Leitsatz (amtlich)

1. Ein Betrieb, der sich in der Hauptsache mit Abbruch- und Enttrümmerungsarbeiten befaßt, ist ein Betrieb des Baugewerbes.

2. Zur Befugnis der BA über die Zugehörigkeit eines Betriebes zum Kreis der förderungsfähigen Betriebe zu entscheiden, obwohl noch kein Leistungsantrag vorliegt.

 

Orientierungssatz

Der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren, obwohl SGG § 55 dies im Gegensatz zu anderen Verfahrensordnungen nicht ausdrücklich ausspricht (vgl BSG 1977-01-27 12/8 REh 1/75 = SozR 2200 § 1385 Nr 3); dh, der Kläger kann grundsätzlich keine Feststellung begehren, wenn er seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann. Die Möglichkeit einer Feststellungsklage bleibt ihm nur dann eröffnet, wenn er mit einer anderen Klageart sein Klageziel nicht in vollem Umfang erreichen kann.

 

Normenkette

AFG § 75 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1972-05-19, § 76 Abs. 1 Fassung: 1972-05-19, Abs. 2 S. 1 Fassung: 1972-05-19, § 81 Abs. 1 Fassung: 1972-05-19, § 88 Abs. 2 Fassung: 1972-05-19; BaubetrV S. 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y Fassung: 1972-07-19; AFG § 75 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1972-05-19, § 76 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1972-05-19; SGG § 55 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 18.11.1977; Aktenzeichen L 1 Ar 23/77)

SG Itzehoe (Entscheidung vom 31.01.1977; Aktenzeichen S 3 Ar 203/76)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 18. November 1977 insoweit aufgehoben, als es die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 31. Januar 1977 auch hinsichtlich der Feststellungsklage zurückgewiesen hat. In diesem Umfange wird das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betrieb der Klägerin in die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft (§§ 74 ff Arbeitsförderungsgesetz - AFG -) einzubeziehen ist.

Die Klägerin ist ein Unternehmen, das sich mit Abbruch-, Erd-, Planierungs- sowie Landeskulturarbeiten befaßt. In dem Betrieb werden in der Hauptsache Abbruch- und Enttrümmerungsarbeiten durchgeführt. In den Schlechtwetter- und Förderungszeiten 1973/74 und 1974/75 gewährte die Beklagte der Klägerin Schlechtwetter- und Wintergeld. Für die Zeit ab 1. April 1974 hatte die Beklagte zunächst festgestellt, die Klägerin gehöre nicht mehr zu den zu fördernden Betrieben. Auf den Widerspruch der Klägerin hat sie diesen Bescheid aber wieder aufgehoben.

Mit Bescheid vom 30. Oktober 1975 stellte die Beklagte mit Wirkung vom 1. November 1975 fest, daß der Betrieb der Klägerin nach § 76 AFG von der Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft auszuschließen sei, weil die Abbrucharbeiten nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit anderen in erheblichem Umfange anfallenden baulichen Leistungen ausgeführt würden. Deshalb könne er nicht nach § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst y der Baubetriebe-Verordnung (BaubetriebeVO) als Betrieb des Baugewerbes gefördert werden.

Der hiergegen erhobene Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 1976). Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Itzehoe mit Urteil vom 31. Januar 1977 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, der Betrieb der Klägerin falle unter § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst y der BaubetriebeVO und sei damit in die Winterbauförderung einzubeziehen. Die Berufung der Beklagten hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 18. November 1977 zurückgewiesen und zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Gegen die Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage bestünden keine Bedenken. Die Klägerin habe ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Zwar sei die Feststellungsklage grundsätzlich gegenüber den anderen Klagearten subsidiär. Von diesem Grundsatz könne jedoch abgewichen werden, wenn mit einer anderen Klageart dem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nicht voll entsprochen werden könne. Die von der Klägerin begehrte Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen trete in ihrer Bedeutung zurück hinter der Feststellung, daß sie auch in Zukunft in die Winterbauförderung einzubeziehen sei. Die Anfechtungsklage habe im vorliegenden Falle nur den Zweck, die dem Urteil entgegenstehenden Verwaltungsakte zu beseitigen, um der gerichtlichen Entscheidung über den materiellen Anspruch Raum zu geben.

Der Bescheid vom 30. Oktober 1975 sei nicht schon deshalb rechtswidrig, weil das AFG und die BaubetriebeVO einen Feststellungsbescheid, wie ihn die Beklagte getroffen habe, nicht vorsähen. Solche Bescheide seien gleichwohl zulässig, weil sie einer praktischen Notwendigkeit entsprächen und nur das vorwegnähmen, worüber die Beklagte im Falle der Leistungsklage inzidenter entscheiden müßte. Die Klägerin würde in ihren Rechten durch eine solche vorgezogene Entscheidung nicht geschmälert.

Die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte ergebe sich jedoch daraus, daß der Betrieb der Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten auch ab 1. November 1975 weiter die Voraussetzungen für die Einbeziehung in die Winterbauförderung erfülle. Das ergebe sich schon aus dem Wortlaut von § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst y der BaubetriebeVO. Es sei davon auszugehen, daß dieser Wortlaut dem wirklichen Willen des Verordnungsgebers entspreche. Zu Unrecht berufe sich die Beklagte für ihre restriktive Auslegung der BaubetriebeVO auf die Bundesrahmentarifverträge für das Baugewerbe vom 31. März 1975 und 1. April 1971 idF der Änderungstarifverträge vom 16. Oktober 1972 und 8. April 1974 sowie auf die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen der Tarifverträge für das Baugewerbe in der Bundesrepublik Deutschland vom 17. Juli 1974 und 2. Oktober 1975. Der hier wegen seiner zeitlichen Gültigkeit allein in Betracht kommende Bundesrahmentarifvertrag vom 1. April 1971 idF der Änderungstarifverträge vom 16. Oktober 1972 und 8. April 1974 stimme inhaltlich mit § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst y der BaubetriebeVO überein. Richtig sei zwar, daß der Bundesrahmentarifvertrag vom 31. März 1975 durch die Protokollnotiz vom 9. September 1965 mit Tarifvertragscharakter hinsichtlich der Abbruchbetriebe eine Einschränkung enthalten habe. Danach sollten von diesem Bundesrahmentarifvertrag nur die Abbrucharbeiten erfaßt werden, die von Betrieben des Bauhauptgewerbes ausgeführt würden. Diese Einschränkung könne für die Auslegung der BaubetriebeVO schon deshalb keine Bedeutung mehr haben, weil der Tarifvertrag vom 1. April 1971 idF der Änderungstarifverträge vom 16. Oktober 1972 und 8. April 1974 nicht den Inhalt der Protokollnotiz vom 9. September 1965 übernommen habe. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen der Tarifverträge gäben für die Auslegung des Bundesrahmentarifvertrages und auch für die BaubetriebeVO nichts her. Selbst wenn der geltende Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe eine inhaltliche Einschränkung erfahren haben sollte, wäre das für die Auslegung der BaubetriebeVO unbeachtlich. Wenn es vom jeweiligen Inhalt der Tarifverträge abhängig sei, welche Betriebe in die Förderung einzubeziehen seien, dann würden die Tarifvertragsparteien den materiellen Inhalt der Rechtsverordnung mitbestimmen. Das lasse sich aber mit § 76 Abs 2 AFG nicht vereinbaren, weil dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung insoweit die Rechtsetzungsbefugnis eingeräumt worden sei.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 75 Abs 1 AFG iVm § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst y BaubetriebeVO. Sie begründet ihre Auffassung damit, § 76 Abs 2 AFG und § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst y BaubetriebeVO müßten im Zusammenhang mit § 75 Abs 1 Nr 2 und Nr 3 AFG ausgelegt werden. Nach den Materialien zu § 75 Abs 1 AFG gehörten diejenigen Betriebe nicht zum Baugewerbe, welcher herkömmlicherweise, dh aufgrund ihrer historischen Entwicklung einem anderen Gewerbe als dem Baugewerbe zugerechnet werden müssen. Die geschichtliche Entwicklung der Abbruchbetriebe zeige, daß das Abbruchgewerbe von jeher als eigenständiges Gewerbe angesehen worden sei. Auch das Vorliegen besonderer Tarifverträge sowie das Bestehen eines eigenen Arbeitgeberverbandes wiesen auf diese Eigenständigkeit hin. Hierfür spreche auch eine Erklärung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes vom 1. September 1976, wonach durch die Neufassung des Bundesrahmentarifvertrages (BRTV-Bau) vom 1. April 1971 keine materiell-rechtliche Änderung eingetreten sei. § 75 Abs 1 Nr 2 und 3 AFG lehnten sich an die Begriffsbestimmung des BRTV-Bau vom 1. April 1971 an. Hiernach würden Abbruch- und Enttrümmerungsarbeiten nur dann vom fachlichen Geltungsbereich dieses Rahmentarifvertrages erfaßt, wenn sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit anderen im Betrieb in erheblichem Umfange anfallenden Bauleistungen stünden. Diese Auffassung decke sich auch mit der des deutschen Abbruchverbandes und des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Die den Abbruchbetrieben eigentümlichen Wesensmerkmale sowie die übereinstimmende Auffassung der Sozialpartner des Baugewerbes und des Abbruchgewerbes ließen den Schluß zu, daß diese Betriebe einen eigenen Gewerbezweig bildeten und somit nicht von dem Begriff "Betrieb des Baugewerbes" in § 75 Abs 1 Nr 2 iVm Nr 3 AFG und somit auch nicht von § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst y der BaubetriebeVO erfaßt würden.

Die Auslegung der BaubetriebeVO aus dem jeweiligen Inhalt des BRTV-Bau heraus könne nicht zu dem Ergebnis führen, daß Betriebe in die Winterbauförderung einbezogen würden, die nicht als Betriebe des Baugewerbes im Sinne des § 75 Abs 1 Nr 2 AFG anzusehen seien. Andernfalls würden die Sozialpartner des Baugewerbes darüber bestimmen, wie § 75 Abs 1 Nr 2 AFG auszufüllen sei. Ausgangspunkt könnte deshalb nur die Fragestellung sein, ob die in den Betrieben ausgeführten Arbeiten herkömmlicherweise von Betrieben des Baugewerbes verrichtet würden. Das sei bei den von der Klägerin geleisteten Arbeiten nicht der Fall.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 18. November 1977 und das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 31. Januar 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Sache an das Landessozialgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als sie sich gegen die Feststellungsklage richtet.

Die Klägerin hat eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage erhoben. Bei einer zulässigen Revision ist vor der sachlich-rechtlichen Würdigung von Amts wegen zu prüfen, ob ein in der Revisionsinstanz fortwirkender Verstoß gegen verfahrensrechtliche Grundsätze vorliegt. Dabei sind insbesondere solche Mängel zu berücksichtigen, die sich aus dem Fehlen unverzichtbarer Prozeßvoraussetzungen ergeben, und zwar auch schon des Klageverfahrens (BSGE 2, 225, 226, 227; 10, 218, 219). Ein solcher Mangel liegt hier vor. Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage ist unzulässig. Ihr fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Die Klägerin war in der Lage, mit der von ihr erhobenen Anfechtungsklage denselben Rechtsschutz zu erlangen.

Es ist allgemein anerkannt, daß der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage auch im sozialgerichtlichen Verfahren gilt, obwohl § 55 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dies im Gegensatz zu anderen Verfahrensordnungen nicht ausdrücklich ausspricht (SozR 2200 § 1385 Nr 3); dh, der Kläger kann grundsätzlich keine Feststellung begehren, wenn er seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann. Die Möglichkeit einer Feststellungsklage bleibt ihm nur dann eröffnet, wenn er mit einer anderen Klageart sein Klageziel nicht in vollem Umfange erreichen kann. Das trifft entgegen der Auffassung des LSG im vorliegenden Falle nicht zu.

Der angefochtene Bescheid enthält die allgemeine Feststellung, der Betrieb der Klägerin gehöre nicht zum Kreis der Betriebe, für die die Förderung ganzjähriger Beschäftigung in der Bauwirtschaft in Betracht kommt. Ein Urteil, das der gegen den Bescheid gerichteten Klage aus materiellen Gründen stattgibt, hat zur Folge, daß die Beklagte den aufgehobenen Verwaltungsakt, dh auch die in dem angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung bei gleicher Sachlage nicht mit derselben Begründung wiederholen darf (BSGE 8, 185, 189; BSG Urteil vom 1.6.1978 - 12 RK 50/76 1; Meyer-Ladewig SGG, § 141 Rz 10). Das gilt sowohl im Rahmen einer selbständigen Entscheidung, wie sie bereits getroffen worden ist, als auch im Rahmen einer Entscheidung über einen von der Klägerin geltend gemachten Leistungsanspruch. Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin ist also insoweit auch für die Zukunft gesichert.

Zutreffend sind die Vorinstanzen zu dem Ergebnis gelangt, daß die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind und die Anfechtungsklage daher Erfolg haben mußte. Die angefochtenen Bescheide sind Verwaltungsakte. Die Beklagte hat mit ihnen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts einen Einzelfall mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen geregelt. Hierfür spricht neben der Form der Verwaltungserklärung vor allem ihr Inhalt, der darauf abzielt, die Klägerin von der Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft auszuschließen. Die Erklärung kündigt also nicht nur eine Entscheidung an. Die getroffene Regelung ist nicht bereits schon deswegen rechtswidrig, weil die Beklagte zunächst nur über einen Teilkomplex des Förderungsanspruchs entschieden hat. Sie kann, wenn sie über einen Leistungsanspruch entscheidet, diesen schon dann ablehnen, wenn lediglich eine von mehreren Anspruchsvoraussetzungen fehlt.

Schließlich steht der Rechtsmäßigkeit des Bescheides vom 30. Oktober 1975 idF des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 1976 nicht entgegen, daß die Klägerin keinen entsprechenden Leistungsantrag gestellt hat. Nach §§ 81 Abs 1 und 2, 88 Abs 2 AFG werden Leistungen für die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft auf Antrag gewährt. Entscheidungen über diese Leistungen sind daher mitwirkungsbedürftige Verwaltungsakte. Das Fehlen der Mitwirkung kann je nach ihrer Bedeutung zur Nichtigkeit oder auch zur Anfechtbarkeit des Verwaltungsaktes führen (Stelkens, Bonk, Leonhardt, VwVfG, § 35 Rz 119). Beides kommt hier jedoch nicht in Betracht. Der Senat hat bereits in seinen Urteilen vom 27. Oktober 1965 - 7 RAr 14/65 - und - 7 RAr 16/65 - Breithaupt 1966 S 534 und 538 - keine Bedenken dagegen gehabt, daß die Arbeitsverwaltung aufgrund einer Anzeige witterungsbedingten Arbeitsausfalls die Gewährung von Schlechtwettergeld versagt hat, obwohl kein entsprechender Antrag vorlag. Maßgebend hierfür waren Zweckmäßigkeitsgründe. Die sofortige Entscheidung verschaffte dem Arbeitgeber Klarheit und erleichterte ihm so seine in eigener Verantwortung zu treffende Entscheidung über die Einstellung oder den Fortgang der Arbeit. Anknüpfungspunkt war hier die Ausfallanzeige, der zu entnehmen war, daß der Kläger die Absicht hatte, einen Antrag auf Schlechtwettergeld zu stellen. Ähnlich ist die Sachlage im vorliegenden Fall. Die Klägerin hatte bereits in den Schlechtwetter- und Förderungszeiten 1973/74 und 1974/75 Schlechtwettergeld und Wintergeld beantragt. Es war daher zu erwarten, daß sie entsprechende Anträge auch für die Periode 1975/76 stellen würde. Damit entfiel das maßgebliche Moment, welches gegen den Erlaß eines mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakts ohne Antrag des Betroffenen spricht, nämlich, daß es der Verwaltung verwehrt ist, über Berechtigungen und Vergünstigungen zu entscheiden, ohne daß dies der Betroffene wünscht (vgl OVG Münster NJW 76, 688). Darüber hinaus hatte die Beklagte zu berücksichtigen, daß die Klägerin aufgrund der auf ihren Widerspruch erfolgten Aufhebung des Bescheides vom 1. April 1974 davon ausgehen mußte, sie gehöre zum Kreis der zu fördernden Betriebe. Die Beklagte kam daher einer ihr obliegenden Betreuungspflicht gegenüber der Klägerin nach, wenn sie dieser ihre den früheren Entscheidungen entgegenstehende neue Entscheidung bereits vor der Antragstellung mitteilte. Wenn sie in Erfüllung dieser Pflicht die Klägerin nicht nur durch schlichtes Verwaltungshandeln entsprechend aufklärte, sondern einen Vorabbescheid erließ, um die hier streitige Anspruchsvoraussetzung einer alsbaldigen Klärung zuzuführen, so lag dies vor allem im Interesse der Klägerin und ist nicht zu beanstanden.

Im Ergebnis können die angefochtenen Bescheide jedoch keinen Bestand haben. Im Gegensatz zu den in ihnen getroffenen Entscheidungen gehört die Klägerin gemäß § 76 Abs 1 AFG zu dem Kreis der Arbeitgeber des Baugewerbes, in deren Betrieb die ganzjährige Beschäftigung nach § 76 Abs 2 AFG zu fördern ist. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat aufgrund der ihm in dieser Vorschrift eingeräumten Ermächtigung in § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst y BaubetriebeVO bestimmt, daß die ganzjährige Beschäftigung in der Bauwirtschaft durch Leistungen der produktiven Winterbauförderung und das Schlechtwettergeld in Betrieben des Baugewerbes zu fördern ist, die mit Spreng-, Abbruch- und Enttrümmerungsarbeiten befaßt sind; nicht erfaßt werden Abbruch- und Abwrackbetriebe, deren Hauptzweck der Gewinnung von Rohmaterialien dient. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, daß die Aufnahme dieser Betriebe in § 1 Abs 1 BaubetriebeVO noch nicht besagt, daß sie tatsächlich zu den Betrieben des Baugewerbes gehören. Das ergibt sich schon aus § 1 Abs 2 BaubetriebeVO. Vor allem folgt es aber daraus, daß § 76 Abs 2 AFG dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung nicht die Befugnis einräumt, zu bestimmen, welche Betriebe zu den Betrieben des Baugewerbes gehören. Das wird ausdrücklich in § 75 Abs 1 Ziffern 2 und 3 AFG geregelt. Hiernach sind Betriebe des Baugewerbes solche Betriebe oder Betriebsabteilungen, die überwiegend Bauleistungen erbringen. Bauleistungen sind alle Bauarbeiten, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung oder Beseitigung von Bauwerken dienen. Der Betrieb der Klägerin ist nach den tatsächlichen unangefochtenen Feststellungen des LSG, die für den Senat gemäß § 163 SGG bindend sind, mit Abbruch- und Enttrümmerungsarbeiten befaßt. Hierbei handelt es sich um die Beseitigung von Bauwerken. Diese Leistungen haben nach den Feststellungen des LSG einen erheblich größeren Umfang als die Arbeiten, die sonst noch durchgeführt werden.

Der Hinweis der Beklagten auf den BRTV-Bau vom 1. April 1971, an dessen Begriffsbestimmungen sich § 75 Abs 1 Nrn 2 und 3 AFG anlehnten, geht fehl. Die in § 75 Abs 1 Nr 3 AFG erfolgte Begriffsbestimmung ist zwar nach den Gesetzesmaterialien in Anlehnung an den BRTV-Bau gebildet worden (BT-Drucks VI/2689 S 11 zu § 75). Dies berechtigt jedoch nicht dazu, wie bereits der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinen Urteilen vom 1. Juni 1978 - 12 RK 50/76 - und 14.September 1978 - 12 RAr 53/77 - ausgeführt hat, tarifvertragliche Bestimmungen, die aufgrund von praktischen Bedürfnissen und historischen Entwicklungen zu einer eigenständigen Regelung geführt haben, bei der Auslegung der eindeutigen Definition des § 75 AFG zu berücksichtigen. Das verbietet auch die unterschiedliche Zweckbestimmung der gesetzlichen und der tarifrechtlichen Regelung. Während letztere lediglich eine Zuständigkeitsabgrenzung trifft, bestimmt erstere den anspruchsberechtigten Personenkreis.

Auch der eindeutigen Regelung des § 1 Abs 1 Nr 1 Buchst y BaubetriebeVO kann nicht entnommen werden, daß zu den zu fördernden Betrieben des Abbruchgewerbes nur solche gehören, deren Abbruchleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit in erheblichem Umfange anfallenden baulichen Leistungen stehen. Zwar ist der Verordnungsgeber, wie das LSG zutreffend hervorgehoben hat, gemäß § 76 Abs 2 AFG ermächtigt, auch einschränkend zu bestimmen, in welchen Betrieben des Baugewerbes die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist. Wenn er dies tatsächlich in dem Sinne gewollt hätte, wie es die Beklagte meint, hätte dies deutlich zum Ausdruck kommen müssen. Hier liegt aber nur eine Einschränkung dahin vor, daß Abbruch- und Abwrackbetriebe, deren Hauptzweck der Gewinnung von Rohmaterialien dient, nicht erfaßt werden. Diesen Hauptzweck verfolgt nach den Feststellungen des LSG die Klägerin mit ihrem Betrieb jedoch nicht.

Allerdings dürfen gemäß § 76 Abs 2 AFG in die Förderung nur Betriebe einbezogen werden, deren Bautätigkeit in der Schlechtwetterzeit dadurch voraussichtlich in wirtschafts- oder sozialpolitisch erwünschter Weise belebt werden wird. Es bestehen - jedenfalls im vorliegenden Falle - keine Anhaltspunkte dafür, daß der Verordnungsgeber durch die Aufnahme der Abbruchbetriebe in den Katalog der zu fördernden Betriebe - soweit sie nicht als Hauptzweck die Gewinnung von Rohmaterialien haben - seinem gesetzlichen Auftrag insoweit nicht nachgekommen ist.

Die Revision kann deshalb keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647709

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