Entscheidungsstichwort (Thema)

Wehrdiensteigentümliche Verhältnisse. sanitätsärztliche Aufklärungspflicht. Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber den Soldaten. Gesunderhaltungspflicht des Soldaten. Ausschluß der freien Arztwahl

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wenn sich im Streitverfahren um einen Ausgleich nach § 85 SVG für die Wehrdienstzeit ergibt, daß eine MdE unter 25 vH vorliegt, hat der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, daß eine Gesundheitsstörung die Folge einer Schädigung iS des SVG ist.

2. Zur Wehrdienstbeschädigung bei einer nachteilig verlaufenen sanitätsärztlichen Behandlung wegen eines nicht wehrdienstbedingten Leidens.

 

Orientierungssatz

1. Wehrdiensteigentümlich iS des § 81 Abs 1 SVG sind nach ständiger Rechtsprechung die besonderen Gegebenheiten des soldatischen Sozialbereichs der Bundeswehr, die sich deutlich von vergleichbaren des Zivillebens unterscheiden (vgl BSG vom 24.8.1982 9a BV 3/82 = BSG SozR 3200 § 81 Nr 18).

Die Entfernung eines Weisheitszahnes einschließlich der Anästhesie in einem Bundeswehrkrankenhaus ist wehrdiensteigentümlich im bezeichneten Sinne.

2. Können Gesundheitsschäden nur außerhalb der Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr in einer Fachklinik mit einschlägiger Erfahrung vorgenommen werden, so müssen die Offiziere des Sanitätsdienstes, die mit dem Soldaten als Patient befaßt sind, ihn über eine solche Behandlung aufklären und ihn in eine geeignete Klinik überweisen (vgl ua BSG vom 24.6.1981 9 RV 115/81 = SozR 3200 § 81 Nr 15). Das gehört zur Fürsorgepflicht des Dienstherren, die im Bereich der Gesundheitspflege gegenüber den Soldaten durch Offiziere des Sanitätsdienstes zu erfüllen ist.

3. Zur Verpflichtung des Soldaten, seine Gesundheit zu erhalten (§ 17 Abs 4 SG).

4. Der Soldat hat im Rahmen der unentgeltlichen Heilfürsorge keinen Anspruch auf freie Arztwahl. Der Staat muß deshalb dem Soldaten entsprechend dem Maße, in dem er dessen Verantwortung durch den Ausschluß der freien Arztwahl beseitigt hat, von den Risiken befreien, die mit der Behandlung verbunden waren.

 

Normenkette

SVG § 81 Abs. 1, § 85 Abs. 1; SG § 17 Abs. 4, § 30 Abs. 1; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 3

 

Gründe

Der Kläger, ein Berufsoffizier, wollte sich 1980 wegen Zahnschmerzen im Bundeswehrsanitätszentrum seines Standortes behandeln lassen. Er wurde in die mund- und kieferchirurgische Abteilung eines Bundeswehrzentralkrankenhauses zur Entfernung eines Weisheitszahnes überwiesen. Vor dem Eingriff wurde er durch eine Leitungsanästhesie örtlich betäubt. Nach der Operation sind Gefühlsstörungen im Mundbereich zurückgeblieben. Einen Ausgleich nach § 85 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) wegen dieser Gesundheitsstörungen lehnte der Bundesminister der Verteidigung (BMVg) ab, weil eine mit dem Eingriff zusammenhängende Schädigung weder durch eine Dienstverrichtung noch durch einen Unfall während der Dienstausübung noch durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse verursacht worden sei.

Die Klage ist zulässig und auch begründet.

Der Senat hat nicht mehr darüber zu befinden, ob die Anfechtungsklage gegen den Bescheid des BMVg ... zulässig war (§ 88 Abs 6 Satz 1 und 2 SVG, § 78 Abs 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Durch die Zurücknahme des auf einen Ausgleich nach § 85 SVG gerichteten Rechtsschutzbegehrens ist der Rechtsstreit insoweit erledigt (§ 102 Satz 1 und 2, § 99 Abs 3 Nr 2 SGG).

Der Kläger hat nach der Beweisaufnahme in der Einsicht, daß ihm mangels einer schädigungsbedingten MdE von mindestens 25 vH kein Ausgleich nach § 85 Abs 1 und 4 Satz 1 bis 3 SVG iVm § 30 Abs 1 und § 31 Abs 1 und 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht, sein Begehren auf die ursprünglich hilfsweise beantragte Feststellung von Schädigungsfolgen gemäß § 55 Abs 1 Nr 3 SGG beschränkt. Für diese sachdienliche Klage besteht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Eine Sachentscheidung ist schon nach dem Prozeßstand geboten, dh nach der klärenden Beweiserhebung, der die Annahme einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) zugrunde lag. Nach der für Kriegsopfer- und Soldatenversorgungssachen geltenden Sondervorschrift des § 55 Abs 1 Nr 3 SGG kann die Feststellung beantragt werden, daß eine Gesundheitsstörung die Folge einer Schädigung iS des BVG - oder wie hier des SVG - ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Eine vorbeugende Feststellung, die ausgeschlossen ist (BSG SozR Nr 51 zu § 55 SGG; BFHE 133, 308, 309 f), begehrt der Kläger nicht. Wenn seine Gesundheitsstörungen jetzt als WDB-Folgen anzuerkennen sind, wirkt das später rechtsverbindlich, für den Fall, daß sie sich verschlimmern oder mit mittelbaren oder mit anderen Schädigungsfolgen, zB auch solchen iS des Gesetzes über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten, zusammentreffen und insgesamt eine MdE von mindestens 25 vH bedingen (§ 85 Abs 2 SVG). Im Hinblick auf eine solche mögliche Entwicklung ist der Kläger daran interessiert, "bald" den jetzigen Zustand in zeitlicher Nähe zur Schädigung als Schädigungsfolge im Rechtssinn anerkannt zu bekommen. Das Eintreten der bezeichneten Fälle ist nicht weniger naheliegend als ein Heilbehandlungsfall, der in anderen Fällen eine baldige Feststellung von nicht rentenberechtigenden Schädigungsfolgen iS des BVG rechtfertigt (BSG SozR Nr 81 zu § 1 BVG; BSG Praxis 1961, 537). Das Feststellungsinteresse des Klägers wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß er eine negative Feststellung der Verwaltung anfechten oder nach § 131 Abs 1 Satz 3 SGG für rechtswidrig erklären lassen könnte. Für den Fall, daß die in der "Begründung" des angefochten gewesenen Bescheides enthaltene Ablehnung von Schädigungsfolgen überhaupt selbständig rechtsverbindlich werden könnte (§ 77 SGG), will die Verwaltung eine solche Entscheidung dem Kläger später nicht entgegenhalten. Die kraft einer Sondervorschrift vom Gericht zu treffende Feststellung erübrigt eine Verpflichtungsklage dahin, daß die Verwaltung einen entsprechenden Feststellungsbescheid erlassen müßte. Eine solche Verpflichtung der Verwaltung in allen Fällen, in denen eine MdE um mindestens 25 vH nicht erreicht wird, aber WDB-Folgen behauptet werden, ist zweifelhaft (Nr 14 des Gemeinsamen Erlasses des BMVg und des BMA vom 8. März 1976 - VMB 1976, 114; BSGE 42, 178, 179 = SozR 3850 § 51 Nr 3); die beamtenrechtliche Vorschrift des § 45 Abs 3 Satz 2 und 3 Beamtenversorgungsgesetz (hier idF vom 24. August 1976 - BGBl I 2485 -), ist nach § 27 Abs 1 Satz 1 SVG nur auf Berufssoldaten anzuwenden, die wegen eines Dienstunfalles in den Ruhestand versetzt werden.

Das Sachbegehren ist ...begründet.

Die Empfindungsstörungen ... beim Kläger sind durch eine WDB iS des § 81 Abs 1 SVG (in der zur Zeit der Schädigung - April 1980 - geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 18. Februar 1977 - BGBl I 337 -/Gesetz vom 22. Mai 1980 - BGBl I 581 -) verursacht worden, und zwar durch Verhältnisse, die dem Wehrdienst eigentümlich sind. ...

Ob die schädigende Ursache einer WDB zuzurechnen ist, beurteilt die Verwaltung nach den Richtlinien des BMVg vom 18. April 1968 (Rundschreiben des BMA vom 2. Mai 1968, BVBl 1968 S 86 Nr 38; dazu Bremenkamp, Versorgungsbeamter 1982, 5). Sie sind für das Gericht nicht verbindlich (BSG SozR 3200 § 80 Nr 2).

Wehrdiensteigentümlich iS des § 81 Abs 1 SVG sind nach ständiger Rechtsprechung die besonderen Gegebenheiten des soldatischen Sozialbereichs der Bundeswehr, die sich deutlich von vergleichbaren des Zivillebens unterscheiden (BSG SozR 3200 § 81 Nr 18), hier beschränkt auf das Beziehungsgefüge des Gesundheitsverhaltens der Soldaten und der Heilfürsorge. Zu den typischen Besonderheiten der militärärztlichen Behandlung, auf die noch umfassender eingegangen wird, gehört, daß eine mikrochirurgische Nervenplastik, die den eingetretenen Schaden hätte beseitigen können, nur außerhalb der Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr in einer Fachklinik mit einschlägiger Erfahrung hätte vorgenommen werden können. Die Offiziere des Sanitätsdienstes, die mit dem Kläger als Patienten befaßt waren, ... hätten ihn über eine solche Behandlung aufklären und ihn in eine geeignete Klinik überweisen müssen (BSG SozEntsch BSG IX/4 § 81 SVG Nr 9; SozR 3200 § 80 Nr 2; 3200 § 81 Nr 15). Das gehörte zur Fürsorgepflicht des Dienstherren, die im Bereich der Gesundheitspflege gegenüber den Soldaten durch Offiziere des Sanitätsdienstes zu erfüllen ist. 1980 mußten die genannten Ärzte darüber unterrichtet sein, daß seit 1976 im Fachschrifttum über solche Operationen berichtet wurde, wie sich aus dem Ergänzungsgutachten ergibt. Die Art der Schadensbeseitigung ist wehrdiensteigentümlich. Ein Anspruch "aus Anlaß einer WDB", die hier für die Operationsschädigung anzunehmen ist, auf Grund des Art 34 Grundgesetz (GG) iVm § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist ausgeschlossen; der Geschädigte hat nach § 91a Abs 1 Satz 1 SVG 1977 nur die auf dem SVG beruhenden Ansprüche, es sei denn, daß die WDB durch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung eines Bediensteten verursacht wurde (Abs 1 Satz 2), wofür hier kein Anhalt besteht (dazu Bremenkamp, ZfS 1982, 39). Allerdings hat der Sachverständige es bloß als wahrscheinlich beurteilt, daß 1980/81 eine Nervenoperation beim Kläger erfolgreich verlaufen wäre. Ob bei diesem Grad der Aussicht, den Schaden zu beheben, aus dem Unterlassen einer Überweisung hergeleitet werden kann, der Dauerschaden sei als Folge einer WDB zu beurteilen, weil auch für die primäre Verursachung der anzuerkennenden Gesundheitsstörung eine Wahrscheinlichkeit genügt, kann dahingestellt bleiben.

Jedenfalls wurde die Sensibilitätsstörung beim Kläger schon durch eine WDB bei der Weisheitszahnentfernung verursacht. Diese Behandlung einschließlich der Anästhesie war wehrdiensteigentümlich im bezeichneten Sinn.

Als wehrdiensteigentümlich kann allerdings nicht jegliche Behandlung durch einen Truppenarzt oder in einem Bundeswehrkrankenhaus deshalb bewertet werden, weil sie erfahrungsgemäß allgemein schlechter wäre als eine zivile.

Das BSG hat bisher in ständiger Rechtsprechung die Besonderheit der Behandlung durch Militärärzte oder Offiziere des Sanitätsdienstes vor allem in ihrem Zwangscharakter gesehen und deshalb grundsätzlich alle Folgen solcher Eingriffe oder von Unterlassungen bei der Heilfürsorge dem Wehrdienst zugerechnet; diese ärztliche Versorgung einschließlich des Erduldens sei in das allgemeine militärische Befehls- und Gehorsamsgefüge eingeordnet (BSGE 25, 165, 166 = SozR Nr 74 zu § 1 BVG; BSG BVBl 1967, 62 = KOV 1967, 142; SozR 7190 § 4 Nr 1). Wenn diese Beurteilung für die Verhältnisse in der Wehrmacht bis 1945 zutraf, so paßt sie doch nicht uneingeschränkt auf die Rechtsbeziehungen zwischen der Bundeswehr und ihren Soldaten. Für sie gilt zuvörderst das Leitbild des "Staatsbürgers in Uniform" (§ 6 Soldatengesetz -SoldG- hier idF vom 19. August 1975 - BGBl I 2273 -/30. Juli 1979 - BGBl I 1301 -). Der BMVg, der die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte hat (§ 65a GG), hat in diesem Rechtsstreit ausdrücklich erklärt, die Offiziere des Sanitätsdienstes könnten, abgesehen von § 17 Abs 4 Satz 3 SoldG, einem Soldaten nicht kraft einer Vorgesetztenstellung das Erdulden von Heilmaßnahmen befehlen. Ungeachtet dessen hat der erkennende Senat für die Bundeswehr schon in einem früheren Urteil (SozR 3200 § 80 Nr 2) auf eine spezielle Zwangslage der Soldaten abgehoben und als wehrdiensteigentümlich vor allem die Verpflichtung des Soldaten, sich gesund zu erhalten, die freie Heilfürsorge für Krankheitsfälle und als deren Besonderheit den Ausschluß der freien Arztwahl herausgestellt. Diese Umstände werden weiterhin für wesentlich gehalten. Gegenüber den Angriffen des BMVg gegen diese Rechtsprechung ist folgendes zur ergänzenden Begründung klarzustellen:

Nach § 17 Abs 4 Satz 1 SoldG hat der Soldat "alles in seinen Kräften Stehende zu tun, um seine Gesundheit zu erhalten". Diese gesetzliche Anordnung ist eine Besonderheit gegenüber zivilen Verhältnissen. Naturgemäß ist der Mensch üblicherweise im eigenen Interesse um die Erhaltung seiner Gesundheit bemüht; eine ärztliche Behandlung, die er wegen Beschwerden herbeiführt, dient ihm selbst. Darüber hinaus sind Zivilisten als Sozialversicherte aus Solidarität gehalten, für ihre Gesundheit so zu sorgen, daß möglichst anspruchsbegründende Tatbestände vermieden werden; es obliegt ihnen, sich notfalls behandeln zu lassen (§§ 63, 65 Abs 1 Nr 1 und 2, Abs 2, § 66 Abs 2 und 3, § 67 Sozialgesetzbuch -SGB- I vom 11. Dezember 1975 - BGBl I 3015 -; BSG SozR 1200 § 63 Nr 1; 2200 § 1277 Nr 2; BSG Sozialgerichtsbarkeit 1984, 354 mit Anm von H. Bogs; Wulfhorst, VSSR 1982, 1, 6 ff). Auch für Beamte wird allgemein angenommen, sie seien verpflichtet, sich gesund zu erhalten, weil sie ihre volle Arbeitskraft zur Verfügung stellen müssen (BVerwG, DVBl 1984, 458).

Für den Soldaten ist dies aber im Unterschied zu den zivilen Verhältnissen nicht nur gesetzlich vorgeschrieben; seine Verpflichtung hat auch einen gewichtigeren Rang und einen strengeren Maßstab als diejenige für Beamte. Diese soldatische Dienstpflicht ist zu erfüllen, damit die Bundeswehr mit der erforderlichen "Schlagkraft" (vgl § 2 Nr 3 Wehrstrafgesetz -WStG- vom 24. Mai 1974 - BGBl I 1213 -) ihrem Verteidigungsauftrag (Art 87a GG, § 7 SoldG) gerecht werden kann. Dafür muß jeder Soldat vor allem körperlich leistungsfähig sein (BVerwG, DVBl 1980, 448, 449; BVerwGE 53, 83, 85; Scherer/Meyer/Panholzer/Alff, Soldatengesetz, 5. Aufl 1976, § 17, RdNr 36 und 37). Seine wichtigste allgemeine Dienstpflicht besteht darin, tapfer mit Leib und Leben zur Verteidigung beizutragen. Er darf Gefahren für seine Person nicht ausweichen (§ 6 WStG; Scherer ua, § 7 SoldG, RdNrn 22, 23, 25; Lingens, Der Schutz von Leben und Gesundheit im Wehrdienstverhältnis unter Berücksichtigung der Pflicht zur Gesunderhaltung, 1982, S 19, 26, 34 ff, 77 f). Im Frieden hat er sich ständig darauf vorzubereiten und bereitzuhalten, im Verteidigungsfall zu kämpfen (Lingens, aaO, 80 ff). Dementsprechend sind die Anforderungen an die Dienstfähigkeit, für die der Soldat mit verantwortlich ist, höher als bei Beamten. Übereinstimmend damit liegt die allgemeine Altersgrenze für den Übertritt in den Ruhestand bereits bei 60 Jahren, die besondere für Offiziere je nach Funktion und Dienstgrad bei 41 oder bei 53 bis 59 Jahren (§ 43 Abs 1, § 44 Abs 1 Satz 1, § 45 Abs 1 und 2 SoldG; vgl zu den diese Regelung begründenden Belastungen: Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die Altersgrenze der Berufssoldaten - BT-Drucks III/2391, S 4; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verteidigung zum Gesetzesentwurf - BT-Drucks III/2705, S 1 f). Es liegt nahe, einen Versorgungsanspruch wegen der Folgen einer sanitätsärztlichen Behandlung allgemein allein deshalb anzunehmen, weil ein Soldat kraft gesetzlicher Anordnung für seine Gesundheit sorgen und sich einer notwendigen Behandlung ebenso unterziehen muß, wie er einen Dienst auszuüben hat, dessen schädigende Folgen ausdrücklich durch § 81 Abs 1 SVG geschützt sind. Hier ist aber nicht unter disziplinarrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen, ob ein Offizier des Sanitätsdienstes als fachlicher Vorgesetzter dem Soldat befehlen kann, sich wegen Zahnbeschwerden fachärztlich behandeln zu lassen, und ob der Soldat durch Erdulden der Behandlung gehorchen muß (§ 10 Abs 4, § 1 Abs 4, § 11 SoldG, § 2 Nr 2 WStG, § 3 der Verordnung über die Regelung des militärischen Vorgesetztenverhältnisses vom 4. Juni 1956 - BGBl I 459 -/6. August 1960 - BGBl I 684 -; dazu BVerwG, DVBl 1980, 448).

Versorgungsrechtlich genügt für einen wehrdiensteigentümlichen Umstand, daß ein Soldat bei einer Behandlung durch einen Offizier des Sanitätsdienstes - wie hier - auf Grund nicht unvernünftiger Überlegungen im allgemeinen die Vorstellung haben wird und haben kann, er lasse sich nicht allein im eigenen Interesse behandeln, sondern erfülle damit zugleich seine gesetzliche Pflicht zur gesteigerten Gesundheitspflege. Ein Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung wird beim Unfall bei einer Tätigkeit, die aus der Sicht des Unternehmers aus einer Beschäftigung iS des § 539 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht gefordert wird oder ihr nicht nützt, gleichwohl dann gewährt, wenn der Verunglückte auf Grund nicht abwegiger Überlegungen annahm, er handele im Interesse des Betriebes, in dem er beschäftigt ist (BSG SozR 2200 § 539 Nr 21). Das läßt sich auf das Versorgungsrecht sinngemäß übertragen (BSGE 41, 153, 155 f = SozR 3200 § 81 Nr 5). Wenn der BMVg meint, der Kläger habe sich nicht erkennbar im Interesse seiner Dienstfähigkeit der Zahnbehandlung unterzogen, dann läßt er jenen rechtlichen Gesichtspunkt außer acht. Auch ein Generalstabsoffizier wie der Kläger kann nicht von sich aus zureichend beurteilen, wie § 17 Abs 4 SoldG im konkreten Fall zu verstehen ist. Nach Satz 2 darf der Soldat seine Gesundheit nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig beeinträchtigen. Für die Entscheidung über ein solches Verschulden sind im allgemeinen medizinische Erkenntnisse erforderlich, die einem Soldaten fehlen. Außerdem ist selbst für Juristen in rechtlicher Hinsicht unklar, wie sich der grundsätzliche Schutz gegen ärztliche Eingriffe gemäß Satz 3 zu der bereits erörterten Verpflichtung des Satzes 1 iVm Satz 2 und außerdem zur Regelung des Satzes 5 verhält, daß dem Soldaten "eine sonst zustehende Versorgung insoweit versagt werden" kann, als er "eine zumutbare ärztliche Behandlung" ablehnt und dadurch "seine Dienst- oder Erwerbsfähigkeit ungünstig beeinflußt" wird. Schließlich ist regelmäßig unsicher, was gemäß Satz 6 als nicht "zumutbar" in jenem Sinn zu beurteilen ist, zumal auf eine "erhebliche Gefahr für Leben oder Gesundheit" und einen "erheblichen Eingriff" in die körperliche Unversehrtheit abgehoben wird. Alle diese Vorschriften werden bei einem gewissenhaften Soldaten die Überzeugung erwecken, er müsse eine ärztlich verordnete Behandlung im Interesse seiner Dienstfähigkeit erdulden. Jedenfalls liegt es nahe, daß er sich dazu verpflichtet fühlt, um das Risiko einer disziplinarrechtlichen Sanktion auszuschließen.

Die rechtliche Unsicherheit mußte im gegenwärtigen Fall besonders deshalb groß sein, weil der Weisheitszahn des Klägers keine Beschwerden verursachte. Hinzu kam eine weitere wehrdiensteigentümliche Besonderheit. Ob der Weisheitszahn unbedingt gezogen werden mußte, wurde nicht nach den im Zivilleben üblicherweise für beachtlich gehaltenen Erfahrungen der Zahnmedizin beurteilt, sondern nach den Sanitätsrichtlinien des BMVg vom 27. April 1979, die allerdings nach der Behauptung des Ministers denjenigen für die kassenärztliche Versorgung entsprechen sollen. Nach einer im Verwaltungsverfahren eingeholten Stellungnahme beachteten der einweisende und der operierende Offizier des Sanitätsdienstes diese Richtlinien nicht zutreffend; der Weisheitszahn hätte demnach für die notwendige konservierende Maßnahme nicht entfernt werden müssen. Allerdings hat der Sachverständige den Eingriff nach dem hohen Maßstab eines Universitätsklinikers für "angezeigt" und "empfehlenswert" erklärt. Wenn aber schon verschiedene Offiziere des Sanitätsdienstes unterschiedlicher Meinung darüber sind, ob eine bestimmte Behandlung nach den Richtlinien des BMVg notwendig ist, dann darf einem Soldaten, der nicht von sich aus wissen kann, welche Maßnahme er in einem solchen Fall zur Erfüllung seiner Gesunderhaltungspflicht erdulden muß, und der sich deshalb einer ausgesprochenen Anordnung unterwirft, der Versorgungsschutz wegen nachteiliger Folgen nicht versagt werden. Ebenso wie Sozialleistungen nicht wegen fehlender, aber sachlich gebotener Mitwirkung entzogen oder versagt werden dürfen, falls der Berechtigte nicht konkret über die Folgen seines Verhaltens belehrt worden ist (BSG SozR 4100 § 132 Nr 1), müßte ein Soldat zureichend fachlich darüber unterrichtet werden, ob er sich einer vorgesehenen ärztlichen Behandlung entziehen darf. Das ist hier nicht erkennbar im gebotenen Maße geschehen. Dann reicht die Vorstellung des Soldaten, er müsse sich behandeln lassen, für die Annahme einer Wehrdiensteigentümlichkeit. Hinzu kommt, daß der Kläger nicht über die mit dem Eingriff verbundene Gefahr, die sich bei ihm verwirklicht hat, unterrichtet worden ist. Dem behandelnden Arzt, dem der Kläger zugewiesen wurde, hätte bekannt sein müssen, daß der vorgesehene Eingriff zu einem Dauerschaden führen kann. Er hätte kraft der Fürsorgepflicht den Kläger auf diese Möglichkeit hinweisen müssen, um ihn unter Abwägung mit dem Bedürfnis der Operation entscheiden zu lassen, ob er den Weisheitszahn entfernen lassen wollte. Nur durch eine solche Belehrung hätte der Offizier beim Kläger den Eindruck ausräumen können, er müsse sich operieren lassen.

Außerdem waren die Umstände dieses Falles deshalb wehrdiensteigentümlich, weil der Kläger den behandelnden Arzt nicht frei wählen konnte. Der Soldat hat wegen aller Gesundheitsstörungen, auch der nicht durch den Wehrdienst iS des § 81 SVG bedingten, einen Anspruch auf unentgeltliche Heilfürsorge; diese ist ihm als Dienst- und Sachleistung im Rahmen der truppenärztlichen Versorgung, einer Bundeswehreinrichtung, zu gewähren, ua als zahnärztliche Behandlung in einem Bundeswehrkrankenhaus (§ 30 Abs 1 Satz 1 SoldG, § 69 Abs 2 Satz 1 Bundesbesoldungsgesetz -BBesG- hier idF vom 9. Oktober 1979 - - BGBl I 1673 -; Zentrale Dienstvorschrift "Der truppenärztliche Dienst in der Bundeswehr" - ZDv 49/29 -). Dabei kann er den behandelnden Arzt, der auch ein zugewiesener Kassenarzt sein kann (BVerfGE 62, 354), nicht selbst frei wählen. Der Zwang, sich ausschließlich von Offizieren des Sanitätsdienstes oder von den von ihnen ausgewählten Ärzten behandeln zu lassen, wird mittelbar dadurch bekräftigt, daß der Soldat eine von ihm ausgesuchte Behandlung durch einen Zivilarzt - anstelle der unentgeltlichen Heilfürsorge - selbst finanzieren muß und nicht einmal Beihilfe für die eigenen Aufwendungen beanspruchen kann (Nr 1 Abs 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen - hier idF vom 1. Februar 1979 - GMBl 1979, 67; BSG SozR 3200 § 80 Nr 2); nur in Notfällen gilt eine Ausnahme (Nr 1 Abs 3 iVm Nr 9 der Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs 2 BBesG - hier idF vom 6. Dezember 1977 -, VmBl 1978, 9).

Wenn Polizeivollzugsbeamte des Bundesgrenzschutzes - mit Ausnahme von Beamten im Grenzschutzeinzeldienst - und der (kasernierten) Bereitschaftspolizei der Länder in Ämtern der Besoldungsgruppen A 5 bis A 7 ebenfalls freie Heilfürsorge erhalten (§ 70 Abs 2 BBesG und entsprechende landesrechtliche Regelungen, zB in Hessen vom 9. August 1972 - Staatsanzeiger 1972, 1524 -), dann hat das seinen Grund in den gesteigerten Anforderungen an diese Beamten; ihr Dienst kommt dem militärischen nahe, so daß sie bei einem bewaffneten Konflikt den Kombattantenstatus erhalten (§ 64 Abs 1 und 2, § 45 Bundesgrenzschutzgesetz - hier idF vom 18. August 1972 - - BGBl I 1834 -/14. Juli 1976 - BGBl I 1801 -).

Im Unterschied dazu dürfen im übrigen Beamte, Sozialversicherte und Sozialhilfeberechtigte ihre behandelnden Ärzte grundsätzlich frei wählen, allerdings zum Teil aus einem begrenzten Kreis von Ärzten (§ 37 Abs 3 Satz 2 und Abs 4 Bundessozialhilfegesetz; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, II, § 368d, Anm 2; für Durchgangs-Ärzte der Unfallversicherung ist dies umstritten). Auch bei stationären Behandlungen kann ein Arzt einer Einrichtung, der im allgemeinen zugewiesen wird, nicht aufgezwungen werden (§§ 33, 63, 65 Abs 1 Nr 2 SGB I, § 4 Abs 1 Satz 1 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 - BGBl I 1881 -; Hauck/Haines, SGB I, K § 65 RdNr 8).

Dementsprechend hat der RVO-Patient einen privatrechtlichen Anspruch auf Schadensersatz gegen den behandelnden Arzt, falls dieser ihn schädigt (§ 368d Abs 4 RVO; BSGE 33, 158, 160 f = SozR Nr 2 zu EKV-Ärzte 1963; BGHZ 63, 265). Die Kehrseite einer auf Art 2 Abs 1 GG gründenden Freiheit ist, das Risiko des eigenen Schicksals tragen zu müssen (BVerfGE 60, 16, 39 = SozR 3100 § 89 Nr 10). Während der zivile Patient das Risiko einer falschen Behandlung gemäß §§ 823 und 611 ff BGB auf den Arzt - begrenzt - abwälzen kann, muß der Staat den Soldaten entsprechend dem Maße, in dem er dessen Verantwortung durch den Ausschluß der freien Arztwahl beseitigt hat, von den Risiken befreien, die mit der Behandlung verbunden waren. Das hat sachgemäß zu geschehen, und zwar auf Grund des wehrdiensteigentümlichen Charakters der truppenärztlichen Versorgung durch einen Entschädigungsanspruch nach den §§ 80 und 85 SVG (zum Herstellungsanspruch aus einem Sozialrechtsverhältnis: BSG SozR 3100 § 44 Nr 11; BSGE 50, 12, 13 f = SozR 2200 § 313 Nr 6). Diese Entschädigung gleicht den Ausschluß zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche aus.

Unter welchen einzelnen Voraussetzungen die Folgen einer ärztlichen Behandlung als solche einer WDB zu bewerten sind, also Versorgung zu gewähren ist, bestimmt sich nach Ausgleichsmaßstäben der sozialen Entschädigung. Nicht allein maßgebend ist die zivilrechtliche Beurteilung eines auszugleichenden Behandlungsfehlers nach der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht, die eine rechtfertigende Zustimmung des Patienten zum Ausschluß der Rechtswidrigkeit des Eingriffs fehlen läßt (dazu BVerfGE 52, 131, 167, 180 ff; BGH NJW 1980, 1905, 2751; OLG Celle, VersR 1981, 1184; Deutsch, VersR 1982, 305). Ob ein Zahnarzt nach bürgerlichem Recht darauf aufmerksam zu machen hat, daß eine Leitungsanästhesie in seltenen Fällen zu einer dauernden Empfindungsstörung führen kann, was der Operateur im gegenwärtigen Fall unterlassen hat, ist zweifelhaft (Landgericht Frankfurt am Main, Zahnärztliche Mitteilungen 1981, 1210), zumal nach dem Ergänzungsgutachten die Anzahl solcher Schädigungen nicht bekannt ist. Darauf kommt es im gegenwärtigen Fall aber nicht an. Die Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit eines ärztlichen Eingriffs, die von einer gebotenen Belehrung abhängt, ist für das Versorgungsrecht nicht bedeutsam (BSG SozR Nr 3 zu § 59 BSHG; BVBl 1967, 62; Rüfner in: Erichsen/Martens -Hg-, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl 1983, S 455, 509). Allerdings dürfte ein Versorgungsanspruch nicht ausgeschlossen sein, wenn wegen Verletzung der Aufklärungspflicht ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch bestände. Das kann hier indes dahingestellt bleiben. Außer Betracht ist im gegenwärtigen Fall die operative Behebung eines lebensbedrohlichen Zustandes, die sachgemäß vorgenommen wurde; in einem solchen Fall wird allgemein ein Versorgungsanspruch wegen schädlicher Folgen verneint (BSG SozR 7910 § 4 Nr 1). Ob im übrigen stets auch dann, wenn ein schuldhafter Kunstfehler, der einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch begründen würde, nicht festzustellen ist, Versorgung beansprucht werden kann, braucht hier nicht allgemein entschieden zu werden. Jedenfalls hatte der Kläger, der sich zur Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht behandeln ließ, keine Wahl unter verschiedenen Ärzten, also auch nicht die Möglichkeit, verschiedene Auskünfte über die Notwendigkeit zur eigenen Überprüfung zu erlangen.

Daß jeder andere als der tätig gewordene Operateur ebenfalls die Entfernung des Weisheitszahnes für geboten erklärt und ebenfalls bei der Leitungsanästhesie oder bei der Operation einen Nerv mit bleibendem Schaden verletzt hätte, so daß kein Versorgungsanspruch bestände (Beschluß des erkennenden Senats vom 25. Januar 1983 - 9a BV 180/83 -), kann nicht angenommen werden.

Mithin hat sich in dem eingetretenen Schaden der Zwang, sich durch einen bestimmten Offizier des Sanitätsdienstes der Bundeswehr behandeln zu lassen, ausgewirkt.

Da eine Schädigung durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse anzunehmen ist, brauchen die anderen Tatbestände des § 81 Abs 1 (Schädigung durch Wehrdienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Dienstausübung) und der nicht weniger problematische Tatbestand des § 81 Abs 2 Nr 2 Buchstabe b SVG (Unfall bei einer Heilmaßnahme) nicht geprüft zu werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1655984

BSGE, 171

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