Entscheidungsstichwort (Thema)

Witwenrente. Tod. Todesleiden. Todesursache. Schädigungsfolge. Kausalkette. Ursachenzusammenhang. Beweisgrad. Vollbeweis. Wahrscheinlichkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Verstirbt ein Beschädigter und ist das Todesleiden nicht bereits als Schädigungsfolge anerkannt, besteht ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nur, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Todesleiden festgestellt wird, das mit Wahrscheinlichkeit Schädigungsfolge ist.

 

Normenkette

BVG § 1 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 2, § 38 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 18.06.1991; Aktenzeichen L 8 V 303/88)

SG Osnabrück (Urteil vom 28.07.1988; Aktenzeichen S 7 V 34/85)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. Juni 1991 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist der Witwenrentenanspruch (§ 38 Bundesversorgungsgesetz ≪BVG≫) der Klägerin, deren schwerbeschädigter Ehemann an einem ungeklärten Leiden gestorben ist.

Die Klägerin ist Witwe des am 2. Oktober 1984 verstorbenen G.… B.… (B.), bei dem als Schädigungsfolgen Verlust des rechten Beines im Oberschenkel sowie Veränderungen der Lendenwirbelsäule nach Fehlbelastung anerkannt waren. Am 12. September 1984 erlitt B.… bei einem Sturz von der Leiter eine Trümmerfraktur des linken Unterschenkels. Während der stationären Behandlung kam es am 2. Oktober 1984 bei einer krankengymnastischen Übung zu einem Herzkreislaufversagen. B.… starb noch am selben Tage. In der Todesbescheinigung des Gesundheitsamts wurde als Todesursache “akuter Herzinfarkt mit Herzversagen” angegeben. Eine Sektion wurde nicht durchgeführt.

Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente vom Oktober 1984 lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, der Tod des B.… stehe nicht in Zusammenhang mit den Schädigungsfolgen (Bescheid vom 28. März 1985). Das Sozialgericht (SG) hat – nach Einholung mehrerer Befundberichte und eines (ergänzten) Sachverständigengutachtens – den Beklagten verurteilt, an die Klägerin ab 1. November 1984 Witwenrente zu zahlen, weil mehr für als gegen die Annahme spreche, daß für den Tod des B.… nicht ein Herzinfarkt, sondern eine nach dem Unfall vom 12. September 1984 aufgetretene Lungenembolie verantwortlich gewesen sei (Urteil vom 28. Juli 1988). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat weitere Gutachten eingeholt, die aber zu der Frage, ob dem Tod des B.… ein Herzinfarkt oder eine Lungenembolie vorausgegangen sei, auch nur Wahrscheinlichkeitsaussagen machen konnten. Alle gehörten Sachverständigen sind von der Voraussetzung ausgegangen, daß nur in dem Fall, daß der Tod des B.… auf einer Lungenembolie beruht habe, ein ursächlicher Zusammenhang des Todesleidens mit den Folgen des Unfalles vom 12. September 1984 herzustellen sei. Mit Urteil vom 18. Juni 1991 hob das LSG das Urteil des SG auf und wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, erst wenn die (unmittelbare) Todesursache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt sei, stelle sich die Frage, ob das Versorgungsleiden die Todesursache gebildet habe. Vorliegend sei für alle Sachverständigen die unmittelbare Todesursache letztlich ungeklärt geblieben, wenn auch einzelne Sachverständige die Lungenembolie für wahrscheinlicher hielten als den Herzinfarkt.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 38 Abs 1 Satz 1 iVm § 1 Abs 5 Satz 2 und Abs 3 Satz 1 BVG. Die unmittelbare Todesursache müsse nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Es genüge vielmehr, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, daß der Beschädigte an den Schädigungsfolgen verstorben sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. Juni 1991 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 28. Juli 1988 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das LSG hat zutreffend ihren Anspruch auf Witwenrente nach § 38 Abs 1 BVG verneint, weil nicht festgestellt werden kann, daß B.… an den Folgen einer Schädigung verstorben ist.

Die Rechtsvermutung des § 38 Abs 1 Satz 2 BVG, wonach der Tod als Folge der Schädigung gilt, wenn das Todesleiden rechtsverbindlich als Schädigungsfolge anerkannt und Rente zuerkannt war, kommt der Klägerin nicht zugute; denn unstreitig ist B.… nicht an einem der anerkannten Versorgungsleiden (Verlust des rechten Beines, Wirbelsäulenveränderungen) verstorben.

Der Anspruch auf Witwenrente folgt auch nicht aus § 38 Abs 1 Satz 1 BVG. Nach dieser Bestimmung besteht Anspruch auf Witwenrente, wenn ein Beschädigter an den Folgen einer Schädigung gestorben ist. Die Feststellung, ob ein Beschädigter “an” den Folgen einer Schädigung verstorben ist, setzt regelmäßig die vorherige Feststellung (ausnahmsweise die Wahlfeststellung – vgl dazu BSGE 13, 51, 53) des zum Tode führenden Leidens voraus. Das ergibt sich insbesondere aus § 38 Abs 1 Satz 2 BVG. Verstirbt der Beschädigte an einer Schädigungsfolge, für die er Leistungen bezog, so wird nach dieser Bestimmung nicht nochmals geprüft, ob die Anerkennung der Schädigungsfolge zu Recht erfolgt ist, insbesondere stellt sich nicht noch einmal die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Schädigung und der Schädigungsfolge (vgl Förster in Wilke/Fehl/Förster/Leisner/Sailer, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl Rdz 14 zu § 38 BVG; BSGE 24, 185, 186 ff). § 38 Abs 1 Satz 1 BVG hingegen betrifft den Fall, daß das zum Tode führende Leiden des Beschädigten nicht als Schädigungsfolge festgestellt ist. Auch in diesem Fall steht den Hinterbliebenen unter Umständen Anspruch auf Versorgung zu, wenn diese Feststellung nachgeholt werden kann. Das Todesleiden muß dann, wenn die Schädigung nicht unmittelbar den Tod herbeigeführt hat, ebenso nachgewiesen werden wie ein als Schädigungsfolge geltend gemachtes Leiden zu Lebzeiten des Beschädigten. Bei diesem Leiden handelt es sich um ein unentbehrliches Glied in der bis auf die Primärschädigung zurückzuführenden Kausalkette, dh um eine Tatsache, welche Vollbeweis erfordert. Denn nicht der Tod, sondern das Todesleiden muß in einem ursächlichen Zusammenhang mit den Schädigungsfolgen stehen, wie sich schon aus der Formulierung in § 38 Abs 1 Satz 2 BVG entnehmen läßt. Das beruht darauf, daß der Tod für jeden unausweichlich und daher an sich nicht geeignet ist, die besondere Beziehung zu einer zeitlich zurückliegenden Schädigung herzustellen. Diese Beziehung wird erst vermittelt durch die Todesursache in Gestalt desjenigen Leidens, das zum vorzeitigen Tode führt. Nur über dieses Zwischenglied der Kausalkette kann der Tod zur Schädigungsfolge werden.

Daß anspruchsbegründende Tatsachen des Vollbeweises bedürfen, ist allgemein anerkannt. Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht erforderlich, daß die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewißheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, daß bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch noch zweifelt (vgl BGH in BGHZ 53, 255), dh daß die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt. Diese Beweisanforderungen gelten solange, wie nicht Sonderbestimmungen (zB § 1 Absätze 3 und 5 BVG) einen geringeren Beweisgrad ausreichen lassen (vgl Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 4. Aufl Rdz 5 zu § 118 SGG; BSGE 6, 144). Vollbeweis ist daher insbesondere für das Vorliegen jeder als Schädigungsfolge geltend gemachten Gesundheitsstörung zu fordern, da insoweit keine Ausnahmeregelung gilt. Die in § 1 Absätze 3 und 5 BVG bestimmte Beweiserleichterung bezieht sich ausschließlich auf den Ursachenzusammenhang (vgl dazu auch das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 24. September 1992 – 9a RV 31/90 und BSGE 60, 58 S 59 ff). Zu Recht hat das LSG angenommen, daß hier der Ablauf einer Lungenembolie mit dem Beweisgrad der “an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit” hätte feststellbar sein müssen. An die Feststellung, daß für diese Tatsache statt dessen allenfalls eine “hohe” Wahrscheinlichkeit spricht, ist der Senat gebunden (§ 163 SGG). Die Auffassung der Revision, daß dieser Beweisgrad genüge, entspricht – wie dargelegt – nicht der Rechtslage. Die unzureichende Aufklärbarkeit der Natur des Todesleidens geht nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast (vgl dazu Meyer-Ladewig, aaO Rdz 19 zu § 103 mwN) zu Lasten der Klägerin.

Nur die Feststellung einer Lungenembolie als einziges in Betracht kommendes Todesleiden würde es erlauben, die Ursächlichkeit zwischen dem Unterschenkelbruch und dem zum Tode führenden Leiden auch nur im Wahrscheinlichkeitsgrad zu bejahen. Rechtlich wäre auch eine Wahlfeststellung in Betracht gekommen, wenn die sonst möglicherweise vorliegenden Todesleiden ebenfalls mit Wahrscheinlichkeit auf die von B.… am 12. September 1984 erlittene Verletzung zurückgeführt werden könnten. Dies trifft aber nach den Feststellungen des LSG schon deshalb nicht zu, weil das als sonstiges Todesleiden in Betracht kommende Leiden “Herzinfarkt” nicht mit jenem Unfall in wahrscheinlichen Zusammenhang gebracht werden kann. Unter diesen Umständen durfte das LSG offenlassen, ob es sich bei dem seinerzeit erlittenen Unterschenkelbruch links um eine sogenannte “mittelbare Schädigungsfolge” gehandelt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1994, 46

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