versicherungsfalles in Bindung erwachsen sei oder nicht. Der jetzt geltend gemachte frühere Eintritt des Versicherungsfalles sei nach den Feststellungen der Ärzte nicht belegt. Der von der Beklagten gehörte Gutachter Dr. K. habe in seinem Gutachten vom 30. Januar 1969 auf die Frage, seit wann der seiner Beurteilung zugrunde liegende Zustand bestehe, klar und bestimmt geantwortet. Er habe den Zeitpunkt entsprechend den Angaben der Klägerin und der allgemeinen ärztlichen Erfahrung auf einen (damals) seit zwei Jahren bestehenden Zeitraum festgelegt, so daß davon auszugehen sei, daß der Versicherungsfall frühestens Ende Januar 1967 eingetreten sei. Die Klägerin könne deshalb auch aus diesem Grunde nicht die in § 8 Abs. 1 Satz 2 WGSVG vorgesehene Vergünstigung beanspruchen.

Mit der zugelassenen Revision beantragt die Klägerin,

unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Berlin vom 26. Juli 1974 und des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juni 1973 den Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 1972 und den Widerspruchsbescheid vom 19.21. April 1972 abzuändern und die Nachentrichtung von Beiträgen gemäß § 8 WGSVG für die Zeit von Januar 1931 bis September 1932 auf den bereits eingetretenen Versicherungsfall aus der Erwerbsunfähigkeit auszudehnen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

da das angefochtene Urteil richtig sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Die für den vorliegenden Streitfall maßgebende Rechtsgrundlage stellt § 8 WGSVG dar. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 WGSVG kann, wer nach § 7 WGSVG zur Weiterversicherung berechtigt ist, auf Antrag abweichend von der Regelung des § 1418 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 140 AVG Beiträge für Zeiten vor Vollendung des 65. und nach Vollendung des 16. Lebensjahres bis zum 1. Januar 1924 zurück nachentrichten, soweit diese Zeiten nicht bereits mit Beiträgen belegt oder als Ersatzzeiten anzurechnen sind. § 7 WGSVG billigt das Recht der Weiterversicherung zu "einer Verfolgten oder der Ehefrau eines Verfolgten, den sie vor dem 9. Mai 1945 geheiratet hat", wenn ihr in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen wegen Heirat erstattet worden sind. Zu dieser Personengruppe gehört die Klägerin.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 WGSVG steht der Eintritt des Versicherungsfalles vor dem 1. Januar 1967 der Nachentrichtung von Beiträgen nicht entgegen; im übrigen gelten § 1419 Abs. 1 und 2 RVO und § 141 Abs. 1 und 2 AVG entsprechend. Ist also der Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1967 eingetreten, so steht dieser Umstand der Nachentrichtung ganz allgemein nicht entgegen, unabhängig davon, um welchen Versicherungsfall es sich handelt, ob den der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit (§§ 23, 24 AVG) oder einen der verschiedenen Fälle des Erreichens der Altersgrenze (§ 25 AVG). Wegen der Überleitungsvorschrift des Art. 4 § 2 Abs. 2 WGSVG beginnt jedoch die Rente oder die höhere Rente frühestens vom Ersten des Monats an, der auf die Beitragsnachentrichtung folgt, im übrigen frühestens von Inkrafttreten des WGSVG an. In allen übrigen Fällen gilt § 141 Abs. 1 und 2 AVG entsprechend. Die lediglich entsprechende Anwendung ist hier deshalb vorgeschrieben, weil sich § 141 AVG nur auf freiwillige Beiträge und Beiträge der Höherversicherung bezieht, die nach § 8 WGSVG nachentrichteten Beiträge aber nach seinem Abs. 1 Satz 3 zum Teil leistungsrechtlich wie rechtzeitig entrichtete Pflichtbeiträge zu berücksichtigen sind.

Im Zusammenhang mit § 8 Abs. 1 Satz 2 WGSVG bedeutet dies, daß bei den seit dem 1. Januar 1967 eingetretenen Versicherungsfällen der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit zwar auch noch Beiträge nach § 8 WGSVG für vorangegangene Zeiträume nachentrichtet werden dürfen, daß diese sich aber nicht mehr auf die bereits bewilligten Renten wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit auswirken, sondern erst auf die späteren Versicherungsfälle des Erreichens der Altersgrenze oder des Todes (hinsichtlich der Hinterbliebenenrente). Etwas anderes gilt nur für nach § 10 WGSVG nachentrichtete Beiträge, für die ein anderer Stichtag - 1. Februar 1972 - vorgesehen ist. Der Sinn dieser Sonderregelung des § 8 WGSVG ist klar. Bei den Versicherungsfällen, die vor dem genannten, dem Art. X BEG-Schlußgesetz entnommenen Stichtag eingetreten sind, handelt es sich um Versicherte mit Beitragserstattung wegen Heirat, die besonders schutzbedürftig erschienen, weil sie in der für sie verhältnismäßig kurzen Nachkriegszeit sich in der Regel noch keine ausreichende eigene Invaliditäts- und Alterssicherung aufbauen konnten. Deshalb ist ihnen insbesondere die Nachentrichtung für Zeiten bis zum 1. Januar 1924 zurück eröffnet worden. Dagegen muß es sich bei späteren Versicherungsfällen um Versicherte handeln, die seit 1945 genügend Zeit gehab haben, sich eine eigene Lebenssicherung zu erwerben. Damit genügt es für sie, wenn sie bis zum 1. Januar 1933 zurück nach der allgemeinen Vorschrift des § 10 WGSVG nachentrichten können, und nach § 8 nur mit den dem § 141 AVG entsprechenden Einschränkungen. Der Gesetzgeber hat deshalb keine Veranlassung gesehen, ältere Versicherungsfälle ebenso großzügig zu begünstigen wie jüngere Versicherungsfälle. Die getroffene Regelung erweist sich als sachgerecht und steht im Einklang mit der vom LSG im einzelnen wiedergegebenen Entstehungsgeschichte. Zugleich entfallen damit die in einer anderen Sache geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die getroffene Stichtagsregelung. Es entspricht dem Grundgedanken des Sozialversicherungsrechts und der Eigenart der Versicherungsverhältnisse, daß in der Regel Leistungsverbesserungen an bestimmte Stichtage gebunden sind (BSGE 34, 287).

Somit muß die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden. Das LSG hat die Beklagte zu Recht für nicht verpflichtet erachtet, die nach § 8 WGSVG nachentrichteten Beiträge bereits bei der laufenden Rente wegen Erwerbsunfähigkeit rentensteigernd zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649563

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