Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beiladung bei Prozeßstandschaft

 

Orientierungssatz

Wird vom Kläger nicht ein eigener Ersatz- oder Erstattungsanspruch, sondern in Prozeßstandschaft ein fremder Rentenanspruch geltend gemacht (hier: Sozialhilfeträger macht für den Rechtsnachfolger eines Versicherten gemäß § 109 Abs 2 RKG iVm § 1538 RVO Knappschaftsruhegeld geltend), ist der Inhaber des geltend gemachten Rechts notwendig beizuladen.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1538 Abs 1 Fassung: 1925-07-14

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 26.02.1980; Aktenzeichen L 6 KnV 1399/79)

SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 05.07.1979; Aktenzeichen S 2 KnV 669/78)

 

Tatbestand

Der Kläger betreibt als Träger der Sozialhilfe gemäß § 109 Abs 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) iVm § 1538 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Feststellung der Leistungen aus der Versicherung des am 20. August 1978 verstorbenen Jakob F. Streitig ist zwischen den Beteiligten, ab wann die Beklagte Knappschaftsruhegeld zu gewähren hatte.

Der Versicherte ist am 8. Juni 1977 aus der UdSSR ins Gebiet der Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Er erhielt Leistungen der Sozialhilfe unter anderem vom Kläger, der außer dem Versicherten ebenfalls die Gewährung der Rente aus der Rentenversicherung beantragte. Mit Bescheid vom 28. Dezember 1977 gewährte die Beklagte dem Versicherten für die Zeit ab 1. Juli 1977 Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres aufgrund eines am 6. Dezember 1973 eingetretenen Versicherungsfalles. Der vom Kläger wegen des Rentenbeginns eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1978).

Das Sozialgericht wies die Klage des Klägers ab und ließ die Berufung zu (Urteil vom 5. Juli 1979). Auf die Berufung des Klägers verurteilte entsprechend seinem Antrag das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte, den Rechtsnachfolgern des Versicherten das Knappschaftsruhegeld ab 8. Juni 1977 zu gewähren. Der Kläger habe zu Recht geltend gemacht, daß dem Versicherten die Leistung bereits vom Zeitpunkt seines Übertritts in das Bundesgebiet zugestanden habe (Urteil vom 26. Februar 1980).

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 82 Abs 1 Satz 1 RKG. Da der Versicherte ausschließlich in der UdSSR beschäftigt gewesen sei, habe er die Wartezeit für das Knappschaftsruhegeld über das Fremdrentenrecht erst in dem Zeitpunkt erfüllt, zu dem ihm die Vertriebeneneigenschaft zuerkannt worden sei. Das habe nicht vor dem Verlassen der UdSSR geschehen können. Da frühestens mit abgeschlossener Aussiedlung die Voraussetzungen für das Knappschaftsruhegeld hinsichtlich der Wartezeit erfüllt gewesen seien, habe die Rentenleistung nach § 82 Abs 1 Satz 1 RKG auch erst mit dem 1. Juli 1977 beginnen können.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des

Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen wird (§ 170 Abs 2 SGG).

Eine Entscheidung in der Sache selbst ist nicht möglich, weil das Verfahren vor dem LSG an einem in der Revisionsinstanz fortwirkenden Mangel leidet, der vom Senat nicht beseitigt werden kann. Der Kläger hat in den Vorinstanzen eine Verurteilung der Beklagten zur Rentengewährung an den Versicherten bzw an dessen Rechtsnachfolger beantragt. Demzufolge macht er nicht einen eigenen Ersatz- oder Erstattungsanspruch geltend, sondern in Prozeßstandschaft einen fremden Rentenanspruch (§ 109 Abs 2 RKG iVm § 1538 RVO; vgl BSGE 11, 295, 296). In einem solchen Fall ist der Inhaber des geltend gemachten Rechts notwendig beizuladen, denn er ist an dem streitigen Rechtsverhältnis derartig beteiligt, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 SGG). Notwendig in diesem Sinne ist die Beiladung dann, wenn die in dem Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre des Dritten unmittelbar eingreift (vgl BSGE 46, 232, 233 mwN). Das trifft auf Fälle zu, in denen der Sozialhilfeträger gemäß §§ 1511, 1538 RVO in Prozeßstandschaft die Feststellung der dem Versicherten zustehenden Leistungen aus der gesetzlichen Unfall- oder Rentenversicherung betreibt (vgl BSGE 7, 195, 196; BSG in SozR 2200 § 315a Nr 9; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S 234wI, Vi, 9721; aA Baierl, WzS 1964, 163). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (Urteil vom 1981-05-13 - 7 RAr 102/79 - mwN) sind die Voraussetzungen des § 75 Abs 2 SGG erfüllt, wenn zwischen Sozialhilfe- und Rentenversicherungsträgern der Ersatz von Aufwendungen nach § 1531 RVO oder ein gemäß § 90 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) übergeleiteter Anspruch streitig ist. Besteht die Notwendigkeit der Beiladung in solchen Fällen, in denen der Sozialhilfeträger einen eigenen, selbständigen Anspruch geltend macht, dann trifft das in verstärktem Maße für die Geltendmachung eines fremden Rechts im Wege der Prozeßstandschaft zu.

Streitiges Rechtsverhältnis iS des § 75 Abs 2 SGG ist hier der Anspruch des Versicherten auf Knappschaftsruhegeld für die Zeit vom 8. bis zum 30. Juni 1977. Darüber kann sowohl den Rechtsnachfolgern des Versicherten als auch dem Kläger als ersatzberechtigtem Träger der Sozialhilfe gegenüber nur einheitlich entschieden werden. Die Notwendigkeit, die Rechtsnachfolger des Versicherten beizuladen, ergibt sich auch daraus, daß diese und der aus fremdem Recht klagende Kläger notwendige Streitgenossen sind (§ 74 SGG iVm § 62 Zivilprozeßordnung -ZPO-; vgl BSGE 11, 295, 296; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, § 1511 RVO Anm 3 d cc). Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl BVerwGE 35, 247, 248) die Beiladung des minderjährigen Wehrpflichtigen zu dem Rechtsstreit, mit dem sein gesetzlicher Vertreter gemäß § 19 Abs 5 Wehrpflichtgesetz die Musterungsentscheidung der Wehrersatzbehörden angefochten hat, verneint, weil die Entscheidung nur den Wehrpflichtigen und die Wehrersatzbehörde betreffe, nicht aber den klagenden gesetzlichen Vertreter als Dritten. Aus dieser Rechtsprechung läßt sich jedoch nicht herleiten, daß die Beiladung der Rechtsnachfolger des Versicherten hier nicht notwendig ist. Im Gegensatz zu dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall greift die Entscheidung über den Rentenanspruch des Versicherten sowohl in die Rechtssphäre seiner Rechtsnachfolger als auch in diejenige des ersatzberechtigten Trägers der Sozialhilfe, des Klägers, unmittelbar ein.

Dieses ergebnis verdeutlicht bei der Rechtsnachfolge ein Hinweis auf § 58 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil. Danach kann der Fiskus als Erbe Ansprüche auf Geldleistungen nicht geltend machen. Erbt der Fiskus, so wäre folglich in einem Verfahren, das der Träger der Sozialhilfe in Prozeßstandschaft betreibt, zu fragen, ob er etwas einklagen kann, was den Erben verwehrt ist.

Die unterlassene, notwendige Beiladung ist bei der zulässigen Revision von Amts wegen zu beachten (vgl BSG in SozR 1500 § 75 Nrn 1, 4, 8, 10, 15, 20 und 29). Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647051

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