Leitsatz (redaktionell)

Ehegatten, die wegen der Höhe ihres Einkommens von der Versicherungspflicht freigestellt sind und deshalb keinen eigenen "gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege" (RVO § 205 Abs 1) mehr haben, können wegen dieser mit der Versicherungsfreiheit notwendig verbundenen Rechtsfolge nicht durch Mitversicherung beim Ehegatten wiederum in die Versicherung einbezogen werden.

Dies gilt auch dann, wenn der versicherungsfreie Ehegatte im Einzelfall trotz der Höhe seines Einkommens unterhaltsberechtigt gegenüber dem anderen - versicherten - Ehegatten sein sollte.

 

Normenkette

RVO § 205 Abs. 1 Fassung: 1930-12-01

 

Tenor

Auf die Revision der beklagten Ersatzkasse werden die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. Februar 1970 und des Sozialgerichts Koblenz vom 15. Januar 1969 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Senat hat darüber zu entscheiden, ob dem Kläger, einem freiwilligen Mitglied der beklagten Ersatzkasse, für seine berufstätige Ehefrau in der Zeit vom 1. Juli 1968 bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) am 13. Februar 1970 Familienhilfe zustand. Das monatliche Nettoeinkommen des Klägers betrug im September 1968 1.451 DM, das seiner Ehefrau 946 DM. Der Haushalt wurde von beiden Ehegatten gemeinsam besorgt.

Die Beklagte hat einen Familienhilfeanspruch des Klägers verneint, weil nach § 29 ihrer Versicherungsbedingungen Familienhilfe nur "für den unterhaltsberechtigten Ehegatten" gewährt werde, die Ehefrau des Klägers aber nach den Einkommensverhältnissen der Ehegatten ihm gegenüber nicht unterhaltsberechtigt gewesen sei. Die Vorinstanzen sind dieser Auffassung nicht gefolgt. Sie haben die Ehefrau des Klägers als unterhaltsberechtigt angesehen, weil ihr Einkommen geringer gewesen sei als das des Klägers; sie habe deshalb zum Familienunterhalt weniger beisteuern müssen, als sie daraus erhalten habe (Urteil des LSG vom 13. Februar 1970).

Die Beklagte rügt mit der zugelassenen Revision, die Ehefrau des Klägers sei schon deswegen nicht unterhaltsberechtigt gewesen, weil ihr eigenes Einkommen die seinerzeit maßgebende Versicherungspflichtgrenze überschritten habe, die Familienhilfe aber nur eine Mitversicherung von sozial schutzbedürftigen Angehörigen bezwecke.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Ob dem Kläger, der der beklagten Ersatzkasse als nichtversicherungspflichtiges Mitglied angehört, während der streitigen Zeit (1. Juli 1968 bis zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 13. Februar 1970) Familienhilfe für seine Ehefrau zustand, richtet sich nach den Versicherungsbedingungen der Beklagten vom 1. Oktober 1961, deren § 29 ("Familienhilfe - Allgemeine Bestimmungen") in den bis heute unverändert gebliebenen Ziffern 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 wie folgt lautet:

Die Mitglieder haben Anspruch auf Leistungen der Familienhilfe für den unterhaltsberechtigten Ehegatten und die unterhaltsberechtigten Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres.

Voraussetzung für die Gewährung der Familienhilfe ist, daß die in § 29 Ziff. 1 genannten Personen nicht anderweitig einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege haben und sich gewöhnlich im Inland aufhalten.

Diese Bestimmungen entsprechen, abgesehen von der Altersgrenze für Kinder, dem § 205 Abs. 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung der Notverordnungen vom 26. Juli 1930 und 1. Dezember 1930 (RGBl I 311 und 517) mit den späteren inhaltlichen Änderungen durch Abschnitt II Nr. 1 des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943 (AN II 485: Wegfall der Wartezeit) und durch Art. 10 der Ersten Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 (RGBl I 41: Gleichstellung der Familienangehörigen mit den Versicherten bei Krankenpflege und Krankenhauspflege); vgl. auch die Neufassung des § 205 Abs. 1 durch Art. 2 Nr. 11 des Gesetzes vom 27. Juli 1969 (BGBl I 946).

Ob der Kläger, wie das LSG angenommen hat, seiner Ehefrau gegenüber unterhaltspflichtig war, läßt der Senat unentschieden (zur Frage der Unterhaltsberechtigung im Sinne des § 205 RVO vgl. BSG 10, 28; 11, 198; 19, 282). Selbst wenn die Ehefrau des Klägers nach den Einkommensverhältnissen der Ehegatten unterhaltsberechtigt gewesen sein sollte, hatte der Kläger keinen Familienhilfeanspruch, weil der regelmäßige Jahresarbeitsverdienst seiner als Angestellte tätig gewesenen Ehefrau über der Krankenversicherungspflichtgrenze lag, die seit dem 1. September 1965 10.800 DM im Jahr betrug und mit Wirkung vom 1. August 1969 auf 11.880 DM erhöht wurde (Gesetze vom 24. August 1965 und 27. Juli 1969, BGBl I, 1965, 912 und 1969, 946).

Ob Familienhilfe auch für einen Ehegatten zu gewähren ist, der bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen (Unterhaltsberechtigung, Inlandsaufenthalt) mit seinem Einkommen die Versicherungspflichtgrenze überschreitet, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Auch die Entstehungsgeschichte des § 205 RVO (vgl. dazu BSG 22, 252, 253 f) gibt insoweit keinen Aufschluß. Anscheinend hat der Gesetzgeber die Frage bei der Umwandlung der Familienhilfe in eine Regelleistung im Jahre 1930 entweder nicht gesehen oder das Problem nicht für regelungsbedürftig gehalten, weil es damals, vor allem mit Rücksicht auf die vergleichsweise hohe Versicherungspflichtgrenze, keine praktische Bedeutung hatte. Drängend geworden ist es dagegen nach dem Kriege durch die zunehmende Berufstätigkeit von Ehefrauen und die sprunghaften Steigerungen der Gehälter, mit denen die gesetzlichen Anpassungen der Versicherungspflichtgrenze nicht Schritt hielten.

Um die dadurch entstandene Regelungslücke zu schließen, hat der Senat erwogen: Wenn die Anwendung der Vorschriften über die Krankenversicherungspflichtgrenze für Angestellte (§ 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO) und die Mitversicherung von Familienangehörigen (§ 205 RVO) nicht zu Ergebnissen führen soll, die in sich widersprüchlich sind, dann können Personen, die wegen der Höhe ihres Einkommens von der Versicherungspflicht freigestellt sind und deshalb keinen eigenen "gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege" (§ 205 Abs. 1 RVO) mehr haben, nicht wegen eben dieser, mit der Versicherungsfreiheit notwendig verbundenen Rechtsfolge durch Mitversicherung beim Ehegatten wiederum in die Versicherung einbezogen werden. Das wäre um so weniger gerechtfertigt, als die beitragsfreie oder, wie bei den freiwilligen Mitgliedern der Ersatzkassen, beitragsbegünstigte Mitversicherung aus Mitteln der Versichertengemeinschaft getragen werden müßte, die versicherungspflichtigen Kassenmitglieder also den Versicherungsschutz von Personen mit zu finanzieren hätten, die der Gesetzgeber wegen Überschreitung der Einkommensgrenze aus der Versicherungspflicht entlassen und auf den Weg der Selbstvorsorge verwiesen hat. Damit würde das Prinzip der Solidarität der Versicherten, das die wirtschaftlich Leistungsfähigeren zum Einstehen für die Schwächeren verpflichtet und mit Recht als ein konstituierendes Merkmal der sozialen Krankenversicherung angesehen worden ist, in sein Gegenteil verkehrt werden (vgl. zu einem ähnlichen Fall eines "inversen sozialen Ausgleichs" innerhalb der Krankenversicherung die kritischen Bemerkungen im Bericht der Sozialenquete-Kommission S. 239 f unter Nr. 686). Um dieses sinnwidrige Ergebnis zu vermeiden, müssen Beschäftigte, die wegen Überschreitung der Krankenversicherungspflichtgrenze versicherungsfrei sind, von der Familienhilfe ausgeschlossen bleiben (ebenso Barttlingck, BKK 1969, 104, und Gagel, "Der Sozialrichter", Beilage zur SGb, 1970, S. 16; a. A. LSG Nordrhein-Westfalen, Breithaupt 1969, 915, 920; vgl. ferner Bogs, Sozialer Fortschrift 1969, 275).

Eine Ausnahme kann auch dann nicht gemacht werden, wenn der versicherungsfreie Ehegatte im Einzelfall trotz der Höhe seines Einkommens unterhaltsberechtigt gegenüber dem anderen - versicherten - Ehegatten sein sollte. Wer die Verdienstgrenzen der gesetzlichen Krankenversicherung überschreitet und deshalb für ihren Bereich nicht mehr als schutzbedürftig gilt, wird in der Regel wegen seines Krankheitsrisikos auch nicht auf die Hilfe des anderen Ehegatten angewiesen sein, so daß dieser seinerseits nicht notwendig einer - von der Familienhilfe bezweckten - Entlastung bedarf (zur Entlastungsfunktion der Familienhilfe vgl. BSG 17, 186, 190; 22, 252, 254).

Dem Kläger stand hiernach für seine Ehefrau, solange deren Einkommen die Versicherungspflichtgrenze überschritt, kein Anspruch auf Familienhilfe zu. Sollte sie infolge der am 1. Januar 1970 eingetretenen Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze auf 14.400 DM (Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 27. Juli 1969, BGBl I 946) wieder versicherungspflichtig geworden sein, wäre für sie schon deshalb keine Familienhilfe zu gewähren, weil sie dann einen anderweitigen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege hätte (§ 205 Abs. 1 RVO). Auf die Revision der Beklagten hat der Senat somit die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidungen als unbegründet abgewiesen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670265

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