Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 18.12.1986)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 1986 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch auf ein höheres als das festgestellte Knappschaftsruhegeld hat, insbesondere ob die Zeit vom 5. Mai 1943 bis zum 8. Mai 1945 als Ersatzzeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen ist.

Der am 16. Dezember 1922 geborene Kläger war vom 2. August 1937 bis zum 26. April 1941 in der Invalidenversicherung pflichtversichert. Am 5. Mai 1941 wurde er Soldat. Nach einer Bescheinigung des Landesamtes für Besoldung und Versorgung leistete der Kläger die zweijährige Wehrdienstpflichtzeit ab und war anschließend vom 5. Mai 1943 bis zum 30. Juni 1944 längerdienender Freiwilliger sowie vom 1. Juli 1944 bis zum Kriegsende Berufssoldat. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) hat mit Bescheid vom 2. April 1974 auf Antrag des Klägers festgestellt, der Kläger gelte für die Zeit vom 5. Mai 1943 bis zum 8. Mai 1945 nach § 72 des Gesetzes Nr 131 als in der Angestelltenversicherung nachversichert. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft war der Kläger wiederum in der Zeit vom 7. August bis zum 11. November 1946 in der Invalidenversicherung pflichtversichert. In der Zeit vom 2. Dezember 1946 bis zum 30. Juni 1976 gehörte er aufgrund der im Bergbau verrichteten Tätigkeiten als Pflichtversicherter der knappschaftlichen Rentenversicherung an.

Nachdem der Kläger seit dem 1. Januar 1978 die Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres und in der Zeit vom 1. Juli 1976 bis zum 31. Dezember 1977 das Anpassungsgeld bezogen hatte, erhielt er mit Wirkung vom 1. Januar 1978 die Knappschaftsausgleichsleistung. Seinen am 12. Oktober 1982 gestellten Antrag auf das Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) beschränkte der Kläger auf die Anteile der knappschaftlichen Rentenversicherung für den Fall, daß dies günstiger sei. In ihrem Bescheid vom 18. Februar 1983 stellte die Beklagte unter Aufhebung ihres vorläufigen Bescheides vom 31. Januar 1983 mit Wirkung vom 1. Januar 1983 die Knappschaftsausgleichsleistung in das Knappschaftsruhegeld um. Dabei ließ sie die Beiträge zur Invalidenversicherung und die von der BfA festgestellte Nachversicherungszeit vom 5. Mai 1943 bis zum 8. Mai 1945 unberücksichtigt.

Das Landessozialgericht (LSG) hat das die Klage abweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) geändert und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, das dem Kläger zuerkannte Knappschaftsruhegeld unter Anrechnung der Zeit vom 5. Mai 1943 bis zum 8. Mai 1945 als Ersatzzeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung festzustellen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die streitige Zeit vom 5. Mai 1943 bis zum 8. Mai 1945 sei trotz des von der BfA bindend festgestellten Charakters einer Nachversicherungszeit in der Angestelltenversicherung wegen der nach § 101 Abs 1 Satz 2 RKG aF zulässigen Beschränkung des Leistungsantrags auf die Anteile der knappschaftlichen Rentenversicherung in diesem Versicherungszweig als Ersatzzeit zu berücksichtigen. Die zulässige Beschränkung des Leistungsantrags auf die knappschaftliche Rentenversicherung habe bewirkt, daß die Beiträge zu anderen Versicherungszweigen einschließlich der fiktiv durchgeführten Nachversicherung als nicht vorhanden anzusehen seien. Sie ständen daher der Anrechnung einer Ersatzzeit für den gleichen Zeitraum nicht entgegen. Die hier noch anzuwendende Regelung des § 101 Abs 1 Satz 2 RKG aF sei von § 58c Abs 2 RKG unberührt geblieben. Sie stelle lediglich die mögliche mit der tatsächlich vollzogenen Nachversicherung gleich, habe aber keinen Einfluß auf die Wirkung der Beschränkung eines Antrags nach § 101 Abs 1 Satz 2 RKG aF.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der – vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie ist der Ansicht, die Zeit vom 5. Mai 1943 bis zum 8. Mai 1945, die aufgrund des bindenden Bescheides der BfA als Nachversicherungszeit in der Angestelltenversicherung gelte, könne auch bei Beschränkung des Antrags auf die Anteile der kanppschaftlichen Rentenversicherung nicht in diesem Zweig Ersatzzeit sein. Das gehe auch aus § 58c Abs 2 RKG hervor, der nach Artikel 2 § 9a Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetz (KnVNG) anzuwenden sei.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil insoweit zurückzuweisen, als die rentensteigernde Ansetzung der Zeit vom 5. Mai 1943 bis zum 8. Mai 1945 als Ersatzzeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung begehrt wird.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig. Zusätzlich trägt er vor, die streitige Zeit sei wegen einer unrichtigen Beratung durch die Beklagte mindestens im Wege des Herstellungsanspruchs als Ersatzzeit zu berücksichtigen, zumal da er nicht Berufssoldat gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, weil die festgestellten Tatsachen zur abschließenden Entscheidung nicht ausreichen.

Das LSG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß die streitige Zeit durch die Beschränkung des Leistungsantrags des Klägers auf die Anteile aus der knappschaftlichen Rentenversicherung zu einer beitragslosen Zeit geworden und der knappschaftlichen Rentenversicherung als Ersatzzeit zuzuordnen sei. Es mag dahingestellt bleiben, ob die BfA in ihrem Bescheid vom 2. April 1974 zu Recht oder zu Unrecht die Voraussetzungen des § 72 des Gesetzes Nr 131 für die fiktive Nachversicherung als erfüllt angesehen hat (vgl hierzu BSG, Urteil vom 17. November 1987 – 5b RJ 98/86 –). Dieser Bescheid ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens und könnte daher auch dann nicht aufgehoben werden, wenn er rechtswidrig sein sollte. Solange er aber existiert, ist von seiner Rechtmäßigkeit auszugehen. Er ist im Verhältnis des Klägers zur BfA bindend und wirkt – jedenfalls in Angelegenheiten der Wanderversicherung auch für und gegen die Versicherungsträger der anderen Versicherungszweige.

Ist die streitige Zeit vom 5. Mai 1943 bis zum 8. Mai 1945 danach fiktive Nachversicherungszeit und damit Beitragszeit in der Rentenversicherung der Angestellten, so verliert sie diesen Charakter nicht durch die hier noch rechtlich zulässige Beschränkung des Leistungsantrags nach § 101 Abs 1 Satz 2 RKG aF auf die Anteile aus der knappschaftlichen Rentenversicherung. Zwar sind bei einer solchen Beschränkung des Leistungsantrags die Versicherungszeiten anderer Versicherungszweige bei der Rentenberechnung unberücksichtigt zu lassen. Das bedeutet aber nicht, daß sie zu beitragslosen Zeiten werden, obwohl sie es nicht sind. Sie bleiben vielmehr Beitragszeiten in der Rentenversicherung der Angestellten und als solche aufgrund der Beschränkung des Leistungsantrags bei der Rentenberechnung unberücksichtigt, dh die in § 101 RKG aF vorgesehene Zusammenrechnung (Bildung einer Gesamtrente) findet nicht statt. Dem steht das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Januar 1979 (BSGE 47, 293) nicht entgegen. Dort handelte es sich um die Frage, welchem Versicherungszweig eine Ersatzzeit, die keine Beitragszeit war, bei der Beschränkung des Leistungsantrags zuzurechnen ist. Hier dagegen geht es um die Frage, ob eine anerkannte Nachversicherungszeit in der Rentenversicherung der Angestellten zur Ersatzzeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung werden kann, wenn der Leistungsantrag auf die knappschaftliche Rentenversicherung beschränkt wird. In seinem Urteil vom 27. März 1974 (BSGE 37, 204) hatte das BSG zwar angenommen, bei einer Beschränkung des Leistungsantrags müßten die zu anderen Versicherungszweigen entrichteten Beiträge ganz allgemein unberücksichtigt bleiben und insbesondere für die Halbbelegung bei der Anrechnung einer Zurechnungszeit. Ob daran festzuhalten ist, kann dahingestellt bleiben, denn es handelt sich um eine andere als die hier zu entscheidende Rechtsfrage. Die Entscheidung steht der Annahme jedenfalls nicht entgegen, daß die Beschränkung des Leistungsantrags nicht dazu führen kann, aus einer Beitragszeit eine beitragslose Ersatzzeit zu machen. Die dem Versicherten in § 101 Abs 1 Satz 2 RKG aF eingeräumte Dispositionsbefugnis sollte nur vermeiden helfen, daß durch die Regeln der Wanderversicherung Nachteile entstehen; sie sollte aber nicht ermöglichen, daß der Versicherte den Charakter und die Zurechenbarkeit der vorhandenen Versicherungszeiten manipuliert.

§ 58c Abs 2 RKG hat keinen Einfluß auf die rechtliche Beurteilung, denn nach dieser Vorschrift führt sogar eine mögliche – aber nicht durchgeführte – Nachversicherung zum Verlust der Ersatzzeit. Über die Auswirkung einer Antragsbeschränkung sagt die Vorschrift nichts aus. Ist die Nachversicherung durchgeführt oder gilt sie als durchgeführt, so handelt es sich unabhängig von § 58c Abs 2 RKG um eine Beitrags- und nicht um eine Ersatzzeit.

Obwohl danach der angefochtene Bescheid der Beklagten nicht zu beanstanden wäre, kann noch nicht abschließend entschieden werden. Es ist nicht auszuschließen, daß der Kläger einen Herstellungsanspruch hat, der zur Berücksichtigung der streitigen Zeit als Ersatzzeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung führen könnte. Im Berufungsurteil ist keine Feststellung zu der Behauptung des Klägers getroffen worden, er sei von der Beklagten veranlaßt worden, die für ihn jetzt nachteilige Nachversicherung zu beantragen. Eine entsprechende Feststellung könnte aber zu einem für den Kläger positiven Ergebnis führen. Die fiktive Nachversicherung tritt nicht kraft Gesetzes ein, sondern ist von einem im Belieben des Versicherten stehenden Antrag abhängig (BSG SozR 7290 § 72 Nr 7; 2600 § 50 Nr 2). Hätte die Beklagte den Kläger aufgefordert, einen Antrag auf Nachversicherung zu stellen, obwohl Veranlassung bestand, ihn auf mögliche nachteilige Folgen hinzuweisen, so hätte sie ihre Betreuungspflicht verletzt. Der Kläger hätte bei Erfüllung der Betreuungspflicht möglicherweise von einem Antrag auf Nachversicherung abgesehen, so daß die BfA den Nachversicherungsbescheid nicht erlassen hätte und die streitige Zeit nicht Beitragszeit in der Rentenversicherung der Angestellten geworden wäre. Für den Herstellungsanspruch ist es ohne Bedeutung, daß der Bescheid der BfA einer Anerkennung der streitigen Zeit als Ersatzzeit entgegensteht, denn in diesem Zusammenhang müßte die Beklagte für die Folgen ihres fehlerhaften Handelns auch dann eintreten, wenn der Bescheid der BfA noch nicht aufgehoben ist. Allerdings ist in diesem Zusammenhang § 58c Abs 2 RKG zu beachten, der nach Art 2 § 9a KnVNG auch auf Versicherungsfälle vor dem 1. Januar 1983 anwendbar ist. Danach wäre die streitige Zeit auch dann nicht als Ersatzzeit zu berücksichtigen, wenn die Nachversicherung möglich wäre; auf den Antrag käme es also nicht an. Da der Kläger jedenfalls in der Zeit bis zum 30. Juni 1944 nicht Berufssoldat, sondern längerdienender Freiwilliger war, wird insoweit das Urteil des 5b-Senats vom 17. November 1987 – 5b RJ 98/86 – zu berücksichtigen sein, wonach eine Nachversicherung für längerdienende Freiwillige nur dann in Betracht kommt, wenn diese vor dem 8. Mai 1945 aus der deutschen Wehrmacht ausgeschieden sind. Es besteht auch Anlaß zur erneuten Prüfung, ob der Kläger in der Zeit danach tatsächlich Berufssoldat geworden und nicht längerdienender Freiwilliger geblieben ist. Lägen die Voraussetzungen der Nachversicherung nicht vor, hätten höchstens die vor und nach der beitragslosen Ersatzzeit zurückgelegten Beitragszeiten in der Invalidenversicherung der Zuordnung der streitigen Zeit zur knappschaftlichen Rentenversicherung entgegenstehen können. Hierzu hat das BSG jedoch bereits in seinem Urteil vom 16. Januar 1979 (BSGE 47, 293) zu einem vergleichbaren Tatbestand entschieden, daß für die Zuordnung einer Ersatzzeit bei einer Beschränkung des Leistungsantrags auf einen bestimmten Zweig der Wanderversicherung die in den übrigen Versicherungszweigen zurückgelegten Beitragszeiten unberücksichtigt bleiben müssen. Zwar wäre auch die Ansicht vertretbar, daß eine Ersatzzeit zunächst einem bestimmten Versicherungszweig zugeordnet wird mit der Folge, daß sie bei der Beschränkung des Leistungsantrags das Schicksal dieses Versicherungszweiges teilt. Diese vertretbare Rechtsansicht ist aber nicht so zwingend, daß sie Veranlassung gibt, die bisherige Rechtsprechung des BSG aufzugeben, zumal da diese Frage wegen des Wegfalls der Beschränkungsmöglichkeit für die Zukunft keine Bedeutung hat. Müßte also der Kläger im Falle einer Verletzung der Betreuungspflicht durch die Beklagte so gestellt werden, als habe er den Antrag auf Nachversicherung nicht gestellt, und liegen die Voraussetzungen für eine fiktive Nachversicherung nicht vor, so müßte die Beklagte die Leistung des Klägers unter Berücksichtigung der streitigen Zeit als Ersatzzeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung im Wege des Herstellungsanspruches gewähren.

Das LSG wird daher festzustellen haben, ob die Behauptung des Klägers richtig ist, daß er von der Beklagten veranlaßt wurde, die Nachversicherung zu beantragen. Ferner wird es darauf ankommen, ob schon damals ein konkreter Anlaß bestand, den Kläger auf mögliche nachteilige Folgen der Nachversicherung hinzuweisen.

Das LSG wird auch über die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174586

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